Donnerstag, 28. September 2023

Pfarrpersonen auf dem Berg

Ein Zitat

Das Gipfelfoto der Beteiligten der Pfarrkleingruppe Thurgau-St. Gallen auf der Wilkethöchi.
Foto © Jörg Niederer
"Wir versprechen, dass unsere Lieferanten, zum Beispiel von Bergweizen und Butter, aus unserer Heimat stammen. Produziert wird zu hundert Prozent hier im Toggenburg. Und chemische Backmittel in der Backstube sind tabu." Richard Kuhn leitet in 5. Generation den zehn Standorte umfassende, 130jährigen Bäckerei-Familienbetrieb aus Brunnadern.

Ein Bibelvers - Lukas 9,33

"Als die beiden [Mose und Elija] sich von Jesus trennen wollten, sagte Petrus zu ihm: 'Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Zelte aufschlagen: eins für dich, eins für Mose und eins für Elija.' Aber er wusste nicht, was er da sagte."

Eine Anregung

Einmal im Jahr geht die Pfarrkleingruppe Thurgau-St. Gallen auf eine fussgängerische Exkursion. In diesem Jahr führte sie für die drei beteiligten methodistischen Pfarrpersonen von Brunnadern steil hinauf auf die Wilkethöchi, und dann weiter nach Degersheim, um dort bei Gemeindegliedern mit Kuchen, Früchten und Getränken bewirtet zu werden.

Während Esther in Brunnadern aufgewachsen sich in ihrer alten Heimat bewegte und viel über Land und Leute zu erzählen wusste, war Degersheim einst für Rolf ein Jahr lang Wohn- und Wirkort. So kam es auf dem Weg auch zu überraschenden Begegnungen. Etwa als eine mit Stöcken bewaffnete Frau, die erst gerade vor einem Jahr wieder in diese Gegend gezogen war, sich als alte Bekannte aus der Kindheit von Esther herausstellte.

Zwar stand das sportliche Naturerlebnis bei insgesamt 900 Höhenmetern auf 12 Kilometern Weg im Vordergrund, doch gab die Wanderung genug Anlass, auch über die Gemeindearbeit und über Kirchenpolitik zu diskutieren. Ein Thema war etwa die Zukunft von sieben Kirchgemeinden der Region Ostschweiz, die sich aktuell über eine intensivere Zusammenarbeit beraten. Noch gleicht dieses Projekt dem scheuen Grasfrosch, der sich zuoberst auf der Wilkethöchi aus dem Staub zu machen versuchte. Ausgang und Zielpunkt sind noch ziemlich unbekannt.

Das Wetter spielte mit, wenn auch die Sicht auf der Wilkethöchi zu Säntis, Churfirsten und den Glarner Alpen schon klarer war. Aber wer sieht schon ganz klar im kirchlichen Umfeld? Und natürlich fielen unterwegs auch Bibelzitate, etwas das berühmte (siehe oben!) von Petrus auf dem Berg der Verklärung, ausgesprochen beim schönen Aussichtspunkt kurz vor dem Gerensattel, da wo von weither ein Buntspecht herangeflogen kam, um sich die pastorale Wandergruppe genauer anzuschauen. Da er gleich weiterflog, gehe ich davon aus, dass er sich dabei nicht allzu viele Gedanken gemacht haben kann. 

Ebenfalls links liegen liessen wir die "Scherrers Höhle", ein Felsvorsprung, der dem Einsiedler "Böscheli-Scherrer" in den Jahren 1929 bis 1948 Unterschlupf bot. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit der Anfertigung von Holzbündeln, eben den "Böscheli".

Auch eher speziell war die Kuh, die unseren Durchzug durch ihre Weide für einen Fluchtversuch auszunutzen versuchten, was wir schweren Herzens geradeso vereiteln konnten. Nicht unbedingt das, wozu Pfarrpersonen sonst da sind, nämlich mit den Glaubenden einen Weg in die Freiheit der Gotteskindschaft (Römer 8,21) zu gehen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 27. September 2023

Gratis, aber nicht umsonst!

Ein Zitat

Am WEGA-Gottesdienst 2022 in Weinfelden
Foto © Jörg Niederer
"Es ist umsonst, dass dir das Glück gewogen ist, wenn du nicht selbst erkennst, wie sehr du glücklich bist." Andreas Tscherning (1611-1659)

Ein Bibelvers - Jesaja 55,1

"Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts."

Eine Anregung

Die WEGA ist die Gewerbeausstellung des Kantons Thurgau. Jährlich findet sie in Weinfelden statt. Was seit einigen Jahren auch stattfindet, ist der WEGA-Gottesdienst. Am kommenden Sonntag um 10.00 Uhr ist es wieder soweit.

Thematisch geht es um das, was uns geschenkt wird. Ich habe an solchen Gewerbeausstellungen schon viel Ramsch erhalten. Dinge, die ich nur angenommen habe, weil sie kostenlos abgegeben wurden. Als Kinder sind wir in richtige Sammelschlachten gezogen. Unter der Beute fand sich dann bestimmt das dreissigste Käppi und der zweihundertste Kugelschreiber. Doch es gibt auch gratis Abzugebendes, das nicht umsonst ist, das sich echt lohnt. Was, das erfährt man am diesjährigen WEGA-Gottesdienst.

Und noch etwas Besonderes wird es geben. Auftreten wird auch eine Delegation des Union Gospel Choir mit Auszügen aus seinem Programm. Es lohnt sich also, am nächsten Sonntag zur TKB-Bühne an die WEGA in Weinfelden zu pilgern.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 26. September 2023

Fest und flexibel

Ein Zitat

Cosmeablüte im Wind
Foto © Jörg Niederer
Wer fest verankert ist, muss den Zeitgeist nicht fürchten.

Ein Bibelvers - Kolosser 2,6+7

"Ihr habt Christus Jesus, den Herrn, angenommen. Richtet also euer Leben an ihm aus! Bleibt in ihm verwurzelt und gründet euch als Gemeinde ganz auf ihn. Werdet fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid. Und hört nicht auf, Gott zu danken."

Eine Anregung

Die meisten Pflanzen sind gehalten von einem fixen Verankerungspunkt, bleiben aber über Stängel oder Stamm flexibel und anpassungsfähig. So können sie dem Winddruck standhalten, gar Stürmen trotzen. Sie geben nach, und bleiben trotzdem fest.

Diese Verbindung von tiefer, sicherer Verwurzelung und gleichzeitiger Beweglichkeit erscheint mir auch für unser geistiges Leben und das Leben von Kirchgemeinden wegweisend. Gehalten von Gottes Liebe können wir einen klaren Standpunkt vertreten, auch verteidigen, aber auf eine sanfte Art, flexibel und offen dafür, wenn der Wind einmal aus einer anderen Richtung wehen sollte.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 25. September 2023

Rutschbahn

Ein Zitat

Es gibt sie schon sehr lange, die Kinderrutschbahn auf dem Rosinli bei Bäretswil.
Foto © Jörg Niederer
"Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns." Eugène Ionesco (1909-1984), Schriftsteller

Ein Bibelvers - Epheser 3,17+18

"Denn Christus soll durch den Glauben in euren Herzen wohnen. Und ihr sollt in der Liebe verwurzelt und fest auf ihr gegründet bleiben. So könnt ihr sie zusammen mit allen Heiligen in ihrer Breite, Länge, Höhe und Tiefe erfassen."

Eine Anregung

Dafür nahmen Kinder früher gerne den Aufstieg zum Rosinli oberhalb von Bäretswil in Kauf: die Rutschbahn und andere Spielsachen. Die Anlage ist in die Jahre gekommen, und andere Rutschgelegenheiten haben dem Angebot beim Aussichtspunkt schon längst den Rang abgelaufen. Bei meiner Frau kam Nostalgie auf, als sie nach vielen Jahren und Erfahrungen aus der Kindheit wieder einmal an diesem Ort durchkam.

Nostalgie empfinden Menschen auch angesichts von Kirchen und Gottesdiensten. Sie erinnern sich an die Zeiten, in denen sie, als Kinder etwa, regelmässig in Gotteshäusern ein- und ausgegangen sind. Doch nun, älter geworden, sieht das, was früher noch Freude bereitete, antiquiert und veraltet aus. Da ist zwar immer noch die Sehnsucht nach Annahme und Frieden, aber auch der Eindruck, dass das, was den kindlichen Glauben einst nährte, nicht mehr funktioniert. 

Bei der Rutschbahn auf dem Rosinli steht: "Benutzung der Rutschbahnen auf eigene Verantwortung. Kinder nur unter Begleitung Erwachsener". Welche Anregung oder Warnung sollte sicht- oder unsichtbar an den Eingängen zu unseren Kirchen und Kapellen stehen? Wie wäre es damit: "Suche hier nicht nach dem, was sichtbar vor Augen oder einst gewesen ist, suche vielmehr nach einer Hoffnung über alles Vordergründige hinaus!"

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 24. September 2023

Dankbarkeits-Ertrag

Ein Zitat

Allerlei Gewachsenes und Organisches findet sich an einem kleine Baumstumpf mitten im Wald.
Foto © Jörg Niederer
"Danken schützt vor Wanken - loben zieht nach oben." Redensart

Ein Bibelvers - Kolosser 2,6+7

"Ihr habt Christus Jesus, den Herrn, angenommen. Richtet also euer Leben an ihm aus! Bleibt in ihm verwurzelt und gründet euch als Gemeinde ganz auf ihn. Werdet fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid. Und hört nicht auf, Gott zu danken."

Eine Anregung

Das Magazin von "erf Medien" nimmt sich in seiner Oktoberausgabe der Dankbarkeit an. Das passt wunderbar zur heutigen Erntedankfeier in der Methodistenkirche Weinfelden mit anschliessendem Essen (10.00 Uhr, Hermannstrasse 10, Weinfelden).

Auf dem Titelbild des Magazins halten von der Gartenarbeit schmutzige und gezeichnete Hände mehrere Äpfel. Ein typischen Bild zur Ernte. Anders das Foto, das diesem Text beigefügt ist. Darauf finden sich alles Dinge, die in einem Wald gewachsen sind oder wachsen. Auch das ist eine Ernte, wenn auch keine, an der viel verdient werden könnte oder die für die Ernährung gross etwas taugt. Und doch: Ohne all das, was da wächst und wird, würden auch wir nicht wachsen und werden.

Kann ich dankbar sein für etwas, das mir im ersten Moment nichts bringt, manchmal nicht einmal in ästhetischer Weise? Kann ich dankbar sein für etwas, das mir zu schaffen macht? Kann ich dankbar sein für alles Normale des Alltags?

Im Magazin von "erf Medien" wird eingeladen zu einem "Tagebuch der Dankbarkeit". Und so geht es:

"Schreiben Sie während vier Wochen jeden Tag drei Dinge auf, für die Sie dankbar sind.
Beobachten Sie, wie sich während dieser Zeit Ihre Wahrnehmung auf Ihr Umfeld verändert und wie sich Ihr Umfeld Ihnen gegenüber verändert.
Finden Sie heraus, in welchen Bereichen im Leben (Job, Engagement, Verein, Familie, Freunde, Gesundheit, Gott, Hobbys, Tiere, Natur etc.) Sie hauptsächlich Dankbarkeit empfinden und warum.
Nehmen Sie sich nach vier Wochen Zeit zum Reflektieren, inwiefern eine dankbare Sicht auf Situationen, Dinge und Lebensbereiche geholfen hat, diese neue einzuordnen, zu bewerten und anzugehen."

Samstag, 23. September 2023

Freundschaft

Ein Zitat

Ein Star hat sich den Kopf eines Schottischen Hochlandrinds als Warte ausgesucht. Von dort aus jagt er nach den zahlreich vorhandenen Insekten, die das Weidetier umschwirren.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn wir einander gut gesinnt sind, verbinden uns sogar gegensätzliche Meinungen." Ernst Ferstl (*1955)

Ein Bibelvers - Römer 15,1+2

"Wir, die Starken, sind verpflichtet, die Schwächen von denen mitzutragen, die nicht so stark sind. Es geht ja nicht darum, was uns gefällt. Vielmehr soll jeder von uns so handeln, wie es seinem Mitmenschen gefällt. Das tut diesem gut und hilft, ihn aufzubauen."

Eine Anregung

Mit stoischer Ruhe erträgt das Schottische Hochlandrind den Star, der sich direkt auf seinen Kopf zwischen die ausladenden Hörner gesetzt hat. Für den Vogel ist die Nähe zum Weidetieren nützlich, finden er doch dort allerlei Futterinsekten. Und für die Rinder ist der Vogel nützlich, befreit er sie doch ansatzweise von den lästigen Fliegen und Bremsen. Nebst Staren zeigen auch Elstern und Kuhreiher wenig Scheu, sich direkt auf die gutmütigen Kollosse niederzulassen. Die Bachstelzen ihrerseits suchen in Bodennähe den Kontakt zu den zottigen Riesen.

Natürlich ist das wohl noch keine Freundschaft. Eher ist es so etwas wie eine Zweckgemeinschaft. Gegenseitig tut man sich Gutes, ohne dass daraus eine enge Bindung entstehen muss.

Die Verschiedenheit der beiden Tiere zeigt, dass es nicht zwingend das selbe Aussehen und die selbe Sprache braucht, um gut miteinander auszukommen. In der Verschiedenheit liegt auch eine grosse Kraft. Ungleiche Freundinnen, ungleiche Freunde haben miteinander ein grösseres Potential, als würden sie je für sich ihr Leben leben.

Als Jesus die Menschen zu sich rief, da sammelte er um sich sehr verschiedene Charaktere. So ist es bis heute geblieben. Wer sich auf Jesus einlässt, wird eine Horizonterweiterung erleben, allein schon durch die anderen Menschen denen er oder sie im christlichen Umfeld begegnet. Wenn es auch äusserlich nicht so krass aussieht wie bei Rind und Star: Mitchristinnen und Mitchristen können Zumutungen sein, durch Christus freundschaftliche Zumutungen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 22. September 2023

Strassen nach Kinderart

Ein Zitat

Auf einer Quartierstrasse haben Kinder vor ihrem Haus mit Kreide einen Zebrastreifen und viele Tiere auf dem Asphalt gezeichnet.
Foto © Jörg Niederer
"Unser Ziel muss es sein, die Erwachsenen von den Strassen weg zu bekommen, damit die Kinder sich darauf unbefangen und frei entfalten können." (Das Originalzitat der Stadt Winterthur lautet dagegen so: "Unser Ziel ist es, die jungen Verkehrsteilnehmenden zu befähigen, sich sicher und verkehrsgerecht im Strassenverkehr zu bewegen.")

Ein Bibelvers - Matthäus 19,14

"Aber Jesus sagte: 'Lasst doch die Kinder! Hindert sie nicht daran, zu mir zu kommen. Denn für Menschen wie sie ist das Himmelreich da.'"

Eine Anregung

"Der Weg kommt, indem wir gehen", so heisst ein Satz aus der Feder von Kurt Marti. Genau so ist es. Wege entstehen durch Gewohnheit. Das sehe ich jeden Tag auf dem Weg zum Bahnhof. Da geht eine Treppe zu einer Fuss- und Fahrradbrücke hoch. Oben kann ich aber nicht direkt einbiegen, sondern muss erst fünf Meter an einer Rabatte entlang schreiten, bevor ich mit einer 180°-Wendung endlich in die richtige Richtung weitergehen darf. Diesen Umweg machen nicht alle mit. So zeichnet sich immer deutlicher ein Trampelpfad über die Rabatte ab. Zu Fuss geht man schliesslich effizient und kräftesparend. Es soll Liegenschaften geben, bei denen die Wege über das Grundstück erst erstellt werden, wenn sich die Trampelpfade abzeichnen, und so einsichtig wird, wo Wege auch Sinn machen.

Was aber wäre, wenn wir den Kinder die Verkehrs- und Mobilitätsplanung überlassen würden? Ich gehe, aufgrund der Erfahrung mit den eigenen drei Söhnen davon aus, dass es auch dann noch Autobahnen geben würde. Jedoch denke ich, dass der Strassenverlauf stärker von kindlichen Eigeninteressen und spontanen Einfällen geprägt wäre. So wie auf dem Foto, wo die Kinder vor ihrem Haus einen Zebrastreifen auf die Strasse gemalt haben. Weiter sehe ich Tiere auf dem Gehsteig und die Namen der Künstlerinnen und Künstler. Auf einer Seite des Zebrastreifens steht gross "Achtung". Bestimmt gäbe es dann vor jedem Haus, in dem Kinder wohnen, Raum, um auf der Strasse zu spielen. Die anderen Verkehrsteilnehmenden müssten sich folglich anpassen, sich hinter den Kinderdreirad-Artistinnen und -Artisten einordnen, und vor dem improvisierten Strassen-Fussballfeld warten, bis Halbzeit ist.

Also ich möchte einmal sehen, was geschieht, wenn Kinder den Verkehr planen. Vielleicht könnten wir Erwachsenen ja noch etwas von ihnen lernen. Warum nicht einmal einen Stadtteil in die Hände der Kinder geben. Was da entstehen könnte, wäre möglicherweise wegweisend für die Zukunft der Menschheit.

Nach Jesu Worten gehört den Kindern, wenn nicht die Erde, dann aber sicher das Himmelreich. Also macht euch gefasst darauf: Im Himmel werden Kinder laut und bestimmend mitreden bei der Gestaltung der himmlischen Verkehrswege.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 21. September 2023

Ein allerletzter Tanz

Ein Zitat

Tanzgruppen des Basler Totentanzes, als Terrakotta-Figuren geschaffen vom Zizenhausener Kirchenmaler Anton Sohn. Die abgebildete Vitrine befinden sich in der christkatholischen Kirche St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Was flügt und krücht was sträbt und schwäbt / Was schwümmt und ründt, ja was je läbt / Flücht alls den Tod, ist doch kein Ort / Auff Erde, darin nicht sey der Tod"  Aus dem Totentanzzyklus von Kaspar Meglinger, Spreuerbrücke in Luzern, entstanden 1626–1635.

Ein Bibelvers - Psalm 90,12

"Lass uns begreifen, welche Zeit wir zum Leben haben – damit wir klug werden und es vernünftig gestalten."

Eine Anregung

Wahrscheinlich schaue ich zu selten Sendungen wie "Bares für Rares", aber bisher habe ich noch nie von den Zizenhausener Terrakotten gehört, welche der ausgebildete Kirchenmaler Anton Sohn (1769–1840) seit 1799 im deutschen Stockach herstellte. In der Christkatholischen Kirche St. Gallen sind mir nun solche Figuren aufgefallen. Sie erzielen unter Sammlern einen hohen Wert. Das Besondere an den hier fotografierten Zizenhausener Terrakotten ist, dass sie nach einer durch den Kupferstechers Matthäus Merian erstellten Darstellung des Basler Totentanzes geschaffen wurden. Von den 42 vorhandenen Terrakotten sind auf dem Foto 38 zu sehen.

Der Basler Totentanz umfasst 39 Tanzpaare. Original war er Teil des Laienfriedhofes beim Predigerkloster. Entstanden ist dieses Memento Mori im Jahr 1440. Es sollte die Menschen daran erinnern, dass der Tod jederzeit kommen kann. Das Werk von Konrad Witz und seiner Malerschule wurde mehrfach restauriert, bis es am 5. und 6. August 1805 abgebrochen wurde. Es entsprach nicht mehr dem damaligen Zeitgeist. Nur wenige Bruchstücke des Wandgemäldes konnten gerettet werden.

Da wo einst dieser Friedhof war, befindet sich heute ein öffentlicher Park. Längere Zeit erinnerte der Name der nahen Tramhaltestelle an den einstigen Totentanz. Allerdings machte es sich schlecht, wenn Menschen beim Eintritt ins gegenüberliegende Universitätsspital an einer Haltestelle aussteigen mussten, welche an das letzte Stündlein, an den Tod, an den allerletzten Tanz erinnert. Darum heisst die Haltestelle "Totentanz" heute "Universitätsspital". Geändert hat das allerdings nichts daran, dass der Tod uns jederzeit und überraschend zum letzten Tanz auffordern könnte. Memento mori – Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 20. September 2023

Mein Wochenend-Flaschenvogel

Ein Zitat

Gut getarnt zwischen Enten und Bekassinen steht ein Dunkelwasserläufer auf einem Inselchen im Neeracherried.
Foto © Jörg Niederer
"Die schönste Freude erlebt man immer da, wo man sie am wenigsten erwartet." Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944)

Ein Bibelvers - Psalm 9,3

"Ich will mich freuen und über dich jubeln. Ich will deinen Namen preisen, du Höchster."

Eine Anregung

Bis gestern wusste ich nicht, dass dies mein Flaschenvogel vom Wochenende war. Erst zuhause habe ich auf einem Foto von Vögeln im Neeracherried Ried den einen entdeckt, den ich bisher noch nie gesehen habe. Mein Flaschenvogel. Damit wird auf die Flasche angespielt, die man in Ornithologinnen- und Ornithologenkreisen öffnet, wenn man eine Vogelart zum ersten Mal sieht. In meinem Fall ist es ein Dunkelwasserläufer. Ein Wattvogel aus dem Hohen Norden, der in der Schweiz auf der langen Reise ins Winterquartier nach Afrika angetroffen werden kann.

Im vergangenen Jahr ist das immer wieder vorgekommen, dass ich eine Vogelart zum allerersten Mal bewusst wahrgenommen habe. So etwa 80 Mal. 80 Flaschenvögel; das hat schon ein gewisses Suchtpotential, dem ich mich bewusst entziehe. Wenigsten was die Flaschen betrifft. Bei den Vögel möchte ich noch einige Arten zum ersten Mal entdecken. Es macht einfach Freude, mit offenen, neugierigen Augen noch einige Jahre durchs Leben zu gehen.

Was macht dir Freude in deinem Leben? Wofür würdest du eine Flasche öffnen, um etwas ganz Besonderes zu feiern?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 19. September 2023

Ganz Da sein

Ein Zitat

Portrait eines Silberreihers
Foto © Jörg Niederer
"Zu fragen bin ich da, nicht zu antworten!" Henrik Ibsen (1828-1906)

Ein Bibelvers - Psalm 51,12

"Erschaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, festen Geist!"

Eine Anregung

Ist er nicht schön, der Silberreiher? Erst die Nahaufnahme zeigt den vom Auge ausgehenden schönen Farbübergang von Grün zu Orange. Um das zu sehen, muss man dem Lauerjäger aber ganz schön nahe kommen. Das ist nicht so einfach, denn meistens ist er bei der kleinsten Störung weg, fliegt auf und davon.

Ganz anders war es bei der Inklusin Wiborada von St. Gallen. Ihr konnte man immer nahe kommen. Von ihr wusste man stets, wo sie zu finden war. Nämlich in ihrer selbstgewählten Zelle.

Dazu lese ich in einem Heft mit "Spirituellen Impulsen aus der Zelle" Folgendes: "Wiborada hat sich mit ihrer freien Entscheidung als Inklusin zu leben, selbst verwirklicht. Mit ihrem Da sein hat sie den ersten Namen von Gott 'Ich bin da' für eine Stadt gelebt. Sie war immer da. Von niemand anderem sonst wusste man genau, wer wo ist, aber von Wiborada schon. sie war da in ihrer Zelle." 

Das gelungene Heft mit dem Titel "da sein" ist auch online abrufbar. Es enthält 26 Impulse, geschrieben von Seelsorgerinnen und Pfarrerinnen. Zu jedem Impuls hat die Designerin Fiona Kopp Grafiken beigesteuert. Anregungen helfen, mit den Gedanken durch den Tag zu gehen. Bei den Gedanken zum "Da-sein" lauten diese Anregen so: "Ich versuche immer wieder darauf zu achten, dass ich ganz da bin, ganz bei der Sache, hellwach, aufmerksam, mit ganzem Herzen dabei, ganz mit mir selbst.
Am Abend kann ich auf diesen Tag zurückschauen und mich fragen, wie es mir ergangen ist. Wann war ich ganz da?"

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen