Ein Zitat
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Foto © Jörg Niederer |
"Meine Eltern waren eigentlich beiden nicht fromm. Wir haben natürlich als Kinder gebetet, aber das haben uns die Dienstmädchen beigebracht." Hannelore König, Tochter von Nathan Wolf und Auguste Neuhaus
Ein Bibelvers - 1. Mose 23,19
"Anschließend bestattete Abraham seine Frau Sara in der Höhle auf dem Grundstück in Machpela. Das liegt östlich von Mamre bei Hebron im Land Kanaan."
Ein Anregung
Im Ort Wangen auf der deutschen Seite des Untersees lebten seit dem 17. Jahrhundert Juden. Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich die jüdische Gemeinschaft aus einem Drittel der Bevölkerung zusammen. Es gab eine jüdische Schule und auch eine Synagoge.
1971 starb Selma Wolf, die letzte weibliche Jüdin des Dorfes, ein halbes Jahr nach ihrem berühmteren Bruder Nathan Wolf, dem letzten männlichen Juden.
Gestern standen wir auf unserer Wanderung vor den Mauern des jüdischen Friedhofs von Wangen. Er befindet sich in einem wuchernden Wald, und ist über eine verfallende Forststrasse erschlossen. Mit grossem Respekt haben wir einen Blick auf die Grabstätte geworfen.
Über die Familie Wolf aus Wangen gibt es umfangreiches Material im Internet. Dazu einige Beobachtungen.
Nebst Selmas und Nathans Grab findet sich auch das von einem weiteren Bruder, von Wilhelm Wolf auf dem besagten Friedhof. Er nahm sich 1920 im Alter von 33 Jahren das Leben. Auf seinem Grabstein steht: "ein herzensguter Sohn und Bruder / ein tapferer Krieger / ruht hier in der geliebten Heimat-Erde". Speziell auf diesem Grabstein ist ein Kreuz, das aber wohl nicht christlich zu verstehen ist. Es hat die Form eines typischen deutschen Verdienstkreuzes.
Die Familie Wolf war sehr patriotisch eingestellt. Nathan kämpfte mit Überzeugung im 1. Weltkrieg. Er war Arzt und mit Auguste Neuhaus, einer Katholikin, verheiratet. Sie hatten zwei Kinder, die während des Nationalsozialismus als Halbjuden und Kinder einer Arierin nichts zu befürchten hatten. Nathan dagegen schon, wurde er doch nach dem Brand der Synagoge in der Reichskristallnacht vorübergehend in Dachau inhaftiert. Während der Kriegsjahre lebte er im Schweizer Exil in Stein am Rhein. Weil er einer Berliner Jüdin bei der Flucht half, wurde er von den Schweizer Behörden zu einer Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt – wegen "Emigrantenschlepperei". Nur knapp entging er der Ausweisung aus der Schweiz.
Nach 1945 kehrte er nach Wangen zurück, wo er durch die französische Besatzung vorübergehend als Bürgermeister eingesetzt wurde. Für den Ort blieb er aber vor allem als Arzt von Bedeutung. Abenteuerlustig war er auch in späteren Jahren. Im Februar 1956 fuhr er mit seinem Auto über den zugefrorenen Untersee nach Steckborn. Kurz vor erreichen des Ziel brach das Auto im Eis ein und versank. Es gibt davon Fotos auf der Webseite über die Familie. 1962 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1970 verstarb er 88-jährig. Auf seinem Grabstein kann man lesen: "Hier ruht der letzte Jude des Dorfes. Bald wird Gebüsch den Stein bedecken. Doch wird sein Grab nicht vergessen werden. Denn mehr als er liegt hier begraben."
Erst 2004, 34 Jahre nach seinem Tod und mehr als 60 Jahre nach dem Strafurteil, hob die Schweiz das besagtes Urteil wegen Fluchthilfe wieder auf.
Vieles mehr kann man von dieser bedeutenden jüdischen Familie auf der Höri, der Halbinsel zwischen Radolfzell und Stein am Rhein erfahren, wenn man sich in die Bilder, Tondokumente und Texte auf der Webseite vertieft, die Anne Overlack verdienstvoller Weise zusammengetragen hat.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde