Ein Zitat
"Damals habe ich begonnen, durch die Bibel wie durch eine Landschaft zu stolpern. Wo ich nicht durchkam, kam ich nicht durch. Manchmal rannte ich dagegen an oder ging beleidigt weg. Wo es schön war, hielt ich mich lange auf, wo es fremd war, hockte ich und wartete." Esther Maria Magnis: Gott braucht dich nicht, Reinbek b. Hamburg 2024, 6. Auflage, S. 209Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Hiob 38,12+13
"Hast du jemals in deinem Leben dafür gesorgt, dass ein neuer Tag anbricht? Hast du der Morgenröte ihren Platz gezeigt, dass sie an den Rändern der Erde aufleuchtet und die Frevler von ihr vertreibt?"
Eine Anregung
Irgendwo in der Mitte wollte ich nicht mehr weiterlesen, habe es dann aber doch getan. Zum Glück. Was Esther Maria Magnis schreibt in ihrem Buch "Gott braucht dich nicht", ist berührend und fordernd. Vordergründig geht es um die Krebserkrankung und den Tod des Vaters. Für die jugendliche Esther führt das in eine Glaubenskrise gigantischen Ausmasses; so wie es in der Bibel von Hiob erzählt wird. Absolut ehrlich setzt sich die junge Frau mit sich selbst auseinander, eine Achterbahnfahrt des Glaubens. Totale Desillusionierung, Abstürze in die Teilnahmslosigkeit, in die Selbstaufgabe. Dann wieder schiesst sie wie ein Korken, der in tiefen Wassern losgelassen wird, hoch über alles hinaus. Einige Zeit spricht sie nicht mit Gott, weil dies Gott klein mache. Irgendwann findet sie sich wieder, kann Gott glauben auf eine existenzielle Art, die keine Plattitüden zulässt.
Im Buch stehen dann Sätze wie: "Vielleicht hielt Gott damals die Luft an. Vielleicht hatte er seine Brust tief eingezogen und mir davor einen neuen Platz eingeräumt, an dem ich mich frei bewegen konnte - frei von ihm, sofern man das als Mensch überhaupt kann."
Oder: "Die Erde mit dem Menschen - aufgeblüht wie ein Kaktus, der nur einmal blüht - fällt in sich zusammen - niemand wird darum wissen."
Oder: "Und erlebe zum ersten Mal die Verzweiflung, dass man sich selbst nicht löschen kann. Dass man sich als Träger seines Lebens aushalten muss."
Oder: "Und dieses Schweigen werde ich nie vergessen. Heute denke ich manchmal, dass in seinem [Gottes] Schweigen eine Macht liegt... die wir uns gar nicht vorstellen können."
Oder: "Und wenn du schreist: 'Es gibt keine Wahrheit', dann beweis mir die Wahrheit an dem Satz, und wenn du es nicht kannst, dann geh zurück in die Gräber und zersetz die Leiber, die wirklich tot sind, aber nicht meinen Geist..."
Oder: "Jede Religion, die Blut an den Händen hatte und das nicht verdrängte, schien mir vertrauenswürdig. Denn mich interessierte keine blanke Idee, ich wollte die Wirklichkeit - mit Gott."
Oder: "Dieses Buch hier, das ich schreibe, ist voll von Müll und halbfertigen Gedanken - und das, obwohl ich es wage, von Gott zu erzählen."
Der Glaube nach dem Glaubensverlust ist tiefer und absolut fordernd. Das erlebt sie noch einmal, ganz zum Schluss des Buches. Kurz zuvor schreibt sie: "Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann."
Das ist kein Wohlfühlbuch. Zuweilen ist es auf eine gute Art vulgär. Das ist ein Bekehrungsbuch für Glaubende.
Zitate aus: Esther Maria Magnis: Gott braucht dich nicht, Reinbek b. Hamburg 2024, 6. Auflage
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen