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Donnerstag, 16. Mai 2024

Jammerpsalm

Ein Zitat

Trauer-Rosenkäfer und Honigbiene auf Wiesen-Witwenblume.
Foto © Jörg Niederer
"Ha nüt geschlafen letzte Nacht. Danke." WhatsApp-Nachricht an mich.

Ein Bibelvers - Psalm 23,4

"Und muss ich durch ein finsteres Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist an meiner Seite! Dein Stock und dein Stab schützen und trösten mich."

Eine Anregung

Mir ist gerade nicht ums jubeln. Also jammere ich. Nicht ohne Hoffnung. Und doch auch ziemlich hoffnungslos. Also wenn du gerade Aufmunterung brauchst, liest du besser nicht weiter. Ich bin heute weit entfernt von hoffnungsvollen Gedanken.


Diese Nacht findet kein Ende.

Schuldgefühle häckseln meine Ausflüchte klein.

"Es ist zu spät." Ein Satz den es nicht geben dürfte.

Der Trauer-Rosenkäfer, hätte ich ihm nur geglaubt.

"Und ob ich schon wandere im finsteren Tal..."

Höhnender Konjunktiv. Da ist finsterer, nicht endender Abgrund.

Wut. Wo haben wir einander verloren?

Wo bist du mir, wo bin ich dir entglitten?

Warum hast du mich zum Todesboten verdammt?

Wie soll ich das nur weitersagen? 


Ich buchstabiere deinen Namen.

"Sollt ich meines Bruder Hüter sein?"

Mein Versagen, in ewig bittere Worte gefasst. 


Schöne Reime. Hässlich sollten sie sein.

Zelebriere ich jetzt mein Selbstmitleid?

Kleide ich die Trauer in Hochzeitsgewänder?

Weinerliche Rechtfertigungen.

Nichtgesagtes pflastert die Seele zu.

"Wie ist mir leid um dich..."


Das Leben geht weiter, sagt die Vernunft,

und ist im Bruchteil eines Nichts

liegen geblieben.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Samstag, 9. Juli 2022

Die sture Schönheit des Gartens

Ein Zitat

Hausgarten in Schwerzenbach
Foto © Jörg Niederer
"Sie [Mary] sehnte sich nach Wachstum und Fortschritt, nach Blühen und Gedeihen. Nur so fühlte sie sich in der Lage, an diesem Ort zu leben, mit all seiner Kälte und Dunkelheit." aus: Malachy Tallack: Das Tal in der Mitte der Welt, S. 60

Ein Bibelvers - Hohelied 2,13

"Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen. Die Reben blühn, verströmen ihren Duft."

Ein Anregung

Malachy Tallack beschreibt im Buch "Das Tal in der Mitte der Welt" auf eindrückliche Weise die gärtnerische Leidenschaft von Mary. Dort, in der rauen Schönheit der Shetlandinseln, ist der Garten etwas von dem, was ihr Halt gibt angesichts der sich einschleichenden Veränderungen. 

"Trotz all der Enttäuschungen - Samen, die nicht aufgingen, Blätter, die vor der Schärfe des Winds zurückwichen, Blumen, die sich öffneten und wieder schlossen, als wäre ihnen ihre Erbärmlichkeit peinlich - machte Mary weiter. Sie grub und stutzte und pflanzte und jätete und wartete; und für diese Arbeit wurde sie, bis zu einem gewissen Mass, entlohnt. Jedes Jahr im Winter gab der Garten ihr etwas, worauf sie hoffen konnte, etwas, worauf sie sich freuen konnte. Und jeden Sommer, wie grässlich das Wetter auch war, schenkte er ihr sporadische Freudensausbrüche, sogar Glücksgefühle. Wenn sie an einem trüben Nachmittag mit Einkaufstüten in jeder Hand nach Hause kam, hielt sie inne beim Anblick des kleinen roten Rhododendrons, der manchmal fast zu glühen schien, oder beim Dickicht der kobaltblauen Lupinen unter dem Küchenfenster. Diese Augenblicke, in denen die sture Schönheit des Gartens sie überraschte, waren jede Enttäuschung wert." (ebd. S.60) 

Ich kenne Menschen, die sind wie Mary. Je nach Alter leiden sie zunehmend an dem, was ihnen bisher Freude bereitet hat; sie leiden daran, dass sie den Garten kaum noch bestellen können. Das was sie bisher bereichert und mit Stolz und Freude erfüllt hat, zeigt ihnen nun auf bittere Weise, was sie verlieren.

Wie werde ich einst mit dem Verlust meiner Leidenschaft zurechtkommen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde