Samstag, 3. August 2024

Heimat, Kreuz und Abgrund

Ein Zitat

Das nachts beleuchtete Kreuz auf der Geissfluh, von der Frohburg aus gesehen.
Foto © Jörg Niederer
"Die größte Werbekampagne der Menschheitsgeschichte wurde von Jesus Christus lanciert. Sie lief unter dem universellen Slogan 'Liebe Deinen Nächsten'. Und sie hatte ein bemerkenswertes Logo: das Kreuz." Oliviero Toscani (*1942), italienischer Fotograf

Ein Bibelvers - Römer 6,6

"Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen."

Eine Anregung

Wenn ich vom Haus meiner Kindheit und Jugend in Olten in Richtung Norden aus dem obersten Fenster schaute, leuchtete in der Nacht das Kreuz auf der Geissfluh ob Trimbach zu mir herunter. Später dann kamen zwei weitere beleuchtete Landmarken dazu. 1973 im Südosten der Sendeturm auf dem Engelberg und 1976 dann unweit des Kreuzes der zweite auf der Frohburg. Gestern wanderten wir wieder einmal von der Barmelweid kommend an Kreuz und Turm auf der Jurahöhe vorbei.

In der Zeit, als ich in Rothrist wohnte, besuchten wir einmal des Nachts mit unseren Kindern das beleuchtete Kreuz. Es war ein besonderes Erlebnis für uns alle, und eine nervenaufreibende Sache mit den Kindern beim über der Felsklippe stehenden Kreuz zu verbringen. Dessen Licht zog unzählige Insekten an. Spinnen lauerten mit ihren Netzen auf fette Beute, weit unten sah man die beleuchtete Stadt, und auf dem Engelberg blinkte der Sendeturm. Wie die Mücken fühlten wir uns vom Kreuz angezogen und fasziniert, ein Abenteuer. Aber wir alle wollten nicht da oben bleiben, wollten wieder heil nach Hause kommen.

Ganz anders wirkte das Kreuz auf mich in meiner Kindheit. Es war einfach da, wie ein beruhigendes Nachtlicht. Sein Leuchten zeigte mir, dass die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war. Und es bedeutete: Hier am Ort, an dem dieses Kreuz nachts leuchtet, bin ich daheim. Hier fühle ich mich geborgen.

Da wo ich heute wohne, sehe ich kein leuchtendes Kreuz mehr. Und doch würde ich immer noch sagen: Beim Kreuz fühle ich mich daheim. Der christliche Glaube gibt mir Halt. Auch wenn man sich - theologisch gesprochen - beim Kreuz immer nahe am Abgrund bewegt. Der Glaube an Christus, den Gekreuzigten, ist ein Wagnis, kein Spaziergang.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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