Sonntag, 31. Juli 2022

Strandgeschichten

Ein Zitat

Badende am öffentlichen Strand von Markelfingen.
Foto © Jörg Niederer
"Lieber im Bodensee baden, als in der Arbeit ertrinken." Abgewandelter Spontispruch

Ein Bibelvers - 2. Mose 2,5

"Da kam die Tochter des Pharao zum Baden an den Nil. Ihre Begleiterinnen gingen so lange am Ufer auf und ab."

Ein Anregung

Ferieninbegriff nebst dem Sonnenuntergang am Strand ist der Strand selbst. Heute bewegten wir uns daselbst, und ich liess mir mein weisshäutigen Beine von der Sonne rötlich einfärben. 

Der Strand liegt im deutschen Teil des Untersees, der Halbinsel Mettnau gegenüber. Ab der Wasserlinie geht man auf einem weichen Sand-Erdgemisch zwischen unzähligen kleinen Fischchen um die 100 bis 200 Meter weit hinaus, ohne dabei nennenswert im Wasser einzutauchen. Das Taufen wäre an dieser Stelle folglich mit einem weiten Weg verbunden. Doch das sollte die bewusste Hinwendung in die Nachfolge Christi ja sowieso sein - ein weiter, überlegter Weg.

Wie es in Deutschland ist, weiss ich nicht. Doch vor einigen Tagen habe ich erfahren, dass die Taufe in öffentlichen Gewässern im Kanton Genf Freikirchen nicht mehr erlaubt wird. Grund ist das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes über die Laizität. Dabei geht es um die Trennung von Kirche und Staat. Neu reglementiert wird der öffentliche Raum. Private Seeanstösser können also weiter den christlichen Glauben durch Untertauchen im Genfersee bezeugen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 30. Juli 2022

Maultaschen und der Hunger

Ein Zitat

Menü mit Maultaschen und Kartoffelsalat
Foto © Jörg Niederer
"Abgewandelt kursiert die Geschichte, dass es Protestanten gewesen seien, die der ursprünglich nur mit Kräutern und Spinat gefüllten, daher auch als 'Laubfrosch' bezeichneten Teigtasche heimlich Fleisch beifügten." Wikipedia

Ein Bibelvers - Daniel 10,3

Daniel: "Ich hatte nichts Gutes mehr gegessen, kein Fleisch und keinen Wein zu mir genommen. Ich hatte mich auch nicht mehr gesalbt, die ganzen drei Wochen lang."

Ein Anregung

Die schwäbischen Ravioli, das sind die Maultaschen. Die habe ich in diesen Tagen wieder einmal gegessen. Es wäre auch noch anderes Feines auf der Speisekarte zu finden gewesen. Aber die Maultaschen gehören zu meinen Erinnerungsmahlzeiten aus der Studienzeit in Reutlingen.

Zwischenzeitlich habe ich auch erfahren, dass es sich dabei um eine Fastenspeise handelt. Da beim "katholischen" Fasten Fleisch nicht auf den Tisch kommen soll, gab es immer schon Tricksereien, etwa, indem man den Biber wegen seines Schuppenschwanzes als Fisch auftischte.

Die Schwaben bedienten sich einer noch etwas plumperen Finte. Sie packten das Fleisch in Teigtaschen, und schon war es nicht mehr als Fleisch zu erkennen. "Herrgottsbscheisserle" werden Maultaschen daher im Volksmund noch heute genannt. 

Natürlich kann man damit weder den Herrgott noch sich selbst hinters Licht führen. Aber so tun als ob, das geht schon. Nun frage ich mich, wo ich mir in anderen, vielleicht wichtigeren Dingen selbst etwas vormache? Meist merken es die Menschen um mich herum, noch bevor ich mir selbst darüber bewusst werde. Das ist dann schon etwas peinlich.

Zurück zu meinen Maultaschen von dieser Woche: Aufgetischt wurden mir die Herrgottsbscheisserle im Restaurant Kapelle. Für deren Güte garantierte ein Team um die Wirtsfamilie "Hunger". Also ich würde sagen, besser können Speise und Umstände gar nicht zusammenpassen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 29. Juli 2022

Sonnenuntergang über Radolfzell

Ein Zitat

Sonnenuntergang von Markelfingen aus. Zu sehen sind die Halbinseln Mettnau und Höri, die Stadt Radolfzell und rechts die Vulkankegeln des Hegaus.
Foto © Jörg Niederer
"Lieber Mensch, nicht gar so sehr / Tracht nach Gut und eitler Ehr! / Allezeit dein End betracht, / Jeden Tag als letzten acht." Inschrift an der einstigen Wallfahrtskapelle ob Markelfingen

Ein Bibelvers - 4. Mose 13,27

"Wir kamen in das Land, in das ihr uns geschickt habt. Es ist tatsächlich ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Schau dir nur die Früchte an!"

Ein Anregung

In der Ferienzeit steht der Sonnenuntergang unter besonderer Beobachtung. Kaum einmal sonst werden so viele Abendstimmungen fotografiert und gepostet. Da will ich natürlich keine Ausnahme machen.

Hier ein Panorama meiner aktuellen Aussicht vom Hotel Kapelle in Markelfingen aus. Zu sehen von links nach rechts: Markelfingen, dahinter der Untersee mit den Halbinseln Mettnau und Höri. Links von der Bildmitte der Kirchturm von Radolfzell. Ins goldene Licht der Sonne getaucht stehen die Vulkankegel des Hegaus am Horizont. Und wer nun noch das Foto in Originalgrösse öffnet, erkennt vielleicht auch auf der hintersten Hügelkuppe die Windräder auf dem Randen. 

Die ersten Besiedelungen dieser Gegend datieren in die Jungsteinzeit. Grabhügel aus der Hallstattzeit verstecken sich im Wald. Die Landschaft musste dem Alemannen Radolf von Verona (so genannt, weil er den Bischofssitz von Verona erbte) Eindruck gemacht haben. Also gründete er kurzerhand den Flecken Radolfzell. Heute ist es die drittgrösste Stadt am Bodensee.

Doch wie man sich selbst nun ein Bild machen kann, ist der Sonnenuntergang nicht von Radolfzell aus am Schönsten, sondern von Markelfingen, genauer von da, wo seit dem 16. Jahrhundert eine kleine Kapelle steht, und Urlauber heute ihre Ferien geniessen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 28. Juli 2022

Die Schafe im China-Restaurant

Ein Zitat

In Radolfzell am See wurde ein ehemaliges China-Restaurant zu einem Schafstall umfunktioniert.
Foto © Jörg Niederer
"Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen. Sie müssen ein Gespräch führen und in die Nacht hinabsteigen können, in ihr Dunkel, ohne sich zu verlieren. Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker." Papst Franziskus

Ein Bibelvers - Johannes 10,11

Jesus: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe."

Ein Anregung

Auf der ganzen Welt wird es "Schafstall" genannt. Nur in Radolfzell am Bodensee heisst es "China-Restaurant". Das Foto entstand auf einer Wanderung von Radolfzell nach Moos.

Umnutzungen gibt es nicht nur bei Gasthäusern. In Markelfingen zum Beispiel wurde eine alte katholische Wallfahrtskapelle in eine Wohnung mit Hotelanbau umfunktioniert. In Konstanz, wenn ich das richtig gesehen habe, wurde aus einer Kapelle ein Restaurant. Damit wären wir wieder beim Restaurant, das zum Schafstall wurde. Kirche, das ist eben auch Restaurant (aus dem Französischen: Ein Ort, um sich zu stärken). Stärken lassen sich die Menschen in der Kirche bekanntlicher Weise vom guten Hirten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 27. Juli 2022

Keine Ruhe in Waldruh

Ein Zitat

Signalisation an der Strasse zum Baumbestattungsplatz Waldruh St. Katharinen auf der Halbinsel Bodan
Foto © Jörg Niederer
"Die Baumkronen beschirmen die Stämme, die wie gotische Säulen in die Höhe ragen, den Raum bestimmen und in den Zwischenräumen einen eindrucksvollen Blick über den Bodensee freigeben – ein sensibel und sorgsam gewählter Ort." Beschreibung der Waldruh St. Katharinen auf der Seite eines Bestattungsunternehmens

Ein Bibelvers - Hebräer 4,9-11

"Die endgültige Sabbatruhe steht also für das Volk Gottes noch aus. Denn wer zu dem Ruheplatz Gottes gekommen ist, ruht sich aus von seinen Werken – so wie Gott selbst es von seinen eigenen Werken getan hat. Wir wollen uns also anstrengen, zu jenem Ruheplatz zu kommen."

Ein Anregung

Die schon sieben Jahre durch einen Bergsturz ausgelöste Sperrung der Marienschlucht und ihrem Umfeld zwang uns von Bodman (dem Ort am Überlinger Seitenarm des Bodensees) zu einem schweisstreibenden Aufstieg auf den Bodan (Achtung Verwechslungsgefahr: Die besagte Halbinsel schreibt man ohne "m"). Doch nebst kurzen Momenten mit atemberaubender Aussicht auf den See und das Städtchen Ludwigshafen gab es kurz nach Langenrain auch noch eine seltsam anmutende Strassenbeschilderung am Weg zu einem sogenannten Friedwald, einem Ort, an dem man sich bei einem Baum bestatten lassen kann. Der Friedhof Waldruh St. Katharinen erlebte im Moment, in dem wir auf seinen Zubringerweg einbogen, aber keineswegs Waldesruhe. Ein Motorradfahrer brauste auf seiner Maschine mit sicher mehr als 30 Sachen über das unbefestigte  Waldsträsschen. Es ist aber auch irritierend, wenn unter dem Strassenschild "Höchstgeschwindigkeit 30 km/h" steht: "Frei für Besucher der Waldruh St. Katharinen".

Heisst das nun, dass die Besucher des Waldfriedhofs sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten müssen? Oder heisst das, dass sie, solange sie sich selbstständig bewegen, ohne Kosten den Ort besuchen dürfen?

Bei den Verstorbenen ist das nämlich anders. Sie bezahlen einen anständigen Obolus als Eintritt in die andauernde Waldruhe. Ein Bestattungsunternehmen mit dem "originellen" Namen "RuheDirekt" bietet dort die Bestattung zum Festpreis "ab Euro 2275.-" an. Aber was ist daran Festpreis, wenn steht "ab ..."?

Wie man sieht, lässt es sich gut philosophieren über all dem Missverständlichen, mit der ein Bestattungsort umstellt werden kann. Dabei finde ich solche Waldfriedhöfe und Baumbestattungen eine gut Sache, und könnte mir schon auch vorstellen, an einem solchen Ort meine letzte Ruhe zu finden.

Übrigens: Ein Bestattungsplatz unter einen Baum in der Waldruh St. Katharinen kann für bis zu zwölf Personen reserviert werden. Dann wird es natürlich im Dutzend deutlich billiger!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 26. Juli 2022

Das Schiff am Himmel

Ein Zitat

Die Decke über dem Kirchenschiff des Reichenauer Münsters St. Maria und Markus
Foto © Jörg Niederer
"Es sind nicht die überragenden Segel, sondern der unsichtbare Wind, der das Schiff bewegt." Englisches Sprichwort

Ein Bibelvers - 1. Könige 9,27+28

"Auf den Schiffen arbeiteten Salomos Männer mit erfahrenen Seeleuten zusammen, die Hiram Salomo geschickt hatte. So kamen sie nach Ofir, holten dort über 14 Tonnen Gold und brachten sie zu König Salomo."

Ein Anregung

Gestern verbrachten wir den Abend in Sichtweite der Insel Reichenau. Da passt das Foto vom Kirchenschiff des dortigen Münsters St. Maria und Markus. Die Decke ist so gebaut, dass sie einem Schiffsrumpf gleicht. Man denke sich die Mauern der Kirche weg, und es sähe aus, als würde das Schiff über den Himmel gleiten. Im weiten Blau suchte es den Weg auf den Sonnenstrahlen.

Es ist schon so, man soll ins Träumen kommen, wenn man an die Decke einer Kirche anschaut. Träumen von einer Fahrt in Gottes Gegenwart hinein.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 25. Juli 2022

Der letzte Jude von Wangen

Ein Zitat

Der jüdische Friedhof von Wangen auf der deutschen Seite des Untersees.
Foto © Jörg Niederer
"Meine Eltern waren eigentlich beiden nicht fromm. Wir haben natürlich als Kinder gebetet, aber das haben uns die Dienstmädchen beigebracht." Hannelore König, Tochter von Nathan Wolf und Auguste Neuhaus

Ein Bibelvers - 1. Mose 23,19

"Anschließend bestattete Abraham seine Frau Sara in der Höhle auf dem Grundstück in Machpela. Das liegt östlich von Mamre bei Hebron im Land Kanaan."

Ein Anregung

Im Ort Wangen auf der deutschen Seite des Untersees lebten seit dem 17. Jahrhundert Juden. Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich die jüdische Gemeinschaft aus einem Drittel der Bevölkerung zusammen. Es gab eine jüdische Schule und auch eine Synagoge. 

1971 starb Selma Wolf, die letzte weibliche Jüdin des Dorfes, ein halbes Jahr nach ihrem berühmteren Bruder Nathan Wolf, dem letzten männlichen Juden.

Gestern standen wir auf unserer Wanderung vor den Mauern des jüdischen Friedhofs von Wangen. Er befindet sich in einem wuchernden Wald, und ist über eine verfallende Forststrasse erschlossen. Mit grossem Respekt haben wir einen Blick auf die Grabstätte geworfen.

Über die Familie Wolf aus Wangen gibt es umfangreiches Material im Internet. Dazu einige Beobachtungen. 

Nebst Selmas und Nathans Grab findet sich auch das von einem weiteren Bruder, von Wilhelm Wolf auf dem besagten Friedhof. Er nahm sich 1920 im Alter von 33 Jahren das Leben. Auf seinem Grabstein steht: "ein herzensguter Sohn und Bruder / ein tapferer Krieger / ruht hier in der geliebten Heimat-Erde". Speziell auf diesem Grabstein ist ein Kreuz, das aber wohl nicht christlich zu verstehen ist. Es hat die Form eines typischen deutschen Verdienstkreuzes.

Die Familie Wolf war sehr patriotisch eingestellt. Nathan kämpfte mit Überzeugung im 1. Weltkrieg. Er war Arzt und mit Auguste Neuhaus, einer Katholikin, verheiratet. Sie hatten zwei Kinder, die während des Nationalsozialismus als Halbjuden und Kinder einer Arierin nichts zu befürchten hatten. Nathan dagegen schon, wurde er doch nach dem Brand der Synagoge in der Reichskristallnacht vorübergehend in Dachau inhaftiert. Während der Kriegsjahre lebte er im Schweizer Exil in Stein am Rhein. Weil er einer Berliner Jüdin bei der Flucht half, wurde er von den Schweizer Behörden zu einer Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt – wegen "Emigrantenschlepperei". Nur knapp entging er der Ausweisung aus der Schweiz.

Nach 1945 kehrte er nach Wangen zurück, wo er durch die französische Besatzung vorübergehend als Bürgermeister eingesetzt wurde. Für den Ort blieb er aber vor allem als Arzt von Bedeutung. Abenteuerlustig war er auch in späteren Jahren. Im Februar 1956 fuhr er mit seinem Auto über den zugefrorenen Untersee nach Steckborn. Kurz vor erreichen des Ziel brach das Auto im Eis ein und versank. Es gibt davon Fotos auf der Webseite über die Familie. 1962 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1970 verstarb er 88-jährig. Auf seinem Grabstein kann man lesen: "Hier ruht der letzte Jude des Dorfes. Bald wird Gebüsch den Stein bedecken. Doch wird sein Grab nicht vergessen werden. Denn mehr als er liegt hier begraben."

Erst 2004, 34 Jahre nach seinem Tod und mehr als 60 Jahre nach dem Strafurteil, hob die Schweiz das besagtes Urteil wegen Fluchthilfe wieder auf.

Vieles mehr kann man von dieser bedeutenden jüdischen Familie auf der Höri, der Halbinsel zwischen Radolfzell und Stein am Rhein erfahren, wenn man sich in die Bilder, Tondokumente und Texte auf der Webseite vertieft, die Anne Overlack verdienstvoller Weise zusammengetragen hat.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 24. Juli 2022

Von Nacktgeherinnen und Motorradschiebern

Ein Zitat

Skurrile Verbotstafeln am Altarm des Rheins in Diepoldsau
Foto © Jörg Niederer
"Zu den besonders erbitterten FKK-Gegnern gehören die Hersteller von Bademoden." Erwin Koch, geb. 1932, deutscher Aphoristiker

Ein Bibelvers - Jesaja 20,3-4

"Da sagte der Herr: 'Seit drei Jahren läuft mein Knecht Jesaja halb nackt und barfuß umher. So ist er ein lebendiges Zeichen und eine Warnung für Ägypten und Kusch: Dort wird der König von Assyrien Gefangene nehmen und sie verschleppen. Es wird Junge und Alte treffen. Halb nackt und barfuß werden sie weggeführt, sogar mit nacktem Gesäß. Es ist eine Schande für Ägypten."

Ein Anregung

Ich weiss nicht, ob das Schild noch da steht. Vor zehn Jahren fand ich es an der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz. Eine Botschaft an alle Österreicherinnen und Österreicher: Wenn ihr in die Schweiz kommt, zieht gefälligst Kleider an! Als würde man drüben im vorarlbergischen Dornbirn mehrheitlich nackt den Geschäften nachgehen. Zumindest ersichtlich wird so, dass es Nacktwandernde schon vor 1988, also seit mehr als 35 Jahren gibt.

Die ganze Situation am Altarm des Rheins, der bei Diepoldsau die Landesgrenze bildet, wird noch skurriler, wenn man sich auch noch das auf dem Foto etwas nach hinten versetzte Motorfahrverbot anschaut und dort liest, dass Motorräder auch nicht gestossen oder geschoben werden dürfen. Ich stelle mir vor, wie da Nackte ihre Motorräder herumstossen und die Dorfbevölkerung sich echauffiert: Motorräder die man schiebt, das geht gar nicht. Wozu haben sie Motoren. Motorräder schieben, das ist etwas so, wie wenn man dem Fahrzeug den Respekt, die Kleidung nimmt. Das ist "Nacktgehen" für Motorräder. 

In Diepoldsau hätte der biblische Prophet Jesaja wohl einige Jahre lang ziemlich grosse Probleme gehabt. Nicht wegen des Herumstossens von Motorrädern - diese Problematik gab es vor 3000 Jahren noch nicht - sondern weil er damals drei Jahre lang demonstrativ unten entblösst in Israel herumlief, um damit vor der drohenden Kriegsgefahr zu warnen. Gott selbst meinte dazu, dass dieser Nacktperformer, dieser Jesaja, gerade weil er so unsittlich herumlaufe, sein treuer Mitarbeiter sei.

Ich bin ja nicht unglücklich, dass ich gerade keinen entsprechenden Auftrag von Gott habe. Weder in Diepoldsau noch sonst wo auf der Welt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 23. Juli 2022

Die Schnecke auf dem Naumburger Marienaltar von Lucas Cranach dem Älteren

Ein Zitat

Briefmarke der Schweizerischen Post: Schnecke aus der Serie 'Tierbehausungen' von 2022.
Foto © Jörg Niederer
"Das sind doch keine Heiligen, die sehen ja aus wie wir." Laut Domprediger Michael Bartsch eine Reaktion auf den neuen Teil am Naumburger Marienaltar von Michael Triegel

Ein Bibelvers - Johannes 19,5

"Jesus kam heraus. Er trug die Krone aus Dornenzweigen und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu den Leuten: 'Seht her! Da ist der Mensch!'"

Ein Anregung

Gerade habe ich 100 Schnecken gekauft. Nicht zum Essen, sondern als Alltagskunst. Abgebildet sind die Schnecke auf den Briefmarken der Schweizerischen Post, welche zur Serie "Tierbehausungen" gehört.

Aber nicht nur auf dieser Marke ist mir heute eine Schnecke aufgefallen. Von einer Bekannten habe ich einen Link erhalten zu einer Meditation über den von Michael Triegel ergänzten zentralen Teil des weltberühmten Naumburger Marienaltars. Das Original ist von Lucas Cranach dem Älteren, aber dessen Mittelteil wurde während der Reformation zerstört. 

Der neue Altar fasziniert und polarisiert. Michael Triegel hat darauf in der Szene um Maria und dem Jesuskind Menschen dargestellt, die es wirklich gibt oder gab. Unter anderen findet sich Dietrich Bonhoeffer unter den Dargestellten, Paulus ist als Jude gemalt und für Petrus stand ein Obdachloser Modell. Auffällig sind auch die sieben Frauen und drei weiblich dargestellte Engel. Was es auch zu entdecken gibt auf dem neuen Mittelteil: Unten kriecht eine kleine Schnecke hinauf zu Maria und dem Kind. Sie kommt sehr langsam voran, hat viel Zeit. Ihr spiralförmiges Gehäuse erinnert an die Ewigkeit. Ewig hat sie Zeit. Sie ist ja schon in der Ewigkeit zuhause, angekommen, wohin so viel Menschen ein ganzes Leben lang streben.

Auch die Rückseite des Naumburger Marienaltars wurde von Michael Triegel ergänzt. Dort wird der auferstandene Christus von Schmetterlingen umflattert. (Hier kann in einer Bildstrecke auch die Rückseite des Altars betrachtet werden!) 

Auf dem Altar gibt es noch mehr zu entdecken. Darum sollte man unbedingt die Meditation von Ansgar Wucherpfennig dazu lesen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 22. Juli 2022

Afrikaner an der Thur

Ein Zitat

Familie Nilgans geniesst das Thurwasser bei Frauenfeld. Auch auf dem Bild: Zwei Waldwasserläufer.
Foto © Jörg Niederer
"Der Nil ist Ägypten." Sprichwort

Ein Bibelvers - 1. Mose 1,2

"Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag über dem Urmeer. Über dem Wasser schwebte Gottes Geist."

Ein Anregung

Ich bin an der Thur, suche mit dem Feldstecher die Kiesbank ab. Noch bevor ich die Flussregenpfeifer entdecke, fällt mir eine ganz besondere Gans auf. Und es kommt noch besser. Etwas eine halbe Stunde später vergnügt sich eine fünfköpfige Vogelfamilie in der Thur. Genauer: Vogelfamilie Nilgans.

Die Vögel kommen also aus Afrika. Hier in Europa wurden sie als Ziervögel gehalten. Dann büxten sie aus und verbreiten sich ab ca. 1970 von den Niederlanden und Belgien aus entlang des Rheins und seiner Nebenflüsse. In der Schweiz brüten sie regelmässig, wie man anhand der Jungtiere leicht sehen kann.

Wer das Foto ganz genau betrachtet, entdeckt noch zwei Waldwasserläufer. Ab Mai sind diese Wattvögel bei uns auf der Durchreise in den Süden, wobei die einen früher unterwegs sind, die andern später.

Die Nilgänse gab es schon zur Zeit, als Mose in Ägypten lebte? In Theben galten sie als heilige Vögel des Schöpfergottes Amun. Auch sollen sie das Weltenei gelegt haben, aus dem der Sonnengott Re einst "schlüpfte".

Die Nilgans wird daher auch mit dem Geist Gottes gleichgesetzt, der im ersten Schöpfungsbericht der Bibel über der Urflut schwebte. In der Tat war die Gans für mich eine Erscheinung wie aus einer archaischen Welt, einer Welt, der Mose noch näher gestanden war als ich heute.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 21. Juli 2022

Die heissen Zeiten des Lebens

Ein Zitat

Fischchen suchen Erfrischung im fliessenden Wasser eines Murg-Nebenarms.
Foto © Jörg Niederer
"Es ist seltsam, aber du denkst nie richtig über das Atmen nach. Bis es das Einzige ist, über das du noch nachdenkst." Tim Winton, Schriftsteller

Ein Bibelvers - Epheser Jesaja 4,6

"Gottes Herrlichkeit liegt auf dem Ort wie ein schützendes Laubdach. Das spendet Schatten in der Mittagshitze und bietet Zuflucht und Schutz bei Unwetter und Regen."

Ein Anregung

Die Fischchen schweben im seichten Wasser eines Seitenarms der Murg. Da, wo die Strömung etwas stärker und das Wasser sauerstoffhaltiger ist, suchen sie Abkühlung. In diesen heissen Tagen möchten wir es ihnen gleichtun. Abkühlung tut gut.

Doch für die Fischchen geht es um Leben oder Tod. Kaum getarnt sind sie leichte Beute für Storch und Reiher. Zugleich wird das Wasser weniger und weniger und wärmer und wärmer. Entweder sie ziehen weiter in die Murg, die noch genug Wasser führt, oder es muss Regnen. Ob die Fischchen die Zeichen der Zeit erkannt haben? Ob wir Menschen die Zeichen der Zeit erkennen?

Mir kommt eine Bibelstelle aus der Offenbarung in den Sinn. Da wird über Menschen, die durch ganz schwere Zeiten gegangen sind, gesagt: "Sie werden nie wieder unter Hunger oder Durst leiden. Weder die Sonne noch glühende Hitze werden sie quälen. Denn das Lamm [Christus] mitten auf dem Thron wird ihr Hirte sein. Es wird sie zu Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt. Und Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen." (Offenbarung 7,16+17)

Erlösung, das ist, wie wenn man kurz vor dem Sonnenstich aus der Bruthitze in die Kühle eines Waldes eintaucht, seine Füsse ins Wasser eines Bächleins streckt, und spürt, wie die Lebensgeister zurückkehren. Erlösung, das ist Leben im Schatten der Liebe Gottes.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 20. Juli 2022

Von Schiffen, Unterwäsche und dem besten Ausweg

Ein Zitat

Hinweistafel zu einer Schiffsrampe auf der Insel Reichenau.
Foto © Jörg Niederer
"Wie ein Schiff auf dem Trockenen sitzen..." Redewendung aus der Seefahrt

Ein Bibelvers - Epheser 4,22-24

"Deshalb sollt ihr den alten Menschen ablegen, denn er entspricht der früheren Lebensweise. Er wird sich zugrunde richten durch seine trügerischen Begierden. Lasst euch dadurch erneuern, dass Gottes Geist in eurem Verstand wirkt. Und zieht den neuen Menschen an wie ein neues Gewand."

Ein Anregung

Gelegentlich kommt es vor, dass ich einem neuen Wort begegne, das ich zuvor ausschliesslich aus anderen Zusammenhängen gekannt habe. So tauchte vor meinem inneren Auge Kurioses auf, als ich auf der Insel Reichenau dem Hinweisschild zu einer Slipanlage begegnete. Von einer Produktionsstätte für Unterwäsche war weit und breit nichts zu sehen. Auch nichts von einer Anlage zur vorübergehenden Unterbringung der Slips (der Wäsche) während des "Schwumms" im Untersee.

Die leichte Verwirrung kommt daher, dass das englische Wort "Slip" für "Gleiten" im Deutschen zur Bezeichnung für sehr Unterschiedliches verwendet wird. Bei der Slipanlage (engl. "slipway" = Gleitweg) handelt es sich um ein Bootsrampe, an der man eben Boote ins Wasser gleiten lassen beziehungsweise wieder herausziehen kann.

Der Slip dagegen ist die "schnelle" Unterhose. Früher gab es ja noch keine Gummizüge, und so musste die Unterwäsche mit Bändern, Schleifen und Knöpfen am Körper fixiert werden. Dieser Sicherungsschritt fiel weg, als die elastische Wäsche erfunden wurde. Nun konnte man einfach hinein-"slipen". Der Slip war geboren, und in der Folge auch der "Schlüpfer". Allerdings bezeichnet man heute im Deutschen mit "Slip" und "Schlüpfer" verschiedene Unterwäschemodelle.

Zurück zum Slipway. Früher konnte man das Wort "Schlupfweg" verwenden und meinte damit einen Ausweg aus einer misslichen Situation bei gleichzeitiger Überwindung aller Hindernisse.

Nun wird im Epheserbrief ja im Bild des Kleiderwechsels von der grundsätzlichen Änderung zum christlichen Lebensstil gesprochen. Der alte Mensch, die überholte Lebensweise, soll wie veraltete Wäsche ausgezogen, und der neue Mensch wie ein modernes funktionales Wäschestück angezogen werden. Ich stelle mir vor, dass man diesen neuen Menschen ganz leicht überziehen kann, wie ein Slip, in den man einfach hineinschlüpft und er hält und bleibt wo er soll. Da muss man nichts mehr festzurren, da ist alles angenehm zu tragen, eine Befreiung von Last und Konvention. Es ist ein lohnender Schlupfweg, ein Fluchtweg aus allerlei Lebensbelastungen. Oder noch in einem anderen Bild gesprochen: Es ist, als würde das auf dem trockenen liegende Boot über die Slipanlage zu Wasser gelassen, dahin, wo es der Bestimmung gemäss, in seinem Element, Fahrt aufnehmen kann. Genau so ist es, wenn ein Mensch sich bewusst Gott zuwenden!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 19. Juli 2022

Diebische Kaufleute und wirtschaftlich weitsichtige Äbte

Ein Zitat

Die Nachbildung des Reliquienschreins von Markus im Münster St. Maria und Markus auf der Insel Reichenau
Foto © Jörg Niederer
"Die Insel (Reichen-)au, auf der keine Schlange dem Menschen schaden kann." Zitat auf der Ebstorfer Weltkarte (13. Jahrhundert)

Ein Bibelvers - Markus 1,1

"Die Gute Nachricht von Jesus Christus, dem Sohn Gottes: Anfang und Grundlage."

Ein Anregung

Es war nicht einfach, den Markusschrein in Münster St. Maria und Markus auf der Insel Reichenau einigermassen gut zu fotografieren. Und dann ist es erst noch nur eine Nachbildung. Das Original aus dem Jahr 1313 befindet sich in der dortigen Schatzkammer und war gerade nicht zugänglich.

Im Reliquienschrein sollen die Gebeine des Evangelisten Markus aufbewahrt werden. Diese wurden einst im Jahr 828 in Alexandria von diebischen Kaufleuten verkauft und kamen so nach Venedig. Zwei Jahre später dann gelangten Teile der Markusreliquie durch Bischof Ratold auf die Insel Reichenau. Ein Venezianer hatte ihm die Gebeine verkauft, dabei aber verlangt, dass der Bischof die wahre Herkunft zu seinen Lebzeiten nie verraten dürfe. Zugleich sei die Echtheit der Reliquien von den venezianischen Kaufleuten durch den sogenannten "Kesselfang" belegt worden. Der Kaufmann hielt dabei seine Hand in einen Kessel mit siedendem Wasser, ohne sich zu verbrennen.

Auf die Insel kamen die Gebeine als Reliquien des Hl. Valens. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte wurde dann bekannt, dass die Gebeine viel wertvoller waren, da sie vom Evangelisten Markus stammen sollen. Unter den Äbten Witigowo und Berno (1008-1048) begann auf Reichenau die Verehrung des Evangelisten Markus. 

Wirtschaftlich war der Erwerb der Reliquie von Markus ein geschickter Schachzug. Dies sicherte dem Kloster und der Kirche hohe Einnahmen und Schenkungen adliger Familien, so auch etwa 40 Mark Silber von Königin Elisabeth, der Gemahlin König Albrechts I.; mit diesem Geld wurde in der Folge der Reliquienschrein erstellt. Dieser Reliquienschrein wird jeweils am 24./25. April in einer Prozession über die Insel getragen.

Wie bei vielen Reliquien gibt es grosse Zweifel an der Echtheit. Als die Markusgebeine von Bischof Ratold erstanden wurde, gab es ja keine verlässlichen Nachweise zur Echtheit und Datierung von Knochen. Hinzu kommt die Verschleierung der waren Herkunft. Ein grosses wirtschaftliches Interesse an den Gebeinen verdrängte wohl die Zweifel des Bischofs. Es wurde damals (und wohl auch heute) auch in der Kirche immer wieder einmal getrickst.

Nun, man kann Dümmeres anstellen mit einigen menschlichen Gebeinen, als den Grundstein zu legen für das UNESCO-Welterbe Insel Reichenau. Was die Alchemisten nicht vermochten, nämlich aus unedlem Material Gold zu machen, das ist den Äbten von Reichenau weitaus besser gelungen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 18. Juli 2022

Eine letzte Feier für Bischof Ivo Fürer

Ein Zitat

Der verstorbene Bischof Ivo Fürer wird in die St. Otmarskrypta zur letzten Ruhe getragen.
Foto © Jörg Niederer
"Wer Licht in die Welt bringen will, wird entweder Elektriker oder Priester." Bischof Ivo Fürer (1930-2022)

Ein Bibelvers - Matthäus 5,4

"Glückselig sind die, die trauern. Denn sie werden getröstet werden."

Ein Anregung

Die Feierlichkeiten waren im vollen Gang. Im Altarbereich blickte ein Bischof suchend zum St. Gallen Himmel hoch. Das Trillern der Alpensegler übertönte selbst Orgel und Gesang, als würden die flinken Vögel durch (und nicht über) den weitläufigen barocken Kirchenraum fliegen.

Einige hundert Menschen nahmen heute Abschied vom verstorbenen Bischof Ivo Fürer. Dankbarkeit, Respekt und Auferstehungshoffnung ist spürbar. Anekdoten werden zum Besten gegeben. Auch eine Methodistin spielt dabei eine Rolle, vielleicht sogar die Hauptrolle. Immerhin waren ihretwegen 50 Sicherheitsleute abgestellt. Der Bischof Ivo Fürer dagegen brauchte keinen Schutz. Er hatte Gott auf seiner Seite. 1998 begegneten sich der Bischofs von St. Gallen und die damaligen First Lady Hillary Clinton. Ob auch ein methodistischer Pfarrer mit von der Party war, weiss ich nicht. Aber laut katholischem Pressedienst soll Ivo Fürer in der einflussreichen und damals noch sehr beliebten Frau ein Werkzeug Gottes gesehen haben.

Zurück in der Bestattungsfeier, nach der Eucharistie, wurde der Verstorbene in der St. Otmarskrypta beigesetzt. Es war ein bisschen so wie bei einer Trauung. Alle schauten erwartungsvoll nach hinten. Aber nicht, um einen ersten Blick auf die Braut zu werfen, sondern um zu sehen, wie der Sarg im Raum unter der Kirche verschwand. Kein Anfang. Ein Ende. Und doch auch ein Anfang des Glaubens.

Dann ist die zweistündige Feier zu Ende. Wieder rufen die Alpensegler auf ihrer wilden Jagd, als wäre nichts geschehen, dort in der Kirche des Gallus. Ein weiterer Bischof von St. Gallen ruht in Frieden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 17. Juli 2022

Fleisch oder kein Fleisch?

Ein Zitat

Ein Becker in Oberglatt, der Fleischli heisst.
Foto © Jörg Niederer
"Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt's nicht." Konrad Adenauer

Ein Bibelvers - Römer 14,17

"Beim Reich Gottes geht es schließlich nicht um Essen und Trinken. Es geht um Gerechtigkeit, Frieden und Freude, die der Heilige Geist schenkt."

Ein Anregung

Eines der grossen, kontrovers verhandelten Themen von heute ist, ob man Fleisch essen soll oder nicht. Doch o Wunder, die selbe Frage stellten sich auch schon die ersten Christinnen und Christen: Fleisch essen, oder nicht? 

Damals ging es jedoch nicht um den ökologischen Fussabdruck, nicht um das Tierwohl, sondern um eine Glaubenssache. Wobei, das ist die aktuelle Fleischfrage ja auch; eine Glaubensfrage.

In der Predigt von heute in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen werden wir Paulus und den Römern bei ihrer Fleisch-Diskussion über die Schulter schauen.

Vor Ort an der Kapellenstrasse 6 beginnt der Gottesdienst mit Abendmahl um 10.15 Uhr. Wer per Youtube dabei sein möchte, kann sich ab 10.30 Uhr für die Predigt zuschalten. Ich freue mich über alle Interessierten, so oder anders, mit oder ohne Fleischpräferenz.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 16. Juli 2022

Abschied von Bischof Ivo Fürer

Ein Zitat

Auf dem Weg zum verstorbenen Bischof Ivo Fürer in den Chor der Kathedrale St.Gallen
Foto © Jörg Niederer
"Wenn ein Migrant von Pontius zu Pilatus geschickt wird, um überhaupt überleben zu können; wenn er spürt, dass er eigentlich gar nicht existieren dürfte, so wird seine Würde missachtet." Bischof Ivo Fürer im Tagesanzeiger vom 16. Februar 2005

Ein Bibelvers - Philipper 4,5

"Alle Menschen sollen merken, wie gütig ihr seid. Der Herr ist nahe!"

Ein Anregung

"Schliesslich waren sie keine Freundinnen gewesen, sie hatten sich nicht nahegestanden, deshalb kam ihr die Trauer, die sie in sich spürte, wenn sie an Maggie dachte, irgendwie unecht vor, irgendwie unehrlich."

Was Malachy Tallack seine Romanfigur Alice denken lässt, kommt meinen Gefühlen nahe, die ich angesichts des am 12. Juli verstorbenen Bischofs im Ruhestand Ivo Fürer empfinde. Die Tage liegen lange zurück, an denen ich dem Bischof von St. Gallen und Apostolischen Administrator beider Appenzell begegnet bin. Ich weiss nicht einmal mehr sicher, in welchem Zusammenhang das war. Es hatte wohl etwas mit Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung zu tun, vielleicht bei den Vorbereitungen zur 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz, vielleicht auch in ganz anderem Zusammenhang. Jedenfalls war er mir sehr sympathisch, menschenzugewandt und aufgeschlossen. Ich habe mich wohl in seiner Gegenwart gefühlt.

So bin ich gestern in der Kathedrale St. Gallen vorbeigegangen, wo der Verstorbene aufgebahrt im Chorraum lag. Ich hätte ihn wohl nicht mehr sicher erkannt. Menschen verändern sich im Leben, und im Sterben noch mehr. Was mir besonders aufgefallen ist: Seine feingliedrigen, einander berührenden Hände.

Bald schon wird Bischof Ivo Fürer in der St. Otmarskrypta seine letzte Ruhe finden. Der Auferstehungsgottesdienst dazu findet am Montag, 18. Juli 2022 um 10.00 Uhr in der Kathedrale St.Gallen statt. Die Feier kann auch per Live-Stream mit erlebt werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 15. Juli 2022

Reisende Palmen

Ein Zitat

Palmentransport bei Bregenz
Foto © Jörg Niederer
Als die Gletscher gingen, kamen die Palmen.

Ein Bibelvers - Psalm 92,13

"Doch der Gerechte wird wachsen wie eine Palme. Er wird groß werden wie eine Zeder im Libanon."

Ein Anregung

Während in diesen Tagen unüberschaubare Menschenströme in Blechlawinen in den Süden rollen, um dort Fremdkörpern gleich die Meere, Seen und Berge zu belagern, zieht es die Palmen in die andere Richtung, in den Norden. Tatsächlich wachsen sie in immer mehr Gärten auf der Alpennordseite, und sind zwischenzeitlich auch in den Wäldern Basels angekommen. Da gehören sie ja nun wirklich nicht hin. In Basel, da leben Bebbis, aber doch nicht Palmen!

Was sich da so hartnäckig in den Norden aufgemacht hat, nennt die Wissenschaft Trachycarpus fortunei, auch bekannt als Fortune-Palme, Chinesische Hanfpalme, Glückspalme oder Tessinerpalme. Nur Letzteres ist dieser Baum bestimmt nicht. Denn auch im Tessin ist dieser Schopfbaum ein Eindringling, ein Neophyt, eine invasive Art, welche einheimische Pflanzen verdrängt. Sie Tessinerpalme zu nennen ist so unsinnig, wie sie Baslerpalme zu nennen.

Ein Glücksfall ist diese Glückspalme also in der ganzen Schweiz nicht. Frage: Gefallen dir Palmen im Garten? Oder freust du dich mehr über standorttypische Pflanzen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 14. Juli 2022

Grosse Ehre für eine schwarze Bürgerrechtsaktivistin

Ein Zitat

Das Capitol in Washington DC bei Nacht.
Foto © Jörg Niederer
"Ich hinterlasse euch Liebe. Ich hinterlasse euch Hoffnung..., die Herausforderung, Vertrauen zueinander zu entwickeln..., den Durst nach Bildung..., den Respekt vor dem Gebrauch von Macht..., den Glauben..., die herkunftsunabhängige Menschenwürde (Würde aller Rassen)..., den Wunsch, harmonisch mit euren Mitmenschen zu leben..., und schließlich hinterlasse ich euch eine Verantwortung gegenüber unseren jungen Menschen." Aus dem Letzten Willen von Mary McLeod Bethune (1875-1955)

Ein Bibelvers - 1. Johannes 3,18

"Ihr Kinder, lasst uns einander lieben: nicht mit leeren Worten und schönen Reden, sondern mit tatkräftiger und wahrer Liebe."

Ein Anregung

Das Capitol in Washington D.C.: Seit gestern Mittwoch steht eine Marmorstatue von Mary McLeod Bethune in der Statuary Hall, einem Raum, in dem bekannte Amerikanerinnen und Amerikaner geehrt werden. Mary McLeod Bethune war eine herausragende Persönlichkeit und praktizierende Methodistin. Die Bürgerrechtsaktivistin und bedeutende Erzieherin ist die erste Schwarze unter den aus Florida stammenden geehrten Persönlichkeiten im Capitol.

Im Jahr 1904 eröffnete Bethune mit nur 1,50 Dollar und fünf Schülerinnen eine Schule für schwarze Mädchen, aus der die Bethune-Cookman University in Daytona Beach, Florida, hervorging. Außerdem war sie eine führende Vertreterin des National Council of Negro Women. Die Tochter ehemals versklavter Eltern lebte und arbeitete im ersten Hauptquartier der Organisation in Washington D.C., war Beraterin von vier US-Präsidenten und freundete sich mit First Lady Eleanor Roosevelt an, mit der sie als Beraterin und soziale Aktivistin zusammenarbeitete.

Die auch "First Lady des schwarzen Amerikas" genannte Bethune war, wie die methodistische Bischöfin LaTrelle Easterling ausführte, "eine der brillantesten und einflussreichsten Führungspersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sie erkannte die Herausforderungen und reagierte stets mit strategischer Einsicht und dauerhaften Lösungen". Und die Bischöfin fügte hinzu: "In den 60 Jahren ihres öffentlichen Dienstes haben ihre Beiträge zu Bildung, Frauen- und Bürgerrechten und Gleichberechtigung unsere Nation und die Welt verändert. Ihre intellektuellen Fähigkeiten wurden zur Blaupause für die gesamte Bürgerrechtsbewegung und trugen zur Charta der Vereinten Nationen bei. Das Leben von Dr. Bethune ist ein Beispiel dafür, was ein engagierter Mensch erreichen kann."

Massgeblich den Lebensstil von Mary McLeod Bethune geprägt hat der christliche Glaube. Ihr Motto lautete: "Lebe nahe bei Gott, leben den Glauben und liebe alle Menschen."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 13. Juli 2022

Schweiz-österreichische Fluchtgeschichten

Ein Zitat

Auch beim alte österreichische Zollamt bei der Schmitterbrücke Diepoldsau gibt es Fluchtgeschichten.
Foto © Jörg Niederer
"Wir haben es geschafft! Hoffe euch alle gesund! Und alles in Ordnung. Nun mein Bericht!" Willy Geber nach seiner Flucht in die Schweiz in einem Brief nach Wien im August 1938

Ein Bibelvers - Jesaja 60,18

"Dann hört man nichts mehr von Gewalt in deinem Land. In deinem Gebiet gibt es weder Verwüstung noch Zerstörung. Deine Mauern nennst du 'Rettung', deine Tore tragen den Namen 'Ruhm'."

Ein Anregung

Seit dem 3. Juli finden sich entlang der Radroute Nr. 1, von Bregenz bis Partenen, und an ausgewählten Orten in der Schweiz und in Liechtenstein 52 symbolische Grenzsteine. Dort befindliche Hörstationen erzählen von Flüchtlingsschicksalen, und laden per QR-Code dazu ein, sich auf die Geschichte des jeweiligen Ortes einzulassen, innezuhalten und die Umgebung aufmerksam wahrzunehmen. Es geht um die Zeit von 1938-1945.

Zehn der Stationen befinden sich in der Schweiz und Liechtenstein. Da erfährt man vom Protest einer Rorschacher Schulklasse gegen die Flüchtlingspolitik jener Zeit. Es wird von gelungener Flucht erzählt, von Paul Grüninger natürlich und dem Konsul und Methodisten Carl Lutz aus Walzenhausen, aber auch von aufgegriffenen Flüchtenden, deren Leben unter dem nationalsozialistischen Schafott endete.

Hinter diesem Hörweg steht das Jüdische Museum Hohenems

Ich finde das eine sehr gute Sache. Und sehr gut ist auch, dass die Hörstationen auch von zu Hause aus angehört und die Dokumente dazu auf der Webseite eingesehen werden können.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 12. Juli 2022

Den Kindern folgen

Ein Zitat

Mädchen beim Plantschen im Hallwilersee
Foto © Jörg Niederer
"Ohne gute Stimmung geht auf einer Tour mit Kindern nämlich ganz verlässlich gar nichts." Benjamin Koffu, Immer dem Nachwuchs nach

Ein Bibelvers - 3. Johannes 1,4

"Nichts freut mich mehr, als zu hören, dass meine Kinder ihr Leben in der Wahrheit führen."

Ein Anregung

Die Ferienwochen sind angebrochen. Da kann man sich Zeit lassen. Da muss man nicht jedes Ziel wirklich auch erreichen. Da ist der Weg wichtiger, und was es darauf zu entdecken gibt.

In einem Blogbeitrag empfiehlt Benjamin Koffu, sich auf einen Ausflug zu begeben, bei dem die Kinder Weg und Tempo vorgeben. Bei Kleinkinder kann das ganz schön ungewohnt beginnen: "Anna ist noch nicht so weit, also müssen wir warten. Aber eben darum geht es bei unserer heutigen Tour: Anna gibt das Tempo vor, sie entscheidet, wo es langgeht und wann. Und jetzt schläft sie eben erst mal." So beginnt die "Bergtour" mit einer Pause, was ja auch nicht schlecht sein muss.

Wohin führen dich deine Kinder oder Grosskinder? Wie ist es, sich als Erwachsene, als Erwachsener der Führung eines Kindes anzuvertrauen? Was entdeckst du dabei neu? Es wird bestimmt total anders als sonst. Denn da gibt es ja so viel zu sehen und auszuprobieren.

Mangels Kinder kann man sich ja auch einem Hund oder dem Zufall anvertrauen. Bei jeder Kreuzung wird gewürfelt. Gerade Zahl links, ungerade Zahl rechts. Wo komme ich wohl hin?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 11. Juli 2022

Zwischen den Bäumen auf dem Weg

Ein Zitat

Auf der Allee zwischen dem Festland und der Insel Reichenau
Foto © Jörg Niederer
"Achten Sie besonders in der Morgen- und Abenddämmerung auf Tiere! Die Gefahr von Wildunfällen ist in Alleen besonders groß." Wichtiger Tipp für umweltgerechtes Reisen auf Alleen.

Ein Bibelvers - Sprüche 4,26

"Gib acht, dass dein Fuß in der Spur geht! Bewege dich nur auf sicheren Wegen!"

Ein Anregung

Auf die Insel Reichenau kommt man über eine Allee. Sie ist der letzte Teil einer von Nord nach Süd durch ganz Deutschland verlaufenden Alleenstrasse. Wobei, durchgängig mit Bäumen bepflanzt ist diese Route noch nicht.

Das Wort Allee soll vom französischen Wort für Gehen "aller" herkommen. Wir gingen am Samstag über diese Alleenstrasse von Reichenau nach Konstanz.

Entstanden sind Alleen einst, weil sie mehr Sicherheit und Schatten versprachen, den Weg befestigten und schützten, eine klare Richtung vorgaben. Heute sind Alleen häufig das genaue Gegenteil. In schnellen Motorfahrzeugen, die gegen die Alleebäume prallen, sterben immer wieder Menschen. Deshalb müssen in der Schweiz Bäume an Strassen, auf denen mit 80 Stundenkilometer gefahren werden darf, einen Abstand von 6 Metern vom Strassenrand aufweisen. Andererseits sind Alleen oft als schützenswerte Kulturlandschaften ausgewiesen. Bäume, die aus Alleen entfernt werden müssen, müssen aus Gründen des Landschaftsschutzes ersetzt werden. Doch das Neupflanzen so nahe, wie der alte Baum am Strassenrand stand, ist aus Gründen der Verkehrssicherheit verboten. Ein klassisches Dilemma.

Vielleicht sollte man die Alleen mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung versehen. Da Todesfälle bei seitlicher Kollisionen mit einem Baum schon bei 30 Stundenkilometern auftreten, müsste das Tempo folglich darunter liegen.

Zu Fuss bin ich noch nie lebensbedrohlich mit einem Baum zusammengestossen. Das passt ja auch sehr gut zusammen. "Gehen" (franz. aller) und die Allee(bäume). Darum empfehle ich, den Weg auf die Insel Reichenau zu Fuss unter die Füsse zu nehmen, so wie einst der heilige Pirmin, der Gründer der Abtei Reichenau. Diese Abtei werde ich mir bei meinem nächsten Besuch der Insel anschauen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 10. Juli 2022

Ein Fels von einem Mann

Ein Zitat

Findling von Steinhof, ein Exklave des Kanton Solothurns
Foto © Jörg Niederer
"Grober Verstand ist eine Felsenwand." Sprichwort

Ein Bibelvers - Matthäus 16,18

Jesus: "Und ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Fels werde ich meine Gemeinde bauen. Nicht einmal die Macht des Todes wird ihr etwas anhaben können."

Ein Anregung

Wenn dir jemand sagt: "Du bist ein Goldstück", dann tut das gut. Wenn ein Mensch als "Diamant" bezeichnet wird, ist das ein schönes Kompliment. Auch eine "grosse Hilfe" genannt zu werden macht Freude. Aber was bitte ist gut daran, wenn einer als Fels beschrieben wird?

Felsen die zu Tal donnern, will ja niemand. Mit einem Menschen, so hartherzig und steinhart wie Fels, ist nicht gut Kirschen essen. 

"Petrus" wird von Jesus genau so bezeichnet: Als Fels, auf dem die christliche Gemeinschaft aufgebaut wird. Petrus ist eine schillernde Person. Über keinen anderen Jünger von Jesus finden sich so viele eindrückliche Geschichten in der Bibel. Petrus ist extrem: Extrem vielschichtig und beispielhaft.

Heute werde ich in der Predigt in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen intensiv auf diesen Petrus eingehen. Wer vor Ort an der Kapellenstrasse 6 dabei sein möchte: Es beginnt um 10.15 Uhr. Per Youtube kann man ab 10.30 Uhr in die Predigt hineinhören.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde