Mittwoch, 9. Oktober 2024

Glaubenskrise

Ein Zitat

Bronze aus dem Kreuzweg-Zyklus in der Chiesa di San Carlo Borromeo in Lugano.
Foto © Jörg Niederer
"Damals habe ich begonnen, durch die Bibel wie durch eine Landschaft zu stolpern. Wo ich nicht durchkam, kam ich nicht durch. Manchmal rannte ich dagegen an oder ging beleidigt weg. Wo es schön war, hielt ich mich lange auf, wo es fremd war, hockte ich und wartete." Esther Maria Magnis: Gott braucht dich nicht, Reinbek b. Hamburg 2024, 6. Auflage, S. 209

Ein Bibelvers - Hiob 38,12+13

"Hast du jemals in deinem Leben dafür gesorgt, dass ein neuer Tag anbricht? Hast du der Morgenröte ihren Platz gezeigt, dass sie an den Rändern der Erde aufleuchtet und die Frevler von ihr vertreibt?"

Eine Anregung

Irgendwo in der Mitte wollte ich nicht mehr weiterlesen, habe es dann aber doch getan. Zum Glück. Was Esther Maria Magnis schreibt in ihrem Buch "Gott braucht dich nicht", ist berührend und fordernd. Vordergründig geht es um die Krebserkrankung und den Tod des Vaters. Für die jugendliche Esther führt das in eine Glaubenskrise gigantischen Ausmasses; so wie es in der Bibel von Hiob erzählt wird. Absolut ehrlich setzt sich die junge Frau mit sich selbst auseinander, eine Achterbahnfahrt des Glaubens. Totale Desillusionierung, Abstürze in die Teilnahmslosigkeit, in die Selbstaufgabe. Dann wieder schiesst sie wie ein Korken, der in tiefen Wassern losgelassen wird, hoch über alles hinaus. Einige Zeit spricht sie nicht mit Gott, weil dies Gott klein mache. Irgendwann findet sie sich wieder, kann Gott glauben auf eine existenzielle Art, die keine Plattitüden zulässt.

Im Buch stehen dann Sätze wie: "Vielleicht hielt Gott damals die Luft an. Vielleicht hatte er seine Brust tief eingezogen und mir davor einen neuen Platz eingeräumt, an dem ich mich frei bewegen konnte - frei von ihm, sofern man das als Mensch überhaupt kann."

Oder: "Die Erde mit dem Menschen - aufgeblüht wie ein Kaktus, der nur einmal blüht - fällt in sich zusammen - niemand wird darum wissen."

Oder: "Und erlebe zum ersten Mal die Verzweiflung, dass man sich selbst nicht löschen kann. Dass man sich als Träger seines Lebens aushalten muss."

Oder: "Und dieses Schweigen werde ich nie vergessen. Heute denke ich manchmal, dass in seinem [Gottes] Schweigen eine Macht liegt... die wir uns gar nicht vorstellen können." 

Oder: "Und wenn du schreist: 'Es gibt keine Wahrheit', dann beweis mir die Wahrheit an dem Satz, und wenn du es nicht kannst, dann geh zurück in die Gräber und zersetz die Leiber, die wirklich tot sind, aber nicht meinen Geist..."

Oder: "Jede Religion, die Blut an den Händen hatte und das nicht verdrängte, schien mir vertrauenswürdig. Denn mich interessierte keine blanke Idee, ich wollte die Wirklichkeit - mit Gott." 

Oder: "Dieses Buch hier, das ich schreibe, ist voll von Müll und halbfertigen Gedanken - und das, obwohl ich es wage, von Gott zu erzählen." 

Der Glaube nach dem Glaubensverlust ist tiefer und absolut fordernd. Das erlebt sie noch einmal, ganz zum Schluss des Buches. Kurz zuvor schreibt sie: "Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann." 

Das ist kein Wohlfühlbuch. Zuweilen ist es auf eine gute Art vulgär. Das ist ein Bekehrungsbuch für Glaubende. 

Zitate aus: Esther Maria Magnis: Gott braucht dich nicht, Reinbek b. Hamburg 2024, 6. Auflage

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 8. Oktober 2024

Ein Himmel in der Kathedrale

Ein Zitat

Deckenbemalung in der Kathedrale San Lorenzo in Lugano.
Foto © Jörg Niederer
"Der Schatz der Kirche, das sind die Armen." Laurentius von Rom (225-258)

Ein Bibelvers - Psalm 82,3

"Schafft Recht für die Geringen und Waisen, Gerechtigkeit für die Armen und Bedürftigen!"

Eine Anregung

Mehr oder weniger mit unserer Ankunft begann der Regen in Lugano, was nicht an uns liegen kann, sind wir doch von sonnigem Gemüt. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, schüttet es.

Lugano im Regen, da bleibt man lieber Indoor, etwa in der Kathedrale San Lorenzo. Als ich das letzte Mal in Lugano war, wurde die Kirche aussen und innen restauriert. Nun aber ist sie wieder geöffnet und hat einiges zu bieten. Hier nur ein Ausschnitt aus der Deckenbemalung. Unbedingt das Bild anklicken, damit man all die feinen Details sehen kann! Da haben sich Künstler:innen und Restaurator:innen so richtig "reinknien" dürfen.

Mit San Lorenzo ist übrigens der Heilige Laurentius gemeint, der in Rom den Märtyrertod auf einem Rost fand.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 7. Oktober 2024

Warum ich den Himmel betrachte?

Ein Zitat

Eine flüchtiges Himmelsbild, wie es sich am 5. Oktober um 15.00 Uhr nahe dem Ort Winden im Kanton Thurgau zeigte.
Foto © Jörg Niederer
"Wolken! Welch unerschöpflicher Grund des Entzückens für ein Paar Menschenaugen." Rosa Luxemburg (1871–1919)

Ein Bibelvers  Markus 13,26

"Dann werden alle es sehen: Der Menschensohn kommt auf den Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit."

Eine Anregung

Der Himmel ist eine richtige Wundertüte. Da schau ich hinauf, und komme nicht aus dem Staunen heraus. Wie er das nur macht mit diesen Wolkenzeichnungen? Natürlich, alles ist erklärbar. Eiskristalle, Wassertröpfchen, Staubpartikel, die blaue Farbe. Dass dies dann auch noch schön ist und nicht nur funktional, praktisch oder nüchtern! Auch das ist ein Wunder, dass ich diese Schönheit wahrnehmen kann. Was wäre, wenn ich nur schwarzweiss sehe würde, oder gar nicht.

Was weiss ein Maulwurf vom Himmel. Was findet er schön. Sind es Gerüche, Gefühle, das blinde Vertrauen. Fragt er sich, wie wir Menschen die Schönheit "sehen" können, so ganz ohne Tasthaare? Und fragt er sich, warum er schön findet, was er schön findet? Oder ist dies eine typisch menschliche Frage von einem, der wieder einmal den Himmel betrachtet, und sich erfreut wundert?

Der Zufall wollte es, dass mich einen Tag nach diesem Wolkenwunderhimmel meine betagte Mutter  sie kann nur noch schwach sehen   fragte, ob da auf den Wolken vor dem Fenster nicht etwa Jesus auf einer sitze, was ich lachend verneinte. Auch das ist eine Himmelsbetrachtung; eine naive, aber auch eine voller Hoffnung. 

Mein heutiger und die kommenden Himmel werden ganz anders aussehen. Im Tessin soll es bald heftig regnen. Am Dienstag werden 95 mm Niederschlag erwartet, mit 88-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Nicht gerade der Himmel, den man sich in den Ferien wünscht. Aber auch das wird erlebnisreich, und vielleicht sogar schön.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 6. Oktober 2024

Fruchtbare Jahreszeit

Ein Zitat

Ein Hochstamm-Apfelbaum über dem Bodensee.
Foto © Jörg Niederer
"Dankbare Menschen sind wie fruchtbare Felder. Sie geben das Empfangene zehnfach zurück." August von Kotzebue (1761-1819)

Ein Bibelvers - Psalm 95,2

"Wir wollen mit Dank vor sein Angesicht treten. Lasst ihn mit unseren Gesängen hochleben."

Eine Anregung

Gestern schrieb ich schon von der Ernte. Auch heute begegnete ich ihnen im ländlichen Thurgau: den Erntehelfenden. Die einen pflückten Äpfel, andere schüttelten sie von den Bäumen, und einer las sogar Maroni von einer Edelkastanie in seinem Garten ab.

Wie wunderschön sind gerade jetzt die prallvollen Obstbäume. Im Thurgau gibt es auch noch die Hochstämmer, die für die Biodiversität besonders wertvoll sind.

Viel Grund also, dankbar zu sein für dieses Land, für die Fruchtbarkeit, für die damit verbundene Schönheit. Grund, Erntedank zu feiern, wie heute zum Beispiel in der Methodistenkirche Weinfelden. Um 10.00 Uhr geht es los, und anschliessend gibt es ein feines Mittagessen.

Die Methodistenkirche in Weinfelden findet man an der Hermannstrasse 10. Herzlich willkommen!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 5. Oktober 2024

Erntearbeitende und andere Fremde

Ein Zitat

Erntehelfer pflücken am frühen Morgen mitten in Frauenfeld Fenchel von einem Feld.
Foto © Jörg Niederer
"Schau dir das Wort 'Fehler' einmal genauer an. Darin verbirgt sich das Wort 'Helfer'! Denn ein Fehler ist immer nur ein Hinweisgeber, der dich daran erinnert, dass etwas noch nicht so ist, wie es sein sollte." Claudia Klein

Ein Bibelvers - 1. Mose 3,19

"Im Schweisse deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst. Denn aus ihm bist du gemacht: Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück."

Eine Anregung

Nicht weit von unserer Wohnung, direkt hinter der Schule Oberwiesen, ist ein grösseres Stück Land noch unbebaut, und wird von einem Bauern bewirtschaftet. Zum ersten Mal in den 15 Jahren wächst dort auf einem Teil des Feldes Fenchel. Gestern morgen nun sah ich sie. Die Erntehelfer, die in den vergangenen zwei Wochen nach und nach Teile des Feldes abgeerntet haben. Sieben Personen, dazu wohl noch einer auf dem Traktor, kommen am frühen Morgen zum Einsatz. Flink sind sie, wie sie in gebückten Haltung ihre Arbeit tun, die mir schon vom Zuschauen Rückenschmerzen bereitet. Aus Erfahrung weiss ich, dass es wohl Arbeitsmigranten sind - oder wie sie auch genannt werden - "Familienfremde Arbeitnehmende", die hier auf den Bauernbetrieben zum Einsatz kommen. Für sie ist das tiefe Gehalt von 20-25 Franken pro Stunde oder 3385.- pro Monat immer noch lohnend. In ihrer Heimat würden sie dreimal weniger verdienen. Für Einheimische reicht dieser Lohn aber hinten und vorn nicht aus. 

Gerade laufen wieder Verhandlungen mit der EU, in der es auch darum geht, die Einwanderung zu begrenzen. Das Asylrecht wurde in den vergangenen Jahren fast im Jahresrhythmus verschärft, auch das, um die - wie es heisst - illegale Einwanderung zu verhindern. Diese Gesetze haben tödliche Konsequenzen. Immer mehr Menschen verlieren auf der Flucht das Leben oder werden Opfer von Menschenhandel.

Der Fenchel, den ich morgen vielleicht in Migros, Aldi, Coop oder Lidl kaufe, hat viel mit diesen Menschen zu tun, die auf der Strecke bleiben, nicht willkommen sind oder im Tieflohnsektor arbeiten müssen. Ohne sie könnten wir unseren Wohlstand nicht halten. 

Ich will am heutigen Tag besonders für Erntehelferinnen und Erntehelfer beten. Auch für die Fremden in unserer Mitte und die, welche wie sie ihre Liebsten zurücklassen, um in der Schweiz ihr Glück zu versuchen. Auch bete ich für die vielen unbegleiteten Jugendlichen und für die Sans Papiers, deren Kinder zwar in die Schule gehen dürfen, aber sonst kaum eine Perspektive für die Zukunft haben. Und ich bete für die Schweiz, dass sie endlich wieder ihrer humanitären Tradition gerecht wird.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 4. Oktober 2024

Auf dem Wiboradaweg in die Wiboradazelle

Ein Zitat

Neu errichteter Brückenteil des Wiboradawegs vor der Kirche St. Mangen in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Es war ein sehr emotionaler Tag." Iso Senn, Architekt und treibende Kraft hinter dem Wiboradaweg

Ein Bibelvers - Johannes 1,51

"Und er [Jesus] sagte zu ihm: 'Amen, amen, das sage ich euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen. Und die Engel Gottes werden vom Menschensohn zum Himmel hinaufsteigen und von dort wieder zu ihm herabsteigen!'"

Eine Anregung

In der Nacht auf Montag wurde eine weitere Brücke in der Stadt St. Gallen aufgestellt. 35 Tonnen, 32 Meter, 3 Grad Gefälle, ein 250-Tonnen-Mobilkran, 50 Expertinnen und Experten und noch mehr, das sind die wichtigsten Zutaten für die Präzisionsarbeit zur Geisterstunde. Nun steht also ein Teilstück des Wiboradawegs in luftiger Höhe und führt über die vielbefahrene Hauptstrasse. Beim St.-Mangen-Park geht es aktuell noch nicht weiter. Aber das wird schon noch.

Seit 1998 gibt es Pläne für eine Verbindung zwischen unterem Rosenberg und Stadtzentrum. Jetzt wird sie Wirklichkeit. Ob man den Weg über die Passerelle wohl damals schon nach der Stadtheiligen Wiborada benannt hätte? Diese Inklusin spielt erst seit einigen Jahren wieder eine Hauptrolle nebst den anderen Stadtheiligen Gallus und Otmar. Ich habe verschiedentlich schon über sie geschrieben. Da der Weg nahe an den Ort führt, an dem Wiborada eingeschlossen in einer Hütte bei der St. Mangenkirche lebte und auch den Märtyrertod fand, und sich dieser Todestag im kommenden Jahr zum tausendeinhundertsten Mal jährt, passt die Wegbezeichnung.

Apropos Wiborada: Auch in diesem Jahr zwischen dem 25. April und 30. Mai sollen sich fünf Menschen in der Wiboradazelle für je eine Woche einschliessen lassen. Gerade werden diese fünf künftigen Inklusinnen und Inklusen auf Zeit gesucht. Hier kann man sich bewerben. Wenn sich im kommenden Jahr die Tür hinter ihnen schliesst, werden vielleicht schon Passantinnen und Passanten den Wiboradaweg zur Wiboradazelle unter die Füsse nehmen, um dort den modernen Inklusinnen und Inklusen zu begegnen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Zäme-Velo, ein Integrationsprojekt

Ein Zitat

Gabriella Clerc und eine weitere Person auf dem Parallel-Tandem vor der Projekt-Werkstatt Frauenfeld.
Foto © Gabriella Clerc
"Ich bin mit meiner stark dementen Schwiegermutter mit einem ähnlichen Velo gefahren. Sie ist dabei richtig aufgeblüht und wir haben sogar zusammen Lieder gesungen! Das wäre zuhause nie möglich gewesen." Erfahrung einer Benutzerin des Zäme-Velos.

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 3,5+6

"Der Gelähmte sah zu ihnen auf und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. Doch Petrus sagte: 'Gold und Silber habe ich nicht. Aber was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen von Jesus Christus, dem Nazoräer: Steh auf und geh umher!'"

Eine Anregung

Nun ist das Crowdfunding für das Zäme-Velo gestartet (Siehe Beitrag vom 25. September 2024!). Das ist auch nötig, sind diese speziellen Fahrräder, auf denen zwei Personen nebeneinander sitzen, recht teuer. CHF 15'000.- kostet ein neues Gefährt. Ein gebrauchtes Parallel-Tandem drückt mit CHF 3000.- auf die Brieftasche.

Warum startet die Projekt-Werkstatt Frauenfeld dieses Crowdfunding? Die Initiantin Gabriella Clerc schreiben: "Wir haben dieses Projekt gestartet, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen Ausflüge zu ermöglichen. Dazu möchten wir 2 Parallel-Tandems anschaffen. Bei diesen Fahrrädern sitzen die Passagiere angeschnallt auf dem Beifahrersitz und können (müssen aber nicht) aktiv mittreten. Dabei entsteht eine Solidarität zwischen sportlich aktiven und immobilen Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, alleine ein Fahrrad zu fahren. Die Ausflüge können mit einer gemeinsamen Kaffee-Pause verbunden werden."

Ich finde das eine ausgezeichnete Sache und würde mich freuen, wenn viele der Leserinnen und Leser dieses Integrationsprojekt mit einem kleineren oder grösseren Beitrag unterstützen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Schutzengel

Ein Zitat

Der Schutzengel von Andreas Hofer auf dem Friedhof Chloos in Kloten.
Foto © Jörg Niederer
"Wo Engel hausen, da ist der Himmel, und sei's auch mitten im Weltgetümmel." Hafis (um 1320-1388)

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 1,10-11

"Die Apostel starrten wie gebannt zum Himmel und schauten ihm [Jesus] nach. Da standen plötzlich zwei weiß gekleidete Männer bei ihnen. Die sagten: 'Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.'"

Eine Anregung

Der Schutzengel auf dem Friedhof Chloos in Kloten ist ein Geschenk. Geschaffen wurde er vom Davoser Künstler Andreas Hofer. Es ist nicht die einzige derartige Gestalt auf dem Totenacker. Hoch ragt er auf über die Gräber. Es macht den Anschein, als wäre der Baum, aus dem er geformt wurde, an Ort und Stelle gewachsen, und der Kopf vom Bildhauer in luftiger Höhe herausgearbeitet aus dem alten Holz. Die Flügel vollenden den Eindruck, machen den Engel aus. An ihnen ist er zu erkennen als das, was er darstellen soll.

Die Bibel nennt Engel an verschiedenen Stellen. Der Engel an der Pforte des Paradieses, die Engelchöre bei der Geburt von Jesus, die Engel der Apokalypse. Und dann gibt es in der christlichen Kunst die pausbäckigen, nackten, knabenhaften Puttenengel. Der Begriff "Putte" stammt denn auch vom italienischen Wort "putto" ab für "Knabe, Knäblein".

Sehen so die Engel aus? Wie stellst du sie dir vor? Glaubst du an Schutzengel? Oder ist das für dich nur so eine Redensart: "Da hat er/sie aber einen Schutzengel gehabt"?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 1. Oktober 2024

Seifenblasenfreude

Ein Zitat

Eine grosse Seifenblase steigt über den Dachgiebel des Altstadthauses in Weinfelden dem Himmel entgegen.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn die Puste für Sackhüpfen nicht mehr reicht / und die Knochen für Purzelbäume zu alt sind, dann nimm Seifenblasen, die bringen in jedem Alter / Farbe, Freude und neue Träume in dein Leben." Vera Peiter

Ein Bibelvers - 2.Korinther 6,10

"Wir geraten in Trauer und bleiben doch fröhlich. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir haben nichts und besitzen doch alles!"

Eine Anregung

Grosse und kleine Seifenblasen tanzen über den Gottesdienstbesuchenden an der WEGA Weinfelden in der Luft und verbreiten Heiterkeit. Zuvor schon übten einige Jugendliche, wie sie die grossen Seifengebilde mittels zweier Stöcke und einer Schnur zum Leben erwecken können. 

Seifenblasen – die einen zerplatzen nach kurzer Zeit an einer Mauer oder am Boden. Andere steigen hoch, tanzen lange im sanften Wind, suchen den Himmel.

Seifenblasen – da sind die, welche wabernd und vibrierend ihre Form verändern. Andere kommen schon kugelrund zur Welt. 

Seifenblasen – transparent geben sie den Blick frei auf die Farben und Formen des Hintergrunds. Ich sehe das Grau der Mauern in der einen und das Blau des Himmels in der anderen.

Seifenblasen – Sie schillern die kurze Zeit ihres Seins. In diesen Augenblicken verbreiten sie Spielfreude, zaubern ein Lachen auf die Gesichter von Kindern und Alten.

Ich schaue zu, wie die Jüngsten voller Begeisterung Seifenblasen-Serien aus den kleinen Ringen blasen. So muss es gewesen sein, als Gott die Welt schuf. Mit jedem Atemzug kam er/sie der Schönheit und Zärtlichkeit nahe, ganz bei der Sache, ganz bei uns auf dieser einen runden irdenen Seifenblase, hervorgegangen aus dem Hauch seiner Worte, leuchtend blau und voller Lebendigkeit.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 30. September 2024

Blatt vor dem Mund

 Ein Zitat

Bahnwerbung. Beim Blatt vor dem Mund in der Redensart handelt es sich in Wirklichkeit um eine Papier.
Foto © Jörg Niederer
"Ehrliche und offene Menschen verlieren vieles, aber niemals ihr Gesicht." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - 2.Korinther 6,11

"Liebe Korinther! Wir haben ganz offen mit euch geredet und lassen euch tief in unser Herz blicken."

Eine Anregung

Bei Teamsportanlässen kann man beobachten, wie die Spielerinnen oder Spieler taktische Anweisungen geben. Dabei halten sie sich nicht selten die Hand vor den Mund, damit niemand vom gegnerischen Team von den Lippen ablesen kann. Da gibt es doch die Redensart: "(K)ein Blatt vor den Mund nehmen". Ich frage mich nun, ob das etwas mit meiner Sportbeobachtung zu tun hat. Nehmen die sportlichen Akteurinnen und Akteure mit der Hand vor dem Mund in übertragener Weise "ein Blatt vor den Mund"?

Ich bin der Sache nachgegangen und habe dabei erfahren, dass es sich um eine Redensart handelt, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Dort hielten sich an Theatern die Schauspielerinnen und Schauspieler bei kritischen oder verletzenden Aussagen papierene Blätter vor den unteren Teil des Gesichts und folglich vor den Mund, damit niemand erkennen konnte, wer gerade spricht. Es ging darum, anonym zu bleiben und doch sagen zu können, was man will, egal, ob es nun genehm ist oder nicht. Ein Blatt nimmt also jemand vor den Mund, der oder die nicht persönlich zu dem stehen will, was er oder sie sagt. Ein häufiger Anwendungsfall ist die üble Nachrede in den Sozialen Medien oder mit Briefen. Üble Nachrede geschieht nicht selten anonym. Es geht folglich bei der Redensart nicht darum, zu verschleiern, was jemand sagt (so wie im Sport), sondern wer etwas sagt.

Nebenbei: Mit dem Blatt eines Baums, wie in der Bahnwerbung, hat die Redensart also nichts zu tun.

Kein Blatt vor den Mund nimmt eine Person, welche zu dem steht, was sie offen und laut ausspricht. In dieser Weise ist auch eine Stelle in der Bibelübersetzung der Guten Nachricht 2018 zu verstehen. Dort wird 2. Korinther 6,11 so übersetzt: "Meine Lieben in Korinth, ich habe kein Blatt vor den Mund genommen! Ich habe euch mein Herz weit geöffnet."

Lieber Paulus, das hast du gut gemacht. Nachahmenswert.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen