Donnerstag, 31. August 2023

Sich zum Affen machen muss nicht schaden

Ein Zitat

Eine Schimpansenmutter mit Kind im Walter Zoo in Gossau.
Foto © Jörg Niederer
"Der Mensch kommt unter allen Tieren in der Welt dem Affen am nächsten." Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

Ein Bibelvers - Prediger 1,12+13

"Ich, Kohelet, war König von Israel in der Stadt Jerusalem. Eines Tages nahm ich mir vor, allen Dingen auf den Grund zu gehen. Ja, ich wollte mit Weisheit erforschen, was unter dem Himmel getan wird: Was ist das nur für ein vergebliches Tun?"

Eine Anregung

In der Sonntagszeitung vom 27. August 2023 wird der Primatenforscher Cyril Grüter interviewt. Hier ein Zitat aus dem Gespräch: "Wenn ein Schimpanse es schafft, ein Problem zu lösen, ist er schnell mit dem Ergebnis zufrieden. Oft versucht er danach nicht mehr, die Technik noch zu verfeinern und effizienter zu machen. Das ist ein grosser Unterschied zur Kultur der Menschen und hat unseren Fortschritt erst ermöglicht. Finanzmärkte, Sinfonieorchester oder Raumfähren sind allesamt das kumulative Produkt von unzähligen Individuen über viele Generationen."

Nun haben Primaten aber auch keine atomar bestückte ballistische Interkontinentalraketen zu verantworten. Die Gewalt von Schimpansen kann zwar beachtlich sein, aber sie bleibt begrenzt. Vor Bankencrashs sind sie ebenfalls gefeit. Den Klimawandel müssen Affen auch nicht verantworten. Anders wir Menschen: Hätten wir nicht diesen Ehrgeiz, eine Technik zu verfeinern und effizienter zu gestalten, wäre den Geschöpfen der Erde wohl viel Leid erspart geblieben.

Vielleicht ist das ja der eigentliche Sündenfall, dieses von uns angestrebte Schneller, Besser, Effizienter, Wirkungsvoller. Wir sind nie zufrieden. Wir wollen immer noch mehr und noch weiter und noch besser. Nur schneller zufrieden wollen wir partout nicht sein.

Vielleicht hätten wir Probleme besser weniger effizient gelöst. Dann gäbe es wohl auch weniger neue Schwierigkeiten. Denn das wissen wir ja auch: Eine beantwortete Frage führt meist zu zwei weiteren neuen Fragen und aus einem gelösten Problem entstehen vier neue ungelöste Probleme.

Vielleicht sollten wir Menschen einfach etwas mehr wie Schimpansen werden, oder wie Gorillas, oder wie Bonobos, oder wie Orang-Utans. Vielleicht entsprächen wir dann sogar noch etwas mehr Gottes Ebenbild.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 30. August 2023

Einfach verblüffend, diese Natur

Ein Zitat

Die Gallen der Knopperngallwespe finden sich an bestimmten Stieleichen.
Foto © Jörg Niederer
"Die unbefleckte Empfängnis erledigt heute jeder praktische Arzt." Michael Richter (*1952), Dr. phil., deutscher Historiker und Aphoristiker

Ein Bibelvers - Jesaja 7,14

"Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben. Ihr werdet sehen: Die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Den wird sie Immanuel, 'Gott mit uns', nennen."

Eine Anregung

Der Sturm der letzten Tage hat die Eiche vor meinem Bürofester tüchtig durchgeschüttelt und von Eicheln befreit, die seltsam aussehen. Aber für einmal kenne ich die Ursache.

Gelernt habe ich dies vor einem Jahr am Auftakt zur Schöpfungszeit im Botanischen Garten St.Gallen. Nebenbei: Genau diese Schöpfungszeit beginnt am nächsten Freitag mit einem Vogelspaziergang durch St. Gallen (siehe Beitrag vom 22. August und Flyer!), und mündet dann in einen Apéro mit Abendsegen. Alle sind dazu herzlich eingeladen.

Zurück zu den seltsam geformten Eicheln. Geschaffen hat sie die Eiche. Dazu angeregt, ja geradezu genötigt wurde diese jedoch von einem winzig kleinen, schwarzen Tierchen; der Gallwespe. Genauer: der Knopperngallwespe. Bei der seltsam geformten Eichel handelt es sich um die Kinderstube dieses Tierchens. Doch dass es überhaupt soweit kommen konnte, dazu braucht es noch eine zweite Eichenart. Und die ist in der Schweiz eigentlich nicht heimisch, wächst aber doch ab und zu in Parks und privaten Gärten: die Zerreiche.

Und so geht dieses Spiel der Natur. Im März legt das unbefruchtete Weibchen der Knopperngallwespe die unbefruchteten (!) Eier an die Blütenknospen der Zerreiche ab und stirbt danach. An den männlichen Blüten der Zerreiche wachsen nun zwei Millimeter grosse Gallen, in denen je eine Larve heranwächst. Etwa im Mai schlüpfen dann die ca. 1,2 Millimeter grossen Gallwespen, und zwar sowohl Weibchen wie Männchen. Diese paaren sich, und das Weibchen legt nun die befruchteten Eier in das Hütchen (Kupula), in dem die Frucht der Stieleiche sitzt. Während die Eichel sich nicht verändert, fängt der Becher darunter an zu wuchern und bildet eine oder auch mehrere Gallen um die Eichel herum. Darin wachsen wieder Larven der Knopperngallwespe heran, und zwar ausschliesslich weibliche. Nun kann es bis drei Jahren gehen, bis die jungfräulichen (agamen) Weibchen schlüpfen und ihre unbefruchteten Eier wieder in die Blütenknospen der Zerreiche legen. Das Spiel beginn von vorne.

Ganz schön verblüffend, zu welchen scheinbaren Irrwegen es in der Natur kommt, die dann aber doch ans Ziel führen.

Weil ich nun diese Gallen gefunden habe, weiss ich noch etwas Neues. Irgendwo, nicht allzu weit weg, muss eine weitere Eiche wachsen, eine Zerreiche. Denn ohne die gäbe es die Schlupfwespengallen nicht, die ich unter der Stieleiche vor meinem Büro gefunden habe. Vielleicht finde ich die Zerreiche. Ich halte die Augen offen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 29. August 2023

Wo bleiben die guten Ideen?

Ein Zitat

Bergdohle auf Wanderschaft am Gemmipass.
Foto © Jörg Niederer
"Ideen kommen, wenn Du gehst." Youri Keifens

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 2,17+18

"Gott spricht: Das wird in den letzten Tagen geschehen: Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Eure Söhne und Töchter werden als Propheten reden. Eure jungen Männer werden Visionen schauen, und eure Alten von Gott gesandte Träume haben. Über alle, die mir dienen, Männer und Frauen, werde ich in diesen Tagen meinen Geist ausgießen. Und sie werden als Propheten reden."

Eine Anregung

"Wenn man die Menschen fragt, wie sie auf Ideen kommen, dann ist es immer beim Sport, unter der Dusche, beim Autofahren oder wenn sie mit dem Hund spazieren gehen. Also immer in solchen Situationen, wo sie nicht konkret an einem Problem arbeiten, sondern gedanklich umherwandern können. Nur dann sind sie in der Lage, kreative Ideen zu entwickeln." Das sagt Henning Beck, Neurowissenschaftler, Science-Slammer und Autor in einem Interview in der Sonntagszeitung vom 27. August 2023.

Nun weiss ich also, woran es liegt, dass ich selten kreative Ideen habe. Denn ich treibe kaum Sport, fahre nicht Auto und besitze keinen Hund. Unter der Dusche stehe ich nur solang wie nötig, also etwa 3 Minuten. Folglich komme ich im Alltag kaum dazu, "gedanklich umherzuwandern"

Ich glaube, es wäre angesichts dieses Befunds wenig kreativ, ein Auto zu kaufen, um bei Spritztouren gute Ideen zu bekommen. Auch die Anschaffung eines Hundes würde wohl mehr Aufwand als Ideenreichtum bringen. Länger Duschen sollte man in Zeiten von Wasser- und Energiemangel wohl auch besser nicht. Gegebenenfalls könnte man Wandern als Sport betreiben, dann würde zumindest da ein Kreativitätsschub wahrscheinlich werden. Den ich gehöre zu den seltsamen Vögeln, die sich noch zu Fuss durch die Landschaft bewegen.

Wo aber kommt man auf schlechte Ideen? Und was haben gute Ideen mit Eingebungen zu tun? Eingebungen, Offenbarungen, sie erreichen zumindest in der Bibel die Menschen im Schlaf, bei der Arbeit, auf Bergen, im entrückten Trancezustand und bei Gesprächen mit anderen Menschen.

Woher bekommst du gute Ideen? Wo werden dir geistliche Einsichten geschenkt, Anregungen für eine gute christliche Lebensgestaltung? Und wie merkst du, dass es gute Ideen sind?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 28. August 2023

Treppenhauserkenntnisse

Ein Zitat

Treppenhäuser weisen oft wenig Scharm auf.
Foto © Jörg Niederer
"Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen. Man muss sie die Treppe hinunterboxen, Stufe für Stufe." Mark Twain (1835-1910)

Ein Bibelvers - Psalm 102,26-27a

"Du [Gott] hast am Anfang die Erde gegründet, der Himmel ist das Werk deiner Hände. Eines Tages werden sie vergehen, du aber bleibst."

Eine Anregung

Ich weiss es nun schon 14 Jahre lang. Da wo wir wohnen, zählen die Treppen zwischen den einzelnen Stockwerken genau 15 Stufen. Von der Haustür zu unserer Wohnungstür sind es folglich 45 Stufen und aus dem Keller 60 Stufen. Daran ändert sich über die Lebensdauer des Hauses wohl kaum noch etwas. Und doch ertappe ich mich dabei, wie ich immer wieder die Stufen zähle, während ich zu meiner Wohnung hoch- oder von ihr hinabsteige. Als müsste ich mich vergewissern, dass wenigsten zuhause alles so bleibt, wie es ist.

Oder kommt es daher, dass ich mit zunehmendem Alter die oberste Treppenstufe sehnsüchtiger erwarte als früher? Oder ist es eine Form der Meditation, wobei ich jeden Schritt hinauf oder hinab als Teil meines Lebenswegs würdige? Natürlich könnte es auch ein Tick sein. Denn wirklich Sinn scheint die fast tägliche Treppenstufenzählerei nicht zu machen. Ich komme mir dabei vor wie in der Kindheit, als eine Märchengeschichte nur dann stimmte, wenn sie von der Mutter mit immer genau denselben Worten erzählt wurde. Nur dann befriedigte sie mich. Nur dann konnte ich sicher sein, dass das Gute am Ende wirklich auch siegen würde.

Was wäre, wenn im Treppenhaus zwischen den Stockwerken plötzlich eine der 15 Stufen fehlen würde? Würde ich eher an meiner Zählpräzision zweifeln oder an der Sicherheit des Treppenhauses? Immerhin ist zwei Häuser neben dem von uns bewohnten vor einigen Jahren das Treppenhaus in sich zusammengebrochen und hat dadurch schweizweite Aufmerksamkeit erlangt. Es kann also schon etwas passieren, selbst beim Festgefügten und scheinbar Unverrückbaren. 

Möglicherwiese zähle ich auch deshalb Treppenstufen, weil es täglich auch gut tut, festzustellen, dass Dinge so bleiben wie sie sind, während um mich herum und an mir selbst laufend Veränderungen auftreten. Dann wäre ich auf der Suche nach einer Konstante im Leben, und die würde ich da suchen, wo ich sie am Wahrscheinlichsten finde, also im Treppenhaus. So gesehen wäre meine Treppenstufenzählerei einem Gebet ähnlich und das Treppenhaus ein Andachtsraum oder gar meine durchsteigbare Kirche. Das könnte mir wiederum Grundvertrauen und Hoffnung geben. Die Welt ist nicht ganz aus den Angeln.

All diesen Gedanken könnte ich natürlich gut aus dem Weg gehen, indem ich den Fahrstuhl benutze. Aber wie sang doch schon Hazy Osterwalder: "Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt, sie müssen warten...", oder eben zu Fuss die Treppen hochsteigen, und dabei bei jedem Stockwerk auf Fünfzehn zählen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 27. August 2023

Abschiedszeiten

Ein Zitat

Erste Herbstzeitlosen künden in der Allmend Frauenfeld das Ende des Sommers an.
Foto © Jörg Niederer
"Am Ende wird alles gut sein! Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende." Anselm Grün (*1945)

Ein Bibelvers - Psalm 139,2+3

"Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Absicht erkennst du von fern. Ob ich gehe oder ruhe: Du merkst es. Alle meine Wege sind dir bekannt."

Eine Anregung

Erste Herbstzeitlosen künden in der Allmend Frauenfeld das Ende des Sommers an. Bald färben sich die Blätter. Dann mündet ein überschwängliches Aufleuchten der Natur in den Winter.

In St. Gallen werden wir heute noch einmal dankbar auf die Arbeit der Koreanischen Gemeinde zurückschauen und von ihr in einem Gottesdienst Abschied nehmen. In diesem Jahr fanden keine koreanischen Gottesdienste oder andere Anlässe mehr in St. Gallen statt. Ein Arbeitsbereich der Evangelisch-methodistischen Kirche geht zu Ende. Aber Gottes Liebe wird alle daran Beteiligten weiterbegleiten an den je verschiedenen Orten und in den je unterschiedlichen Umständen.

Der Abschiedsgottesdienst beginnt um 10.15 Uhr an der Kapellenstrasse 6 in St. Gallen. Schon um 9.40 Uhr treffen sich die Kinder von 3 bis 8 Jahren zur Sonntagschule. Den Sonntagmorgen lassen wir mit einem Spaghettiessen ausklingen. Alle sind herzlich dazu eingeladen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 26. August 2023

Filet für Veganerinnen

Ein Zitat

Der Schwefelporling ist ein erstaunlich schmackhafter Pilz.
Foto © Jörg Niederer
"Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben." Wilhelm von Humboldt (1767-1835)

Ein Bibelvers - Hosea 12,6b-7

"Der Herr, der Gott Zebaot, sagte: '... Halt fest an der Liebe und am Recht! Setz deine Hoffnung stets auf deinen Gott!'"

Eine Anregung

Es ist purer Zufall, dass die Tierwelt gerade dann über den Pilz schrieb, als wir ihn vor einer Woche wunderschön im Wald entdeckten. Der Gemeine Schwefelporling ist von der Grösse und Form tellerfüllend und soll nach Pouletfleisch schmecken. Das sieht man dem Baumpilz gar nicht an. Auch der Name schreckt eher ab. Schwefel ist nicht gerade die Gourmetbeilage. Doch den Namen hat der Pilz wohl vor allem wegen der Färbung. 

Will man ihn essen, muss er, genauso wie Geflügelfleisch, gut durchgekocht werden. Darum sollte man ihn eine Viertelstunde garen, bevor man ihn auf den Grill legt oder in anderer Weise zubereitet.

Noch etwas ist zu beachten. Der Pilz nährt sich vom Baumstamm, an dem er wächst. Darum schmecken Pilze von Obstbäumen, Weiden und Birken am Besten. Dort nimmt der Pilz kaum Bitterstoffe auf von seinem Wirt. Sicher sein lassen sollte man Schwefelporlinge, welche an Eiben und Goldregen wachsen. Denn Gifte von diesen Bäumen werden vom Pilz übernommen und können bei Verzehr üble Folgen zeitigen.

Es ist also nicht gleichgültig, auf welcher Basis man sein Leben aufbaut. Auch wir Mensch werden geprägt von all dem, was uns zur Lebensgrundlage geworden ist. Ich erlebe die christlichen Werte und biblischen Texte als eine Grundlage, die meinem Leben Süsse und Geniessbarkeit verleihen. Durch welche Grundlagen wird dein Leben genährt?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Freitag, 25. August 2023

Frucht der Gier

Ein Zitat

Ein Buchsbaumzünsler hat sich in die Wohnung verirrt.
Foto © Jörg Niederer
"Mit dem Feuer spielt man nicht." Redensart

Ein Bibelvers - 2. Mose 3,1+2

"Mose hütete die Herde seines Schwiegervaters Jitro. Jitro war der Priester von Midian. Einmal trieb Mose die Herde über die Steppe hinaus. So kam er an den Berg Gottes, den Horeb. Da erschien ihm ein Engel des Herrn: Eine Flamme schlug aus einem Dornbusch. Mose bemerkte, dass der Dornbusch in Flammen stand und trotzdem nicht verbrannte."

Eine Anregung

Er ist eine Folge der Geschäftstüchtigkeit und Gier. Weil in Asien die Buchsbäume günstig eingekauft werden konnten, hat man sie von dort geholt, statt sie mühsam in den eigenen Baumgärtnereien aufzuziehen. So wurde dem Buchsbaumzünsler die Überfahrt nach Europa ermöglicht. Die Raupen des Falters stiessen bei uns auf paradiesische Zustände. Ohne Fressfeinde breiteten sie sich schnell in alle Himmelsrichtungen aus. Nun sind sie da und wir werden sie nicht mehr los. Mit anderen Worten: Der Schuss der Geschäftsleute ging nach hinten los.

Wer immer Buchsbäume sein eigen nennt, fürchtet nun den wunderschön hellen Schmetterling mit seinen schwarzgoldenen Trauerrändern. Dieser Tage hat einer der Falter bei uns in der Stube an der Decke gerastet.

Doch auch bei den invasiven Neozoen weiss sich die Natur oft selbst zu helfen. Zwischenzeitlich sind einheimische Vögel und Wespen auf den Geschmack gekommen und machen sich gerne über die Raupen der Buchsbaumzünsler her. Auch die Buchsbäume sind oft widerstandfähiger als befürchtet und treiben nach einem Befall wieder aus. Wer manuell die Räupchen vom befallenen Busch abliest, und den Fressfeinden gute Bedingungen im eigenen Garten bietet, braucht nicht zur Giftkeule zu greifen.

Zünsler heisst der Falter übrigens nicht, weil die Buchsbäume durch ihn oft wie verbrannt aussehen. "Zünzeln" ist ein altes Wort für "flimmern" oder "flackern". Falter und Schmetterlinge suchen abends oder nachts ja oft solche flimmernden und flackernden Lichtquellen auf.

Und doch scheint das Wort auch verwandt zu sein mit dem Schweizer Dialektwort "zeuseln" in der Bedeutung: "leichtsinnig mit Feuer spielen". Gezeuselt haben die Gärtnereien, als sie die Buchsbäume aus Asien importierten. Den Buchsbaumzünsler trifft keine Schuld.

So sehen auch heute immer einmal wieder Buchsbäume wie gescheitere Versuche aus, einen Busch in Flammen zu setzten, ohne dass er verbrennt. Doch das bleibt dem brennenden Dornbusch aus der Bibel vorbehalten, der Mose einst auf die Gottesgegenwart an heiliger Stelle hinwies. Nachzulesen ist diese Geschichte vom sich offenbarenden und befreienden Gott in 2. Mose 3,1 - 4,17. Auch interessant dabei ist, wie Mose genau da zauderte, wo Gott sich ihm zeuselnd im brennenden Buchsbaum – äh Dornbusch offenbarte.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 24. August 2023

Schönheitsbedarf

Ein Zitat

Ein schönes Geschenk. Ein Gewinn in Form von Verjüngungsmittel.
Foto © Jörg Niederer
"Albernheit ist eine Erholung von der Umwelt." Curt Emmrich, alias Peter Bamm (1897-1975)

Ein Bibelvers - Sprüche 3,7+8

"Halte dich nicht selbst für klug! Begegne dem Herrn mit Ehrfurcht und meide das Böse! Das hält dich gesund und ist eine Arznei für deinen Körper."

Eine Anregung

Zu meine Sonntagnachmittagsbeschäftigungen gehört es, das Kreuzworträtsel und die Sudokus der Sonntagszeitung zu lösen. So ist es auch schon vorgekommen, dass ich damit das eine oder andere gewonnen habe. Seit etwa eineinhalb Jahren ist das jedoch nicht mehr vorgekommen. Bis auf den Montag nach meinem 64. Geburtstag. Da erhielt ich unverhofft ein Paket, und der beiliegende Brief vermeldete: "Sie haben gewonnen!". Im Karton fand ich Schönheitspräparate. Besonders der Anti Aging Beauty Drink hat es in sich. Er soll Haut, Haare, Nägel und Bindegewebe vor der vorzeitigen Alterung bewahren und enthält Hyaluron. Etwa 60 Franken kostet die Flasche, die ich nun zur eigenen Verjüngung in täglichen 20 Milligramm-Dosen leeren soll. Im Saft auch enthalten sind zusätzliche Stoffe, die noch weit mehr bewirken sollen. Ein Beipackzettel habe ich nicht gefunden, folglich ist es kein Arzneimittel. Vegan ist das Ganze auch noch, was in meinem Fall aber kein Kaufargument wäre.

Was ich mich gefragt habe: Warum erhalte ich diese Anti-Aging-Ware ausgerechnet jetzt, kurz bevor das Pensionsalter droht über mich hereinzubrechen? Ist das ein Fingerzeig des Himmels? Will mich da jemand vor Runzeln und knarzenden Gelenken bewahren? Oder ist es eine Versuchung der dunklen Seite, mich meines Alters zu entfremden mit der Illusion ewiger Jugend?

Einem geschenkten Gaul, schaut man bekanntlicherweise nicht ins Maul, heisst es. Also werde ich nun auch nicht undankbar diesem Geschenk gegenüber sein. Nur wäre mir der Hauptpreis lieber gewesen: Einige Tage in einem Wellness-Hotel.

Noch eine letzte, diesmal ernster gemeinte Frage: Warum gibt es eigentlich keine Wellness-Kirchen? So mit Massagesesseln und gesegneten Fangopackungen, Fusswaschung und Heilsschlaf (Der Herr gibt's den Seinen ja im Schlaf). Das würde das Problem fehlender Pfarrpersonen lösen, könnte man so doch auch Podologinnen und Masseure anstellen!

Doch dann entdecke ich es: Es gab schon einmal einen Wellness-Kirchenanlass. An der BEXPO, durchgeführt von den Kirchen in Belp. Der Erlebnisbericht darüber kann hier nachgelesen werden. Sucht man im englischsprachigen Raum nach Wellness-Church, wird man gleich mehrfach fündig, etwa bei der "church of wellness". Sachen gibt es, da kann man nur staunen. Besonders über die Preise.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 23. August 2023

Wasser predigen

Ein Zitat

In Leuk findet man die älteste Cornalin-Rebe der Schweiz. Sie wurde 1798 gepflanzt.
Foto © Jörg Niederer
"Wer Wasser predigt und Wein trinkt, fordert von anderen (oft heuchlerisch) Verzicht, Zurückhaltung, Bescheidenheit, Genügsamkeit etc., ist selbst aber ganz im Gegenteil dazu besonders verschwenderisch und genusssüchtig." aus: Karpatenblatt

Ein Bibelvers - Matthäus 21,28-31

Jesus: "Was meint ihr zu folgender Geschichte: Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: 'Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg!' Aber der antwortete: 'Ich will nicht!' Später tat es ihm leid, und er ging doch. Genauso bat der Vater seinen zweiten Sohn. Der antwortete: 'Ja, Herr!' Aber er ging nicht hin. Wer von den beiden Söhnen hat getan, was der Vater wollte?"

Eine Anregung

Das Reiseverhalten der Klimajugend mag vielen inkonsequent erscheinen, wenn diese zugleich das Fliegen nicht lassen kann oder will. Wenn also Kantischülerinnen und -schüler per Flug nach Italien die Maturareise antreten, wird ihr Verhalten sofort hinterfragt. Wie wenn alle an der Kantonsschule zur Klimajugend gehören würden.

Oft wird dann das bekannte Sprichwort vom Wasser predigen und Wein trinken ins Feld geführt.

Nun, was ist besser? Wasser predigen und Wein trinken? Oder Wein predigen und Wein trinken? Sieht man genauer hin, lebt wohl kein Mensch ohne Widersprüche. Die Einstellung und das, wozu wir auffordern, steht nur zu oft im Gegensatz zu dem, was wir tun. Wer dann sowohl Wein predigt und Wein trinkt, ist in dieser Sache immerhin eindeutig. Und doch halte ich es für besser, wenn ein Mensch Wasser predigt und Wein trinkt. Den dieser verführt zumindest verbal nicht andere zum Weintrinken. So ein Mensch tut nicht so, als sei Fliegen noch zeitgemäss und angebracht. So ein Mensch weiss, wenn er ins Flugzeug steigt, dass das, was er oder sie tut, nicht hilft bei der Erreichung der Klimaziele.

Also lieber inkonsequent für den Klimawandel einstehen, statt konsequent dagegen reden und handeln. Lieber Wasser predigen und Wein trinken statt Wein predigen und Wein trinken.

Was aber ist von denen zu halten, die Wein predigen und Wasser trinken? Das müssen ganz schräge Asketinnen und Asketen sein, welche sich der Welt durch Destruktion so schnell wie möglich entledigen wollen. So im Sinn: Ich verleite alle dazu, die Welt zu zerstören und wasche dabei meine Hände in Unschuld, denn ich beteilige mich ja nicht an der eigentlichen Tat.

Bleibt noch die letzte Version: "Wasser predigen und Wasser trinken". Das wäre natürlich für den Weiterbestand der Erde ideal. Minimaler Fussabdruck und maximale Überzeugungskraft für das Richtige. Irgendwie erscheint mir diese Haltung wie das Profil von Jesus. Aber sonst glaube ich nicht, dass es Menschen gibt, die heute so leben können. Paulus würde wohl sagen: "Alle haben gesündigt!" (Römer 3,23). Alle leben inkonsequent. Alle sollten nicht zu schnell mit den Fingern auf andere zeigen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 22. August 2023

Vogelspaziergang in St. Gallen

Ein Zitat

Zwei Silberreiher im Naturschutzgebiet Neuhus am Rhein bei Glattfelden)
Foto © Jörg Niederer
"Das Zwitschern des Vogels weckt den Menschen aus seiner Gleichgültigkeit. Er lauscht dem Lied und rühmt die Weisheit dessen, der das süße Lied des Vogels schuf ebenso wie die zarten Empfindungen des Menschen." Khalil Gibran (1883-1931)

Ein Bibelvers - Hiob 12,7-9

"Frag doch das Vieh, es wird dich belehren, und die Vögel des Himmels, die sagen es dir! Oder rede mit der Erde, sie wird dich belehren, die Fische im Meer erzählen es dir. Wer weiß denn nicht von ihnen allen, dass die Hand des Herrn die Welt gemacht hat?"

Eine Anregung

Ob wir Silberreiher sehen werden auf dem Vogelspaziergang durch das urbane Zentrum der Stadt St. Gallen? Wohl eher nicht, aber wer will das schon ganz sicher ausschliessen.

Am 1. September 2023 um 18.00 Uhr sind alle ganz herzlich zu einer kleinen Exkursion als Auftakt zu Schöpfungszeit eingeladen. Vom Areal Bach unmittelbar beim Bahnhof St. Gallen-St. Fiden geht es 3 Kilometer westwärts durch die Stadt St. Gallen. Begleitet werden die Teilnehmenden von Urs Heinz Aerni (1962). Der bekannte Journalist, Kommunikationsberater, Autor und Kulturvermittler ist auch Feldornithologe bei BirdLife und weiss allerlei Interessantes aus der Welt der Vögel und über die Natur zu erzählen. Auf dem Spaziergang werden nicht nur Vögel beobachtet, sondern auch gefragt, wie ihre Lebensräume aufgewertet werden können. Auch fühlen wir der Stadt den Puls und fragen: Wie ist es um die geflügelten Stadtbewohner bestellt? Was zwitschert uns die Vogelschar? Was hilft Tier und Mensch an diesem lauten und eiligen Ort zu leben. Auf dieser Suche nach der biologischer Vielfalt in der Stadt kann ein Feldstecher gute Dienste leisten.

Der Vogelspaziergang endet bei der Methodistenkirche (Kapellenstrasse 6). Dort sind alle zu einem Apéro eingeladen und dem abschliessenden Abendsegen um 20.15 Uhr.

Der Anlass wird von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen beider Kantone Appenzell und St. Gallen durchgeführt. Die Schöpfungszeit wird ökumenisch begangen und dauert vom 1. September bis 4. Oktober, dem Tag des heiligen Franziskus. Zum für die Teilnehmenden kostenlosen Anlass reist man idealer Weise mit dem öffentlichen Verkehr an. Beim Abendsegen wir eine freiwillige Kollekte erhoben zugunsten der "oeku - Kirche für die Umwelt".

Alle Informationen zum Anlasse findet man auch auf dem Flyer.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 21. August 2023

Von aussen getragen

Ein Zitat

Das Weibchen einer Blauflügligen Ödlandschrecke im Naturschutzgebiet Neuhus (Glattfelden)
Foto © Jörg Niederer
"Misstrauen ist eine schlechte Rüstung, die mehr hindern kann, als schirmen." George Gordon Noel Byron, auch Lord Byron genannt, (1788-1824)

Ein Bibelvers - 1. Thessalonicher 5,8

"Aber wir gehören zum Tag. Deshalb wollen wir nüchtern sein – gewappnet mit Glaube und Liebe als Brustpanzer und der Hoffnung auf Rettung als Helm."

Eine Anregung

Die Rotflügelige Ödlandschrecke sahen wir auf dem Weg von Leukerbad nach Albinen. Die Blauflügelige Ödlandschrecke sieht ihr sehr ähnlich, mit Ausnahme der Flügelfarbe, die man aber nur sieht, wenn das Tier sich halb springend, halb fliegend aus dem Staub macht. Im Naturschutzgebiet Neuhus bei Glattfelden kommt das "Tier des Jahres 2023" noch zahlreich vor. Nun im Sommer kann man sie auch bei der Paarung beobachten. Was mir bei aller Mühe nicht gelungen ist: Ein Tier im Flug zu fotografieren. Da muss ich wohl noch etwas üben.

Die Ödlandschrecken gehören zu den wirbellosen Tieren. Ihre Körperstabilität erhalten sie durch ein Exoskelett oder Außenskelett. Das ist ein Panzer aus einem Mehrfachzucker namens Chitin. Dieser Chitinpanzer wächst nach dem Aushärten nicht mehr weiter. Darum müssen wirbellose Insekten buchstäblich aus der Haut oder dem Panzer fahren, wenn sie darin wachstumsbedingt nicht mehr Platz finden. Der neue Chitinpanzer härtet nach dieser Häutung an Luft und Sonne aus. Der Übergang von der Häutung bis zur Aushärtung des neuen Panzers ist die gefährlichste Zeit für das Insekt.

Die Rotflügeligen Ödlandschrecken sind also "von aussen getragen". Ein schönes Bild, das im übertragenen Sinn auch auf Menschen anwendbar ist. Denn auch wir tragen uns letztlich nicht allein. Auch Menschen brauchen Halt von aussen; Halt durch andere Menschen; Halt, der uns durch die Liebe Gottes geschenkt ist. Paulus vergleicht denn auch die christlichen Tugenden mit einer Rüstung, einem Schutzpanzer. Dabei fallen Worte wie "Wahrheit", "Gerechtigkeit", "Bereitschaft", "Glaube", "Heil" und "Gottes Wort" (Epheser 6,11-17). 

Mag sein, das uns die meisten Zeit unser Rückgrat aufrecht hält. Aber es gibt Momente, da werden wir uns auch bewusst, wie sehr wir auf Hilfe von aussen angewiesen sind.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 20. August 2023

Schildkröten-Alarm

Ein Zitat

Eine Rotwangen-Schmuckschildkröte im Naturschutzgebiet Neuhus (Glattfelden)
Foto © Jörg Niederer
"Man muss die Feste legen, wie man sie feiern möchte." Detlev Fleischhammel (*1952), deutscher Theologe

Ein Bibelvers - Psalm 118,24

"Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Lasst uns jubeln und uns freuen über ihn!"

Eine Anregung

Früher gab es in den Zoohandlungen diese kleinen, herzigen Wasserschildkröten zu kaufen. Als Kind wünschte ich sie mir einst zum Geburtstag. Aber meine Eltern liessen sich nicht darauf ein. Zum Glück. In der Schweiz sind Schmuckschildkröten schon längst aus den Länden verschwunden. Seit 2008 darf man sie auch nicht mehr halten, es sei denn mit einer Ausnahmebewilligung. Grund ist, dass diese in den USA heimischen Rotwangen-Schmuckschildkröten recht gross und alt werden, und deshalb immer wieder ausgesetzt wurden. Die Tier sind sehr gefrässig und eine echte Konkurrenz für die einheimischen Tiere.

Schön sind sie ja schon. Aber eben am falschen Ort, wenn sie sich, wie gestern gesehen, im Naturschutzgebiet Neuhus am Rhein (Glattfelden) im dortigen Teich breitmachen. Gefangen werden können sie fast nicht mehr. So finden sich heutzutage in den meisten Teichen des Schweizer Mittellands Schmuckschildkröten. Zum Beispiel auch im Nestweiher in St. Gallen.

Schildkröten, die am falschen Ort sind.

Ich finden, ich bin heute, am Sonntag, in der Kirche am richtigen Ort. Auch wenn es nicht mehr besonders angesagt ist, einen Gottesdienst zu besuchen, mir tut es gut, neuen Gedanken, inspiriert von der Bibel, zu lauschen, mich auf Ansichten einer anderen Person einzulassen und dahinter nach meinem Sinn im Leben zu suchen. Heute bin ich sowohl in Teufen wie auch in St. Gallen an der Kapellenstrasse 6 anzutreffen. Vielleicht kommst du auch. Beginn in St. Gallen ist um 10.15 Uhr und das Thema lautet: "Celebration".

Kurz zurück zur Schildkröte. Sie kommt vielleicht in der Bibel vor. Darüber erfährt man in einem Artikel von "Testudo Welt" mehr. Was die Schildkröten den Kirchenvätern bedeuteten, kann hier nachgelesen werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 19. August 2023

Grün hinter den Ohren

Ein Zitat

Ein halbwüchsiger Zwergtaucher im Jugendkleid auf dem Ägelsee bei Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer

"Dort wo du hingesät bist, sollst du blühen!"
Afrikanisches Sprichwort [Danke Regi!]

Ein Bibelvers - Psalm 144,12+15

"Unsere Söhne sind wie junge Bäume, hochgewachsen in ihren Jugendtagen. Unsere Töchter sind wie schlanke Säulen, geschnitzt nach einem Palastmodell... Du glückliches Volk, dem es so ergeht! Du glückliches Volk, dessen Gott der Herr ist!"

Eine Anregung

Ist er nicht einfach herzallerliebst. Der halbwüchsige Zwergtaucher in seinem Jugendkleid schleppt von seinen Tauchgängen noch allerlei Grünzeug in den Federn mit sich herum. Er ist halt noch grün hinter den Ohren, würden wir vielleicht sagen. Zwergtaucher bekommt man selten aus der Nähe zu Gesicht. Sie sind sehr scheu. Bei der kleinsten Störung tauchen sie ab.

Die Jugend: Träumst du ihr nach, oder bist du froh, dass diese Zeit vorbei ist? Anders gefragt: Möchtest du noch einmal jung sein? Ich war gerne jung, auch wenn ich es damals, als ich es noch war, noch nicht so recht würdigen konnte. Erst im Rückblick erkenne ich, wie wunderbar diese Zeit gewesen ist. Es gab so viel Neues zu entdecken, und der sogenannte "Ernst des Lebens" war noch nicht über mir hereingebrochen.

Möchte ich noch einmal jung sein? Es kommt darauf an. Wenn wieder jung sein bedeuten würde, dass ich nebst der körperlichen Vitalität und Schönheit eines Teenager all die Erfahrungen meines heutigen Lebens hätte, dann würde ich gerne noch einmal ein Jugendlicher sein.

Aber leider ist mit der Jugend immer auch ein gewisses Mass an Unwissenheit, Unerfahrenheit und Ungeschicklichkeit verbunden. Die Jugend ist halt noch etwas grün hinter den Ohren. Bei den Zwergtauchern würde ich jetzt sagen: Sind sie nicht einfach herzallerliebst!

Heute werde ich ganz besonders für die Jugendlichen beten. Auch, dass sie möglichst lange grün hinter den Ohren bleiben dürfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 18. August 2023

Brückenerfahrung

Ein Zitat

Fahrradbrücke über die Murg entlang der Bahnlinie in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht; so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich." 3. Strophe vom Lied "So nimm den meine Hände" aus der Feder von Julie Katharina von Hausmann (1870-1901)

Ein Bibelvers - 2. Petrus 1,5b-8

"Zum richtigen Verhalten soll die Erkenntnis kommen, zur Erkenntnis die Selbstbeherrschung, zur Selbstbeherrschung die Standhaftigkeit, zur Standhaftigkeit die Ausübung des Glaubens, zur Ausübung des Glaubens die geschwisterliche Liebe und zur geschwisterlichen Liebe die Liebe überhaupt. Seht zu, dass es dies alles bei euch gibt und dass es immer mehr wird. Dann werdet ihr auch nicht untätig und erfolglos sein in der Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus."

Eine Anregung

Vor etwa fünf Jahren, vielleicht auch mehr, wurde eine Fahrradbrücke über die Murg fertiggestellt. Sie liegt auf meinem Arbeitsweg und kürzt diesen um gut 100 Meter ab. Erst unterquere ich die Brücke und steige dann über eine Treppe, auf der die Eidechsen sich gerne sonnen, hinauf, um weiter über die Brücke Richtung Bahnhof zu eilen. Oft halte ich in der Mitte des Stegs an, um nach den Wasseramseln in der Murg Ausschau zu halten. Dabei ist es mir aufgefallen. Die scheinbar unverrückbare Brücke kommt unter meinen Schritten ins Schwingen. Sobald ich stehe, geht es noch 2-3 Sekunden, bis die Vibrationen zum Erliegen kommen. Es sind minimalste Bewegungen, und nur im Übergang von Gehen zum Stehen spürbar.

Auch wenn ich einige Kilogramm zu viel mit mir herumtrage, ist mein Gewicht bestimmt keine Herausforderung für die Brückenkonstruktion. Und doch bleibt sie nicht unbewegt von meinem Gang über sie hinweg.

Es kommt in meinem Beruf immer wieder vor, dass ich den Eindruck bekomme, selbst mit meinem ganzen Gewicht an Überzeugungskraft und Gottvertrauen nichts zu bewirken. Die Anstrengungen verpuffen oder lösen sich in Rauch auf.

Doch wer sagt denn, dass diese Bemühungen im Gegenüber nicht doch auf Resonanz stossen, dass sie nicht doch nachschwingen (wie die Fahrradbrücke unter meinen Schritten), dass sie nicht ganz leise zu brummen und im Einklang mit mir zu summen beginnen?

Diese kaum spürbare, aber reale Brückenerfahrung macht mir Mut, auch in hoffnungslosen Situationen den leisen Veränderungen nachzufühlen. Vielleicht muss ich dann, wenn es besonders schwierig wird, wieder einmal auf der Brücke stehen bleiben und im Halt die ganz leise Wirkung finden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 17. August 2023

Lebensverlust in der Schweiz

Ein Zitat

Das Banner zur Unterstützung der Biodiversität und der entsprechenden Volksinitiative hängt neu am Bürofenster der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Die Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Wenn wir sie nicht schützen, werden wir die Konsequenzen teuer bezahlen müssen - nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden." Urs Leugger-Eggimann, Geschäftsleiter von Pro Natura

Ein Bibelvers - 1. Mose 2,19+20

"Gott der Herr formte aus dem Erdboden alle Tiere auf dem Feld und alle Vögel am Himmel. Dann brachte er sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde. Jedes Lebewesen sollte so heißen, wie der Mensch es nannte. Also gab der Mensch ihnen Namen: allem Vieh, den Vögeln am Himmel und allen Tieren auf dem Feld."

Eine Anregung

Gestern postete ich hier ein Bild von einem Bruchwasserläufer. Auch vorgestern sah und fotografierte ich einen Eisvogel. Immer wieder kann ich hier Aufnahmen von auch seltenen Wildtieren zeigen. Man könnte also meinen, dass die Natur in der Schweiz noch in Ordnung ist. Aber der Schein trügt. In keinem anderen Land Europas steht es so schlecht um die Biodiversität wie in der Schweiz. Hier gibt es am meisten bedrohte Arten. Nur 5,9% der Landfläche stehen unter strengem Naturschutz. Weltweit sollte es ein Drittel der Erdoberfläche sein, auf dem die Biodiversität den Vorrang hat. Nur schon eine kurze Reise über die Landesgrenze nach Deutschland und Frankreich verändert die Situation. Dort kann man Tieren begegnen, die in unserem Land verschwunden sind. Ursache ist die intensive, industrialisierte Landwirtschaft bei uns.

Seit 1900 gingen Trockenwiesen, Auen und Moore in der Grössenordnung eines Fünftels der gesamten Landesfläche verloren. Und nicht nur, dass wir am wenigsten Schutzgebiete ausweisen. Die Hälfte der verbliebenen Lebensräume für Tiere und Pflanzen sind gefährdet.

Nun kann man sich fragen, ob es die Artenvielfalt überhaupt braucht. Ginge es nicht auch mit weniger? Warum soll man den Roi de Doubs, einen Fisch, den es nur in diesem Grenzgewässer zu Frankreich und in manchen französischen Flüssen gibt, erhalten? Gerade ein einziges Weibchen konnte man in diesem Jahr fangen, um damit eine Zucht aufzubauen. Würden wir es merken, wenn dieser Fisch nicht mehr da wäre?

Die Schöpfung müssen wir als artenreiche Familie vorstellen. Alle sind in einer undurchschaubaren Dynamik und Interaktion miteinander verbunden. Stirbt nun eines dieser Familienmitglieder, verändert das die Familienbalance. Das verlorene Familienmitglied erfüllt nicht mehr seine Funktion. Eine Lücke muss nun ausgefüllt werden von den anderen Familienmitgliedern. Irgendeinmal ist das nicht mehr möglich. Dann bricht das soziale Gefüge zusammen, die Familie verliert ihren Zusammenhalt, geht unter. Natürlich gibt es in jeder Familie Veränderung. Neue Familienmitglieder kommen hinzu. In der Natur ist das auch so. Doch das, was in der Schweiz aktuell geschieht, ist so dramatisch, dass man es mit Krieg vergleichen könnte. Wir sind weitgehend unbemerkt dabei, unseren Lebensraum und unsere biologischen Grundlangen zu zerstören.

In der Politik wird aktuell die Biodiversität und die erneuerbare Energiegewinnung (CO2-Reduktion) gegeneinander ausgespielt. Das ist sehr kurzsichtig. Beides muss Hand in Hand gehen. Denn z.B. die Renaturierung von Moorlandschaften vermag zehnmal mehr Treibhausgase zu binden als ein natürlicher Wald. Zugleich sind diese Flächen besonders artenreich.

Darum unterstützen auch Christinnen und Christen die Biodiversitätsinitiative. Weil wir mitverantwortlich sind für Gottes Schöpfung. Darum hängt bei mir am Bürofenster in St. Gallen nun auch ein Banner, das auf die Wichtigkeit der Artenvielfalt hinweist. Was wir darüber hinaus auch noch tun können in der Kirche und in den eigenen Gärten und Lebensräumen, darüber kann man sich von der "oeku Kirchen für die Umwelt" beraten lassen. Eine andere christliche Organisation, die sich für dieses Anliegen einsetzt, ist die Organisation A Rocha. Sogar das Radio SRF porträtierte die "Fischlichristen" bei ihrer Arbeit für die Schöpfung in einem Beitrag mit dem Weltraumphysiker André Galli.

Der Schutz der Schöpfung ist ein christlich-jüdisches Uranliegen. Wir sind gefordert, besonders heute, besonders hier in der Schweiz.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 16. August 2023

Im Trüben fischen

Ein Zitat

Der Bruchwasserläufer ist als Zugvogel Gast an unseren Teichen und in unseren Sümpfen. Hier sammelt der kleine Vogel am Ägelsee in Frauenfeld neue Kräfte für die Weiterreise.
Foto © Jörg Niederer
"Es gibt Menschen, die Fische fangen, und solche die nur das Wasser trüben." Sprichwort

Ein Bibelvers - Johannes 6,68+69

"Simon Petrus antwortete [Jesus]: 'Herr, zu wem sollten wir denn gehen? Du sprichst Worte, die ewiges Leben schenken. Wir glauben und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes!'"

Eine Anregung

Der Bruchwasserläufer ist ein fleissiger Zeitgenosse. Unermüdlich läuft er im seichten Wasser auf und ab, sucht sich im Schlick sein Futter. Bruchwasser, das ist das Wasser, das über Brüchern (Sumpf- und Moorland) steht, also das sumpfige, morastige Wasser. Der Bruchwasserläufer gehört damit zu den Tieren, die im wörtlichen Sinn "im Trüben fischen". Wenn ich das richtig beobachten konnte, schützt der Bruchwasserläufer dabei die Augen beim Eintauchen ins Wasser durch die sogenannte Nickhaut (von lateinisch "nictitans" = blinzeln) vor den aufwirbelnden Sedimenten. Bei uns in der Schweiz ist er auf seinen Reisen zwischen dem Brutgebiet in Nordeuropa und dem Überwinterungsgebiet in Afrika anzutreffen.

Manchmal komme ich mir wie ein im medialen Sumpf suchender Bruchwasserläufer vor. Dann taste ich in der Masse des Geschriebenen, der Fülle des Gesagten, Gesehenen und Gehörten nach dem, was mein Leben nährt. Ich suche nach einem lebendigen Wort, nach einer hoffnungsvollen Sicht, nach einem Freudenklang des Lebens. Ich stochere im Trüben, mehr tastend und mit halb verschlossenen Augen. Meist ist dann nicht das, was viel Staub aufwirbelt, das, was mir gut tut. Doch zwischen aufstiebenden Schlagzeilen findet sich mitunter eine Perle, ein Nährstück, das mir mundet, das mir schmeckt, mich aufbaut und wieder bereit macht für den nächsten Abschnitt meiner Lebensreise. Dafür bin ich dankbar.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 15. August 2023

Den Himmel spiegeln

Ein Zitat

Gewitterwolken im Abendlicht spiegeln sich im Ägelsee in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"In jedem Spiegel blickst du der Welt ins Antlitz." Martin Gerhard Reisenberg (*1949)

Ein Bibelvers - 2. Samuel 23,3+4

"Der Gott Jakobs hat gesprochen, der Fels Israels hat zu mir gesagt: Wer gerecht über Menschen herrscht, der herrscht in Ehrfurcht vor Gott. Er ist wie die helle Morgensonne an einem klaren Morgen ohne Wolken. Sie sendet ihre Strahlen auf die Erde. Da sprießt grünes Gras nach dem Regen."

Eine Anregung

Der Regen hat sich verzogen. Die Welt erstrahlt in neuem Glanz. Gewitterwolken, angeleuchtet von der untergehenden Sonne, tragen ihr weisses Hochzeitskleid mit dem Spiegelbild um die Wette. Oben am Himmel und unten im Wasser des Ägelsees feiert die Natur das Tagwerk.

Auch ich möchte den Himmel spiegeln, ihn auf die Erde holen. Den Himmel, den Sehnsuchtsort, den Himmel auf Erden. Bis dies geschieht, danke ich für jeden Tag, an dem die Sonne über unseren Leben lacht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 14. August 2023

Einwandfrei und endgültig

Ein Zitat

Stillleben mit Karette Marke Perfecta.
Foto © Jörg Niederer
"Beim Versuch alles richtig zu machen, kann man viel falsch machen, denn keiner ist perfekt!" Lisa Zimmermann

Ein Bibelvers - Matthäus 5,48

Jesus: "Für euch aber gilt: 'Seid vollkommen, so wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!'"

Eine Anregung

Es mag ja sein, dass diese Karette irgendeinmal nicht nur Perfecta hiess, sondern für ein Werkzeug ihrer Art auch perfekt war. Doch diese Zeiten liegen hinter dem Schubkarren. Nun kann er Perfecta heissen, solange er will, er ist es nicht mehr.

Bei einem Werkzeug geht mit der Alterung der Trend eindeutig weg vom Idealzustand. Wie sieht es bei Menschen aus? Bewegen wir uns mit fortlaufendem Alter hin zu mehr Perfektion? Körperlich wohl nicht. Aber vielleicht werden wir "humaner". (Ein Wort, das mich immer irritiert. "Human" kommt aus dem Lateinisch und bedeutet "menschlich". Da wir Menschen sind, müssen wir doch gar nicht mehr menschlich werden, oder?) Doch auch humaner werden wir nicht zwingend.

Auf geistlicher Ebene setzten sich Methodistinnen und Methodisten in England in ihren Anfängen ein für "Christian perfection". Das wird in der Regel mit "Christlicher Vollkommenheit" übersetzt. John Wesley, anglikanischer Pfarrer und der wohl wichtigste Begründer der methodistischen Bewegung, war der Meinung, dass sich diese christliche Perfektion erreichen lässt. Er selbst kannte keinen christlich perfekte Menschen, sich selbst eingeschlossen. Danach zu streben hat er aber allen Zeitgenossen empfohlen.

Auch Jesus selbst hat zu Perfektion aufgefordert (Siehe den Vers oben!).

"Perfekt" kann sowohl "einwandfrei" bedeuten wie auch "endgültig". Mein Leben ist sicher nicht einwandfrei. Ich bleibe endgültig auf Gnade angewiesen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 13. August 2023

Sonntagsschnecken

Ein Zitat

Weisse Heideschnecken auf einem Grashalm versammelt verbringen die heissen Tage in der Trockenruhe.
Foto © Jörg Niederer
"Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es." Gottfried Keller (1819–1890)

Ein Bibelvers - 3. Mose 23,2c+3

"Ruft zuerst zum wöchentlichen Feiertag auf: Jeder siebte Tag ist ein Sabbat. Das ist ein Feiertag, an dem ihr nicht arbeiten sollt. Sechs Tage dürft ihr arbeiten. Der siebte Tag aber ist ein Ruhetag zu Ehren des Herrn. Das gilt überall, egal wo ihr wohnt."

Eine Anregung

Das Foto von den Weissen Heideschnecken in der Trockenruhe auf einem Grashalm zeigt schön die Bedeutung des Sonntags auf.

Zuerst ist der Sonntag ein Ruhetag. Die Heideschnecken sind Spezialistinnen im Ruhen. Sie ziehen sich in besonders heissen Zeiten in die sogenannte Trockenruhe zurück. Damit überdauern sie monatelang ohne Feuchtigkeit und Nahrung. Ruhen hilft, die schwierigen Zeiten zu überstehen.

Dann ist der Sonntag eine Zeit für das Zusammensein. So wie diese Schnecken miteinander ruhen, so können auch wir uns miteinander erholen und dankbar das Leben feiern.

Dann tragen Schnecken mit dem Spiralhäuschen die Ewigkeit auf sich. Entsprechend ist der Sonntag ein Tag, an dem wir uns ins Zentrum des Lebens aufmachen. Wir versuchen, Gott ganz nahe zu kommen, also wie die Schnecken so hoch hinauf und Gott entgegen.

Das werde ich heute in der Evangelisch-methodistischen Kirche Weinfelden tun zusammen mit der dortigen Gemeinde. Wer will, darf gerne um 10.00 Uhr an der Hermannstrasse 10 zu uns stossen für eine Zeit der Ruhe, der Gemeinschaft und der Besinnung auf Gott. (Kaffee wird es dann schon auch noch geben!)

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 12. August 2023

Oldtimer

Ein Zitat

Ein Fahrer verlässt in seinem Oldtimer Triumph Herald 1200 Cabriolet den Denner-Parkplatz in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Das Greisenalter, das alle zu erreichen wünschen, klagen alle an, wenn sie es erreicht haben." Marcus Tullius Cicero (106-43 v.Chr.)

Ein Bibelvers - Prediger 12,3

"Wenn der Mensch alt geworden ist, zittern die Wächter des Hauses [die Arme] und krümmen sich die starken Männer [die Beine]. Die Müllerinnen [die Zähne] stellen die Arbeit ein, weil nur noch wenige übrig geblieben sind. Die Frauen [die Augen], die durch die Fenster schauen, erkennen nur noch dunkle Schatten."

Eine Anregung

Ich bin ja nicht gerade ein Autofan, aber so Oldtimer sind halt schon etwas Schönes. Auf dem Foto handelt es sich um einen Triumph Herald 1200 Cabriolet, der wohl seine Jungfernfahrt zwischen 1963 und 1967 erlebte. Das Auto ist also im besten Fall so 60 Jahre alt. In Albinen besuchten wir die dortige "neue" Kirche. Sie ersetzte 1959 die durch ein Erdbeben zerstörte bisherige Kirche. Zwischen den alten, im 15. Jahrhundert gebauten Holzhäusern wirkt diese Kirche geradezu avantgardistisch und modern. Dabei ist sie älter als der Triumph-Oldtimer. Ich teile mit der Kirche Albinen den Jahrgang. Heisst das jetzt, dass ich schon ein Oldtimer bin? Oder bedeutet das, dass ich noch verhältnismässig jung bin?

Alter ist abhängig von der Lebenserwartung. Eine Kirche kann hunderte Jahre alt werden. Also sind 64 Jahre noch keine Zeitspanne. Ein Auto wird dagegen oft schon nach 10 bis 20 Jahren aus dem Verkehr gezogen. Deshalb zählen Autos, die älter als 30 Jahre sind, zu den Oldtimern. Und ich. Ich bin zwar noch an der Arbeit, aber doch schon deutlich näher an einer durchschnittlichen menschlichen Lebenserwartung. Darum werde ich wohl auch eifrig mit Seniorenangeboten eingedeckt.

Für die Menschen der Bibel war ein hohes Alter ein Zeichen dafür, dass sie von Gott gesegnet sind. Doch der Schreiber des Predigerbuchs (etwa im 3.-4. Jahrhundert vor Christus) wusste auch schon von der Mühsal des Alters und beschreibt dies in schönen Allegorien. Nach dem weiter oben schon abgedruckten Vers geht es so weiter:

"Die beiden Türen [die Ohren], die zur Straße führen, werden auch schon geschlossen. Und das Geräusch der Mühle [der Stimme] wird leiser, bis es in Vogelgezwitscher übergeht und der Gesang bald ganz verstummt. Wenn der Weg ansteigt, fürchtet man sich. Jedes Hindernis unterwegs bereitet Schrecken. Wenn schließlich der Mandelbaum blüht [ergraute Haare], die Heuschrecke sich hinschleppt und die Frucht der Kaper aufplatzt: Dann geht der Mensch in sein ewiges Haus, und auf der Straße stimmt man die Totenklage an. Das Ende des Menschen ist der Tod. Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat, bevor die silberne Schnur zerreißt und die goldene Schale zerbricht – bevor der Krug am Brunnen zerschellt und das Schöpfrad in den Schacht stürzt." (Prediger 12,4-6)

Mir tun diese Worte gut, denn sie zeigen mir die Grenzen menschlichen Lebens auf und verweisen darauf, was wirklich zählt: "Denk an deinen Gott...!"

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 11. August 2023

Fake fake

Ein Zitat

Ausschnitt aus dem Mural 'Concrete Flower' des Künstlers Dome am Hotel Einstein in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Das Problem mit den Aussagen im Internet: Du kannst dir nie sicher sein, ob sie stimmen." Zitat von Abraham Lincoln (!)

Ein Bibelvers - Prediger 4,8

"Da ist einer, der geht allein durchs Leben. Er hat keinen Sohn und auch keinen Bruder. Doch Arbeit hat er ohne Ende, und vom Reichtum bekommt er nicht genug. Muss er sich da nicht fragen: 'Für wen arbeite ich denn so hart? Und warum gönne ich mir nichts Gutes?' Auch das ist Windhauch und ein schlechtes Geschäft."

Eine Anregung

Fake = Fälschung. Fake-fake = Fälschung der Fälschung. So könnte man das zweiteilige Wandgemälde von Streetart-Künstler "Dome" mit dem Titel "Concrete flower" (Bedeutung: "Konkrete, wirkliche Blume" aber auch "Betonblume") am Hotel Einstein auch bezeichnen. Vom Sonnenblumen-Bildteil auf der linken Seite und dem Streetart-Festival in Frauenfeld habe ich schon am 27. Mai geschrieben.

Hier geht es um die beiden Mädchen auf der rechten Fassadenseite. Ja, sie sind geradezu unnatürlich schwarz. Macht da einer auf Blackfacing. Auf vielen Bildern von Dome finden sich Menschen mit schwarzer Hautfarbe, wobei all die Abgebildeten sonst eher europäisch aussehen. Ein Weisser, der sich das Gesicht schwarz färbt, das geht heutzutage nicht mehr, wird zurecht als rassistisch empfunden. Doch geht es, wenn man Weisse abbildet, und diesen Abgebildeten das Gesicht schwarz malt? Was würde z.B. ein auf künstliche Intelligenz basierendes Grafikprogramm abbilden, wenn man diesem den Auftrag gäbe, eine europäische Person wie eine Afrikanerin oder einen Afrikaner darzustellen? Wäre das Ergebnis ein No-Go?

Von künstlicher Intelligenz erstellte Portraits von Menschen haben kein reales Vorbild in der Wirklichkeit. Sie haben vielmehr viele Vorbilder unter den Abbildungen von wirklichen Menschen. Diese Portraits sind somit irgendwie erfunden. Es sind Fälschungen der Wirklichkeit.

Was ist dann aber ein Fake-fake? Das Fassadenbild von Dome zeigt das hervorragend auf. Um dies zu verstehen muss man wissen, dass die heutigen, auf künstlicher Intelligenz basierenden Programme noch nicht perfekt sind. So haben manche durch sie erzeugte Darstellungen von Menschen zum Beispiel sechs statt fünf Finger an einer Hand. Oder dann hat es da einen Arm oder einen Fuss zu viel auf dem Bild. Daran lassen sich mitunter Fake-Bilder erkennen. Beim Bild von den zwei Mädchen hat der Künstler diese Fake-Darstellung kopiert, als wären sie von einer künstlichen Intelligenz erstellt worden. Einerseits sind die beiden Mädchen, abgesehen von den Farben der Kleider, beinahe identische Kopien. Stärker ins Gewicht fällt aber, dass da ein Arm zuviel auf dem Tisch liegt. Das fällt wohl den wenigsten Betrachterinnen und Betrachter sofort auf, da der Bereich des Ellbogens oft von Strukturen zwischen Bild und Betrachter abgedeckt ist. Zudem sieht es aus, als gehörte der Arm zum vorderen der beiden Mädchen.

Das nenne ich nun ein Fake-fake-Bild. Der Künstler nimmt eine Abbildung der Wirklichkeit, wie sie von einer künstlichen Intelligenz erstellt sein könnte, und macht diese zur Vorlage seines Murals, als wäre das Wandbild selbst von einer künstlichen Intelligenz erstellt worden. Er stellt ein Fake-Bild dar, indem er davon ein Fake-Bild malt. Abgelenkt von der schwarzen Hautfarbe der beiden Frauen könnte man die vorhandenen Merkmale der Fälschung glatt übersehen.

Auch auf Domes Darstellung der Sonnenblumen in der Vase auf der linken Fassadenseite findet sich so ein Fehler aus der Welt der künstlichen Intelligenz. Eine falschfarbige Sonnenblume hat sich unter die anderen geschmuggelt. An die anderen richtigen Sonnenblumen konnte ich mich nach Betrachtung des Wandgemäldes auch später noch erinnern. Die falschfarbige Blüte dagegen hatte aufgrund meiner bisher gemachten Erfahrungen keine Plausibilität, und so wurde sie unbewusst aus meiner Erinnerung getilgt. Ich hatte sie "vergessen", übersehen, wie auch den überzähligen Arm. Mein Gehirn brachte diese Fake-Welt wieder in Ordnung. Zur Täuschung auf dem Bild von der Täuschung hinzu liess ich mich von meinem Denkvermögen selbst auch noch täuschten.

All das ist für mich ein Lehrstück darüber, was wir Menschen mit Sicherheit erkennen können und was nicht. So denke ich, sollten wir alle vorsichtig sein mit apodiktischen Aussagen. Ob jemand sagt "Es gibt keinen Gott!" kann genauso anmassend sein, wie zu sagen: "Gott existiert!". In aller Bescheidenheit vor meinem Potenzial, auf Fake-Ansichten hereinzufallen, kann ich aber sagen: "Ich glaube, dass es Gott gibt, und dass ich ihn in der Person von Jesus Christus und seinem Wirken erkennen kann." Ich glaube...

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen