Donnerstag, 1. August 2024

Ein Nationalfeiertags-Blues

Ein Zitat

Fahnen flattern im Wind am Schiffssteg von Lausanne.
Foto © Jörg Niederer
"Stolz ist die Maske der eigenen Fehler." Aus dem Talmud

Ein Bibelvers - Sprüche 29,23

"Hochmut bringt einen Menschen zu Fall. Durch Demut kommt er zu Ehren."

Eine Anregung

Der 1. August ist Nationalfeiertag in der Schweiz. Ich erinnere mich daran, wie ich fasziniert war von den Höhenfeuern, die in meiner Kindheit an diesem Tag auf den Jurahöhen entzündet wurden. Unsere Eltern kauften uns Papierlampions, die wunderbar leuchteten. Eine Sonne war darunter, und wir Kinder trugen sie ganz vorsichtig zu einem nahen Aussichtspunkt hinauf. Auch Vulkane gab es schon, und von den bengalischen Zündhölzern erhielten wir Brüder je ein ganzes Schächtelchen. Mein Vater startete ein, zwei Raketen aus einer Glasflasche heraus, immer in beachtlichem Sicherheitsabstand zu unserer Position und den nächsten Feiernden. Ich war fasziniert.

Als Teenager besuchte ich dann mit einem Kollegen das offizielle Feuerwerk von Olten. Widerwillig, da ich es für eine grosse Geldverschwendung hielt, angesichts der Not in vielen Teilen der Welt. 

Einmal sass ich am Nationalfeiertag allein im Auto auf der Fahrt über die Autobahn nach irgendwohin, geplagt von trüben Gedanken. Das war kein gutes Gefühl.

Und heute: Ich bin dankbar, in der Schweiz leben zu dürfen. Aber der Nationalfeiertag hat seine Faszination für mich längst verloren. Mit der Knallerei kann ich nicht viel anfangen. Die patriotischen Reden habe ich meines Wissen sowieso noch nie besucht. Am Tag danach jammern mich die Fragmente der Raketen und Vulkane, die abgebrannt im öffentlichen Raum und der Landwirtschaft vor sich hin rotten. Sie bleiben tagelang liegen, bis die Stadtreinigung oder der Bauer sie wegräumt. Hat er sich wieder gewundert über die Unverschämtheit mancher Feiernden? Es ist paradox. Am Tag, an dem wir uns über die Errungenschaften unseres Landes freuen, missachten nicht wenige das Eigentum des andern.

An diesen Tag schliesse ich beim Einnachten die Fenster, weil ich nicht will, dass sich eine der gefährlich nahe abgefeuerten Raketen in meine Wohnung verirrt. Ich schliesse die Schweiz aus meiner Wohnung aus. 

Vielleicht lese ich dann in der Zeitung oder den Sozialen Medien, dass an manchen Orten die Reden ausfallen, oder das amtliche Feiern um einen Tag verschoben wird, weil in der Ferienzeit doch nur wenige Menschen daran teilnehmen würden. Fast ein bisschen so, wie man darüber lamentiert, dass nur noch wenige Leute am Sonntagmorgen den Gottesdienst in der Kirche besuchen würden.

Der Nationalfeiertag zeigt mir, dass die Zeiten sich geändert haben. Oder bin ich es, der sich geändert hat?

Vermutlich werde ich dereinst im Himmel den Nationalfeiertag nicht besonders vermissen. Oder ist dort der Reihenfolge nach an jedem Tag irgend ein Nationalfeiertag? Das wäre noch nicht ganz die Hölle für mich, aber käme ihr doch schon sehr nahe.

Wie hast du es mit den Nationalfeiertag?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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