Mittwoch, 30. Juni 2021

Grabsteine vor der Haustür

Ein Gedanke

Der alte Jüdische Friedhof mitten in einem Wohnquartier in St. Gallen
Foto © Jörg Niederer
"Wenn Du Frieden schließen willst mit Deinem Feind, dann arbeite mit ihm. Dann wird er Dein Partner." Nelson Mandela

Ein Bibelvers - 5. Mose 34,6

"Er [Gott] begrub ihn [Mose] auch im Land Moab, in einem Tal gegenüber von Bet-Pegor. Bis heute ist die Lage seines Grabes unbekannt."

Eine Anregung

Die Grabsteine stehen seit vielen Jahren auf einem verwilderten Grundstück zwischen Wohnhäusern. Ich rede vom ersten Friedhof befreiter Sklaven in Chattanooga, Tennessee. Beisetzungen fanden dort zwischen 1860 und 1950 statt. Danach wurde der Friedhof sich selbst überlassen mit gelegentlichen Säuberungsaktionen, die nicht selten von Mitglieder der Hurst United Methodist Church ausgingen. Dieser Kirchgemeinde gehört der Friedhof seit 1888. Der Beck Knob Friedhof wurde nun ins Register nationaler Wahrzeichen des Staates Tennessee aufgenommen. Wie bei alle Randgruppen-Friedhöfe gab es dort in der Vergangenheit Entweihungen und Vandalismus. Und mangels Pflege wurde er von einem Wald überwuchert.

Dass dieser Platz nun besser geschützt wird, ist Jeanette Mosely zu verdanken, welche ihre Beziehungen zu den amerikanischen Museen spielen liess. Gary James, der seit 75 Jahren in der malerischen Stadt lebt und ebenso lange Mitglied in der Methodistenkirche ist, betont, dass mit der Aufnahme des Friedhofs ins Register nur ein erster Schritt getan sei. Es brauche noch mehr Einsatz, um die Menschen, die dort bestattet sind, zu würdigen. James: "Viele der Leute, die Sklaven und die Menschen dort oben auf dem Friedhof und meine Großmutter und andere Leute, sie haben eine Menge gearbeitet, um dahin zu kommen, wo wir heute sind". Der Friedhof und die Grabsteine inmitten des Wohnquartiers bleiben nun ein wichtiges Zeugnis aus der Zeit der Rassentrennung, der Segregation.

Hier gibt es ein Video von der Friedhofsfreilegung von 2018. Zu sehen ist auch Gary James. 

Und auf diesem Video sieht man mehr von Gräbern und Umfeld.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 29. Juni 2021

Salomos Pfauen hatten wohl Hände und Füsse

Ein Gedanke

Portrait eines Rad schlagenden Pfaus
Foto © Jörg Niederer
"Ein Mann am Steuer eines Autos ist ein Pfau, der sein Rad in der Hand hält." Anna Magnani, italienische Schauspielerin (1908 - 1973)

Ein Bibelvers - 1. Könige 10,22

"Denn Salomo hatte große Handelsschiffe, die zusammen mit Hirams Schiffen übers Meer fuhren. Alle drei Jahre kamen die Handelsschiffe zurück und brachten Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen."

Eine Anregung

Der Pfau ist das ideale Tier für religiöse Analogien und Fehlinterpretationen. Das Christentum übernahm einige davon aus andern Religionen. So stand der Vogel für die Sonnenverehrung, und dann auch für den Himmel. Weil man annahm, sein Fleisch sei unverweslich, wurde der Pfau zum Symbol der Unsterblichkeit. Weil beobachtet wurde, wie er im Jahresverlauf die Federn verlor und wieder neue bekam, wurde er zu einem Bild der Auferstehung. Die vielen Augen im Federkleid symbolisierten die Allwissenheit von Christus, Gott und der Kirche.

Dass Rad schlagende Pfaue immer wieder weit hallende Schreie ausstiessen, führte zu folgender Erklärung: Immer, wenn der Pfau mitten in seinem eitlen Tanz die hässlichen Füsse bemerkte, hielt der sonst makellos schöne Vogel inne und stiess ärgerlichen Schrei aus. Im Büchlein Physiologus, einer Sammlung mittelalterlicher Tierallegorien, wird dies so auf die Christ*innen übertragen: "Auch du, verständiger Mensch, so du anschaust deine Bestimmung und das Gute, das Gott dir gegeben, freue dich und sei glücklich und frohlocke in deinem Herzen; blickest du aber nach deinen Füßen, das ist: nach deinen Sünden, dann schreie und weine zu Gott, und hasse dein Unrecht wie der Pfau seine Füße, damit du vor dem Bräutigam gerechtfertigt erscheinest."  So ist der Pfau nicht nur ein positives christliches Symboltier, sondern steht auch für die Todsünde "Stolz".

Es ist unsicher, ob in der Bibel der Pfau vorkommt. Ein Importgut von König Salomo mit der Bezeichnung "tukkijjîm" wurde mit dem Pfau gleichgesetzt, wegen der Ähnlichkeit zum einheimischen Namen "tokei" in Sri Lanka. Wahrscheinlicher ist "tukkijjîm" aber ein ägyptisches Lehnwort für Affe, und die importierten Tiere könnten Paviane gewesen sein. Doch sicher ist das nicht, und so kommt auch in neueren Bibelübersetzungen der Pfau an zwei Stellen weiter vor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 28. Juni 2021

Happy Birthday John Wesley

Ein Gedanke

Ikone von John Wesley in der Wesley Chapel in London
Foto © Jörg Niederer
Die Wendung: "Wir stimmen überein, dass wir nicht übereinstimmen" (agree to disagree) wurde von John Wesley geprägt. Mehr dazu hier!

Ein Bibelvers - Römer 12,9+10

"Eure Liebe soll aufrichtig sein. Verabscheut das Böse und haltet am Guten fest. Liebt einander von Herzen als Brüder und Schwestern. Übertrefft euch gegenseitig an Wertschätzung."

Eine Anregung

Heute jährt sich der Geburtstag von John Wesley zum 318. Mal. Der "Erbauer" und "Evangelist", wie es eine Ikone von ihm in lateinischen und griechischen Buchstaben in der Wesley-Chapel in London festhält, wurde allerdings an einem 17. Juni im Jahr 1703 in Epworth, England geboren. Und doch feierte er ab dem Jahr 1752 seinen Geburtstag an eben diesem heutigen 28. Juni. Grund war eine Kalenderumstellung in England, die bis in die heutige Zeit nachwirkt. Die gregorianische Kalenderreform führte dazu, dass sich das Datum in der damaligen Zeit um 10 oder 11 Tage verschob.

Nicht erstaunlich, dass Wesley die Kalenderreform mitmachte. Pragmatisch wie er war, und auch durchaus offen für wissenschaftliche Erkenntnisse und Modernisierungen folgte er wohl auch von seiner Einstellung her lieber dem neuen, nach dem christliche Papst Gregor benannten Kalender und nicht dem auf Julius Cäsar zurückgehenden julianischen, heidnischen.

Nun wollte ich natürlich wissen, wann mein Geburtstag nach dem julianischen Kalender zu feiern wäre. Auf folgender Webseite lässt sich das ganz einfach berechnen.

Nebenbei erfahre ich so, dass ich im Auenland (Herr der Ringe) am 29. August, einem Dienstag, geboren worden wäre.

Bei der Umrechnung zum jüdischen Kalender klappt es besser auf dieser Seite

Hier erfahre ich, dass ich am 16. Aw 5719 zur Welt gekommen bin. Und John Wesley am 14. Tammuz im Jahr 5463.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 27. Juni 2021

Ist Gott besser als gut?

Ein Gedanke

Glasfenster "Die Fusswaschung" von August Wanner in der Augustinerkirche Zürich
Foto © Jörg Niederer
"Gottes Haben ist ein Sein, sein Bewegen Stillstehen, sein Laufen ein Ruhen." Nikolaus von Kues (1401-1464)

Ein Bibelvers - Markus 10,18

"Jesus antwortete: 'Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer dem Einen: Gott.'"

Eine Anregung

Da gab es im ausgehenden Mittelalter einen Mann, Nikolaus von Kues. Der hatte sehr gründlich nachgedacht darüber, wie wir von Gott reden. Seine Erkenntnis nannte er "via negationis". Er knüpfte damit an frühere Philosoph*innen an und war überzeugt, dass wir mit Vorstellungen aus dem Bereich menschlicher Erfahrungen Gott nicht angemessen beschreiben können. Darum könne man von Gott nicht sagen, er sei gut oder er sei schlecht.

In der Logik gilt, dass man nicht etwas als richtig und falsch zugleich bezeichnen kann. Entweder ist es richtig oder dann falsch.

Nikolaus von Kues war nun aber der Meinung, dass Gott mit dieser Logik nicht angemessen beschrieben werden kann. Gott ist schlichtweg mit menschlichen Kategorien nicht zu fassen. Er entzieht sich unserem Verständnis. Man könnte auch sagen: Gott ist immer mehr als wir uns vorstellen können. Er ist jenseits menschlicher Vernunft. Er ist mehr als das, was wir als gut oder schlecht an Gott erleben.

Damit stellt sich die Frage, wie wir wissen können, dass Gott "gut" ist? Eine Antwort ist die Art und Weise, wie Jesus an seinen Mitmenschen handelte. So etwa, als er angesichts des Todes den Jüngern die Füsse wusch.

Mehr auf Youtube!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 26. Juni 2021

Hoffen gegen alle Hoffnung

Ein Gedanke

Bild von der Tempelaustreibung in der Serbisch-Orthodoxen Kirchen Zürich
Foto © Jörg Niederer
"Hoffnung dennoch. / Hoffnung trotzdem. / Hoffnung ungeachtet. / Hoffnung immer noch.

Hoffnung, wo wir aufgehört hatten zu hoffen. / Hoffnung, inmitten ihrer Bedrohung. / Hoffnung mit denen, die unsere Hoffnung nähren. / Hoffnung jenseits aller unserer Hoffnungen.

Hoffnung, die uns über unsere Grenzen hinausführt. / Hoffnung, die sich den Erwartungen widersetzt. / Hoffnung, die in Frage stellt, was wir gewusst haben. / Hoffnung, die einen Weg bahnt, wo es keinen gibt.

Hoffnung, die unsere Angst überwindet. / Hoffnung, die uns ins Leben ruft. / Hoffnung, die uns über den Tod hinaus ergreift. / Hoffnung, die jene segnet, die noch kommen werden."

aus paintedprayerbook.com  (Übertragung: Jörg Niederer)

Ein Bibelvers - Römer 4,18

"Wo es eigentlich keinen Grund zur Hoffnung gab, hat Abraham voller Hoffnung am Glauben festgehalten."

Eine Anregung

Jan Richardson schreib die Worte von der Hoffnung, ausgehend von Römer 4,18. Die Künstlerin, Schriftstellerin und ordinierte Pfarrerin der Evangelisch-methodistischen Kirche ist in Florida geboren und lebt auch dort. Ihre Arbeiten wurden von der Chicago Tribune als "atemberaubend" beschrieben. Themen sind das Angenommensein, die Vorstellungskraft und der Trost. In ihrem neuesten Werk "Sparrow: A Book of Life and Death and Life" verarbeitet sie den plötzlichen Tod ihres Mannes, des Singer/Songwriter Garrison Doles im Dezember 2013.

Und so empfehle ich hier auch einen Song von Garrison Doles. Im Lied "House of Prayer" geht es um das "Haus des Gebets für alle Nationen" und im weiteren Sinn um eine Tempelreinigung. 

Das Foto zeigt ein Gemälde in der Serbisch-orthodoxen Kirche in Zürich. Die Darstellung der Tempelaustreibung schmückt sinniger Weise die Wand hinter dem Ladentisch mit den Devotionalien.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 25. Juni 2021

Umsorgt Sterben ist teuer

Ein Gedanke

Das Sterbehospiz in der Villa Jacob in St. Gallen hat eröffnet
Foto © Jörg Niederer
Im Leben ist jeder und jede einmal tot. / Zuvor sucht die Hoffnung Argumente, stirbt zuletzt. / Gedanken warten darauf, gedacht zu werden. / Menschen suchen Auswege, halten Hände, bis… / ja bis er da ist, der ganz persönliche Karfreitag. / Tränen, letzte Worte, letztes Schweigen, / letzte Blicke, letztes Aufatmen, noch einmal nur… / leben.

Ein Bibelvers - Philipper 1,21

Paulus: "Denn für mich ist Christus das Leben. Und deshalb ist sogar das Sterben für mich ein Gewinn."

Eine Anregung

Menschenwürdig und umsorgt die letzten Tage des Lebens zu verbringen ist für viele Menschen in der Schweiz ein grosses Bedürfnis und eine grosse Sorge. Denn längst gibt es nicht genug bezahlbare palliative Angebote, und entsprechende Hospize sind noch teuer. In St. Gallen sind die ersten Patientinnen und Patienten in die sanierte Villa Jacob eingezogen. Das klassizistische Haus mit den grossen Fenstern und hellen Räumen ist ideal für die professionelle Sterbebegleitung von Menschen. Dabei wäre es beinahe abgerissen worden. Heute steht es 20 Meter von seinem ursprünglichen Standort entfernt, wohin es verschoben wurde, um den Ausbau des Pflegeheims GHG Rosenberg zu ermöglichen.

Wer sich am Lebensabend entscheidet, in diesem Haus zu sterben, muss tief in die Tasche greifen. CHF 8000.- kostet der Monat. Die Krankenkassen kommen nicht für diese Dienstleistung auf.

Diese stossende Situation hat zur Motion "Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care" im Ständerat geführt. Der Text lautet: "Der Bundesrat wird beauftragt, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit eine bedarfsgerechte Behandlung und Betreuung aller Menschen am Lebensende schweizweit gewährleistet ist, unter Berücksichtigung der allgemeinen und spezialisierten Angebote der Palliative Care in allen Versorgungsbereichen, ambulant, stationär sowie an Schnittstellen. Die Kantone sind in geeigneter Weise einzubeziehen." Am 16. Juni 2021 wurde die Motion vom Nationalrat angenommen, nachdem dies im Ständerat schon am 15. Dezember 2020 geschehen war.

Für die von der selbständigen methodistischen Diakonie Bethanien eben erst in den neuen Hauptsitz in Zürich verlegte "Pallivita" kommt diese Motion zu spät. Aus Kostengründen musste das Angebot geschlossen werden. "Ein äusserst trauriger Moment, da eine sehr professionelle und den Menschen in ihrer letzten Lebensphase zugewandte Arbeit nicht mehr angeboten werden konnte", so der Direktor Andreas Winkler in seinem Bericht an die Tagung der Jährlichen Konferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche. Siehe dazu auch: 

Da kann man dem Hospiz in der Villa Jacob nur wünschen, dass seine Dienstleistungen langfristiger gesichert sind. Vorerst ist der Verein Hospiz St.Gallen für 10 Jahre an diesem Standort eingemietet.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Donnerstag, 24. Juni 2021

Wenn aus Kirchen Geldmaschinen werden

Ein Gedanke

Die christkatholische Augustinerkirche unweit der Zürcher Bahnhofstrasse
Foto © Jörg Niederer
"Über die Gemüsebrücke gehe ich auf der Suche nach der Karfreitagstrauer in die Altstadt hinüber, erreiche die Augustinerkirche um fünf vor fünf und singe dort in der Lamentationsliturgie so rätselhafte Texte wie 'Nicht Opfer willst du, sonst würd ich sie bringen, Brandopfer sind vor dir nicht angenehm'." Franz Hohler, aus "Spaziergänge", München 2010

Ein Bibelvers - Lukas 16,8b+9

Jesus: "Die Kinder dieser Welt sind schlauer im Umgang mit ihren Mitmenschen als die Kinder des Lichts. Ich sage euch: Nutzt das Geld, an dem so viel Unrecht haftet, um euch Freunde zu machen! Dann werdet ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen, wenn diese Welt zu Ende geht."

Eine Anregung

Voller Körpereinsatz wäre es wohl in einem Fussballspiel. Was wir sehen ist die eingefrorene Szene eines Fouls. Die Bank Julius Bär lässt nahe der Zürcher Bahnhofstrasse der Augustinerkirche keinen Spielraum, macht sich auf der rechten Seite breit und drängt das Gotteshaus aus der Mitte.

Gotteshaus, das war die Kirche zu Beginn ihrer 751-jährigen Geschichte und ist es heute wieder. Einst war sie Teil vom Kloster des Augustiner Bettelordens, errichtet am Rand der Stadt. Viel später dann und bis heute ist sie die christkatholische Kirche von Zürich. Während der Reformation und lange Zeit danach wurde sie gedemütigt, durch den Protestantismus und die Stadtbehörde entweiht und andern Zwecken zugeführt.

Zum einen degradierte man das Langschiff zur Kornschütte, zum Lagerhaus. Der nach Osten ausgerichtete Chor wurde zugemauert, aus der seitlich angebrachten Liebfrauenkapelle eine Münzprägestätte und aus der Jakobskapelle die Schmiede. Noch vorher, nach der reformatorischen Aufhebung der drei Bettelordenskonvente von Zürich im Jahr 1524, zogen im Kloster das Almosenamt und das Ehegericht ein. 

Es dauerte lange, bis in der Folge des Toleranzedikts von 1807 die bis dahin verbotenen katholischen Messen in Zürich wieder erlaubt wurden. 1840 mieteten die Katholiken das Kirchengebäude und bauten es zu ihrem Gotteshaus um. Zugleich wurde aus dem zweckentfremdeten und an die Kirche angebauten Klostergebäude die Universität von Zürich.

Noch einmal erlebte das Kirchengebäude eine Reformation, jene nach dem 1. Vatikanischen Konzil von 1869/70, in dessen Gefolge sich ein Teil der Katholiken von Rom lösten und als Christkatholische Kirche formierten. 1984 erstellte dann die Bank Julius Bär seinen modernen Bau respektlos direkt an die Kirche, ergänzt mit einem Restaurant, das sich beidseits des Kirchenportals breit macht. Aus Chor und Kapellen wurde das christkatholische Kirchgemeindehaus. Wenn sich nach dem Gottesdienst in der Augustinerkirche die Gläubigen zum Kirchenkaffee aufmachen, sagen sie noch heute: "Wir gehen in die Münz", also dahin, wo einst statt gebetet "Geld gemacht" wurde.

Ja, in der Finanzstadt Zürich entkommen selbst einstige Bettelordenkirchen nicht der Bedrängnis durch den schnöden Mammon. Da ist der Modeladen, der sich im unteren Teil des christkatholischen Kirchgemeindehauses eingenistet hat, doch ein ruhigeres Gewerbe als die einstige Schmiede, und dessen Miete eine willkommene Einnahme in die Kirchenkasse.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 23. Juni 2021

SavePlace und Regenbogenkirche: Engagement der Solidarität

Ein Gedanke

Pfarrerin Chae Bin Kim informiert über das Seelsorgenetzwerk SafePlace
Foto © Jörg Niederer
"In unserer Seelsorge wollen wir besonders für dich da sein, wenn du zu der LQBTQIA-Gemeinschaft gehörst und dir Seelsorge wünschst, wenn du mit deiner sexuellen Identität ringst und/oder wenn du Fragen zu 'Sexualität und Christ:in sein' hast." SafePlace

Ein Bibelvers - Matthäus 11,28

Jesus: "Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Ich will euch Ruhe schenken."

Eine Anregung

Die anhaltenden Diskussionen zur Frage des Umgangs mit menschlicher Sexualität in der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) hat unter Methodist*innen in der Schweiz zu einer Bewusstseinsbildung geführt, aus der verschiedene Initiativen für Menschen entstanden, welche lesbisch, schwul, bisexuell, trans, intergeschlechtlich oder queer (LGBTQI) sind.

Während auf weltweiter Ebene eine Spaltung der Kirche ob dieser Frage immer wahrscheinlicher wird, und die Generalkonferenz von 2019 die ausgrenzenden Bestimmungen der Kirchenordnung noch verschärft hat, regt sich dagegen gerade in der Schweiz auch Widerstand. Dieser Widerstand ist kreativ und regenbogenbunt.

An der Jährlichen Konferenz (Synode) der Methodisten von vergangener Woche präsentierte Pfarrerin Chae Bin Kim das neue inklusive Seelsorgenetzwerk "SavePlace". Daran beteiligt sind aktuell acht Pfarrpersonen. "SafePlace ist ein Angebot für alle Personen, die sich mit Fragen der menschlichen Sexualität auseinandersetzen und dabei vor Ort keine Gesprächsmöglichkeit haben, um sich mit den aufgeworfenen Fragen, Nöten und Freuden auseinanderzusetzen." So steht es auf der Webseite des Netzwerks.

Schon etwas länger gibt es die Regenbogenkirche an der Mutschellenstrasse 188 in Zürich. Hervorgegangen ist diese Arbeit aus Erfahrungen in der EMK Adliswil. Was dort schon viele Jahre gelebt wird, nämlich ein Miteinander von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Ausrichtung, hat mit der Regenbogenkirche ein klares Profil bekommen. In den Anlässen treffen sich regelmässig zwischen 30 und 60 Menschen und feiern einen inklusiven Gottesdienst.

An der Jährlichen Konferenz wurde das pastorale Team verstärkt. Nebst Pfarrer Daniel Eschbach wirkt nun auch Pfarrer Stefan Zolliker bei der Regenbogenkirche mit. Damit hat diese Arbeit auch die Rückendeckung der leitenden Gremien der Kirche.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Dienstag, 22. Juni 2021

Spielen mit Zeit

Ein Gedanke

Kleines Kunstwerk von Christa Wichers als Geschenk an Jubilare
Foto © Jörg Niederer
"Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei." George Orwell (1903-1950)

Ein Bibelvers - Sprüche 25,11

"Wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen, so ist ein Wort, gesagt im rechten Augenblick."

Eine Anregung

Jedes Jahr gibt es an der Jährlichen Konferenz eine Stunde der Jubilarinnen und Jubilare, welche meist länger dauert als die suggerierten 60 Minuten. In diesem Jahr kreierte Christa Wichers passend zum Konferenzmotto "Willkommen zu verweilen" und den Lieblingsplätzen der Gefeierten kleine Kunstwerke aus Holz und Draht.

Unser Empfinden von Zeit ist von Fall zu Fall verschieden. Das eine Mal erleben wir Kurzweile, das andere Mal Langeweile. Wie kommt das?

Geschieht in einer abgegrenzten Zeitdauer viel, haben wir den Eindruck von Spannung und Tempo. Geschieht in der selben Zeitdauer nur wenig, erzeugt dies bei uns Ermüdung und Länge. Was in der Realität nicht geht, nämlich mit der Zeit zu spielen, gelingt scheinbar mühelos durch das Filmen von Bewegungen. Werden beim Filmen pro Sekunde mehr Einzelbilder erzeugt, als danach beim Abspielen gezeigt werden, verlangsamen sich die Bewegungen in der Wiedergabe. Anders herum, wenn weniger Bilder pro Zeiteinheit erfasst werden, wie danach abgespielt werden, sprechen wir von Zeitraffer.

Nehmen wir also eine Jubilarin, einen Jubilaren. Wenn er oder sie sich an Vieles erinnert aus der Vergangenheit, erscheint ihm oder ihr dann die Zeit gedehnt oder gerafft? Das werde ich beim nächsten Besuch im Altersheim herauszufinden versuchen.

Hier einmal der Hinweis auf ein aussergewöhnliches Video von Marco Room: "Playing with Time", also "Spielen mit Zeit" lautet der Titel.

Und auch sein Jubiläumsvideo zum millionsten Abonnenten ist faszinierend.

Aufgenommen wurden die Szenen mit der Hochgeschwindigkeitskamera Chronos 2.1 HD.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 21. Juni 2021

Der Nach-Konferenz-Blues

Ein Gedanke

Was bleibt nach dem Dank? Holzfiguren als Geschenk an Konferenz-Mitarbeitende.
Foto © Jörg Niederer
"Konferenzen = Problemfestspiele." Wolfram Weidner (*1925), dt. Journalist

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 15,6+7a

"Daraufhin versammelten sich die Apostel und die Gemeindeältesten, um über diese Frage zu beraten. Dabei kam es zu einem heftigen Streit."

Eine Anregung

Die Konferenz war bereichernd, herausfordernd und voller Eindrücke und Begegnungen. Je nach Verantwortung war sie auch belastend. Alles ist gut gegangen, es gab manche motivierende Information und Anregung. Das Resümee ist durchaus positiv.

Dann kommt der Tag danach.

Schon in der Bahn nach Hause, noch zusammen mit anderen Delegierten, schleicht sich bei mir eine eigenartige Stimmung ein, eine Mischung aus Erschöpfung, Erleichterung und Leere: der Nach-Konferenz-Blues. Statt voller Elan zurück an die Arbeit, kostet mich der Weg ins Büro, in die Kirche, grosse Überwindung. Ich bleibe an tausend Kleinigkeiten hängen, ordne unnütze Dinge, lande vor der Glotze, bin mit mir und der Welt unzufrieden, stosse mich schmerzhaft an Details und lande im Selbstmitleid.

Bitte versteht mich nicht falsch: Pfarrer sein ist und bleibt meine Berufung und Leidenschaft. Aber nach der Konferenz ist die Spannung weg, die Freude klein, der Alltag schleppt sich, und leise macht sich das schlechte Gewissen breit, weil ich mich grundlos mies fühle.

Liese sich der Tag nach der Konferenz mit seinem Blues löschen, ich täte es.

Aber dann sage ich mir: Da musst du durch! Und ich rapple mich auf, packe den Post-Konferenz-Blues zur unerledigten Arbeit in die Kiste und mache nach einiger Zeit einmal mehr die Erfahrung, dass er sich - so weggeräumt - erst nach der nächsten Konferenz zurückmelden wird. Dann aber wird er wieder so sicher da sein wie das Amen in der Kirche.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 20. Juni 2021

Connexio develop erlangt Steuerbefreiung als gemeinnütziger Verein

Ein Gedanke

Ulrich Bachmann führt in den Bericht von Connexio ein
Foto © Jörg Niederer
"Connexio leistet einen Beitrag an eine friedvolle und gerechte Welt, in der alle Menschen und die Schöpfung in ihrer Würde respektiert werden." https://www.connexio.ch/index.php/uber-uns/

Ein Bibelvers - Prediger 11,1

"Schick dein Brot über die Wasserfläche! Denn nach vielen Tagen wirst du es wiederfinden."

Eine Anregung

Erstmals tagten am Samstagmorgen die beiden Vereine "Connexio develop" und "Connexio hope". Während bei Connexio hope, der als kultischer Verein eingetragen ist, Spenden nicht steuerlich abzugsfähig sind, ist das bei Connexio develop anders. Nach 15 Monaten ging am gestrigen Freitag die Anerkennung der Steuerbefreiung für den gemeinnützigen Verein Connexio develop ein. Damit sind Spenden an diesen Teil von Connexio steuerlich abzugsfähig. Auch wichtig ist diese Anerkennung für die Zewo-Zertifizierung, welche in Kürze erfolgen wird.

Geschäftsleiter Ulrich Bachmann betonte im Verlauf seiner Präsentation, dass die Spendenbereitschaft für Connexio ausserordentlich hoch ist, und dass dies auch von Dritten so wahrgenommen werde. Die Mitarbeitenden von Connexio seien sich dieser Treue der Spender*innen sehr bewusst und danken ganz herzlich.

Im weiteren Verlauf wurde ein Gespräch via ZOOM mit Socheata Chap geführt, der Landeskoordinatorin in Kambodscha. Erstmals wurde für eine entsprechende Position eine einheimische Fachperson durch Connexio angestellt.

Wer mehr über Connexio erfahren möchte, kann auf die Webseite gehen. Dort ist auch eine Online-Spende möglich.

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Heute Sonntag wird der Ordinationsgottesdienst der Jährlichen Konferenz Schweiz-Frankreich-Nordafrika live in den Gottesdienstraum der EMK St. Gallen übertragen. Dieser Gottesdienst beginnt schon um 09.30 Uhr!

Wer nicht in der EMK St. Gallen oder am Tagungsort in Thun dabei sein kann, kann diesen Gottesdienst auch per Youtube von zuhause aus schauen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde 

Samstag, 19. Juni 2021

Kirche als Kaleidoskop verschiedener Glaubenshaltungen

Ein Gedanke

Claudia Haslebacher führt ins Gespräch zum Szenario Kaleidoskop ein
Foto © Jörg Niederer
"Unser Leben gleicht einem Kaleidoskop. Immer wieder neue, wechselnde, bunte Bilder. Geschaffen aus unzähligen Scherben." Elvira von Ostheim

Ein Bibelvers - 2. Könige 10,15

"Jehu ... traf Jonadab... Er grüßte ihn freundlich und fragte ihn: 'Wie sieht es in deinem Herzen aus? Kann ich mich so auf dich verlassen, wie du dich auf mich verlassen kannst?' Jonadab antwortete: 'Ja!' Da sprach Jehu: 'Ja? Dann gib mir darauf deine Hand!' Und er gab sie ihm."

Eine Anregung

"Kaleidoskop" nennt sich das Szenario, das eine Arbeitsgruppe der Jährlichen Konferenz Schweiz-Frankreich-Nordafrika vorschlägt, als Antwort auf eine mögliche bevorstehende Trennung wegen unterschiedlicher Ansichten zur Homosexualität.

Ziel dabei ist, dass möglichst viele Menschen in einer zukünftigen Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) bleiben können. Dies ist nur möglich, wenn die verschiedenen Haltungen eine Heimat finden können innerhalb der Strukturen der EMK. Aus diesem Grund sollen die Ausrichtungen der Gemeinden und der Pfarrpersonen bei den Dienstzuweisungen berücksichtigt werden. Diskriminierende Abschnitte der Kirchenordnung sollen entfernt werden.

Am gestrigen Freitagnachmittag diskutierten die Delegierten den Vorschlag an der Jährlichen Konferenz (Synode). Claudia Haslebacher leitete zum Gespräch an. Noch einmal betonte sie, dass es oberstes Ziel sei, möglichst viele Gemeinden zu einem gemeinsamen Weg zu bewegen.

Hier einige Voten aus dem weiteren Austausch im Plenum:

Heiner Studer vermutet, dass die Entwicklung zu zwei Kirchenteilen "passive Sterbehilfe" bedeute. Die Lebensfähigkeit der EMK sei dann wohl in Frage gestellt. Er sieht im Kaleidoskop eine liberale Ausrichtung.

Bischof Patrick Streiff erklärte darauf noch einmal die Prozesse in der weitweiten Kirche. Die Generalkonferenz 2019 hat einen traditionellen Plan angenommen, bei dem alle nicht gleichdenkenden Menschen und Konferenzen ausgeschlossen würden. Das löste grosses Entsetzen aus und führte zu einer Arbeitsgruppe, bestehend aus allen Lagern, welche einen Antrag formulierten. Das "Protokoll zu Versöhnung und Trennung" sieht vor, dass die EMK als EMK bestehend bleibt, wobei man sich in Fragen der Homosexualität öffnen würde. Alle, die das nicht wollen, können auf versöhnliche Weise und mit den Kirchen-Vermögensanteilen aus der EMK austreten. Das wird vermutlich zu einer neuen konservativen, methodistischen Kirche führen.

Antoine Da Silva sieht einen Paradigmenwechsel bei der Kirche als Leib Christi. "Als Christen sind wir verbunden mit Christus und verantwortlich für die Kirche." Die Anerkennung von LGBTQ würde bedeuten, dass die traditionelle Linie verlassen würde. Das sei gefährlich, und öffnet das Tor für fremde Geister. Er könne es sich nicht vorstellen, lesbische oder homosexuelle Paare zu trauen. Das wäre gegen alles, was er glaube.

Janick Buser berichtet, dass das Kaleidoskop vom Jugendrat einstimmig unterstützt werde. Persönlich sei er für die Öffnung gegenüber den Homosexuellen und möchten die Einheit der schweizerischen EMK bewahren. Zugleich fragt er sich, ob die Spaltung nicht auf die Ebene der Gemeinden und Einzelpersonen verschoben werde.

Johann Wäfler ist besorgt wegen der Extrempositionen auf beiden Seiten. Für die einen scheint das Szenario beschlossen, die andern fühlen sich abgelehnt. Er bittet darum, weiter im Gespräch zu bleiben.

Christian Minder merkt an, dass die Streichung der diskriminierenden Artikel zur Homosexualität aus der Kirchenordnung auch zu einer Liberalisierung führen werde.

Stefan Ilg bittet, dieses ungeliebte Thema weiter zu behandeln, und nicht aus Diskussionsmüdigkeit oder andern Gründen den Dialog abzubrechen. "Warten kann sich lohnen." Das habe er persönlich mit dieser Kirche so erlebt.

Michael Bünger beschäftigt eine Sorge: Dass sich die Kirche nicht verändert. Und er hat die Hoffnung, dass sich die Kirche laufend ändert. Beispielhaft nennt er Themen wie "Kinder beim Abendmahl" oder die Kindertaufe. Er bittet darum, dass die Kirche offen bleibt für alle Menschen.

Théo Paka möchte verstehen, warum es homosexuelle Anziehung gibt. Er unterstützt das Kaleidoskop. "Christus ist nicht nur für mich gestorben, er ist auch für den Freund, Bruder, die Schwester gestorben." An der Generalkonferenz erlebte er den Ausschluss vieler Menschen, und fragt sich: "Wir haben intelligent auf die verschiedenen Taufverständnisse reagiert. Warum geht das nicht auch bei dieser Frage?"

Annemarie Studer wünscht sich wieder andere Diskussionen und Gespräche, z.B. zu den Flüchtlingen.

Etienne George beschäftigt es, warum man nicht mehr mit verschiedenen Meinungen in einer Kirche sein kann. Und er beatwortet diese Frage gleich selbst: "Weil man heute eine Kirche ist, in der man nur noch eine Haltung zulässt".

Esther Wetzel hat die grosse Bitte, trotz Angst und Sorgen im Gespräch zu bleiben. Durch Gespräche sei sie selbst weitergekommen.

Markus Bach möchte in einer Kirche bleiben, aus der niemand ihn wegen abweichender Meinung hinausdrängt. "Das Konferieren ist Teil unseres Kircheseins." Darum unterstütze er Kaleidoskop.

Abschliessend beschreibt Iris Bullinger den weiteren Weg bis 2023 und betont: "Wir haben Zeit, in den Gemeinden/Bezirken aufeinander zu hören, miteinander zu reden, einen Weg zu gehen." Der Bereich Gemeindeentwicklung unterstützt diese Gespräche mit Hilfsmittel und personell. 

Ab Anfang September werden die Texte im Zusammenhang mit dem Szenario Kaleidoskop für die Gemeindeglieder verfügbar sein.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 18. Juni 2021

Die Optimierung der Kirche

Ein Gedanke

Die Beteiligten der AG Kriterien
Foto © Jörg Niederer
Jede Kirche ist so schwach wie ihr 'stärkstes' Glied.

Ein Bibelvers - 2. Korinther 12,5b

Paulus: "... im Hinblick auf mich selbst kann ich nur mit meiner Schwäche angeben."

Eine Anregung

Laut Wikipedia ist ein Optimum "...das beste erreichbare Resultat im Sinne eines Kompromisses zwischen verschiedenen Parametern oder Eigenschaften unter dem Aspekt einer Anwendung, einer Nutzung oder eines Zieles."

Wie kann die Kirche optimiert werden? Soll man Kirche optimieren? Darf man Kirche optimieren? Treibt dies nicht den Geist der Vielfalt aus, bei dem Starke und Schwache gemeinsam Leib Christi sind? Eine Orientierung allein an den erfolgreichen Elementen und an den starken Persönlichkeiten würde eine Kirche schwächen, weil sie dann nicht auch für die "Schwachen" da ist. Kirche besteht aus Menschen, und ist daher vorläufig und fehleranfällig. Ein anderes Optimum gibt es wohl bei der Kirche nicht.

Gibt es Kriterien, welche diese Begrenzungen so berücksichtigen, dass schlussendlich der beste mögliche kirchliche Zustand erreicht wird, der beste mögliche Prozess erfolgen kann?

Eine Arbeitsgruppe "Kriterien", bestehend aus den Gemeindegliedern Andreas Burger, Markus Wenger und Stefan Schnegg, sowie den Pfarrpersonen Chae Bin Kim, Marc Nussbaumer und Serge Frutiger, hat sich dieser Fragen angenommen und sie an der Tagung der Jährlichen Konferenz präsentiert.

Die Arbeitsgruppe hat fünf Kriterien formuliert, die auf dem Weg zu einer optimalen Kirche in den nächsten Jahren bei Gesprächen in den Gemeinden zur Anwendung kommt:

- Geistlich am Wachsen (Menschen erfahren Christus. Gefässe, in denen Menschen geistlich wachsen.)
- Geistliche Leiterschaft (Zusammenarbeit als Team. Geistliche Impulse untereinander und für die Gemeinde. Methodistische Identität)
- Neue Projekte (Haltungen und Handlungen Einzelner. Neue Projekte für neue Kontakte. Missionarische Zusammenarbeit mit anderen EMK-Gemeinden)
- Neue Gäste im Haupttreffen (Haupttreffen der Gemeinschaft. Neue Gäste im Haupttreffen. Wie finden Gäste Anschluss an die Gemeinschaft?)
- Neue Hingabe Einzelner (Haltung und Ausstrahlung Einzelner. Neue Hingabe für die Gemeinde)

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 17. Juni 2021

Methodisten aus der Schweiz, Frankreich und Nordafrika tagen in Thun

Ein Gedanke

Schloss Thun
Foto © Jörg Niederer
"Frieden hat mit dem umfassenden Shalom zu tun, den Gott für die Welt schaffen will. Frieden beginnt mit Veränderung im Herzen und hat Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft!" Bischof Patrick Streiff auf Twitter

Ein Bibelvers - Römer 12,3

Paulus: "Bei der Gnade, die Gott mir geschenkt hat, sage ich jedem Einzelnen von euch: Überschätzt euch nicht und traut euch nicht mehr zu, als angemessen ist. Strebt lieber nach nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar jeder so, wie Gott es für ihn bestimmt hat – und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht."

Eine Anregung

Seit gestern Abend hat die Jährliche Konferenz (Synode) der Evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz-Frankreich-Nordafrika in Thun begonnen. Sie dauert bis Sonntag. Coronabedingt findet sie in hybridem Format statt. Bis 100 Personen sind persönlich in Thun anwesend, die weiteren rund 150 delegierten Frauen und Männer nehmen online daran teil.

Gäste können den öffentlichen Anlässen live per Youtube folgen. 

Ergänzende Hintergrundinformationen gibt es auf Twitter

Das Programm der Jährlichen Konferenz und weitere Informationen werden auf der Webseite der EMK Schweiz zur Verfügung gestellt. 

Und wer wissen will, wie die lokale Evangelisch-methodistische Kirche arbeitet und sich in Stadt und Umgebung einbringt, kann das auf der Webseite tun: 

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 16. Juni 2021

Ein Methodist ist der älteste Amerikaner auf dem Mount Everest

Ein Gedanke

Symbolbild: Gletscherwelt in den Schweizer Alpen
Foto © Jörg Niederer
"Man erkennt, wie groß der Berg ist, wie gefährlich er ist, wie viele Dinge schief gehen können. Ja, das macht dich nervös, es macht ein wenig Angst." Der 75-jährige Arthur Muir nach der Besteigung des Mount Everest

Ein Bibelvers - Jesaja 46,4

Gott spricht: "Ich bleibe euch treu, bis ihr alt seid. Ich trage euch, bis ihr graue Haare habt. Das habe ich getan und werde es weiter tun. Ich bin es, der euch trägt und rettet!"

Eine Anregung

Der älteste Mensch, der auf dem Dach der Welt war und lebend zurückkehrte, ist der Japaner Yuichiro Miura. Dieser Bergsteigerrekord hält seit 2013. 

Der älteste Europäer, der den Mount Everest bezwang, ist der 70-jährige Gerd Schütz aus München.

Der älteste Amerikaner dem die Besteigung des höchsten Bergs der Erde gelang, ist 75 Jahre alt und Mitglied der Evangelisch-methodistischen Kirche North Shore in Glencoe USA.

Arthur (Art) Muir wurde vom Bergsteigervirus vor rund 8 Jahren befallen, als er auf dem 5781m hohen Cotopaxi in Südamerika stand. Der pensionierte Anwalt aus Chicago begann intensiv zu trainieren, bestieg mit seinem Sohn gemeinsam den wohl gefährlichsten Berg der Welt, den 6144m hohen Mount Denali in Alaska. Dieser gehört zu den sogenannten Seven Summits, den jeweils höchsten Bergen der sieben Kontinente. Damit war für Muir klar, dass er den Mount Everest besteigen wollte. Ein erster Versuch 2019 misslang, da er sich im Aufstieg bei einem Sturz von einer Leiter verletzte. Es kam die Pandemie und damit gingen mehr als ein Jahr ins Land, bis sich wieder eine Gelegenheit bot, das Vorhaben umzusetzen. Am am 23. Mai 2021 dann stand er zuoberst auf dem Gipfel, in 8848m Höhe. Sieben Tage später, heil wieder zurück in Katmandu, erzählte er einem Reporter: "Es war kalt und windig auf dem Gipfel und ich war einfach überrascht, als ich tatsächlich dort angekommen war. Ich war zu müde, um aufzustehen. Auf meinen Gipfelbildern bin ich sitzend zu sehen." Tage später in den USA sagte Muir in der TODAY-Show: "Um ganz ehrlich zu sein, ich dachte an meine Familie, ich dachte an meine Enkelkinder, von denen eines geboren wurde, während ich auf dieser Expedition war, und ich begann zu weinen. Es war das Abenteuer meines Lebens."

Der englischsprachige Bericht auf der Webseite der Northern Illinois Conference der Evangelisch-methodistischen Kirche kann hier gelesen werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde 

Dienstag, 15. Juni 2021

Niggidei, Sibirie und Heilige Zwölfpotten?

Ein Gedanke

Beim Bahnhof in Lyss. Rund um Lyss gibt es amüsante Lokalnamen
Foto © Jörg Niederer
"Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch" lautet der Name einer etwa 3.000 Seelengemeinde im Nordwesten von Wales. Mehr!  

Ein Bibelvers - Hosea 1,6

"Danach wurde Gomer wieder schwanger. Diesmal brachte sie eine Tochter zur Welt. Der Herr sprach zu Hosea: Gib ihr den Namen Lo-Ruhama, 'Kein Erbarmen'! Denn ich will kein Erbarmen mehr haben mit dem Haus Israel."

Eine Anregung

Niggidei, Sibirie, Hosebändelrider, Bagguul, das sind Ortsbezeichnungen, die mir auf https://map.schweizmobil.ch/ rund um Lyss aufgefallen sind. "Sibirien" gibt es auch noch bei Rothrist. Und "Moskau" bekanntlich bei Ramsen. 

Auch amüsant finde ich die Dialektbezeichnung "Sankt Ueli"; ein Lokalname bei Strengelbach. Religiöse Bezüge bei den Lokalnamen gibt es in grösserer Zahl, wobei manche auch eher selten auftauchen. "Heiland" findet sich in https://search.ortsnamen.ch/de/ nur gerade einmal, und bezeichnet eine Christusstatue bei Meggen am Vierwaldstättersee. "Jesu(s)" taucht in den Namen einer Kapelle bei Riddes im Wallis, einer Kirche bei Laufen und dem Kapuzinerinnenkloster in Solothurn auf. Mehr nicht. Paradiese dagegen gibt es vielerorts. Mindestens 44 Flure, Dorfteile, Gebäude und Siedlungen sind so bezeichnet, wobei es eine Häufung in der Region St. Gallen und Basel gibt. Die Suche nach "Sankt", "St.", "Maria", "Blut" oder "Kreuz" ergibt unterschiedliche Ergebnisse an Zahl und Bedeutung.

Es kommt darauf an, ob man z.B. nach "Pfarr" oder "Pfarrer" sucht. Nur ersteres ergibt nennenswerte Trefferzahlen. Die haben oft mit dem landwirtschaftlichen Teil früherer Pfarrhäuser zu tun, etwa dem Pfarrgarten oder Pfarrbungert (= Pfarr-Baumgarten), der Pfarr-Reben oder dem Pfarr-Weiher. Besonders häufig taucht die "Pfarr-Pfrund" oder auch nur "Pfrund" auf. Der Ertrag der so benannten Äcker, Weiden und Wälder stand dem Pfarrer und seinem Hausstand zu.

Wer bei dieser Suche nun in Bülach auf den "Heiligen Zwölfpotten Altar Pfrund" stösst und sich fragt, was denn bitte damit gemeint sei, der oder dem kann geholfen werden. Der "Heilige Zwölfpotten Tag" ist eine alte Bezeichnung für den 15. Juli. Dann wird der Zwölfbotentag begannen, der Tag aller Apostel. 

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde 

Montag, 14. Juni 2021

Bist du in dieser Zeit angekommen?

Ein Gedanke

Nachdenken in schöner Umgebung
Foto © Jörg Niederer
"Die einzigen Menschen, die wir für normal halten, sind diejenigen, die wir noch nicht wirklich kennen." Alain de Botton

Ein Bibelvers - Prediger 7,14

"Am Glückstag sei guter Dinge, am Unglückstag aber denke daran: Den einen wie den anderen hat Gott gemacht. Deshalb verhalte dich entsprechend. Denn kein Mensch kann herausfinden, was die Zukunft bringt."

Eine Anregung

In seinem Blog bespricht Alltagsmystiker und EMK-Pfarrer Dave Jäggi das Buch "Religion für Atheisten" des Philosophen und Weltbestseller-Autors Alain de Botton. Besonders fasziniert ist er von den Lehren, die der Atheist de Botton aus der Beschäftigung mit den Pfingstlern zieht, und  mit dem Gründer der methodistischen Bewegung, John Wesley. 

Im gleichen Blog verweist Dave Jäggi auch auf den Tugendkatalog für die Moderne, die de Botton zusammengestellt hat. Dazu gehören die zehn Eigenschaften Resilienz, Empathie, Geduld, Opferbereitschaft, Höflichkeit, Humor, Selbstwahrnehmung, Vergeben, Hoffnung und Selbstvertrauen.

Ich habe einmal versucht, mich anhand dieser Tugenden selbst einzuschätzen. Wenn ich das, was mir davon am Leichtesten fällt, als erstes nenne, und dann in abnehmender Reihenfolge die weiteren Tugenden aufschreibe, dann kommt das heraus: 

1. Hoffnung
2. Vergeben
3. Höflichkeit
4. Humor 
5. Selbstwahrnehmung
6. Resilienz
7. Empathie
8. Opferbereitschaft
9. Selbstvertrauen
10. Geduld

Nun bin ich gespannt auf die Fremdeinschätzung meiner Frau.

Wie sieht deine Reihenfolge aus? Und wie sieht dich die Person, die am meisten Zeit mit dir verbringt?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 13. Juni 2021

Schön ist die Welt

Ein Gedanke

Wandern bei Gonten, Appenzell
Foto © Jörg Niederer
"Die Schöpfung hat jede Menge Humor und fröhliche Pfiffigkeit in ihre Geschöpfe beim Schöpfungsakt gesteckt." Christa Schyboll, deutsche Autorin

Ein Bibelvers - 2. Mose 19,5

Gott spricht: "Denn mir gehört die ganze Erde."

Eine Anregung

Warum ist die Erde so faszinierend? Und wie kann sie noch lange so lebensfreundlich sein? Darum dreht sich heute der Gottesdienst um 10.15 Uhr in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen. Er kann live per Zoom (oder vor Ort) miterlebt werden. "Schön ist die Welt" ist er überschrieben. Staunen und Verantwortung gehören zusammen, wenn man sich Gottes Schöpfung annimmt.

Mit diesem Link ist man dabei.
Meeting-ID: 841 5780 1659
Kenncode: 162728

Inhaltlich der gleiche Gottesdienst gibt es - aber mit volkstümlichem Schlager - um 10.00 Uhr auf dem Fernsehsender Musig24.tv

Und wer keine Lust auf Gottesdienst hat oder danach sich noch etwas zu Gemüte führen möchte, dem empfehle ich die Ostschweizer Kabarettistin Martina Hügi, mit ihrer Mission: "Ich will nur, dass du mich siehst..." Hier geht es zum Clip. 

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Samstag, 12. Juni 2021

Methodistin im Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz

Ein Gedanke

Bischof Patrick Streiff im Gespräch mit Claudia Haslebacher. Bienenberg 2015
Foto © Jörg Niederer
"Wie viel wird von Menschen im Namen Gottes getan, was anderen schadet... Jesus bewirkt die Veränderung, die zum Frieden führt." Claudia Haslebacher am Kirchentag Züri Oberland 2018

Ein Bibelvers - Psalm 133,1

"...Seht, wie gut es ist und wie wohltuend, wenn Menschen beisammen wohnen – als wären sie Bruder und Schwester."

Eine Anregung

Am kommenden Sonntag findet anlässlich der Sommersynode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) ein feierlicher Gottesdienst im Berner Münster statt. Dabei werden sechs Synodale, die Präsidentin Rita Famos und das Ratsmitglied Claudia Haslebacher in ihre Ämter eingesetzt.

Mit Claudia Haslebacher ist eine methodistische Pfarrerin neu Teil des Rats. Nach 10 Jahren in der Aufgabe als Distriktsvorsteherin für die Region Bern wird sie in der kommenden Woche an der Jährlichen Konferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche dieses Amt abgeben. Ich durfte einige Jahre mit ihr im sogenannten Kabinett zusammenarbeiten und habe sie in dieser Zeit als äusserst kompetente Person kennengelernt mit einer klaren Haltung und der Bereitschaft, Differenzen auf konstruktive Weise anzugehen.

Der gesamte Gottesdienst wird am Sonntag, 13. Juni 2021 von 18.30-19.30 Uhr auf https://www.evref.ch/ live zu sehen sein. Ebenfalls gibt es zeitgleich auf Twitter Kommentare mit interessanten Details zur Liturgie: https://twitter.com/EKS_EERS

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Freitag, 11. Juni 2021

Das Gesicht der Weltoffenheit

Ein Gedanke

Graffiti "Weltoffenheit" an der Offenen Kirche St. Gallen
Foto © Jörg Niederer
"Jeder Mensch trägt einen Zauber im Gesicht: irgendeinem gefällt er." Friedrich Hebbel

Ein Bibelvers - Hohelied 1,5

"Braun gebrannt bin ich und schön, ihr Töchter aus Jerusalem: dunkel wie die Zeltdecken der Beduinen, schön wie die Teppiche Salomos."

Eine Anregung

Seit fünf Jahren prangt das Graffiti des Frauengesichts an der Offene Kirche St. Gallen. Heute vor fünf Jahren wurde das Werk dreier Künstler eingeweiht. Die dunkle Haut offenbart bei genauem Hinsehen weitere Portraits von Menschen aus der ganzen Welt, darunter auch der Dalai Lama und die Comicfigur Asterix. Zelebriert wird mit den Gesichtern im Gesicht die Weltoffenheit. 

Noch im vergangenen Jahr war unsicher, ob die Fassadenmalerei das Jubiläum erleben wird, war es doch nur für wenige Jahre bewilligt. Doch dann siegte die Vernunft, und so erfreut es noch einige Monate die Passant*innen. Länger nicht. Denn für den neuen Campus der Universität St. Gallen muss die Offene Kirche, und damit auch das Kunstwerk, weichen. Es ist zu wünschen, dass in St. Gallen die Weltoffenheit dauerhafter ist als es das Graffiti sein wird an der Offenen Kirche.

Hier geht es zum Jubiläumsvideo, zusammengestellt von Andreas Schwendener.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 10. Juni 2021

Verschwörungsglauben unter fundamentalistischen Christ*innen

Ein Gedanke

Obelisk in Washington D.C. Die USA sind das Mutterland der Verschwörungstheorien
Foto © Jörg Niederer
"Die empirischen Studien zeigen, dass die Christen, die sehr fundamentalistisch denken und eine sehr konservative Weltanschauung haben, besonders anfällig für die Querdenker-Bewegung sind." Gert Pickel, Religionssoziologe

Ein Bibelvers - Lukas 21,8

"Jesus antwortete: Passt auf und lasst euch nicht in die Irre führen. Viele werden unter meinem Namen auftreten und behaupten: 'Ich bin es!' Und: 'Die von Gott bestimmte Zeit ist da!' Lauft ihnen nicht nach!"

Eine Anregung

Der Religionssoziologe Gert Pickel hat festgestellt: "Entscheidend ist das Bibelverständnis, wenn dies quasi fundamentalistisch ist, dann kommen Verschwörungstheorien, Migrationsablehnung und vor allem die Ablehnung aller anderen Geschlechtsidentitäten jenseits der heterosexuell-männlich dominierten auf."

Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Beobachtung stimmt. Aber vielleicht auch nur deshalb, weil sie meine Überzeugungen und Vermutungen bestätigt. Damit könnte ich dem Phänomen des "Bestätigungsfehlers" auf den Leim gegangen sein, auch "Confirmation Bias" genannt.

Aber nehmen wir einmal an, es ist so, und Menschen mit einem fundamentalistischen Bibelverständnis neigen wirklich häufiger zu Verschwörungstheorien. Dann könnte das daran liegen, dass sie bereit sind zu "grossen intellektuellen Opfern" (Harald Lesch). Also diese Menschen sind bereit, lieber weiter an Dinge zu glauben, die wissenschaftlich widerlegt sind. Vielleicht fürchten sie sich vor einem Glaubensverlust. Das wortwörtliche Verständnis der Bibel gibt ihnen eine existenzielle Sicherheit. Und so hinterfragen sie lieber diejenigen Menschen, welche die Bibel ganz oder in einzelnen Aussagen in Zweifel ziehen.

Genau das gleiche geschieht bei den Anhänger*innen von Verschwörungstheorien. Selbst wenn diese Theorien schon längst widerlegt sind, halten sie daran fest. Sie glauben lieber daran, dass die Erde eine Scheibe ist, kein Mensch je auf dem Mond war und Corona ein Trick von geheimnisvollen Mächtigen ist, durch welchen die Menschheit gefügig gemacht werden soll, statt dass sie ihr Weltbild an den Realitäten anpassen.

Menschen die so existenziell festgefahren sind, agieren in verschiedenen Bereichen gleich; beim Bibelglauben und bei den Verschwörungstheorien.

Andererseits, wer sagt denn, dass die glaubenskritische Haltung der liberalen Gläubigen nicht vergleichbar ist mit der wissenschaftskritischen Haltung der fundamentalistischen Gläubigen? Oder anders gefragt: Welche kritische Haltung ist lebensförderlich und realitätsvermittelnd, und welche nicht?

Hier ein weiteres Interview zur selben Thematik!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde