Freitag, 30. September 2022

Kirchen feiern Gottesdienst an der WEGA in Weinfelden

Ein Zitat

Das Riesenrad im Jahrmarktsbereich der WEGA Weinfelden, direkt beim Bahnhof gelegen.
Foto © Jörg Niederer
"Also die WEGA war so ziemlich das Erste, was ich nach meinem Mann kennengelernt habe, und als Nichtweinfelderin merkte ich bald, dass das die heiligen fünf Tage für Weinfelden sind." Olivia Langer, Gasthaus zum Trauben

Ein Bibelvers - Lukas 19,3

"Er [der Zöllner Zachäus] wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein, und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht."

Ein Anregung

Nun finden landauf, landab die Herbstmessen statt. Am vergangenen Wochenende etwa die Messe meiner Jugend, die MIO (Messe in Olten), in zwei Wochen dann die viel berühmtere OLMA, die "Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung". (Die Abkürzung kommt noch von der bis 1945 gebräuchlichen Benennung "Ostschweizerische Land- und Milchwirtschaftliche Ausstellung".)

WEGA-Gottesdienst
Ganz aktuell seit gestern findet die WEGA statt. Das ist nicht die Abkürzung für "Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung", die es auch einmal gab, sondern steht für "Weinfelder Gewerbeausstellung". Sie gilt als grösste und bedeutendste jährlich stattfindende Publikumsmesse im Kanton Thurgau und wirbt mit der Bezeichnung "Familienmesse".

Ob es auch schon eine Tradition ist, weiss ich nicht? Aber zum zweiten Mal findet ein Gottesdienst statt mitten auf dem Messegelände, durchgeführt von den Kirchen und Freikirchen in Weinfelden. Dieser Festakt geht am Sonntag um 10.15 Uhr über die TKB-Bühne beim Rathausplatz. Dabei wird der diesjährige Slogan der WEGA aufgenommen: "entdecken - erleben - geniessen". Der Gottesdienst ist eine gute Möglichkeit, um beschwingt und motiviert zu einem Rundgang durch die Vergnügungen der WEGA zu starten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 29. September 2022

Aufrecht gegen den Klimawandel

Ein Zitat

Blick in die Indoor-Anlage der Pinkfarm by Lokal365 AG. Die Pflanzen gedeihen unter pinkfarbenem Licht. Bis auf eine kleine Fläche wurden der dadurch entstehende Farbstich aus dem Bild herausgerechnet.
Foto © Jörg Niederer
"Wir schonen Rohstoffe, vor allem Wasser, und verwenden keine fossilen Brennstoffe. Wir verzichten auf jegliche Gifte. So bieten unsere Produkte mehr Sicherheit, Geschmack und Nährstoffe." Christan Gerig und Markus Hilber von der Pinkfarm by Lokal365 AG

Ein Bibelvers - 2. Korinther 9,8

"Gott aber hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken. So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht. Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun."

Ein Anregung

Die Indoor-Kräuterfarm, die ich gestern aus Anlass der SchöpfungsZeit zusammen mit weiteren Interessierten im Rahmen einer Exkursion der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) beider Appenzell und St. Gallen besuchte, befindet sich in einer Halle der Filtrox unterhalb des Sitterviadukts St. Gallen. Entstanden ist das Startup aus der Idee, wassersparend und giftstofffrei Basilikum für den nahem Markt zu produzieren. Zwar wuchsen die vertikal gezogenen Pflanzen vorzüglich und blieben verbunden mit ihren Wurzeln bis zwei Wochen frisch. Doch die grossen Schwankungen bei der Zahl der georderten Pflanzen, einmal waren es 1000, dann wieder 500 Portionen, waren zu herausfordernd für den kleinen Betrieb.

So hat man sich umorientiert und produziert heute, von der Aussaat bis zum fertig abgepackten Produkt, Pflanzenessenzen, ganz ohne Alkohol und Zusatzstoffe. Angeboten werden ganz frisch aromatisierende Wässerchen aus Shiso, Rosmarin, Melisse, Zitronengrass, Erdbeere, Blattsenf, Chili, Arnica Montana und Edelweiss. 

Die Pinkfarm by Lokal365 AG zieht diese Pflanzen in drei Meter hohen, nebeneinander angeordneten Schienen. Wasser und Nährstoffe erreichen die Wurzeln durch die Schwerkraft in einem geschlossenen Kreislauf, und ohne Verluste, wie sie sonst in der konventionellen Landwirtschaft ein grosses Problem sind. Gerade 5% des Wasserbedarfs im Vergleich zum Anbau auf dem Feld werden benötigt. Schädlinge und Pilze werden durch Schleusen und die Lüftung von den Indoor-Pflanzen abgehalten, so dass keine Pestizide und Fungizide benötigt werden. Die Kräuter gedeihen ohne Erde unter pinkfarbigem Licht. Letzteres hilft den Pflanzen schneller zu wachsen. Darum sehen Fotos aus dem Gewächshaus wie rot eingefärbt aus. Erst durch die Nachbearbeitung am Computer erscheinen die Pflanzen natürlich (Beachte den kleinen unbearbeiteten Bereich im Foto oben!). 

Nachteilig ist der hohe Energieanteil dieser Produktionsweise. Die Strommangellage, die in diesem Winter erwartet wird, kann bedrohlich sein für das Unternehmen. Einen halbtägigen Stromausfall verkraften die Pflanzen. Länger darf er aber nicht dauern. Ein Notstrom-Dieselgenerator, wie es sich der Bauer nebenan angeschafft hat, widerstrebt den beiden Unternehmern Christian Gerig und Martin Hilber. Zwar beziehen sie ihren Strom aus Wasserkraft, aber eben eingespeist ins übliche Stromnetz des Energieanbieters. Eine Solaranlage, um den Energiebedarf zu decken, benötigte den Platz von zwei Hallendächern der Filtrox. In der kurzen, verbleibenden Zeit ist das wohl nicht machbar.

Noch ist das Unternehmen nicht selbsttragend. Es braucht weitere innovative Ideen, um dieser angesichts des Klimawandels und schwindender Biodiversität vielversprechenden Anbauform zum Durchbruch zu verhelfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 28. September 2022

Buchen würden auch kalt duschen

Ein Zitat

Winterlicher Buchenwald auf dem Randen bei Schaffhausen
Foto © Jörg Niederer
"Wahnsinn, was duschen bewirkt. Eben noch schlecht gelaunt, müde und kaputt. Jetzt nach Pfirsich duftend schlecht gelaunt, müde und kaputt." Quelle: duschenprofis.de

Ein Bibelvers - Lukas 13,6(-9)

"Dann erzählte Jesus den Leuten dieses Gleichnis: 'Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und schaute nach, ob Früchte daran waren – aber er fand keine.'"

Ein Anregung

Die Buchen haben es in der Schweiz in Zeiten des Klimawandels schwer. So weiss man aus Erfahrungen vom Hitzesommer 2018, dass 10 Prozent der Buchen, deren Blätter sich damals vorzeitig verfärbten, innerhalb von drei Jahren gestorben sind. Auch in diesem Sommer konnte man wieder viele Buchen mit vorzeitig verfärbten Blättern sehen. In eher trockenen Teilen der Schweiz, auf Böden, die wenig Wasser speichern (zum Beispiel im Kanton Schaffhausen), erholen sich viele dieser Bäume nicht mehr, während auf eher feuchten Böden des Knonauer Amtes lediglich 4 Prozent der Buchen starben. Bei weiteren trockenen Sommern werden die Buchen es schwer haben, in unseren Regionen zu überleben.

Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Wasser ist für das Leben. Dabei kommt es auch auf die richtige Menge an.

Dazu ein Erlebnis, das weitaus weniger tragisch ist als das Buchensterben: Gestern gab es bei mir zuhause einige Zeit lang kein fliessend warmes Wasser. Ausgerechnet in dieser Zeit musste ich duschen und bin "fast gestorben" unter dem kalten Wasserstrahl. 

So von Sterben zu reden ist natürlich ein Dysphemismus, stellt den Sachverhalt also übertrieben negativ dar. Natürlich sterbe ich nicht unter ein bisschen kaltem Wasser. Im Gegenteil. Meine Dusche ging so kurz, und ich verbrauchte so wenig Wasser, dass es nun davon mehr für anderes Lebensformen hat. Vielleicht auch für die Buchen, die wirklich ums Überleben kämpfen müssen, und die, anders als ich, nicht davonlaufen können.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 27. September 2022

Ein persönliches Credo

Ein Zitat

12 Jahre war Daniel Konrad Pfarrer der Christkatholischen Kirchgemeinde St. Gallen. Hier bei einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Schweiz in Freiburg.
Foto © Jörg Niederer
"Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten." Dietrich Bonhoeffer in "Widerstand und Ergebung".

Ein Bibelvers - 2. Korinther 13,13

"Ich wünsche euch allen die Gnade, die der Herr Jesus Christus gewährt. Ich wünsche euch die Liebe, die Gott schenkt, und die Gemeinschaft, die der Heilige Geist bewirkt."

Ein Anregung

Gestern Sonntag war der letzte Arbeitstag von Pfarrer Daniel Konrad in der Christkatholischen Kirchgemeinde St. Gallen. An seinem Abschiedsgottesdienst in der Christuskirche bekannten die Beteiligten ihren Glauben mit Worten eines Credos, das wohl von Daniel Konrad selbst verfasst wurde, stehen doch seine Initialen unter dem Text. Im Folgenden das besagte Credo: 


Ich glaube an Gott, den Vater,
dem ich in seiner Schöpfung begegne, 
in der unbelebten und der belebten Welt, 
in seiner Kreativität und seiner Grosszügigkeit. 

Ich glaube an Gott den Sohn, 
in welchem der unsichtbare Gott sichtbar geworden ist, 
in welchem er menschliche Gestalt angenommen, 
und mit uns das Leid und die Not der Welt geteilt hat. 

Ich glaube an Jesus Christus, 
der unser Herr ist in seinem Dienen, 
der unser Bruder ist in seiner Barmherzigkeit, 
der unser Freund ist in seiner Nächstenliebe. 

Ich glaube, 
dass er vom Kreuz auferstanden ist, 
dass er die Macht des Bösen gebrochen hat,
und uns in der Versöhnung das neue Leben schenkt. 

Ich glaube an Gott, den heiligen Geist, 
die Kraft Gottes, die in uns Menschen wirkt, 
und uns befähigt zu Frieden und Liebe, 
die uns begeistert in der Gemeinschaft der Gläubigen, 
und uns den Weg zum himmlischen Reich des Vater weist. 

Ich bekenne mich zur Kirche als der Gemeinschaft derjenigen Menschen, 
die das Wort Gottes verkünden, 
die seinen Weg zum Heil beschreiten, 
und in gegenseitiger Solidarität und Liebe den Himmel auf Erden beginnen. 

Amen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 26. September 2022

Ein ereignisreicher Sonntag

Ein Zitat

Anlässlich des Bistumsfests lassen sich vier Ordensschwestern fotografieren, beobachtet von drei Jugendlichen.
Foto © Jörg Niederer
"Der heutige Gottesdienst ist in unserer Tradition Michael und allen Engeln gewidmet. Da ist weit und breit kein Daniel, der im Zentrum steht oder stehen sollte." Der christkatholische Pfarrer Daniel Konrad anlässlich seines Abschiedsgottesdienstes am 25. September 2022 in der Christuskirche St. Gallen.

Ein Bibelvers - Sirach 7,13

"Gewöhne dich nicht an die Lüge; denn diese Gewohnheit bringt nichts Gutes."

Ein Anregung

Manche Tage sind voller Eindrücke und Anregungen. So ein Tag war für mich der gestrige Sonntag.

Da war das Bistumsfest zum 175-Jahr-Jubiläum der Römisch-katholischen Kirche St. Gallen. Der Schnappschuss mit der Fotosession der vier Ordensfrauen, beobachtet von drei Jugendlichen, entstand, als ich dort auf die kostenlose Führung durch die Ausstellung im Gewölbekeller der Stiftsbibliothek wartete. Zuvor war ich auch schon in der Stiftsbibliothek.

Dann der Wechsel in die Christkatholischen Kirche, in der nach 12 Jahren Pfarrer Daniel Konrad seine letzte Amtshandlung hielt, ein Festgottesdienst. Diesen Transfer vollzog ich teilweise mit dem Stadtbus, da es heftig regnete. 

Ich war viel zu früh an der Haltestelle. Dort setze ich mich neben einen rauchenden Mann. Ein Bus kam und fuhr wieder ab. Ein zweiter Bus kam, und fuhr wieder ab. Ein dritter Bus kam und fuhr wieder ab. Jetzt schaute der Mann zur Anzeigetafel und realisierte, dass gerade sein Bus abgefahren war. Offensichtlich wurde er erwartet, und so rief er am Zielort an, um seine Verspätung zu erklären. O-Ton: "Sorry du, jetzt ist mir gerade der Bus vor der Nase abgefahren. Ich bin noch zur Tür gerannt, aber der Typ am Steuer hat mich einfach stehen gelassen." Aus dem weiteren Verlauf des Telefonats konnte ich schliessen, dass dem Mann die Ausrede nicht abgenommen worden war. Etwas frustriert und vor sich hingrummelnd blieb er an Ort und Stelle sitzen.

Die Abschiedsfeier des christkatholischen Kollegen war ein Erlebnis. Musikalisch begann es mit Deep Purple auf der Orgel. Ihre berühmte Vertonung des Casinobrands von Montreux im Jahr 1971, "Smoke On The Water" erklang als Auftakt tongewaltig in der Christuskirche St. Gallen. Deep-Purple-Musik kann man durchaus auf einer Orgel interpretieren, und auch Eric Claptons "Tears in Heaven" (In der Predigt ging es um Jakobs Traum von der Himmelsleiter.) oder der Gospelsong "Down by the Riverside". Letzteres passte gut, ist doch der neuen Wirkort von Daniel Konrad topografisch tiefer und mit Olten auch an einem Fluss, der Aare, gelegen.

Als Methodistinnen und Methodisten wünschen wir Daniel Konrad Gottes Segen und immer einen guten Tropfen zur Hand und Hoffnung im Herzen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 25. September 2022

Sorge für die Schöpfung

Ein Zitat

Ein Hochmoor auf dem Zugerberg, Inbegriff wertvoller, intakter Natur
Foto © Jörg Niederer
"Wir sehnen uns nach ... der Versöhnung und Einheit der gesamten Menschheit, ja des gesamten Kosmos." Aus dem Abschlussbericht der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen

Ein Bibelvers - Markus 16,15

"Jesus sagte zu den elf Jüngern: 'Geht in die ganze Welt hinaus. Verkündet allen Geschöpfen die Gute Nachricht.'"

Ein Anregung

Noch bis zum 4. Oktober dauert die Schöpfungszeit. Da liegt es nahe, über den Auftrag von Christinnen und Christen bei der Bewahrung der Schöpfung nachzudenken. Interessanter Weise spielt dabei der Missionsbefehl eine wichtige Rolle. Aber auch eine kritische Würdigung von Aussagen des Schöpfungsberichts ist Teil des Nachdenkens.

Dabei sein kann man ab 10.15 Uhr vor Ort in der Evangelisch-methodistischen Kirche an der Kapellenstrasse 6 in St. Gallen. Die Predigt wird auch via Youtube ab 10.30 Uhr live übertragen. Reaktionen zu diesem Gottesdienst, bei dem auch die dazugehörige Lesepredigt ab Sonntagmorgen verfügbar sein wird, sind sehr erwünscht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 24. September 2022

Der letzte 'frei lebende' Musikautomat der Schweiz

Ein Zitat

Der Musikautomat bei der Voliére im Vögeligarten Olten ist nicht mehr da.
Foto © Jörg Niederer
"Manchmal dreht man sich ständig im Kreis. Zum Glück geschieht das ab und zu auch beim Tanz." Klaus Seibold

Ein Bibelvers - Psalm 149,1+3

"Singt dem Herrn ein neues Lied, einen Lobgesang in der Versammlung der Frommen! ... Tanzt im Kreis, lobt fröhlich seinen Namen! Musiziert für ihn mit Handtrommel und Leier!"

Ein Anregung

Seit 1958 befindet sich ein historischer Musikautomat eingelassen in einer Aussparung des Mauerwerks der Voliere im Vögeligarten Olten. Erbaut wurde das mechanische Kleinod 1895 von den Gebrüder Mermot in Ste Croix. Für einen Franken konnte man die vier Tänzerinnen in Drehung versetzen (Hier findet sich ein Foto des Musikautomaten!). Als wir Kinder noch klein waren besuchte meine Mutter mit uns regelmässig den Vögeligarten. Manchmal durften wir die Figuren tanzen lassen. Später dann haben auch unsere Söhne dieses altmodischen Gerät zum Leben erweckt. Kindheitserinnerungen, nennt man das, und so ging ich gestern während eines Besuchs in Olten dort wieder einmal vorbei. Nennt es Sentimentalität, aber ich hätte gerne wieder einen Franken eingeworfen, der Musik gelauscht und die wippenden Drehungen der Tänzerinnen bewundert. Doch da, wo der Musikautomat war, fand sich nur noch der leere Raum hinter dem spiegelnden Glas, und einige Fotos von Papageien kleideten das Innere. 

Wo war "der letzte 'frei lebende' Musikautomat der Schweiz" - wie die Solothurner Zeitung fragte - abgeblieben? Im Museum? Gestohlen? Zerstört? Verkauft? 

Die Journalistin Rebekka Salm hat beim Volierenverein nachgefragt und erfahren, dass es der Antiquität gut gehe, und sie, sobald die benötigte Infrastruktur repariert und wohl auch verstärkt sei, wieder eingebaut werde. 

Gut so. Dann bekomme ich früher oder später ja noch einmal die Chance, zu werden, wie damals als Kind. Voller Faszination und Neugier, voller Energie und Freude.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 23. September 2022

Warten

Ein Zitat

Personen warten in Weinfelden auf die Einfahrt des Zugs.
Foto © Jörg Niederer
"Kein Problem wird gelöst, wenn wir träge darauf warten, dass Gott sich darum kümmert." Martin Luther King (1929-1968)

Ein Bibelvers - Psalm 33,20

"Mit ganzer Seele warten wir auf den Herrn. Er ist unsere Hilfe und unser Schild."

Ein Anregung

Warten kann so verschieden sein. Um einen Blick auf den Sarg der Queen zu werfen warteten die Briten bis zu 14 Stunden. Am US-Zoll musste ich auch schon an die 2 Stunden in einer langen Schlange anstehen. Autoreisende in den Süden nehmen auch einmal 4-5 Stunden Wartezeit im Gotthardstau in Kauf. Auf das erste Mobiltelefon haben einige tagelang vor dem Elektrofachgeschäft ausgeharrt. Beim Support am Telefon in der Warteschlange zieht sich das Warten auch ganz schön in die Länge. In der Post wird den Kunden auf dem Screen einer Anzeigetafel mitgeteilt, wie lange sie ungefähr zu warten haben. Im Warenhaus in der Schlange hinter einer Einkaufskasse verbringt man so einige Zeit seines Lebens. Und genau so ist es auch mit dem Warten auf den Bahnhöfen.

Warten wird einmal kurzweilig erlebt, das andere Mal zieht sich die Zeit scheinbar zäh in die Länge. Nicht immer sind es die kurzen Wartezeiten die kurzweilig und die langen Wartezeiten, die langfädig erlebt werden. Gründe dazu gibt es einige. 

  1. Warten, wenn du in Eile bist, dauert gefühlsmässig länger. 
  2. Warten an einem sonnigen Tag mit vielen Optionen dauert scheinbar länger als an einem kalten Regentag in Schutz eines geheizten Gebäudes. 
  3. Warten, wenn ich abschätzen kann, wie lange es wohl noch dauert, ist einfacher auszuhalten, als Warten ohne das Ende absehen zu können. 
  4. Warten, verbunden mit einer interessanten Begegnung, vergeht oft wie im Flug.
  5. Warten auf den Arztbescheid fühlt sich anders an als Warten auf Weihnachten.
  6. Warten, wenn man auf die Toilette müsste, ist eine besonders grosse Herausforderung.
  7. Warten, nur um am Schalter zu erfahren, dass das Gewünschte ausverkauft sei, wirkt rückblickend besonders sinnlos.
  8. Der eine wartet voller Sorge auf den eigenen Ruhestand, die andere kann es kaum erwarten, dass es endlich soweit ist.
  9. In der Rekrutenschule macht Warten, wie man so sagt, die Hälfte der Zeit aus, wohl auch, weil in der übrigen Zeit alles in Eile geschehen muss.
  10. Warten ist kurzweiliger, wenn man dabei etwas Sinnvolles machen kann, z.B. in einem Buch lesen. 

Achte einmal darauf, wo du heute überall wartest? Vielleicht wartest du gerade auf etwas, das erst in Tagen, Wochen oder Monaten eintreffen wird? Und dann gibt es noch dieses Warten auf eine Sache, auf die die Menschheit schon seit Jahrtausenden wartet. Auf den Weltfrieden etwa, oder auf die Wiederkunft des Messias.

Ich wünsche dir ein Warten voller sich erfüllender Erwartungen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 22. September 2022

Ideologiefrei

Ein Zitat

Haushohe Street Art beim einstigen eisernen Vorhang in Berlin thematisiert die Trennung Deutschlands in der Zeit von 1961-1989.
Foto © Jörg Niederer
"Die kompromissloseste Ideologiekritik bleibt die Bergpredigt." Paul Mommertz (*1930), deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor

Ein Bibelvers - Sprüche 13,16

"Jeder kluge Mensch handelt nach seinem Wissen. Ein Dummer aber verrät seine Unwissenheit."

Ein Anregung

Bernd-Lutz Lange, einer der erfolgreichsten Kabarettisten und Autoren in der einstigen DDR und darüber hinaus, 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und seit 2019 Ehrenbürger der Stadt Zwickau, schreibt im Buch "Das gabs früher nicht" auch über den Wandel in der Erziehung. Und da steht nun ein interessanter Satz: "Unser Sohn Sascha war in einem evangelischen Kindergarten (das kreative Spiel ohne Ideologie tat ihm zu DDR-Zeiten besonders gut)."

Man beobachte, wie das Wort "Ideologie" zugeordnet wird. Da ist die Ideologie des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates, welche damals die ganze ostdeutsche Gesellschaft durchdrang - mit Ausnahme der evangelischen Kirche, die schon von der Definition der atheistischen DDR-Doktrin her nicht zum System passte.

Einrichtungen dieser evangelischen Kirche werden nun von Bernd-Lutz Lange als in der Praxis ideologiefrei bezeichnet. Natürlich ist das ein augenzwinkernder Seitenhieb in Richtung des DDR-Weltbilds, aber auch gegenüber allen anderen Staats- und Wirtschaftsformen. Denn diese sind immer ideologisch aufgeladen. So herrscht im Westen heute die Überzeugung vor, dass gerade die Religion Ideologie sei, und folglich im staatlichen Lehrplan nur in neutraler Form behandelt werden soll. Schulen haben religiös neutral zu sein.

Dass ein evangelischer Kindergarten ideologiefrei wirke, ist eine irritierende Aussage. Kirche und Ideologiefreiheit schliessen sich aus religiös neutraler Sicht aus. Andererseits werfen rechtsorientierte politische Parteien der Schule oft eine ideologische Linkslastigkeit ihres Lehrkörpers vor. Ob war oder nicht, so zeigt dies auf, dass Ideologiefreiheit eine Illusion ist. Nichts und niemand kann sich einer mehr oder weniger realistischen weltanschaulichen Sichtweise entziehen. Alle Weltanschauung haben immer auch irrationale Anteile. Es werden wissenschaftlich nicht beweisbare Voraussetzungen gemacht. Verräterisch ist zum Beispiel die Aussage, dass der Westen auf christlichen Grundwerten aufbaue. Damit wird die ideologische Basis festgehalten.

Ich glaube, die Gesellschaft, die sich dieser ideologischen Anteile bewusst ist und diese immer wieder kritisch hinterfragt, ist auf einem ehrlicheren und besseren Weg, als Gesellschaften, die sich als ideologiefrei betrachten.

Ich bin dankbar, in einer evangelischen, religiös nicht neutralen Organisation, einer Minderheitskirche, zu wirken. Da komme ich gar nicht auf die Idee, die von dieser Kirche vertretenen Ansichten alle als allgemeinverbindlich zu erklären. Das macht es wiederum möglich, unvoreingenommen der Welt und den Mitmenschen zu begegnen. Ganz nach dem Doppelgebot der Liebe: Gott lieben von ganzem Herzen und die mir nächsten Personen (und alle andern auch) wie mich selbst.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 21. September 2022

Vogelschwarm und Volkweise

Ein Zitat

Stare sammeln sich in grösseren Schwärmen. Hier rasten sie auf einer Stromleitung bei Müllheim
Foto © Jörg Niederer
"Klag' ist ein Misston im Chore der Sphären! / Trägt denn die Schöpfung ein Trauergewand?" Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762 - 1834), Schweizer Dichter

Ein Bibelvers - Psalm 71,22

"Mit dem Spiel der Bassleier will ich dir danken, dass du zu mir gehalten hast, mein Gott. Zur Leier will ich Loblieder für dich singen – für Gott, den Heiligen Israels."

Ein Anregung

Stare versammeln sich und bereiten sich auf den grossen Abflug vor. Immer wieder fliegen die Vögel gruppenweise auf, oder landen in der nahen Wiese. Der Herbst kündet sich an. 

"Bunte sind schon die Wälder", so beginnt ein deutschsprachiges Volkslied. Ich haben es in der Primarschule zu singen gelernt. Es handelt sich um ein deutsch-schweizerisches Gemeinschaftswerk. Der Text ist vom Schweizer Dichter Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834). Die Musik dazu schrieb der deutschen Komponisten Johann Friedrich Reichardt (1752-1814). Später dann hat Franz Schubert (1797-1828) eine weitere Vertonung beigetragen.

So wie Hannes Wader das Lied singt, im flotten Tempo, verliert es etwas von seiner Melancholie. Das gefällt mir. Grosse Klasse ist auch die eher klassische Version des Jugendkonzertchors der Chorakademie Dortmund.

Zum Schluss zwei Fragen: 1. Was bestimmt mich im Herbst: Melancholie oder Dankbarkeit? 2. Sehen die Stare auf der Stromleitung nicht ein bisschen wie die Noten eines Musikstücks aus? 

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 20. September 2022

Bestattungsfeier mit Milliardenpublikum

Ein Zitat

Der Sarg mit Queen Elisabeth II. wird auf Schloss Windsor in die St. George's Chapel getragen.
Foto © Jörg Niederer (aus der Fernsehübertragung)

"Ich weiß, wie sehr ich mich auf meinen Glauben verlasse, damit er mich durch die guten und schlechten Zeiten trägt."
Queen Elisabeth II. in der Weihnachtsansprache 2002

Ein Bibelvers - Offenbarung 21,5

"Der auf dem Thron saß, sagte: 'Ich mache alles neu.'"

Ein Anregung

Auf 4 Milliarden wurde das Publikum geschätzt, welches gestern die Beisetzungsfeier von Queen Elisabeth II. ganz oder teilweise gesehen hat. Davon sassen unzählige Menschen in Ländern vor den Bildschirmen, die keine Monarchie mehr haben und auch nicht zum einstigen Commonwealth gehörten oder zu einem sogenannt christlichen Land. Das bedeutet, dass wohl die beiden Beisetzungsfeiern in der Westminster Abbey und in der St. George's Chapel auf Schloss Windsor die Gottesdienste mit der weltweit höchsten Beteiligung aller Zeiten waren. Und das für eine Königin, wo man doch immer dachte, dass es die Monarchie sei, die auf kurz oder lang zu Grabe getragen werde. Dazu passt, dass die Queen in einem für diese Tage seit 30 Jahren bereitstehenden Sarg aus amerikanischer Eiche bestattet wurde, der mit Blei luftdicht verschlossen ist. Die sterblichen Überreste der Queen werden folglich noch einige tausend Jahre in guten Zustand der Nachwelt erhalten bleiben. Nun wird auch klar, warum es 8 Sargträger brauchte, welche die an sich leichte Queen in ihrem schweren Sarg mit den Füssen voran ihrer letzten Ruhe entgegentrugen. Eine Ruhe, die möglichst lange wenn nicht ewig dauern sollte.

Eine ewige Königsherrschaft in Ruhe und Frieden, das kommt mir doch irgendwie bekannt vor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 19. September 2022

Liebe total

Ein Zitat

Ein Steindruck von Honore Daumier aus der Serie Moeurs Conjugales
Foto © Jörg Niederer (Foto vom Original)

"grosse Liebe

 ↓ 

 Ferien 

↓ 

kleine Liebe"


Beni Bischof, Filzstiftzeichnung in der Ausstellung "Perfect Love"



Ein Bibelvers - 1. Korinther 13,2c

"Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts."

Ein Anregung

In meinem Metier ist der Besuch einer Ausstellung über die Liebe wohl Pflichtprogramm. Gestern war es soweit. Ich besuchte das Kunstmuseum
St. Gallen und da vor allem die Ausstellung "Perfect Love". Die Gesamtheit der Liebe wird in verschiedenen Themenbereichen dargestellt: Paar Liebe, Mutter Liebe, Gottes- und Nächstenliebe, Liebe zur Kunst, Perfect Love?, Liebe in den Wolken, Fest der Liebe, Himmlische Liebe, Liebe zur Kreatur, und zuletzt: Paradiesische Liebe.

Wie ein roter Faden begleiten an Wänden und Gestellen die Strichzeichnungen von Beni Bischof den Rundgang durch die Ausstellung. Sie werfen amüsante Blicke auf den Werdegang der Liebe. So etwa die kleine Skizze an einem quadratischen Sockel. Auf einer Seite steht da "Ich". Verbunden ist dieses Ich durch eine Linie 90° über die Kante hinweg zum "Du". Damit das Ich zum Du kommt, muss es um die Ecke denken, um die Ecke gehen.

Nebst vieler schöner kirchlicher Kunst ist mir an einer Wand mit vielen kleinen und grösseren Exponaten zur Paarliebe das von Honore Daumier aufgefallen. Es zeigt die Ehe nach sechs Monaten. Mann und Frau beim Gähnen. Erste Abnützungserscheinungen. Die Spannung der allerersten Zeit ist vorbei. Der Alltag ist eingekehrt. Aber auch: Nun gähnen Mann und Frau paarweise, gähnen im Gleichklang.

Das Museum hat also der Liebe Raum gegeben. Das wünsche ich uns allen auch: Dass wir der Liebe viel Raum geben.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Sonntag, 18. September 2022

Von schönen Rehaugen

Ein Zitat

Reh im Wald bei Märstetten
Foto © Jörg Niederer
"Glück ist wie ein scheues Reh – wenn man ihm hinterherjagt, erreicht man es nicht – wenn man schon nicht mehr mit ihm gerechnet hat, ist es plötzlich da." Helmut Glaßl (*1950) Autor

Ein Bibelvers - Sprüche 5,18c+19

"Freu dich an der Frau, die du jung geheiratet hast! Sie ist wie ein liebes Reh, eine reizende Gazelle. Ihre Brüste sollen dich zu jeder Zeit berauschen. Lass dich von ihrer Liebe immer wieder bezaubern."

Ein Anregung

Gleich drei Rehe an zwei Orten standen mir gestern Modell bei unserer Wanderung vorbei an Weihern und durch Wälder. Die sanften Fluchttiere sind gern gesehen. Töchter wurden nach den grazilen Tieren benannt. Die Feingliedrigkeit wurde zum Bild für die Schönheit von Frauen – und auch jungen Männern. Wobei sich wohl heute kaum viele Frauen das Rollenbild zu eigenen machen würden, wie es im Sprüche 5 (siehe oben!) als Ideal durch die Frau Weisheit an ihre Söhne vermittelt wird. 

Auch Männer werden verglichen mit den eleganten Gazellen. Im folgenden Vers aus den biblischen Liebesliedern wird einer von ihnen als erwünschter Beobachter und Gast beschrieben. "Mein Liebster gleicht der Gazelle oder einem jungen Hirsch. Schon steht er an unserer Hauswand. Er schaut durch das Fenster herein, späht durch das Fenstergitter." (Hohelied 2,9)

Das hebräische Wort "Tabita" für Reh/Gazelle wird auch als weiblicher Eigennamen gebraucht. So in einer biblischen Geschichte, die in Joppe, dem heutigen Jaffa spielt: "In Joppe lebte eine Jüngerin namens Tabita. – Der Name heißt auf Griechisch Dorkas, das bedeutet: Gazelle. – Sie hatte viel Gutes getan und den Armen durch reiche Gaben geholfen." (Apostelgeschichte 9,36) Diese Tabita starb, und wurde dann durch Petrus zurück ins Leben gerufen mit den Worten: "Tabita, steh auf!". Die Wirkung wird ganz unspektakulär mit dem Satz beschrieben: "Da öffnete sie die Augen."

Möge Gott euch auch an diesem Sonntag die Augen öffnen für all das, was diese Erde an Wundern bereit hält.


Wer möchte, kann heute an einer Bettagsvesper um 18.00 Uhr im Chor des Doms St. Gallen seiner Dankbarkeit Ausdruck geben.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 17. September 2022

Zucker liegt in der Luft

Ein Zitat

Bahnwagons stehen vor der Zuckerfabrik Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Zucker in der Jugend macht faule Zähne im Alter." Sprichwort

Ein Bibelvers - Jeremia 31,29

"Dann werden sie nicht mehr länger sagen: 'Die Väter haben saure Trauben gegessen. Deshalb sind die Zähne der Söhne jetzt ruiniert.'"

Ein Anregung

Heute, als ich ins Freie trat, wusste ich sofort, dass in der Zuckerfabrik Frauenfeld wieder produziert wird. Da lag dieser Duft nach gekochten Rüben in der Luft, ein untrügliches Zeichen, dass der Herbst beginnt.

Dem Süssen zugetan waren die Menschen auch schon in biblischen Zeit. Zucker gab es zu damals aber nur in Form von Honig: "Iss Honig, mein Sohn, denn er ist gut!". Dieser Vers aus Sprüche 24,13 war einer der wenigen, die mein Vater zu zitieren pflegte. Jedoch hat er uns Kindern unterschlagen, wie der Gedanke weitergeht. Aber vielleicht wollte er auch einfach, dass ich selbst nachschaue, was da so süss ist in der Bibel und im Leben. Hier die Auflösung: "Ja, der Honig ist süß für deinen Gaumen. Erkenne, dass die Weisheit wie der Honig ist! Ja, die Weisheit ist gut für dein Leben. Findest du sie, hast du eine sichere Zukunft. Deine Hoffnung wird nicht enttäuscht." 

Wo der Zucker produziert wird, das weiss ich. Bei der Weisheit bin ich mir nicht so sicher. Auch dazu gibt es ein biblisches Wort. Paulus schreibt: "Niemand soll sich etwas vormachen! Wenn sich jemand von euch in dieser Zeit für weise hält, muss er zunächst dumm werden. Erst dann kann er wirklich weise werden. Denn die Weisheit dieser Welt ist für Gott reine Dummheit. In der Heiligen Schrift steht ja: 'Gott fängt die Weisen im Netz ihrer eigenen Schlauheit.'" (1. Korinther 3,18-19)

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 16. September 2022

Aber schön, belastet es dich auch!

Ein Zitat

Toter Vogel an einem Strassenrand in Rorschach.
Foto © Jörg Niederer
"Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Glück auf Erden." Carl Spitteler (1845-1924) Nobelpreisträger für Literatur

Ein Bibelvers - Hebräer 4,15

"Er [Jesus] ist kein Hohepriester, der nicht mit unseren Schwachheiten mitleiden könnte. Er wurde genau wie wir in jeder Hinsicht auf die Probe gestellt. Nur war er ohne Sünde."

Ein Anregung

Es war eines dieser Gespräche aus einem benachbarten Zugsabteil, das man gar nicht mithören will und doch dazu gezwungen wird, einerseits der lauten Stimme, andererseits dessen verstörenden Inhalts wegen. Genau solche Gespräche schleichen sich unausweichlich in die Gehörgänge und ins Bewusstsein. So erfuhren die Morgenpendlerinnen und -pendler eines ganzen Wagons Intimitäten zweier junger Frauen, die in dem Satz gipfelten: "Aber schön, belastet es dich auch!"

Was ist an Belastungen - einmal abgesehen von denen, die man sich in Fitnessstudios auferlegt - denn schon schön, frage ich mich. Hilft es wirklich, wenn es andern gleich dreckig geht, wenn sie unter denselben oder ähnlichen Umständen leiden?

Ausgehend vom gestrigen Blogbeitrag frage ich mich, ob das Wissen darum, dass Gott selbst sich den unsäglichen Schmerzen einer Folterhinrichtung aussetzte, mir hilft, mit meinem Schicksal, meinen meist deutlich kleineren Schmerzen und Endtäuschungen besser zurechtzukommen? Sage ich zu Gott: Aber schön, belastet es dich auch? 

Nun weiss ich von Menschen, die wirklich Trost aus dem Leiden Christi für ihr Leben gewinnen können. Aber wäre es nicht besser für die ganze Welt, wenn wir Trost daraus gewinnen, dass es nicht allen so schlimm geht, wie möglicherweise gerade mir?

Andererseits ist Mitgefühl dann möglich, wenn ich mich in das andere Wesen hineinversetzen kann, wenn dessen Leid in mir ein Echo seines Schicksals auslöst. Wie fein ist dein Sensorium für die Not und das Leid des andern, der andern eingestellt? Mich kann mitunter ein toter kleiner Vogel am Wegrand belasten, aber noch weit mehr das Leid eines guten Freundes. Das ist etwas Gutes. Da sage ich dann zu mir: "Aber schön, belastet es mich auch!" Aber schön, bin ich noch nicht ganz abgestumpft!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 15. September 2022

Universitäten warnen vor der Bibel

Ein Zitat

Sonntagschul-Flanellbild von Kain und Abel.
Foto © Jörg Niederer
"Das Interessante an der alttestamentlichen Literatur ist das Phänomen, dass die Rache in das Handeln Gottes überführt wird." Prof. Dr. Markus Witte, Experte für die Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Berliner Humboldt-Universität

Ein Bibelvers - 1. Mose 19,5

"Sie [die Männer von Sodom] riefen nach ihm [Loth] und sagten: 'Wo sind die Männer, die heute Nacht zu dir gekommen sind? Bring sie heraus! Wir wollen mit ihnen schlafen.'"

Ein Anregung

Als ich in die Sonntagschule ging, gab es das "nickende Negerlein" und die Flanellbilder, wie dasjenige über die biblische Geschichte von Kain und Abel. Während Schnorr von Carolsfeld in seinem Holzdruck (um 1855) diese Szene weitaus drastischer darstellte, sieht man auf dem Sonntagschulbild den Brudermord nur durch die Keule in der Hand des Kain angedeutet. Aber natürlich erfuhren wir Kinder die ganze Geschichte, und auch die von Sodom und Gomorra, die von der Vertreibung der Haggar, von der Sintflut, von David und Bathseba, von der Königin Esther, von den drei Männern im Feuerofen, von Elia, wie er die Baalspriester tötete, von Simson, wie er den Tempel über den Philistern und sich zum Einsturz brachte. Ja, wir wurden als Kinder nicht geschont, hielten diese für uns spannenden Sonntagschulgeschichten aus, vielleicht auch, weil wir in einer ganz anderen, heileren Welt aufgewachsen waren.

Heute werden an einigen englischen Universitäten die Studierenden vor unangemessenem Inhalt in der Bibel gewarnt. Tatsächlich finden sich nebst Mord und Massenmord, nebst Genozid und sinnloser Gewalt in der Bibel auch Inzest, Massenvergewaltigung, Kriegsverbrechen und die Verfolgung von Minderheiten. Gelegentlich wird das in den Texten gutgeheissen, meist aber sind es Beispiele, wie es nicht sein sollte. Dabei beschönigt die Bibel nichts, zeigt die menschlichen Abgründe unverblümt.

Ja, die Universitäten haben recht wenn sie vor einschlägigen Szenen in der Bibel warnen: Dieses Buch ist nicht harmlos. Für Opfer von Missbrauch und Krieg kann es traumatisierend sein, genau dies auch in dem Buch zu lesen, das eigentlich eine Liebesbotschaft Gottes an die Menschen sein will. Eine "blauäugige" Liebesbotschaft jedenfalls ist es nicht und darum auch kein Groschenroman. Es ist ein Buch, in dem die Liebe Gottes sich den Weg durch menschliches Elend bahnen muss, selbst menschliches Elend wird in Christus am Kreuz, und gerade so ernst macht mit der Hoffnung auf die Überwindung des Bösen. Darum Triggerwarnung! Die Bibel wird dich nicht kalt lassen, so oder so.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 14. September 2022

Pastorin, Priester, Gemeindeleiterin oder Pfarrer?

Ein Zitat

Christliche Vertreterinnen und Vertreter am interreligiösen Bettag 2021 in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Die Titel sind nur Zierden für Alberne; große Männer brauchen nur ihre Namen." Friedrich II. (1712-1786), preußischer König

Ein Bibelvers - 1. Timotheus 3,1b

"Wer Gemeindeleiter werden will, der strebt nach einer großen und schönen Aufgabe."

Ein Anregung

Vor Anlässen der Evangelischen Allianz und der Ökumene sind es wiederkehrende Diskussionen; die Frage nach kirchlichen Gewändern und den Titeln der geistlichen Frauen und Männern.

Die Kleidung unterscheidet sich dabei markant und reicht von Alltagsjeans über Businessanzug zu Talar, Soutane, Chorhemd und Stola. Bei den Titeln gibt es auch eine beachtliche Vielfalt. Prediger und Predigerin, Prädikant und Prädikantin, Pastorin und Pastor, Pfarrerin und Pfarrer, Priester und Priesterin (Ja, letztere gibt es, wenn auch nicht in der Römisch-katholischen Kirche), Gemeindeleiterin und Gemeindeleiter, Diakonin und Diakon, usw.

In Freikirchen grenzt man sich vom Titel "Pfarrer" ab, indem man sich des englischen Begriffs "Pastor" bedient. In einer kleinen Runde meinte dann auch ein Kollege spasseshalber: "Dass sich die Geistlichen der Methodistenkirche 'Pfarrer' nennen, kommt in unseren Freikirchenkreisen gar nicht gut an." Ich dagegen bin immer wieder irritiert, dass manche Freikirchler die Amtsbezeichnung "Pastor" auch bei uns in der Schweiz englisch, also als "Pääster" aussprechen. 

Letztlich sind diese Titel ja gar nicht mehr so wichtig. Und doch kann man ganz schön ins Fettnäpfchen treten, wenn man einer Person die falsche geistliche Berufs- oder Ehrbezeichnung gibt.

Mir gefällt die formlose Art, den Dienst als Pfarrperson zu tun, wie das bei den Methodistinnen und Methodisten in der Schweiz oft geschieht. Nur ab und zu denke ich, dass zu einer guten Öffentlichkeitsarbeit auch gehört, dass man einer Pfarrperson ihr Pfarrpersonensein von weitem schon ansieht. Oder wie siehst du das?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 13. September 2022

Fixpunkt

Ein Zitat

Am Klöntalersee
Foto © Jörg Niederer
"Wahre Ruhe ist nicht Mangel an Bewegung, sie ist Gleichgewicht der Bewegungen." Ernst von Feuchtersleben (1809-1849)

Ein Bibelvers - Markus 4,39

"Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See: 'Werde ruhig! Sei still!' Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still."

Ein Anregung

Empfinden wir die Ruhe, wie sie sich an einem still da liegenden Bergsee einstellt, deshalb als schön, weil es so ganz anders ist als die dauernde Bewegung und Veränderung, die uns im Alltag gefangen nimmt und nicht mehr loslässt. Da gibt es diese Unruhe, wie sie Malachy Tallack im Buch "Das Tal in der Mitte der Welt" einmal aus der Sich einer Frau so beschreibt: "Die letzte Woche hatte Alice in den Archiven von Lerwick gearbeitet, hatte im Café im Obergeschoss zu Mittag gegessen und hinausgeschaut auf den kleinen Hafen und den Bressay Sound dahinter. Es war schwer, dort einen Fixpunkt zu finden, einen festen Ort, den sie anvisieren konnte. Alles war in Bewegung. Nicht nur die Boote im Hafen, sondern auch die Silbermöwen, die durch die Luft wirbelten, und die Wellen, die Leute unter und die unsteten Wolken über ihr. Alles. wenn sie durch die Scheibe hinausschaute, fühlte sie sich manchmal von dieser Bewegung erfasst und auf unberechenbaren Strömungen fortgetragen, und ihre Gedanken trieben dahin wie eine über Bord geworfene Flasche. Wenn sie dann wieder in die Gegenwart gespült, zurückkehrte, war ihr Essen kalt, die Fischsuppe gestockt." (ebd. S.215)

Gut, wer in aller Lebensbewegung einen Fixpunkt hat. Einen Ruhepunkt für die Augen und die Seele. Die Konstante, um die sich die Welt drehen kann, ohne dass ein Mensch das Gleichgewicht verliert, welt- und seekrank wird. Mein Fixpunkt ist die Vertrautheit mit den Texten der Bibel. Diese Worte bleiben und sind wie ein See, der still daliegt. Es sind Momente, in denen ich klar sehen kann. Sehen, wie sich das Licht des Himmels im Hier und Jetzt spiegelt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 12. September 2022

Vertrautheit

Ein Zitat

Ein Paar spaziert Hand-in-Hand über einen Feldweg
Foto © Jörg Niederer
"Nur Vertrauen führt zu Vertrautheit. Beide Wörter haben ein- und dieselbe Wurzel." Ernst Ferstl, österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker

Ein Bibelvers - Psalm 139,1+2

"Herr, du hast mich erforscht und kennst mich genau. Ob ich sitze oder stehe: Du weißt es. Meine Absicht erkennst du von fern."

Ein Anregung

Wer in einer langdauernden Gemeinschaft lebt, kennt es vielleicht auch. Was zu Beginn der Beziehung noch für Drama sorgte und total verunsicherte, das ist mit zunehmender Vertrautheit kein Grund mehr zu Panik und Sorgen. Genau darum wohl finde ich mich in den Worten von Malachy Tallack, wenn er im Buch "Das Tal in der Mitte der Welt" das ältere Ehepaar Mary und David beschreibt: "Mary hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, wie sie mit ihrem Mann umgehen musste, wenn er so war, wenn er auf diese Art in sich selber verschwand, wie eine sich schliessende Muschel, wenn er die Welt aussperrte. Das war so anders als die Offenheit, die sie an ihm liebte, so anders als der David, den alle anderen kannten." (ebd. S. 203) 

Was von Mary gesagt wird, das scheint mir, könnte auch von meiner Frau gesagt werden. Sie hat gelernt mit meinen Macken umzugehen. Ich werfe sie nicht mehr so leicht aus der Bahn. Sie kennt mich. Ich empfinde das als ein grosses Geschenk.

In der Bibel lese ich, dass Gott uns Menschen durch und durch kennt. Und so bin ich sicher, dass Gott durch nichts, was wir Menschen an Macken und Fehlern haben, was wir tun oder lassen, aus der Bahn geworfen wird. Er weiss, wie er uns nehmen muss, lässt uns Zeit, lässt uns im Fallen nicht los, hält uns in seiner Gegenwart. Ich empfinde das als ein grosses Geschenk.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 11. September 2022

Erstes Konzert in der neu renovierten Kirche St. Johannes in Weinfelden

Ein Zitat

Die Camerata Aperta spielt unter dem neu beleuchteten Chor der Kirche St. Johannes in Weinfelden
Foto © Jörg Niederer
"Wer singt, betet zweimal." (Qui cantat, bis orat) Quelle: Der katholische Choralsänger

Ein Bibelvers - Matthäus 3,3

"Dieser Johannes ist es, von dem es bei dem Propheten Jesaja heißt: 'Eine Stimme ruft in der Wüste: Macht den Weg bereit für den Herrn, ebnet ihm die Straße!'"

Ein Anregung

Gestern durfte ich als einer der Gäste das erste Konzert in der neu renovierten römisch-katholischen Kirche St. Johannes der Täufer in Weinfelden miterlebten. Nach 60 Jahren brauchte die 120 Jährige Kirche dringend eine Auffrischung und teilweise Neugestaltung. Die Akustik blieb darob so gut wie eh und je. So war das musikalische Programm "Hope an Glory" vom Streicherkollektiv Camerata Aperta ein Hochgenuss und führte in einer Zeit nach England, in der das Land durch den Tod der Queen sowieso im Blick der Weltöffentlichkeit steht. Darum erklang denn auch in einer musikalischen Verneigung vor der britischen Monarchin zusätzlich die Nationalhymne "God save the Queen"

Die Camerata Aperta ist ein von jungen Thurgauer Musikerinnen und Musikern sowie Kulturschaffenden gegründetes Streicherkollektiv. Hier gibt es Hörbeispiele! Speziell an der 2019 gegründeten Formation ist, dass sie als grösseres Kammermusikensemble selbstständig und "demokratisch" (ohne Dirigentin oder Dirigent) die Projekte erarbeitet und aufführt. Dass dies gelingt, zeigte die Standing Ovation der Anwesenden und der langanhaltende Applaus.

Applaus hat auch die neu erstrahlte Kirche verdient. Roger Häfner-Neubauer, Präsident der Kirchgemeinde und der Baukommission legte in kurzen Beiträgen immer wieder gekonnt einen vertiefenden Blick auf die Ergebnisse der Renovation. Etwa auch, dass nicht alle Schäden der Vergangenheit beseitigt wurden. So blieb an einer Tafeln des Kreuzwegs ein Soldat einarmig, dessen anderer Arm vor Jahren abgebrochen war. Vielleicht ist das auch Bild für eine lebendige Gemeinde, die nahe bei den Menschen ist und selbst weiss, dass Unvollkommenes Teil der christlichen Erfahrung bleibt, wenn auch getragen von einer unzerstörbaren Hoffnung.

Heute Sonntag feiert nun die Gemeinde mit Bischof Felix Gmür und unter Mitwirkung des Kirchenchores einen feierlicher Gottesdienst. Wir wünschen der Römisch-katholischen Kirchgemeinde Weinfelden dazu Gottes Segen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde