Donnerstag, 15. August 2024

Der Vikar im Bärenfell

Ein Zitat

Die Kapelle Notre-Dame du Bois bei den Étangs des Moines von Fourmies.
Foto © Jörg Niederer
"Begegnet man einem Bären auf kurze Distanz, so ist es angebracht, durch lautes Sprechen auf sich aufmerksam zu machen und sich zu entfernen." Südtiroler Landesverwaltung

Ein Bibelvers - Jesaja 11,7

"Kuh und Bär weiden zusammen, ihre Jungen liegen nebeneinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind."

Eine Anregung

Noch einmal schaue ich sieben Jahre zurück. Damals landete ich auf meiner Pilgerreise nach London zum Grab von John Wesley auf einem Campingplatz in Fourmies, einem Touristenort nahe der belgischen Grenze. Da, wo man auf die drei Weiher stösst, die übersetzt Mönchsteiche heissen und wohl einst der Fischzucht gedient hatten, steht im Wald die kleine Kapelle "Unserer lieben Frau vom Wald".

Eine Schönheit ist die Kapelle weiss Gott nicht. Überstellt mit Heiligenbildchen und Kruzifixen und der Feuchtigkeit, die sich im Mauerwerk durch einen Schmutzrand abzeichnet, habe ich sie und ihre Geschichte bisher nicht gross beachtet.

So, wie sie sich heute zeigt, geht sie auf eine Wunderheilung zurück aus dem Jahr 1875. Damals wurde der Bewohner M. Poulain von Fourmies bei einem Unfall mit einer Pferdekutsche beinahe getötet. Schon wurden ihm die Sterbesakramente gespendet. Doch seine Tochter gab ihn nicht auf und begann eine Novene in der Kapelle Notre-Dame du Bois. Das heisst, sie betete an neun aufeinanderfolgenden Tagen für die Heilung ihres Vaters. Das Wunder geschah und der Mann wurde geheilt.

Aus Dankbarkeit vergrösserte die Familie des Geheilten in Absprache mit dem zuständigen Förster die Kapelle. So wurde das zuvor stark vernachlässigte kleine Gotteshaus für die lokale Geistlichkeit interessant. Gläubige pilgerten wieder hin, um zu beten. Das zog aber auch Plünderer und Chaoten an, was regelmässig zu Sachbeschädigungen an der Kapelle führte.

Dagegen schmiedete der Vikar einen Plan. Er verkleidete sich als Bär - das passende Fell dazu hatte er - um die ungebetenen nächtlichen Gäste zu erschrecken. Wer weiss schon, wie manche Nacht er sich so bei der Kapelle auf der Lauer liegend um die Ohren geschlagen hatte? Tagsüber war er dann wohl nicht zu viel zu gebrauchen. Die originelle Abschreckungspolitik misslang, so dass die Kapelle wohl oder übel mit einer Gittertür versehen werden musste.

Die Moral von der Geschichte: Ein Vikar macht auch im Bärenfell einem rechten Franzosen keine Angst.

Nebenbei: Das Buch zur Pilgerreise nach London kann man immer noch bei mir beziehen. 

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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