Ein Zitat
"Jesus wurde verlacht, angespuckt und selbst als Gotteslästerer zu Tode gebracht. Und er wurde nicht durch aufgebrachte Anhänger:innen, wütende Proteste oder hasserfüllte Gegenschläge ins Recht gesetzt, sondern durch eine Liebe, die den Tod überwindet und den Spöttern und Lästerern den Wind aus den Segeln nimmt." Manuel Schmied: "Mit uns kann man es ja machen..."Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Matthäus 26,66-68
"Der Hohepriester antworteten: 'Er ist schuldig und muss sterben.' Dann spuckten sie ihm ins Gesicht und schlugen ihn mit Fäusten. Einige gaben ihm Ohrfeigen. Sie forderten ihn auf: 'Du bist doch ein Prophet, du Christus! Sag uns: Wer hat dich geschlagen?'"
Eine Anregung
Wenn man weiss, wonach man sucht, ist sie gut zu finden. Aber erst konnte ich mir unter einer historischen Trülle nicht viel vorstellen. Es hätte etwas Landwirtschaftliches sein können, eine Obstpresse, ein Dreschplatz, ein mittelalterliches Spiel...
Wir finden die Trülle unscheinbar in die Ecke eines herrschaftlichen Hauses eingebaut. Es handelt sich um eine Version des Prangers, durch den man früher Menschen blossstellte, die irgend etwas verbrochen hatten. Die Trülle ist ein drehbarer, mannshoher und abschliessbarer Käfig.
Ob der Standort der Trülle dort in Griesenberg original ist, ob die Trülle ursprünglich an dieser Stelle stand, an der Handelstreibende durchreisten, vorbei an der heute nicht mehr existierenden Burg, das habe ich nicht herausgefunden. Wohl aber, dass oft Holzfrevler in der Trülle geplagt worden waren. Denn Anrecht auf Holz aus dem Bürgerwald hatten nur die Ortsbürger. Alle anderen mussten das Holz zum Kochen, Heizen und Arbeiten teuer einkaufen, was manchem ärmeren Menschen finanziell nicht möglich war. Es kam zu Holzdiebstahl. Wer erwischt wurde, den oder die sperrte man einige Zeit zur Strafe in die Trülle. Von den Vorbeiziehenden wurden diese armen Leute verspottet und bespuckt. Die Trülle wurde wie ein Karussell in Rotation gebracht, bis es dem bemitleidenswerten Menschen im Käfig speiübel wurde und er sich erbrechen musste. Es war eine demütigende, erniedrigende Erfahrung für die Frau oder den Mann in der Trülle.
Bespucken, verspotten, quälen; das erinnert mich sehr an das, was die römischen Soldaten und das Gefolge des Hohepriesters einst mit Jesus anstellten. Er kannte dieses Gefühl, dem Hohn und Spott der andern ausgesetzt zu sein. Er wusste, was die Menschen in diesem drehbaren Pranger erlebten. So gesehen kann ich mir nicht vorstellen, dass Jesus der spukende, spottende und an der Trülle drehende Passant ist. Jesus ist der Mann in der Trülle. Und ich? Auf welcher Seite des Käfiggitters stehe ich? Aussen bei den Spottenden, oder innen beim Verspotteten?
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen