Dienstag, 31. Oktober 2023

Erinnerung

Ein Zitat

Sammelsurium in einem Wintergarten in Diessenhofen.
Foto © Jörg Niederer
"Monde und Jahre vergehen, aber ein schöner Moment leuchtet das Leben hindurch." Franz Grillparzer (1791-1872)

Ein Bibelvers - Johannes 14,26

"Der Vater wird euch in meinem Namen den Beistand senden: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe."

Eine Anregung

In einem Altstadthaus von Diessenhofen sehe ich durch ein vergittertes Fenster auf ein Sammelsurium. Da hat es viele Bilder in Rahmen, aber auch eine Schaufensterpuppe mit den typischen Playboy-Hasenohren. Ich entdecke eine Tischuhr, einen Globus und eine grosse Schnecken-Meeresmuschel. Da steht ein Delfter Porzellankrug neben Messingkerzenständer. Es gibt Blech-Spielzeugautos, eine Stehlampe und einen auffälligen rosafarbenen Kübel, der so gar nicht zu den antiken Möbel passt. Ja auch Weihnachten steht bereit, in Form von Krippenfiguren. In einem Wintergarten, wo üblicherweise Lebendiges die Sonne geniesst, findet sich konservierte Vergangenheit.

Erinnerungen. In gut einem Monat werden wir uns an die Verstorbenen des vergangenen Jahres erinnern. Menschen, so einmalig und liebeswert wie diese versammelten Altertümer. Vielleicht haben wir von ihnen Bilder geerbt, Möbelstücke.

Wenn ich aktuell meine Mutter im Altersheim besuche, nehme ich manchmal die Kartonschachteln hervor, in denen alte Fotos abgelegt sind, und schaue mir die Bilder an. Ich beschreibe was ich sehe meiner Mutter, da sie die oft kleinen Abzüge mit ihren schlechtgewordenen Augen nicht mehr erkennen kann. Dann schwelgen wir in Erinnerung. Sich erinnern kann heilsam sein, aber auch aufwühlend. Je nach dem, ob es schöne oder hässliche Memoiren sind.

Bei diesen Betrachtungen von Vergangenem habe ich einiges gelernt über mich und meine Geschichte. Genau so kann ich aus den alten Texten der Bibel, aus den Bildern, welche da gezeichnete werden, einiges lernen über das Leben und das Sein. Ich finde, es lohnt sich, in biblischen und anderen Erinnerungen zu schwelgen.

Guter Gott, im Lauf meines Lebens haben sich allerlei Erinnerungsstücke angesammelt. Sie hängen an den Wänden oder warten in Schubladen und zwischen Albendeckeln auf die Wiederentdeckung. Wenn ich hinschaue, sehe ich in Gesichter von Menschen, die längst schon gegangen sind. Ich danke dir für den Segen, den sie mir gewesen sind. Woran werden sich die erinnern, die mich heute kennen? Leite du mich in allen Dingen, führe mich zu den Menschen, denen ich zu guten Erinnerungen werden darf. Amen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Montag, 30. Oktober 2023

Bahnhofsmusik

Ein Zitat

Einer mit Gitarre sitzt am Bahnhof auf dem Boden und singt Lieder aus einem mitgebrachten Gesangbuch.
Foto © Jörg Niederer
"Manchmal ist Musik wie ein Sessel, du brauchst ihn wenn du nicht mehr kannst und er wird dir wieder Kraft geben, da weiter zu machen wo du nicht mehr konntest." Simeon Haag

Ein Bibelvers - 1. Samuel 16,23

"Sooft aber der böse Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe zur Hand und spielte. Da konnte Saul befreit aufatmen und es ging ihm besser. Denn der böse Geist hatte ihn verlassen."

Eine Anregung

Er hatte sich auf einem Peron des Bahnhofs St. Gallen hingesetzt und sang nun Lieder. Kaum einer beachtete in. Er seinerseits liess sich von den abfahrenden und ankommenden Zügen nicht stören, genauso wenig wie von den Bahnhofsdurchsagen. Später, in Olten spielte ein Junge auf dem zwischen Gleis 4 und 7 aufgestellten Klavier einfache Melodien. Und wieder eine Stunde später beim Umsteigen in Zürich erklang von der Europaallee laute Rockmusik in die Bahnhofsunterführung hinunter. Ein Musiker war während des Einnachtens zugange und verdiente sich so den Lebensunterhalt. 

Gestern Sonntag war mein Tag der Bahnhofsmusik. Schon zuvor erlebte ich Orgelfreuden und anschliessend eine spontane Weihnachtslieder-Probe, sekundiert von Kindern und älteren Menschen, die fasziniert zuhörten.

Gott, in Liedern und Melodien ordnet sich mein Leben wie von selbst. Ich werde ruhig oder gerate in Verzückung, entdecke in mir Wünsche oder protestiere in Tönen. Danke für das Geschenk der Harmonien, für die wummernden Bässe, für den singenden Wind. Danke für die Klangerinnerungen, für die formulierten Hoffnungen. Danke, dass dein Lied in meiner Seele erklingt und mein Herz mit einstimmen darf. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Sonntag, 29. Oktober 2023

Der tägliche Apfel

Ein Zitat

Der Erntedanktisch bei den Methodisten in St. Gallen ist geschmückt.
Foto © Jörg Niederer
"Schokolade löst keine Probleme - Aber ein Apfel auch nicht." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Sprüche 25,11

"Wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen, so ist ein Wort, gesagt im rechten Augenblick."

Eine Anregung

Seit einiger Zeit esse ich täglich einen Apfel. Würden das alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt St. Gallen auch so tun, bräuchte es im Jahr 29 Millionen Äpfel. Um diese Anzahl Früchte zu ernten, würden rund 40'000 Apfelbäume benötigt werden. Erstaunlich, dass in den Verkaufslokalen der Schweiz die Äpfel nicht ausgehen.

An diesem Sonntag feiern wir in der Methodistenkirche St. Gallen das Erntedankfest. Da kommen auch Äpfel zum Einsatz. Nachgedacht wird über Sorgfalt, Vorsorge, Fürsorge und Sorgenfalten.

Der Gottesdienst um 10.15 Uhr an der Kapellenstrasse 6 wird abgerundet mit einer feinen Kürbissuppe. Wir freuen uns über alle, die heute bei uns mitfeiern.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 28. Oktober 2023

Kuh is watching you

Ein Zitat

Ein Kalb sieht vorsichtig neugierig aus dem Stall heraus, was da draussen vor sich geht.
Foto © Jörg Niederer
"Mit Adleraugen sehen wir die Fehler anderer, mit Maulwurfsaugen unsere eigenen." Franz von Sales (1567-1622)

Ein Bibelvers - Matthäus 13,16-17

Jesus: "Aber ihr seid glückselig: Denn eure Augen sehen und eure Ohren hören. Amen, das sage ich euch: Viele Propheten und Gerechte wollten sehen, was ihr seht – aber sie sahen es nicht. Und sie wollten hören, was ihr hört – aber sie hörten es nicht."

Eine Anregung

Aus sicherer Deckung schaut das Kalb neugierig aus seinem Stall zu uns herüber. Neugierig und vorsichtig zugleich. Die da draussen könnten ja gefährlich sein. Aber sie sind auch interessant. Nicht zu weit vorwagen, aber doch sehen, was geschieht! Wir alle lieben es, zu sehen, zu beobachten. Wir wollen dabei sein, aber bitte gefahrlos. Die Lust aufs Schauen hat einen Namen: Schaulust. Bei Kälbern ist das auch ganz in Ordnung.

Gott, ich schaue zu. Beim Fernsehen, im Alltag. Ich liebe es, aus dem Fenster zu blicken. Was ich sehe, ist schön, ist hässlich. Beim Schauen kommen mir Tränen, dann wieder muss ich lachen. Gesehenes lässt mich resignieren, oder treibt mich an, etwas zu tun. Es gibt Momente, da möchte ich die Augen verschliessen, nichts mehr sehen, nichts mehr wissen. Gott, ich kann sehen, das ist schön. Doch dann muss ich sehen, und das ist ein Last. Lenke mein Sehen zum Erkennen, zum Vertrauen, zum Handeln. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Freitag, 27. Oktober 2023

Vom Wind bewegt, von Gott getragen

Ein Zitat

Samenpaar des Eschen-Ahorns auf einem Kiesweg.
Foto © Jörg Niederer
"Brauche mich für dich oder stelle mich für dich auf die Seite. Erhöhe mich für dich, erniedrige mich für dich." Aus dem Bundeserneuerungsgebet von John Wesley

Ein Bibelvers - Markus 4,8

"Aber ein anderer Teil [der Samen] fiel auf guten Boden. Die Körner gingen auf, wuchsen heran und brachten Ertrag: manche dreißigfach, andere sechzigfach, andere sogar hundertfach."

Eine Anregung

Ein Samenpropeller des Eschen-Ahorns liegt auf einem Kiesweg. Kein guter Landeplatz für den Start ins Leben. Zudem sieht er schon ziemlich ramponiert aus, in den Staub getreten.

Jesus erzählte so eine Geschichte, bei der ein Teil des Samens in den Dornen landet, ein anderer Teil auf felsigem Grund, ein dritter Teil auf den Wegen und ein vierter Teil auf fruchtbarem Boden. Die Dornen ersticken jedes Wachstum im Keim. Auf felsigem Grund geht dem Keimling schnell die Nahrung aus. Auf dem Weg wird der Samen von den Vögeln gefressen. Doch auf dem fruchtbaren Boden geht er auf und wird zu einem stattlichen Baum. Gut, bei Jesus ist es Getreide. Aber was er sagt, gilt natürlich auch für einen Baum.

Wo bin ich gelandet in meinem Leben? Wohin wurde ich gesät? Wer oder was hat mich zu dem gemacht, was ich bin?

Gute Gott, noch ist nicht das letzte Wort gesprochen, noch kann alles geschehen in meinem Leben, Gutes oder Schlechtes, Fruchtbares oder Verlorenes. Ich überlasse mich dir, während ich mich drehe, treiben lasse, Richtung einschlage, Halt suche und schlussendlich still stehe. Dir Gott vertraue ich mich auch an diesem Tag an. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Erinnerung

Ein Zitat

Herbstwald bei Schmerikon
Foto © Jörg Niederer
"Was brauchst du, um in Frieden zu gehen?" Franziska von Grüningen in bref 9/2023

Ein Bibelvers - Lukas 2,28-30

"Simeon nahm das Kind auf den Arm. Er lobte Gott und sagte: 'Herr, jetzt kann dein Diener in Frieden sterben, wie du es versprochen hast. Denn mit eigenen Augen habe ich gesehen: Von dir kommt die Rettung.'"

Eine Anregung

"Oral History" sei der Film, von dem ich gestern geschrieben habe über die Schwesternschaft der Basler Bethesda-Diakonissen. So Schwester Elisabeth Wenk in einem Beitrag auf emk-schweiz.ch. Weiter steht da: "Vor etwas mehr als 20 Jahren hatte die Gemeinschaft beschlossen, keine neuen Schwestern mehr aufzunehmen. 'Von daher ist klar, dass die Schwesternschaft als solche aussterben wird', sagt Elisabeth Wenk...".

Etwas ganz Ähnliches bietet die Radiojournalistin Franziska von Grünigen an. Sie interviewt schwerkranke Menschen, die vor ihrem Tod eine Audiobiografie aufnehmen wollen für die Familie und den Freundeskreis. Dieses Tondokument wird auf einem Stick in Herzform den so portraitierten Menschen übergeben.

Der Lebenslauf ist fester Bestandteil von Beisetzungsfeiern. Oft stammen Ausschnitte davon von den Verstorbenen selbst. Im Herbst des Lebens will man noch einmal das Wichtige Revue passieren lassen, noch einmal in feiner Weise erinnert werden an das Gute, was einmal war, und nicht mehr kommt. Im Bericht über die Radiojournalistin Franziska von Grünigen im bref 9/2023 bezeichnet sie denn auch den Song "Was ist deine Geschichte" von Keno als "Soundtrack zu ihrer Arbeit". Was der Sänger in diesem Lied fragt, könnte helfen, dem Wichtigen in einem Leben auf die Spur zu kommen. Hier der Wortlaut des Songs, den man auf Youtube auch anhören kann: 

"Worüber hast du zuletzt gelacht und / Über was zu lange nach nachgedacht / Was ist das Dümmste was du je getan hast / Was ist deine Superkraft / Wonach roch deine Kindheit / Wie lange dauerts noch / Worauf kannst du unmöglich verzichten / und für wen tust du's doch

Was ist deine Geschichte / Was hast du erlebt / Was zählt / Was möchtest du ändern / Was hat dich wirklich bewegt / Wie's auch gewesen / Was auch geworden ist / Das Ergebnis sind wir / Hier / Erzähl mir von dir 

Wofür nimmst du dir Zeit / Tut es dir gut / Wovon hast du zu viel / Was willst du teilen / Sind wir genug / Wessen Hand hältst du / Und welche Versprechen / Wovon handelt dein Lieblingslied / Hab ich nicht irgendwas vergessen

Was ist deine Geschichte / Was hast du erlebt / Was zählt / Was möchtest du ändern / Was hat dich wirklich bewegt / Wie's auch gewesen / Was auch geworden ist / Das Ergebnis sind wir / Hier / Erzähl mir von dir 

Erzähl mir von dir / Erzähl mir / Wie sieht diese Welt aus / Wenn du sie beschreibst / Was sehe ich anders / Wenn du es mir zeigst / Komm wir machen / Einen Anfang / Erzähl mir / Erzähl mir / Erzähl mir von dir 

Was ist deine Geschichte / Was hast du erlebt / Was zählt / Was möchtest du ändern / Was hat dich wirklich bewegt / Wie's auch gewesen / Was auch geworden ist / Das Ergebnis sind wir / Hier / Erzähl mir von dir"

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Mittwoch, 25. Oktober 2023

100 Jahre im Dienst der Barmherzigkeit

Ein Zitat

Die Roche-Türme, wie man sie von Birsfelden aus sieht.
Foto © Jörg Niederer
"Der Name Bethesda bedeutet 'Haus der Barmherzigkeit'. Er nimmt Bezug auf einen biblischen Bericht, in dem Jesus einen Menschen heilt." Webseite vom Betheda Basel

Ein Bibelvers - Johannes 5,2+3

"Beim Schaftor in Jerusalem gibt es einen Teich mit fünf Säulenhallen. Auf Hebräisch wird dieser Ort Betesda genannt. In den Hallen lagen viele Kranke, Blinde, Gelähmte und Menschen mit verkrüppelten Gliedern."

Eine Anregung

Basel sah noch anders aus in den Jahren, als in der Stadt am Rhein das erste Spital von methodistischen Bethesda-Diakonissen eröffnet wurde. Die Roche-Türme, die heute das Stadtbild prägen, gab es nicht, das Pharmaunternehmen, gegründet im Jahr 1896, dagegen schon. Und doch ist die Diakoniebewegung der Methodisten älter. Sie nahm ihren Anfang 10 Jahre vor der Rochgründung mit der Eintragung des Diakonats Bethesda in Wuppertal-Elberfeld (D) als "Verein für allgemeine Krankenpflege". 1923 kamen die Bethesda-Diakonissen dann nach Basel und eröffneten 1926 das erste eigene Spital. Heute teilt sich das Werk, das massgeblich durch die Diakonissen-Schwesternschaft gestaltet wurde, auf in das Spital, ein Alterszentrum und das Diakonat. Die einstige Schule für Krankenpflege musste 2011 geschlossen werden. Seit 2020 gibt es im Bereich der Orthopädie eine Kooperation mit dem Universitätsspital Basel und seit 2022 gibt es auf dem Gelände des Spitals das "Casa Bethesda, ein Haus der Begegnung, in dem erlebbar ist, was Kirche Sein vom Wesen her ausmacht: Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung, Spiritualität und Zeugnis der Liebe Gottes."

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Bethesda Basel ist ein Film (Trailer) entstanden. Dazu heisst es auf der Webseite: "Der Filmemacher Philipp Eyer hat das Leben der Schwesterngemeinschaft von Oktober 2022 bis Februar 2023 mit der Kamera begleitet. Alle Schwestern erzählen in persönlichen Gesprächen von ihrem Werdegang als Diakonisse und von ihrem heutigen Leben. Der Film dokumentiert die Bethesda-Geschichte. Er zeigt Szenen aus dem täglichen Leben, wie auch von den Feiertagen und Festen. Entstanden ist ein eindrückliches Porträt, das auch als Vermächtnis der Schwesterngemeinschaft Bethesda verstanden werden kann."

Premiere ist am 26. November 2023 um 17.00 Uhr in der Spital-Aula auf dem Bethesda Campus, Gellertstrasse 144 in Basel. Eine Anmeldung ist nicht nötig, der Platz ist aber auf 200 Personen beschränkt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 24. Oktober 2023

Sei kein Frosch!

Ein Zitat

Vermutlich ein Teichfrosch sonnt sich im Kaltbrunner Riet an einem namenlosen Bach.
Foto © Jörg Niederer
"Setz' einen Frosch auf einen weißen Stuhl, er hüpft doch wieder in den schwarzen Pfuhl." Wilhelm Müller, Dichter (1794-1827)

Ein Bibelvers - Psalm 56,4+5

"Doch heute, wenn ich mich so fürchte, setze ich mein Vertrauen auf dich. Auf Gott – ich preise sein Wort: Auf Gott vertrau ich und fürcht mich nicht! Was können mir Menschen schon antun?"

Eine Anregung

Sei kein Frosch! Warum eigentlich nicht? Der Teichfrosch (vielleicht auch ein Seefrosch) sieht doch richtig schön aus. Hat er gar blaue Augen?

Sei kein Frosch! Diese Redensart bedeutet: Sei nicht so furchtsam, verschwinden nicht schon bei der kleinste Herausforderung, die sich in deinem Leben abzeichnet! Stell dich den Aufgaben! Du kannst sie bewältigen!

Für Frösche ist die Flucht, der beherzte Sprung ins tiefe Wasser, bei all den Fressfeinden, die sie haben, überlebenswichtig. Bei uns Menschen dagegen sind das Abwarten, Ausharren und sich Durchkämpfen weitere Handlungsmöglichkeiten. Wir haben mehr Optionen.

Gott, soll ich nachgeben oder mutig vorwärtsdrängen? Soll ich fliehen oder aushalten? Soll ich still und unauffällig bleiben oder etwas sagen, schimpfen, rufen? Wie kann ich wissen, ob nicht eine andere Entscheidung sich später als besser herausstellt hätte? Leite du mich, damit ich zur richtigen Zeit weiche, damit ich in der richtigen Situation widerstehe, damit ich in angemessener Weise laut werde, oder auch ganz leise bleibe. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Montag, 23. Oktober 2023

Anflug

Ein Zitat

Gut 70 Störche fliegen einzeln im Kaltbrunner Riet ein und landen auf einer Nasswiese.
Foto © Jörg Niederer
"Ferien könnte ich auch hauptberuflich mache." Spruch auf Pinterest

Ein Bibelvers - Sprüche 16,3

"Lass den Herrn dein Tun bestimmen! So werden deine Pläne gelingen."

Eine Anregung

Es sieht immer wieder elegant aus, wenn Störche segelnd einem Ziel entgegenfliegen. Gestern zum Ferienabschluss besuchte ich am Nachmittag das Kaltbrunner Riet bei Uznach und beobachtete aus erhöhter Position, wie neben und unter mir Störche einem Ort zustrebten, wo sich die grossen Tiere im seichten Wasser waschen konnten. Danach liessen sie ihr Gefieder mit weit geöffneten Flügeln von der Herbstsonne trocknen. Wohl an die siebzig Tiere versammelten sich so an diesem improvisierten Storchenbadeplatz. Es sah aus, als wollten sie von Ferne die Welt um sich herum und einander segnen.

Die Herbst-Schulferien gehen in der Region, in der ich lebe, zu Ende. Heute beginnt die Arbeit wieder. Bald werde ich auch irgendwie hinübergleiten, ins Büro, in den Alltag. Frisch geduscht wird das bei mir auch sauber, aber wohl nicht so elegant wie bei den Störchen aussehen. Der erste Tag nach den Ferien ist besonders, Es gilt, sich wieder einzufinden, sich zu orientieren. Eine Flut an Mails wartet auf die Erledigung und auch einige Begegnungen mit Menschen stehen vor der Tür.

Gott, der Alltag hat mich wieder. Die Arbeit wartet. Menschen werden sich nach den zurückliegenden Ferien erkunden. Gib mir die Schlüssel, welche Türen der Verständigung öffnen! Hilf durch die Fülle an zu Erledigendem hindurch! Schenke mir Zeit für das Richtige. Segne mich, damit ich ein Segen sein kann! Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Sonntag, 22. Oktober 2023

Frieden, nicht Leid!

Ein Zitat

Die Synagoge von Endingen.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn das Leben des Einzelnen heilig ist, ist es auch das Leben der Nation. Wenn der vereinzelte Mord mit Recht vom Weltgewissen verdammt wird, um wieviel mehr müsste von ihm die macht- und verhängnisvolle Organisation des Totschlages, die der Krieg darstellt, verdammt sein." Henri Dunant (1828-1910)

Ein Bibelvers - Jeremia 29,11+12

"Denn ich weiss, was ich mit euch vorhabe. – Ausspruch des Herrn – Ich habe Pläne des Friedens und nicht des Unheils. Ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken. Ihr werdet zu mir rufen. Ihr werdet kommen und zu mir beten, und ich werde euch erhören."

Eine Anregung

Die Synagoge von Endingen ist das einzige Gotteshaus im kleinen Aargauer Ort. Die Christinnen und Christen die hier leben, besuchen seit Jahrhunderten die Gottesdienste in den Kirchen der Nachbarsdörfern. Denn Endingen und Lengnau waren über viele Jahre die einzigen Orte, an denen in der Schweiz jüdische Familien leben durften. So wird es heute in Endingen wohl keine Gottesdienste geben, feiern Jüdinnen und Juden doch an Samstagen in ihren Versammlungshäusern.

Doch in diesen Tagen ist es den jüdischen Gemeinden wohl nicht ums Feiern zumute. Jüdinnen und Juden sind der ganzen Welt und besonders in Israel bis aufs Blut herausgefordert. Aber nicht nur sie, auch die Menschen im Gaza, der Westbank und darüber hinaus im ganzen Nahen Osten stehen in der Gefahr, in einer Spirale von Gewalt und Gegengewalt unterzugehen. Über 1500 Kinder sind im Gaza in den letzten zwei Wochen ums Leben gekommen. In Israel selbst sind die Todesopfer des Kriegs auf eine Höhe geschnellt, wie schon lange nicht mehr. 

Gut, wenn wir Christen an diesem Tag in unseren Gottesdiensten für die Menschen dort beten: 

Gott, bewahre deine Kinder davor, den Hass zu vermehren und die Gewalt als Lösung der Probleme anzusehen! Lass nicht zu, dass immer noch mehr Leid gesät wird, so dass auf Jahre die Hoffnung auf Frieden erstickt wird! Das bitten wir dich auch für die Menschen, die an den Orten der gut 20 anderen Kriegsschauplätzen dieser Erde zu überleben versuchen. Denn du liebst den Frieden, und nicht den Untergang, du bist Leben und Licht. Du streckst uns immer wieder die Hand zur Versöhnung entgegen. Lass es uns dir gleichtun und nicht aufhören damit. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Samstag, 21. Oktober 2023

Wie geht's dir?

Ein Zitat

Das "Wie geht's dir?-Bänkli" von Frauenfeld steht neu an seinem Platz entlang der Murg.
Foto © Jörg Niederer
"Die Psyche kann – genau wie der Körper – gestärkt und gepflegt werden." Siehe "Wie geht's dir?-Kampagne"

Ein Bibelvers - Hiob 2,11a+13

"Drei Freunde Hiobs hörten von all dem Unglück, das ihn so schlimm getroffen hatte. Sie kamen zu ihm – jeder aus seinem Heimatort... Dann setzten sie sich zu ihm auf die Erde. Sieben Tage und sieben Nächte saßen sie da und sprachen kein einziges Wort. Denn sie sahen, wie heftig sein Schmerz war."

Eine Anregung

Im Regen lud die Gartenbank nicht dazu ein, sich hinzusetzten. Gelb mit einer Botschaft steht sie an einer wenig einladenden Stelle in Frauenfeld. "Wie geht's dir?" lese ich auf der Rücklehne. Was geschieht, wenn man sich hinsetzt? Kommt jemand hinzu, um zu hören, wie es mir geht? Will ich das, über mein Befinden mit wildfremden Personen sprechen? 

Eine Frau geht vorüber und wundert sich über den Standort der Gartenbank. Wir unterhalten uns. Ich erkläre ihr, dass es sich dabei um eine breit abgestützte Kampagne zur psychischen Gesundheitsprävention handelt. Sie lacht, nimmt einen Zug an der Zigarette. Wir kommen zu gewöhnlichen dunkelgrünen Standard-Gartenbänken. "Da kann man sich ja hinsetzten, wenn man keine psychologische Beratung braucht...", meint sie.

Wer die Webseite zur Kampagne aufruft, wird zu einem Selbst-Check eingeladen. Nachdem ich fünf einfache Fragen beantwortet habe, weiss ich, dass es mir wohl mittelprächtig geht. Ich solle meine Gefühle mit der entsprechenden App beobachten und über meine aktuelle Stimmung mit einer vertrauenswürdigen Person sprechen. 

Die "Bänkli" zu dieser Kampagne finden sich gemäss einer Übersichtskarte schon an 147 Standorten in der Schweiz. Doch dasjenige in Frauenfeld ist noch nicht auf der Webseite eingetragen. Es muss also schon mehr davon geben.

Angesichts der Tatsache, dass jede zweite Person im Leben psychisch erkrankt, sind die Bänkli eine gute Sache. Nicht nur auf ihnen sondern auf allen Bänkchen kann man tun, was die Kampagne bezweckt. Auf der Webseite steht dazu: "Wie fühlst du dich heute? Wie tankst du Energie und was hilft dir um mit belastenden Situationen umzugehen? Mit den 'Wie geht’s dir?'-Bänkli laden wir dich ein, dich hinzusetzen und dich mit Fragen wie diesen und deiner psychischen Gesundheit auseinanderzusetzen."

Natürlich lässt es sich auf diesen Bänkli auch prima meditieren.

Gott, du kennst meine Belastungsgrenzen. Du weisst, wie fragil ich schon geworden bin. Wie es mir geht, ist dir nicht gleichgültig. Bewahre mich davor, zu zerbrechen! Schütze mich vor Überreaktionen oder Hoffnungsverlust! Zeige mir die Menschen, denen ich wahrheitsgetreu sagen kann, wie es mir geht! Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Freitag, 20. Oktober 2023

Das Öl von Libingen

Ein Zitat

Die heiligen Öle in der Gallus geweihten Kirche in Libingen werden sichtbar nahe beim Taufstein in einer Nische aufbewahrt.
Foto © Jörg Niederer
"Nimm hin das Zeichen deine Erlösers Jesus Christus, zum Zeichen, dass du gesegnet bist von Gott. Geh hin in seinem Frieden. er ist mit dir." Die eine Salbung begleitenden Worte in einem Gottesdienst

Ein Bibelvers - Hebräer 1,8+9

"Aber im Blick auf den Sohn [Christus] sagt er [Gott]: 'Dein Thron, Gott, besteht für immer und ewig. Der Massstab des Rechts ist das Zepter, mit dem du dein Königreich regierst. Du liebst Gerechtigkeit und hasst Verbrechen. Deshalb hat Gott dich gesalbt, dein Gott. Köstliches Öl hat er für dich ausgewählt. Damit zeichnet Gott dich aus vor allen, die zu dir gehören.'"

Eine Anregung

In Libingen, wir kamen vor zwei Tagen in diesem kleinen Ort im Toggenburg vorbei, gibt es eine beachtliche Lourdesgrotte, erbaut vom Kräuterpfarrer Johann Künzle. In Libingen wurde 1865 die erste Ziegenzuchtgenossenschaft der Schweiz gegründet und einige Jahre lang gab es ein 59-teiliges Glockenspiel im Weiler Hofen. Sogar ein Kloster entstand hier, angebaut an die stattliche Kirche. Das geschah am Gallustag 1751. Folglich handelt es sich auch um eine dem Gallus geweihte Kirche. 

Im Innern, wie es in katholischen Kirchen so vorgesehen ist, gibt es eine Nische nahe beim Taufstein, in dem die heiligen Öle ausgestellt werden. Drei an der Zahl sind sie mit Abkürzungen beschriftet: CAT, CHR, INF. Ausserhalb dieses Kontextes hätte ich bei CAT an Auto gedacht, bei INF an Information und bei CHR an Christus. Doch nun weiss ich: CHR steht für Sanctum Chrisma oder auch nur Chrisam und benennt das Öl, das für Firmung, Taufe und Priesterweihe vorgesehen ist. Es handelt sich dabei um geweihtes Olivenöl, das mit weiteren Duftstoffen gemischt wird. CAT bedeutet Oleum Catechumenorum und kommt bei Taufen zum Einsatz. Ebenfalls Olivenöl, wird es gelegentlich mit Grapefruit aromatisiert. INF seinerseits ist die Abkürzung für das Oleum Infirmorum, das Krankenöl. Auch dieses Öl besteht aus Olivenöl, und ist gelegentlich mit Zirbelkiefernöl angereichert. Die Öle wollen im Glaubensvollzug die Menschen mit Christus verbinden. Christus (griechisch) und Messias (hebräisch) können mit "der Gesalbte" übersetzt werden. 

Christus, salbe alle Menschen mit Güte! Salbe sorgsam und sanft die Schmerzen und Verletzungen des Lebens hinweg! Salbe unsere Vernunft, dass wir durch dich eine unzerstörbare Hoffnung denken und bewahren können. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen  

Donnerstag, 19. Oktober 2023

Die eigene Bestimmung finden

Ein Zitat

Eine Hauskatze trägt die erbeutete Wühlmaus nach Hause.
Foto © Jörg Niederer
"Ich bin hier, Herr. / Meinst du mich, Herr? / Deinen Ruf vernahm ich in der Nacht. / Ich will gehn, Herr. / Führe du mich! / Leg dein Volk mir tief in Herz und Sinn!" (Auszug aus dem Lied: "Ich, der Meer und Himmel schuf" von Daniel L. Schutte / Deutsch: Annegret und Walter Klaiber)

Ein Bibelvers - Jesaja 61,1

"Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Armen gute Nachricht zu bringen und gebrochene Herzen zu heilen. Den Gefangenen soll ich zurufen, dass sie frei sind und ihre Fesseln gelöst werden."

Eine Anregung

Eine Hauskatze trägt fette Beute nach Hause. Jagen war schon immer die Bestimmung dieser Tiere. Gestern auf einer Wanderung sahen wir wohl an die 40 verschiedene Katzen auf den Feldern lauern. Genau dadurch verdienten sich die Samtpfoten wohl einst das Vertrauen der Menschen. 

Den Bäuerinnen und Bauern war die Katzen eine echte Hilfe. Heute, in den Städten, haben viele das Jagen nicht mehr nötig. Ihre Bestimmung hat sich geändert. Nun helfen sie durch einsamen Zeiten, das Schnurren wirkt beruhigend auf die Stimmung der Menschen, sie legen sich in Altersheimen zu Sterbenden. Doch immer noch steckt in ihnen die Jägerin. Und wenn die Katze kann, dann trägt sie auch einmal eine Maus oder ein Vogel in die fein eingerichtete Stadtwohnung, meist nicht zur Freude der dort lebenden Menschen. 

Die Hauskatze hat ihre Bestimmung gefunden. Wie geht es mir? Habe ich meinen Ort gefunden, an dem ich für diese Welt hilfreich und nützlich sein kann? Oder ändern sich die Umstände, etwa nur schon dadurch, dass wir alle älter werden? Brauchen ich eine neue Bestimmung?

Gott leite mich, damit ich tun kann, wozu du mich geschaffen hast. Führe mich, damit ich ein Segen sein kann für meine Mitmenschen und alles Leben auf der Erde. Schenke mir Fähigkeiten, die dieser Welt gut tun. Lass mich ein Werkzeug deines Friedens sein. Amen

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Altocumulus Stratiformis

Ein Zitat

Schäfchenwolken sind häufig bei Föhnlagen zu beobachten. Hier Altocumuli Stratiformis bei Wil SG.
Foto © Jörg Niederer
"Politik ist die Kunst, von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen zu erhalten, beides unter dem Vorwand, die einen vor den anderen schützen zu wollen." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Kolosser 2,2b-4

"Denn sie sollen das Geheimnis Gottes erkennen: Christus. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. Das sage ich, damit euch niemand durch seine Überredungskünste täuschen kann."

Eine Anregung

Es sind schöne Wolken, die Altocumuli Stratiformis. Mosaikartig schmiegen sich die einzelnen Wölkchen aneinander und bilden so ein Netz aus Licht. Auch wenn sie den Himmel fast vollständig abdecken, kann es geschehen, dass durch sie die Sonnenstrahlen derart reflektiert werden, das mehr UV-Strahlung den Erdboden erreicht als bei blauen Himmel. Es besteht also Sonnenbrandgefahr.

Oft sind Dinge anders, als wir denken. Schönes kann gefährlich sein, Hässliches dagegen lebensnotwendig. Äusserlichkeiten führen uns nicht selten in die Irre. Ich muss mir das immer wieder sagen: Der Schein kann trügen. Darum bete ich: 

Christus, befreie mich von allen Vorurteilen. Lass mich die Welt und die Menschen mit deinen Augen sehen und verstehen. Amen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Dienstag, 17. Oktober 2023

In den Wirbeln des Lebens

Ein Zitat

Der grosse, künstlich erzeugte Wasserwirbel im Technorama Winterthur lädt zum Meditieren über das Leben ein.
Foto © Jörg Niederer
"Man fühlt die Strömung erst, wenn man aufwärts schwimmt." Peter von Amiens (1050-1115), französischer Eremit

Ein Bibelvers - Psalm 74,15

"Du [Gott] hast Quellen und Bäche hervorsprudeln lassen, und reißende Ströme hast du trockengelegt."

Eine Anregung

Das Leben kann einen ganz schön herumwirbeln. Daran dachte ich, als ich im Technorama dem künstlichen Wasserwirbel zusah. Mit der Zeit war die Dynamik der Strömung so gross, dass nicht nur die Sogwirkung im Zentrum zu beachten war, sondern auch die Zentrifugalkraft an den Rändern der konischen Wanne. Wasser schwappte über.

Verschluckt werden auf der einen Seite, aus der Bahn geworfen werden auf der anderen Seite. Wirbel sind schön anzusehen mit ihren spiralförmigen Rippen. Doch wenn es dich selbst darin herumschleudert, wenn du selbst hilflos in der Strömung hängen bleibst, dann ist das gar nicht lustig. Gedanken kreisen, je länger je schneller. Sich daraus zu lösen geht nicht, weil ein Gedanke zum nächsten führt, eine Befürchtung zur nächsten.

Gott, der du die sternenwirbelnden Galaxien ins Universum gestellt hast, halte mich fest wenn ich mich um mich selbst drehe, wenn meine Gedanken zu einem schwarzen Loch werden, wenn es mich total aus der Bahn wirft! Halte mich fest, dann mag kommen, was wolle. Dann treiben mich die Strömungen von Zeit und Unzeit nie von dir weg. Amen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Montag, 16. Oktober 2023

Helle und finstere Wege

Ein Zitat

Nicht überall ist die Rheinschlucht bei Ilanz sonnenbeschienen und weit.
Foto © Jörg Niederer
"Fürchte Dich nicht vor einem großen Schritt, wenn dieser nötig sein sollte. Eine Schlucht kannst Du auch nicht mit zwei kleinen Schritten überwinden." David Lloyd George (1863-1945)

Ein Bibelvers - Psalm 23,1+4

"Der Herr ist mein Hirte... Und muss ich durch ein finsteres Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist an meiner Seite! Dein Stock und dein Stab schützen und trösten mich."

Eine Anregung

Die Rheinschlucht ist eine der bedeutenden Sehenswürdigkeiten der Schweiz. Nachdem vor 9500 Jahren der gewaltigen Flimser Bergsturz den Vorderrhein aufstaute und den 25 Kilometer langen Ilanzer See bildete, grub sich der Rhein nach und nach einen Abfluss durch die Schuttmassen hindurch. Den See gibt es so nicht mehr, er ist abgeflossen. Heute ist es die Schlucht, welche die Menschen in ihren Bann schlägt. Dabei geht es nicht überall und zu jeder Zeit durch ein weites Kiesbett hindurch. Da gibt es auch dunkle Engstellen, die nur mühsam überwunden werden können. Immer einmal führt der Alpenfluss bedrohliches Hochwasser. Doch dann zeigt er sich wieder von seiner malerischen Seite.

In meinem Leben ist es nicht anders. Dunkle und helle Zeiten wechseln sich ab. Da folgen Abschnitte voller Sonnenschein, und dann wieder düstere und beschwerliche Lebensstrecken. Zeiten möchte ich festhalten, konservieren in bleibenden Erinnerungen, anderes dagegen möglichst schnell wieder vergessen.

Für diesen Tag wünsche ich uns allen helle, lichte Wegstrecken, in denen wir getragen sind vom Vertrauen in Gottes Güte. Zugleich weiss ich, dass es für viele genau dies nicht geben. Das ist nicht nur in den Kriegsgebieten der Welt so. Auch hier, unweit der Rheinschlucht, gehen einige von uns durch finstere Täler. Mögen sie dabei Gottes Gegenwart besonders nah und wirklich erfahren.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 15. Oktober 2023

Das Kreuz in den Bergen

Ein Zitat

Ein einfaches Kreuz steht beim Rizli auf dem Oberalppass mitten in der herbstlich eingefärbten Heide.
Foto © Jörg Niederer
"Aber was begreift man überhaupt. Der Mensch und die Natur kommen nie überein. Wir legen immer unsern Maßstab an sie, und der ist so klein." Hermann Löns (1866-1914), Heidedichter

Ein Bibelvers - Psalm 95,4

"In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge gehören ihm."

Eine Anregung

In der Heidelandschaft des Oberalppasses verschwindet das Kreuz auf dem Rizli beinahe in der leuchtenden Landschaft. Es ist ein Ort, der erwandert werden will. Die Autos bleiben auf dem Übergang zurück, dann geht es wenige hundert Meter weiter und etwa 30 Meter höher zu diesem kleinen Gupf in der verzauberten Herbstlandschaft. Langsam, Schritt für Schritt komme ich dem christlichen Zeichen näher. Das Kreuz ist leer. Es ist zum Hoffnungssignal geworden. Auch wenn der Winter vor der Tür steht, und schon bald das Heidekraut unter meterdicken Schneeschichten verschwindet, kommt der Bergfrühling bestimmt wieder. Auferstehung kann nicht ausbleiben.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 14. Oktober 2023

Der Kirchturm und der Berg

Ein Zitat

Die vom Architekten Adolf Gaudy aus Rorschach entworfene und 1916 geweihte Pfarrkirche St. Mauritius in Zermatt mit ihrem Kirchturm und dem obligaten Matterhorn-Hintergrund.
Foto © Jörg Niederer
"Das Gestein am Matterhorn-Gipfel ist originär afrikanisch. Zunächst überdeckt von europäischem Fels, bringt es die Erosion mehr und mehr zum Vorschein." Zitat aus PlanetOutdoor

Ein Bibelvers - Psalm 108,6

"Erhebe dich, Gott, über den Himmel und über die ganze Erde in deiner Herrlichkeit."

Eine Anregung

Nun habe ich ihn endlich gesehen. Nein, nicht den Berg. Den Kirchturm von Zermatt. Dem Berg bin ich ja schon oft begegnet. Er ist auf so vielen Bildern und Fotos zu sehen, in vielen Werbekonzepten verarbeitet. Den Berg, den kenne ich. Aber der Kirchturm, der war mir unbekannt, so wie der Ort Zermatt. Da war ich bisher noch nie. Bis vorgestern, und auch gestern noch. Ich habe festgestellt, mit eigenen Augen: Den Kirchturm gibt es. Genauso wie auch Zermatt, und die vielen Touristen, welche abends die Hauptstrasse verstopfen; dazwischen die Elektrotaxis, diese Golfwägelchen für Betuchte und Influencerinnen. Auch diese sah ich mit ihren Selfiesticks. Morgens um halb Sieben weckten sie mich, die geschwätzigen Massen, die zur Kirchenbrücke eilten, um die ersten Sonnenstrahlen am Matterhorn ja nicht zu verpassen. Die Dame am Hotelschalter meinte dazu: Um diese Zeit gäbe es bestimmt noch keine Sonne, schon gar nicht bei Nebel. Aber dastehen würden sie jeden Morgen und frieren, etwas weniger wenn es viele seien und auf der Brücke Enge herrsche.

Nun, ich habe sie gesehen, die Massen, den Kirchturm, und dahinter den afrikanischstämmigen Berg. Ob ich ihn wohl jemals wiedersehen werde? Ich meine, den Kirchturm. Den Berg, den kann man in der Schweiz und in DisneyWorld Orlando bestimmt nicht übersehen. Den Kirchturm und die Kirche schon. Kirchtürme und Kirchen haben eben einen schweren Stand, besonders wenn sich da auch noch solche Zacken in den schweizerisch-italienischen Luftraum erheben und den Kirchen wahre Grössen zeigen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 13. Oktober 2023

Zwei sehen sich zum ersten Mal

Ein Zitat

Das frisch geborene Wasserbüffelkalb und seine Mutter nehmen voneinander einen Augenschein.
Foto © Jörg Niederer
"Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind." Gertrud von Le Fort (1876-1971)

Ein Bibelvers - Jesaja 42,14

"Lange habe ich [Gott] geschwiegen, ich blieb still und hielt mich zurück. Jetzt aber stöhne ich wie eine Frau bei der Geburt, ich keuche und ringe um Luft."

Eine Anregung

Es sind zauberhafte Momente, wenn sich das frisch geborene Wasserbüffel-Kalb und seine Mutter ein erstes Mal anschauen. Am vergangenen Dienstag durften wir diesen Augenblick miterleben, als das Junge mit weit offenen Augen die Welt um sich herum zum ersten mal mit eigenen Augen sehen konnte.

Mir kommen Bilder in den Sinn, in denen Gott wie eine Mutter beschrieben wird. Aber auch die andere Seite, die des Neugeborenen, kennt Gott. Als Jesus wurde er von einer Frau geboren. In diesem blutigen Geschehen entsteht eine Bindung und Kraft zwischen Mutter und Kind, zwischen Gott und Mensch.

Man verzeihe, dass mir diese Gedanken bei der Geburt eines Wasserbüffels gekommen sind. Doch schaut selbst, wie da etwas Geheimnisvolles, Schönes zwischen Büffelkuh und Kalb geworden ist.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Plagegeist

Ein Zitat

Die Hirschlausfliege auf einem feinmaschigen Stoff.
Foto © Jörg Niederer
"In den weichsten Betten sitzen die Flöhe am Liebsten." Deutsches Sprichwort

Ein Bibelvers - 1. Samuel 24,15

"Hinter wem ist denn der König von Israel her? Hinter wem jagst du her? Hinter einem toten Hund, hinter einem einzelnen Floh!"

Eine Anregung

Goldig schimmert sie und muskulös scheint sie zu sein, die Hirschlausfliege. Gleich zweimal bin ich ihr in diesen Tagen begegnet. Ich kann mich noch erinnern, es muss so um 1990 herum gewesen sein, als ich es zum ersten Mal mit dem winzigen, gerade einmal 6 Millimeter kleinen Insekt zu tun bekam. Damals versuchte es, sich in meinem Ohr festzuklammern. Auch die beiden jüngsten Male hatten es die Vertreterinnen von Lipoptena cervi auf mich abgesehen. Dabei sind sie von Herkunft aus Russland auf Elche spezialisiert. Doch bei uns haben sie sich mangels Elchen den Hirschen zugewandt und leider auch uns Menschen (als Fehlwirt). Dann fliegen die Plagegeister auf uns, und versuchen uns Blut abzusaugen. Sobald sie auf einem Wirt gelandet sind, brauchen sie die Flügel nicht mehr. Zurück bleibt das 2 Millimeter grosse, sich festklammernde, stechende Etwas, das zu allem Überfluss auch noch recht gut hüpfen kann. Glücklicher Weise sind die Viecher nur im Oktober und November unterwegs. 

Wozu das Tierchen wohl gut ist? Irgend einen Sinn muss es haben. Welchen, das will ich Gott dereinst einmal fragen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Auf der falschen Seite

Ein Zitat

Der jüdische Friedhof von Gailingen.
Foto © Jörg Niederer
"Einer muss den Frieden beginnen, wie den Krieg." Stefan Zweig (1881-1942)

Ein Bibelvers - Psalm 34,15

"Halte dich fern vom Bösen und tue Gutes! Suche den Frieden und setze dich dafür ein!"

Eine Anregung

Ein bis zwei Kilometer haben es am 22. Oktober 1940 ausgemacht, ob jüdische Menschen am Leben blieben oder ob sie in Konzentrationslager verschleppt und umgebracht wurden. Geschehen ist dies in Gailingen. Der deutsche Ort liegt unmittelbar gegenüber dem schweizerischen Diessenhofen.

Gestern kamen wir beim jüdischen Friedhof in Gailingen ganz oben am Wald vorbei. Viele Gräber aus alten Zeiten erinnern an eine einst grosse jüdische Einwohnerschaft. 

Auch in Israel entschieden wenige hundert Meter, ob jüdische Menschen von Terroristen getötet und verschleppt wurden, oder ob sie von dem grausamen Treiben verschont geblieben sind. Nie mehr seit dem Holocaust seien so viele Juden an einem einzigen Tag ums Leben gekommen wie am vergangenen Samstag. Daran erinnerte Israels Präsident Jitzchak Herzog die Weltgemeinschaft.

Der 7. Oktober 2023 wird darum wohl bald auch auf Gedenksteinen und Denkmälern stehen als Tag voller grauenhafter Taten, die nie vergessen werden dürfen.

Es ist nur traurig und erschreckend. Überall (nun auch wieder) in westlichen Ländern kommt es zu gewaltsamen Konflikten, kommt es zu Angriffen, Toten, Verschleppten und Vertriebenen. Jetzt sind Menschen aller Religionen und Philosophien gefordert, dem Frieden nachzujagen und dabei nicht nachzulassen.

Gott, verwandle uns und leite uns auf den Weg des Friedens!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 10. Oktober 2023

Die Schuld vor dem ersten Steinwurf

Ein Zitat

Jurahöhen, gesehen unweit der Hasenmatt.
Foto © Jörg Niederer
"Ich glaube an die Gewaltlosigkeit als einziges Heilmittel." Mahatma Gandhi (1869-1948)

Ein Bibelvers - Johannes 8,7

"Als sie [die Schriftgelehrten und Pharisäer] nicht aufhörten zu fragen, richtete er [Jesus] sich auf und sagte zu ihnen: 'Wer von euch ohne Schuld ist, soll den ersten Stein auf sie [eine Ehebrecherin] werfen!'"

Eine Anregung

Der Jura. Naherholungsgebiet vieler Menschen aus dem Schweizer Mittelland. Ein bisschen Indian Summer geniessen auf den Höhen und über dem Nebel. Doch wer oft im Jura wandert, weiss, dass es dort unzählige Festungsanlagen aus dem 1. und 2. Weltkrieg gibt. Was heute so friedlich aussieht, war einst Ort des Widerstands, aber auch Ort, an dem jüdische Menschen in den sicheren Tod in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zurückgesandt wurden. Damals behaupteten führende Schweizerinnen und Schweizer, das Boot sei schon voll.

Gewalt geht nie nur von einer Seite aus. Aber jede Gewalt ist aufs Schärfste zu Verurteilen. Ganz besonders, wenn sie Menschen trifft, die den Frieden suchen, die sich für ein friedliches Zusammenleben stark machen.

Gewalt und Schuld beginnen nicht erst mit dem ersten Steinwurf. Wer aber den Stein wirft, kann es nie ohne Schuld tun.

Gewalt und Schuld müssen gar nicht mehr beginnen. Sie haben schon vor langer Zeit begonnen, als ein erster Menschen, vielleicht Kain, neidisch wurde auf seinen Bruder Abel und ihn tötete. Seit diesem Urereignis ist Schuld und Gewalt Bestandteil einer Welt, die keinen Frieden findet.

Steinewerfende stehen in einer Tradition, an der kein Mensch wirklich schuldlos vorbeikommt. Weder die, welche in brutaler Weise nach dem Leben eines Andern trachten, noch die, welche auf Kosten anderer Menschen im Wohlstand leben. Weder die, welche Bedürftigen die Hilfe versagen, noch die, welche vollen Booten beim Kentern zuschauen.

Als Jesus eine Frau vor der Hinrichtung durch Steinigung rettete mit den Worten: "Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein", waren die Richter ehrlich genug, dass sie ihre Steine hinlegten, denn sie waren sich ihrer Schuld bewusst. Wie gut wäre es doch, wenn alle Menschen zu dieser Ehrlichkeit zurückfinden würden. Es wäre der Moment, wo Leben über all die Schützengräben und Heldendenkmäler wachsen könnte. Dann könnte es mit den Jahren so friedlich aussehen wie im Jura, einem Grenzgebirge dessen Grenze aktuell und hoffentlich auf tausende von Jahren offen bleibt.

Ich bete heute für die Opfer des terroristischen Überfalls auf israelische Menschen und deren Angehörigen. Ich bete aber auch für eine wirkliche Lösung für alle Menschen, die im Nahen Osten zuhause sind. Ich bete dafür, dass terroristische Gewalt nicht in gleicher Weise beantwortet wird. Ich bete dafür, dass alle ihr tägliches Brot zu essen bekommen. Ich bete heute: Und bewahre mich vor dem Bösen und vergib mir meine Schuld, so wie ich auch denen vergebe, die an mir schuldig geworden sind.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 9. Oktober 2023

Leben in unseren Händen

Ein Zitat

Ein Erlenzeisig, kurz bevor er nach der Beringung wieder in die Freiheit entlassen wird.
Foto © Jörg Niederer
"Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie das des Menschen, heilig ist und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt." Albert Schweitzer (1875-1965)

Ein Bibelvers - Psalm 150,6

"Alles, was lebt durch Gottes Atem, antworte dem Herrn mit Lobgesang! Halleluja!"

Eine Anregung

Vorsichtig hielt der Junge das Vögelchen an seinen Füsschen fest. Sanft streichelte er einige Male über sein Gefieder, dann liess er es fliegen. Im Nu war der Erlenzeisig in einem Baum verschwunden. 

Aktuell werden wieder an verschiedenen Orten der Schweiz Vögel beringt. Dazu stehen an exponierten Stellen, da wo die Zugvögel über die Berge fliegen, feine Netze. Viele der Vögel verfangen sich in den Maschen und werden dann mindestens stündlich eingesammelt und in Säckchen einzeln zur nahen Beringungsstation gebracht. Dort wird das Tier erfasst, bekommt einen Ring, Gesundheitszustand, Geschlecht und Alter wird bestimmt und dann wird es wieder freigelassen.

An vergangene Wochenende besuchten wir gleich zwei solche temporären Stationen, beide im Jura, die eine auf der Subigerhöchi bei Gänsbrunnen, die andere auf der Ulmethöchi etwa 5 Kilometer von der Bergstation der Wasserfallen-Gondelbahn entfernt. In diesen Tagen sind es vor allem die Erlenzeisige, welche zu Tausenden in kleineren Trupps von 12 - 30 Tieren über die Pässe fliegen. Aber auch Blaumeisen sind in grosser Zahl unterwegs und Tannenmeisen. Letztere wehren sich besonders heftig und verheddern sich dabei sosehr in den Netzen, dass es manchmal mehrere Minuten dauert, sie sorgfältig wieder daraus zu befreien. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer gehen dabei überaus behutsam mit den Tierchen um, damit der Stress gering bleibt.

Besonders für die Kinder und Jugendlichen ist es etwas besonderes, die Vögel wieder freizulassen. Und damit sind wir wieder beim Jungen vom Anfang dieses Textes. Er lernt unmittelbar, wie wertvoll auch ein noch so kleines Geschöpf ist. Diese Achtung vor dem Leben wünsche ich mir gerade auch für alle, die sich aktuell im Politbetrieb profilieren, aber auch für die vielen, die der Schöpfung Gottes eher gleichgültig gegenüberstehen. Ich wünsche mir mehr Achtung vor allem Leben. Denn eines können wir nicht: Leben schaffen. Wir können es nur erhalten und bewahren.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen