Samstag, 31. Juli 2021

Die Freude der Menschen von Moudon

Ein Zitat

Kinder spielen mit einem riesigen Pneu
Foto © Jörg Niederer
"Es muss nicht alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn es Spaß macht." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Jesaja 9,1

"Das Volk, das in der Finsternis lebt, hat ein großes Licht gesehen. Es scheint hell über denen, die im düsteren Land wohnen."

Ein Anregung

Sie haben sich das Trainingsgerät des Vater oder der Mutter gekrallt, ein riesiger Pneu. Und nun versuchen die Kinder aus der historischen Oberstadt von Moudon das Monster zu zähmen, während sich einige Mütter fasziniert und lachend dem Schauspiel zuwenden. Was für eine lebendige Szenerie zwischen den alten Häusern. Da wohnen junge Familien und verbreiten Fröhlichkeit, die auf uns, das Pilgerpaar, überspringt. Einmal mehr stelle ich fest: Altes, Vergangenes muss nicht das Ende sein. Es braucht nur eines, Menschen voller Lebenslust. Auch in der Kirche.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 30. Juli 2021

Der Atomunfall am Jakobsweg

Ein Zitat

Versuchsatomkraftwerk Lucens
Foto © Jörg Niederer
"Die Sonne der Liebe strahlt jenseits der Wolken des Wollens." Andreas Tenzer

Ein Bibelvers - Psalm 34,5+6

"Als ich den Herrn suchte, antwortete er mir. Er befreite mich von allen meinen Ängsten. Wer auf ihn schaut, strahlt vor Freude. Niemand wird vor Scham erröten."

Ein Anregung

Auf dem Jakobsweg zwischen Romont im Freiburgischen und Moudon im Waadtland gibt es manch Besonderes und Schönes zu sehen. Die vielen schmideisernen Kreuze am Weg. Der Blick zurück auf die mittelalterliche Stadt Romont auf ihrem Hügel über der Glâne. Der sich eröffnende Blick auf die Ebene des Mittellands bei Les Paccots. Das Schloss von Lucens. Die silbrig im Licht der Sonne glitzernden Wasserschwalle der Broye. Die pittoreske, hochgotische, reformierte Kirche St-Etienne in Moudon. Ich aber habe mich für ein Foto vom sichtbaren Teil des Versuchsatomkraftwerks Lucens entschieden, an dem der Jakobsweg in nur 220 Metern Distanz vorbeiführt.

Der Schwerwasserreaktor steht in der Schweizer Geschichte für die Kernschmelze und die nachfolgende Explosion des Reaktors am 21. Januar 1969. Selbst im Kontrollraum stieg damals die Radioaktivität an. Es war eine Atomkatastrophe der Stufe 5 (von 7). Zugleich war es einer der damals grössten Atomunfälle weltweit.

Auch heute ist diese Sache nicht ausgestanden. Die Anlage muss regelmässig auf Radioaktivität kontrolliert werden. Das wird noch Jahrzehnte so bleiben. Siehe auch Beiträge der Energiestiftung oder von SRF.

Man stelle sich nur vor, die Sache wäre nicht so "glimpflich" ausgegangen. Dann würde der Jakobsweg kaum bei Lucens vorbeiführen, und all die schönen Dinge, von denen ich eingangs geschrieben habe, wären uns unzugänglich.

Das Versuchsatomkraftwerk Lucens steht für einen Riesendusel, oder auch für eine unverdiente göttliche Bewahrung, wofür wir von Herzen dankbar sein dürfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 29. Juli 2021

Der Tretmühle entgegentreten

Ein Zitat

Die Tretmühle im Schloss von Romont
Foto © Jörg Niederer
"Die Schule sei keine Tretmühle, sondern ein heiterer Tummelplatz des Geistes." Johannes Amos Comenius (1592-1670), tschechischer Theologe und Pädagoge

Ein Bibelvers - Prediger 1,8+9a

"Alle Dinge sind im Fluss, doch kein Mensch kann sie in Worte fassen. Kein Auge wird satt vom Sehen, und kein Ohr hat genug vom Hören. Was früher einmal geschah, wird wieder geschehen."

Ein Anregung

Die Tretmühle befindet sich gleich hinter dem Eingang zum Schloss von Romont und war dazu da, Wasser aus der Zisterne zu schöpfen.

Tretmühlen und Hamsterräder: Manchmal ist diese gleichbleibende, denkerisch anspruchslose Tätigkeit auch ein Segen. Alles was geschieht steht fest. Nichts wird dich überraschen.

Dann wieder wird uns beim Dauerlauf im Hamsterrad bewusst, dass wir so nicht vom Fleck kommen. Ausbrechen aus der Tretmühle, Ferien, oder auch für einige Zeit eine andere Tätigkeit, das kann gut tun und auf Neues aufmerksam machen.

Tue doch einmal etwas, was du sonst nie tun würdest! Brich aus deiner Tretmühle aus!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 28. Juli 2021

Ein Steinkreuz auf Reisen

Ein Zitat

Das Jakobskreuz von Freiburg
Foto © Jörg Niederer
"Ein rollender Stein gewinnt nicht an Masse, aber an Politur." Oliver Herford

Ein Bibelvers - 1. Samuel 5,1

"Die Philister hatten die Lade Gottes erbeutet und brachten sie von Eben-Eser in die Stadt Aschdod."

Ein Anregung

Das Kreuz beim Bois de Belle-Croix in Freiburg FR hat für ein Steindenkmal eine sehr bewegte Geschichte. 1773 an der Stelle errichten, an der bis 1771 eine Pilgerkapelle stand, wurde es bald "Jakobskreuz" genannt. Am 13. November 1847 geriet das Kreuz zwischen die Fronten des Sonderbundkriegs, den es heil überstand. Das war dann anders, als 1866 Randalierer zu Werk gingen. Die Trümmer landeten bei einem Herrn Jean Crausaz, der auf seinem Besitz "Jolimont" daraus ein Kreuz ohne Sockel errichtete. 1951 wich es Bauarbeiten, um zwei Jahre später im Park des Pensionats Bertigny, das sich an der Route de Villars (Strasse nach Payerne) befindet, wieder aufzuerstehen. 28 Jahre später musste es wieder weichen, um 1981 an seinem ursprünglichen Standort fröhliche Urstände zu feiern. Das Wiedererrichtungsfest erfolgt dann am 25. Juli 1999, einem Heiligen Jahr in Compostella.

Wer sagt denn, dass Steine sich nicht bewegen, einmal abgesehen von den Brocken in der Atacamawüste? Die Steine des Jakobskreuzes jedenfalls haben mehr von der Welt gesehen, als manch anderer irdischer Klotz.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Dienstag, 27. Juli 2021

Wie die Dahlie zweimal entdeckt wurde

Ein Zitat

Dahlie an der Dahlienschau in Morges
Foto © Jörg Niederer
"Die übersendeten Georginen wünsche dereinst blühen zu sehn. Man versicherte mir, es seien schöne Sorten." Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) 

Ein Bibelvers - Richter 16,6

"Da sagte Delila zu Simson: 'Ach bitte, verrate mir: Woher kommt deine große Kraft? Womit kann man dich fesseln und besiegen?'"

Ein Anregung

Die biblische Delila und die Blume Dahlie klingen nur ähnlich, haben aber nichts miteinander zu tun. Delila ist die Frau, welche dem biblischen Herkules die Haare, und damit die Kraft nahm (Richter 16). Die ganze Geschichte von Simson ist lesenswert und findet sich in Richter 13-16.

Dahlien dagegen haben ihren Namen - wie oft bei Blumen - von einem bemerkenswerten Botaniker. Ihre Herkunft ist Südamerika. Aus Mexiko gelangte sie 1791 als Samen nach Madrid. Obwohl erstmals schon von Francisco Hernandez Ende des 16. Jahrhunderts beschrieben, wurde ihr der Name erst durch Antonio José Cavanilles vom Botanischen Garten Madrid gegeben. Er benannte sie nach dem schwedischen Arzt und Botaniker Anders Dahl (1751–1789).

1805 wurde der Dahlie dann irrtümlich noch einen weiteren Namen vergeben. Carl Ludwig Willdenow vergab ihr 1805 den Namen Georgine nach dem St. Petersburger Botaniker Johann Gottlieb Georgi. In Skandinavien und Osteuropa wurde die Blume daraufhin noch lange so genannt.

Ursprünglich wurde die Dahlie wegen ihrer essbaren Knolle von den Azteken angebaut. Röstet man die Wurzel, ist sie ihres Moccageschmacks wegen ein Kaffeeersatz. Noch ein Kuriosum. Manche Dahlien können bis 10 Meter hoch werden. Aus den 35 Dahlienarten wurden tausende von Formen gezüchtet. Einige davon sind gerade in der Dahlienschau entlang der Uferpromenade von Morges CH zu sehen. Und auch in Lindau DE am Bodensee können sie in Ausstellungen regelmässig bewundert werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 26. Juli 2021

Zu früh beim Turm

Ein Zitat

Der Hasenbergturm ist eine Schönling
Foto © Jörg Niederer
"Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen." Anton Bruckner, österreichischer Komponist (1824-1896)

Ein Bibelvers - Kolosser 3,1+2

"Wenn ihr also zusammen mit Christus auferweckt worden seid, dann richtet euch nach oben hin aus. Dort sitzt Christus an der rechten Seite Gottes. Wendet euch dem zu, was dort oben ist, und nicht dem, was auf der Erde ist!"

Ein Anregung

Ein Tierarzt aus Baden wollte die Aussicht geniessen, und baute für sich und seine Gäste einen Wohnturm. Das war 1904. Doch 1956 musste er wieder weg. Das Geld fehlte für die nötigen Reparaturen. Doch im Dorf Widen wünschte man sich den Turm zurück. Und so wurde er geplant, bewilligt und nun steht er wieder, der Hasenbergturm. Er liegt 200 Meter nördlich der Stiftung Haus Morgenstern, auf dem Weg zum Egelsee. Aber noch ist er für Besucher*innen nicht freigegeben. Das 35 Meter hohe, filigran wirkende Bauwerk mit dem Grundriss eines gleichseitigen Dreiecks von 12,3 m Seitenlänge wird über 211 Stufen bestiegen. Am 31. Juli ist es soweit. Nachdem er um 17.30 Uhr gesegnet wurde, kann er ab 18.00 Uhr (hoffentlich segensreich) erklommen werden. Das Ganze ist unschwer als Feier zum 1. August zu erkennen. 

Wir waren folglich 9 Tage zu früh dort und standen vor verschlossenen Turmtüren. Schade, das wäre ein richtiger Höhepunkt unserer Wanderung geworden.

Dir wünsche ich offene Türen, wenn es aufwärts geht, einen Blick weit über das Irdische hinaus, und dass du mit beiden Füssen fest auf dem Boden verankert bleibst.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 25. Juli 2021

Jakobus und der Dompfarrer Grögli

Ein Zitat

Der Domhimmel von St. Gallen
Foto © Jörg Niederer
"Geh nicht immer auf dem vorgezeichneten Weg, der nur dahin führt, wo andere bereits gegangen sind." Alexander Graham Bell, Erfinder (1847-1922)

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 12,1-2

"Zu dieser Zeit ging König Herodes mit äusserster Grausamkeit gegen einige Mitglieder der Gemeinde vor. Jakobus, den Bruder des Johannes, liess er enthaupten."

Ein Anregung

Heute feiern einige Kirchen den Jakobustag. Um 10.30 Uhr findet dazu in der Kathedrale St. Gallen ein Gottesdienst statt. Mitwirken werden die Pilgergruppe und die Dombläser, weiter wird es Orgelmusik geben und die Predigt wird Dompfarrer Beat Grögli halten.

Anschliessen findet eine Apéro im Bischofshof statt, organisiert vom Verein Pilgerherberge Sankt Gallen.

Der Gottesdienst kann per Livestream mitgefeiert werden.

Was es mit dem Pilgerheiligen Jakobus auf sich hat, weiss jedes Kind. Aber woher kommt der Nachname des St. Galler Dompfarrers? Die Familie Grögli scheinen in Rossrüti bei Wil SG beheimatet zu sein.

Eine eindeutige Bedeutung des Namens kann ich nicht ausmachen. Jedoch kennt das Schweizer Idiotikon die Worte "g(e)roglig" im Sinn von "sehr voll"; auch "g(e)rogle" = "in dichter Menge fallen, durch und übereinander purzeln". Das Substantiv "G(e)roglete" bedeutet entsprechend "Gewimmel, wimmelnde Menge, wirrer Haufen"

Eine weitere Möglichkeit ist es, den Namen in Verbindung zu bringen mit dem Begriff "g(e)roget" für "Rogen [Fischeier, Kaviar] führend". Dann könnte mit dem Namen Grögli der besonderen Wert dieser Familie hervorgehoben worden sein.

Einen dritten möglichen Zusammenhang könnte der Name mit "g(e)rogen" haben. Das meint "gediegen, von erster Qualität". Es gibt ein Dokument von 1364 aus Bern, worin der Meister verspricht, die Chorstühle auszuführen "mit guotem tapferen und gerogenem werk"

Das alles sind Spekulationen. Sicher kann man sagen, dass der Dompfarrer Beat Grögli 1. am richtigen Platz ist (nahe bei den gerogenen Chorstühlen) und 2. ganz gediegen, ja geradezu "gerogen" zu predigen versteht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 24. Juli 2021

Auf Schnapsfässern in die Hölle und zurück

Ein Zitat

Altholzstämme im Teufelskeller
Foto © Jörg Niederer
"Dreizehn Mann saßen auf einem Sarg, Ho! Ho! Ho! - und ein Fass voller Rum. Sie soffen drei Tage, der Schnaps war stark, Ho! Ho! Ho! - und ein Fass voller Rum. Sie liebten das Meer und den Schnaps und das Gold. Ho! Ho! Ho! - und ein Fass voller Rum. Bis einst alle dreizehn der Teufel holt, Ho! Ho! Ho! - und ein Fass voller Rum." Aus Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Ein Bibelvers - Jeremia 25,27

Gerichtsankündigung durch den Propheten Jeremia an die Israeliten: "So spricht der Herr Zebaot, der Gott Israels: Trinkt aus dem Becher, betrinkt und übergebt euch! Fallt hin und steht nicht wieder auf! Denn euch wird das Schwert niederstrecken, das ich zu euch sende."

Ein Anregung

Die Gebrüder Grimm haben die folgende Sage aus dem aargauischen Baden der Nachwelt erhalten: 

"Auf einer Burg in der Nähe von Baden lebte ein Mädchen, das oft zu einem nahe gelegenen Hügel ging, um dort im Schatten des Gebüschs zu ruhen. Dieser Hügel war aber von Geistern bewohnt und er wurde einmal, bei einem furchtbaren Wetter von ihnen verwüstet und zerrissen. Als das Mädchen eines Tages wieder dorthin kam, beschloss es, in die geöffnete Tiefe hinabzusteigen. Es trat, als es Nacht wurde, hinein, wurde aber alsbald von wilden, entsetzlichen Gestalten ergriffen und über eine grosse Menge Fässer immer tiefer und tiefer in den Abgrund gezogen.
Am andern Tag fand man das Mädchen auf einer Anhöhe in der Nähe des verwüsteten Hügels, die Füsse in die Erde verwurzelt, die Arme in zwei Baumäste ausgewachsen und der Leib einem Steine ähnlich. Durch ein Wunderbild, das man aus dem nahen Kloster herbeibrachte, wurde es aus dem furchtbaren Zustand erlöst und zur Burg zurückgeführt.
Auf den Gipfel des Hügels setzte man ein Kreuz, und noch jetzt heisst dieser Hügel Kreuzliberg und die Tiefe mit den Fässern des Teufels Keller."

Diese Sage erklärt die Herkunft von zwei Lokalnamen: "Teufelskeller" und "Chrüzliberg". Vermutlich wird damit auch die skurrile Landschaft an der Ostseite des Bareggs begründet, (das Werk von bösen Geistern) und zugleich an einen früheren paradiesischen Zustand erinnert, als sich dort junge Frauen sicher fühlen konnten. Doch wehe, wer sich neugierig in die Tiefe wagt. Auf Fässern wird die junge Frau in die Tiefe gezogen.

Bei der Schnapsproduktion gibt es den "Devil’s Cut" (Diebstahl des Teufels). Das ist das Destillat, das bei der Leerung der Holzfässer in den Tauben zurückbleibt. Siehe hier!

Dass der Teufel den Schnaps gemacht habe, um uns zu verführen, besingt auch Udo Jürgens. Beim Alkoholkonsum ist der "Absturz" und "Abstieg" ein gängiges Motiv. Die Frau verliert in der Folge die eigene Koordination und Mobilität und wird zu einem Mischwesen aus Baum und Fels, zum Mahnmal, zu einer Scheintoten (einer Schnapsleiche?). Ein Kruzifix, vom Teufel geformt -  das darf nicht sein. Und da kommt nun das christliche Wunderbild aus dem Kloster ins Spiel. Vertieft in das fromme Heilsbild findet die Erstarrte einen Weg aus der Sucht. Gottes Kraft ist grösser als die des Teufels (des Schnapsteufels?).

Vielleicht ist diese Sage also auch ein Gleichnis für die Sucht, die ins Verderben führt, und die Kraft Gottes, die daraus befreit.

Hier kann Udo Jürgens Lied "Der Teufel hat den Schnaps gemacht" angehört werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 23. Juli 2021

Im Keller des Teufels

Ein Zitat

Faszinierende Einblicke in einen sich selbst überlassenen Wald
Foto © Jörg Niederer
"Das Nomen, auf das unser Wort 'Teufel' zurückgeht, ist wohl von dem Verb διαβάλλειν diaballein 'auseinanderbringen / durcheinanderwerfen' abzuleiten." WiBiLex

Ein Bibelvers - Matthäus 13,39

"Der Feind, der das Unkraut sät, steht für den Teufel. Die Ernte steht für das Ende der Welt. Die Erntearbeiter stehen für die Engel."

Ein Anregung

Von den x-tausend Motorisierten, die jeden Tag den Bareggtunnel bei Baden passieren, wissen die wenigsten, dass sie gerade dem Teufel durch den Keller fahren. Teufelskeller heisst die Felssackung über der Limmat, die nach dem Rückzug der eiszeitlichen Gletscher vor rund 100'000 Jahren entstanden ist. Heute ist es eine "...einzigartige kleinräumige Berg- und Tallandschaft mit Felstürmen, Blockschutthalden und Spalten".

Der Teufelskeller ist der einzige in der Schweiz, der diesen Lokalnamen trägt. Teufelsküchen gibt es viele, bekannt ist auch die Teufelsschlucht, und selbst ein Teufelsfriedhof existiert.

Wandernde, die sich in den Teufelskeller hineinbegeben, wundern sich kaum, dass der Ort so genannt wird.  Ein seltsamer Zauber geht von ihm aus. Seit 1987 ist er als Naturreservat ausgewiesen. Vertraglich wurde mit dem Kanton Aargau festgelegt, dass während 50 Jahren kein Holz genutzt wird, und weil auch zuvor im schwer zugänglichen Gebiet kaum Holz geschlagen wurde, wachsen hier die ältesten und höchsten Bäume. In tiefen Mulden wurzelnde Buchen, Eschen und Fichten wachsen bis 50 m hoch. Umgefallene Baumstämme liegen kreuz und quer und werden von bis zu 150 Holzpilzarten und unzähligen Käfern zersetzt. Dazwischen finden sich immergrüne Farne wie die seltene Hirschzunge. Es ist eine grüne Hölle, eben ein Teufelskeller. 

Als wir uns gestern durch diesen "Urwald" kämpften, hörten und sahen wir kaum Tiere. Ganz still dampfte der Wald in der heissen Mittagssonne. Gespenstig und faszinierend eröffnete er immer neue Einblicke voller Zauber. Paradox, dass eine der schönsten Natursehenswüdigkeiten, von denen es in und um Baden herum so einige gibt, nach dem Widersacher Gottes benannt ist. Zuviel der Ehre, könnte man sagen. Doch ganz allein kann sich der Teufel nicht breitmachen. Über seinem Keller thront ein weiterer religiös aufgeladener Ort, der Chrüzliberg (die Sage dazu folgt im Beitrag von morgen), und an seinem Fuss findet sich der Friedhof Liebefels.

Anders als Naturschutzgebiete ist der "...Wald unter Rücksichtnahme auf Tiere und Pflanzen frei begehbar". Jedoch wird auf der Informationstafel davor gewarnt, ihn bei Wind und starken Niederschlägen zu besuchen, "...wegen der Gefahr von abbrechenden Ästen".

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Donnerstag, 22. Juli 2021

Ein gefeierter Attentäter, ein toter Dichter, ein Weltreisender und die Stadt Kotzebue

Ein Zitat:

Winterliches Kanada aus der Vogelperspektive
Foto © Jörg Niederer
"Die Welt ist nicht schlimmer und nicht besser, als sie vor tausend Jahren war und nach tausend Jahren sein wird." August von Kotzebue (1761-1819)

Ein Bibelvers - Matthäus 28,18-20

"Jesus kam zu ihnen und sagte: 'Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe! Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.'"

Ein Anregung

Per Flugzeug bin ich - wie man auf dem Foto erkennen kann - auch schon über die eisige Winterlandschaft Kanadas geflogen. In die Polarregion dagegen bin ich noch nie gekommen, geschweige denn in den Ort Kotzebue. Die Stadt im US-Bundesstaat Alaska liegt auf der Baldwin-Halbinsel im Kotzebue-Sund. Entdeckt habe ich sie beim Herumspielen auf Google Earth, und mich gefragt, woher sie wohl den Namen hat. Dies führte zu weiteren Entdeckungen.

Da gab es einen August von Kotzebue (1761-1819) einen Zeitgenossen von Goethe, Dramatiker, Schriftsteller und Librettist. Zudem war er russischer Generalkonsul und Feindbild der Studentenschaft. Es war ein Theologiestudent, Karl Ludwig Sand (1795-1820), der von Kotzebue ermordete, weil dieser sich gegen liberale und nationalistische Anliegen der Burschenschaft aussprach. Sand wurde dieser Tat wegen hingerichtet, blieb aber im Volk hochangesehen als Freiheitskämpfer, ganz anders als August von Kotzebue.

August von Kotzebue hat nur indirekt etwas zu tun mit der gleichnamigen arktischen Stadt. Sein zweiter Sohn, Otto von Kotzebue, ein baltendeutscher Offizier der Russischen Marine, war ein bedeutender Forschungsreisender und umrundete insgesamt dreimal die Erde. Auf seiner zweiten Reise auf der Suche nach der Nordwestpassage entdeckte er den heute seinen Namen tragenden Meeresarm in der Tschuktschensee. Auch die Stadt Kotzebue ist nach dem Forschungsreisenden benannt. Der Ort ist schon seit dem 15. Jahrhundert besiedelt vom Volk der Iñupiat. Heute noch sind 70% Ureinwohner*innen. In der einheimischen Sprache Inupiaq heisst der Ort Qikiqtagruk. Kotzebue ist mit 3600 Einwohnern die grösste Stadt Alaskas. Was es dort nicht gibt: Eine Methodistenkirche. Dafür gibt es eine eigene Radiostation, das Kotz-Radio

Gerade kann man sich auf der Webseite über den dortigen Nationalfeiertag informieren und die beiden Misswahlen. Gekürt wurde die Miss Arctic Circle und die Miss Teen Arctic Circle 2021.

Beim Radiohören muss die Zeitverschiebung zur Schweiz von 10 Stunden beachtet werden. Sonst landet man in der Nachtschleife und hört bis zum Abwinken Country- und Westernmusik.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Mittwoch, 21. Juli 2021

Von falschen Verdächtigungen und später Reue

Ein Zitat

Stallgebäude der Walser bei Davos
Foto © Jörg Niederer
"Reue ist Verstand, der zu spät kommt." Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806-1849)

Ein Bibelvers - Lukas 19,8

"Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: 'Herr, die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.'"

Ein Anregung

In der neusten Ausgabe von WANDERN.CH findet sich ein Interview mit Daniel de Roulet. 1975 fackelte er mit einer militanten Bekannten das Chalet von Axel Springer in Rougemont VS ab. Sie hielten den deutschen Verleger für einen Nazi. De Roulet: "Axel Springer war in den 1970er-Jahren das Feindbild Nummer eins der Studierendenbewegung..." 30 Jahre lang blieb der Anschlag unaufgeklärt. Dann entschied sich de Roulet, darüber ein Buch zu schreiben. Im Interview mit Patricia Michaud sagte er dazu: "Ich schrieb das Buch, weil ich merkte, dass ich begann, erste Einzelheiten des Vorfalls zu vergessen. Zudem hatte ich in der Zwischenzeit erfahren, dass Springer gar kein Nazi war, und wollte auch deswegen reinen Tisch machen. Das fertige Manuskript zeigte ich meiner früheren Partnerin, die an Krebs erkrankt war und mich bat, mit der Veröffentlichung bis nach ihrem Tod zu warten. Sämtliche Einnahmen aus dem Buch habe ich den Feuerwehrleuten von Rougemont zukommen lassen, den einzigen Opfern des Brands, mussten sie doch mitten in der Nacht aufstehen um das Feuer zu löschen." (WANDERN.CH, Nr. 4, August 2021, Seite 56)

Was ich daraus lerne: 

1. Falsche Anschuldigungen gegen exponierte Persönlichkeiten sind schnell erhoben und schwer aus der Welt zu schaffen. 
2. Selbst wenn Taten verjähren, sind sie damit nicht aus der Welt. 
3. Reinen Tisch machen kann nie schaden.
4. Tätige oder pekuniäre Wiedergutmachung ist keine schlechte Idee.
5. Auch aus einem Täter kann etwas "Anständiges" werden, z.B. ein Wanderbuchautor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Dienstag, 20. Juli 2021

Vom Pfundskerl an die hohe Kante geführt

Ein Zitat

Katze an der Kante
Foto © Jörg Niederer
"Der Kreis ist eine geometrische Figur, bei der an allen Ecken und Kanten gespart wurde." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Römer 10,6b-8a

"Wer wird in den Himmel hinaufsteigen? – So als müsste man Christus von dort herabholen! – Auch nicht: Wer wird in die Unterwelt hinabsteigen? – So als müsste man Christus von den Toten holen! – Sondern wie heißt es doch? Das Wort Gottes ist dir ganz nahe. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen."

Ein Anregung

Sie setzt sich immer so hin, als würde sie an einem Rand in den Abgrund schauen. Die Katze könnte sich in die Mitte des Teppichs oder der Sportmatte platzieren. Aber das ist nicht ihr Stil. Sie will an den Rand, an die Kante, da wo es runter geht, wenn auch nur wenige Millimeter. Oder ist es ein Tick? Muss das Büsi sich an Linien orientieren, um sich wohl zu fühlen?

Die Katze ist damit da, wo man früher das Wertvollste versteckte, das Geld. Es wurde auf die Hohe Kante (von Betten oder Schränken) gelegt oder gestapelt, da, wo es scheinbar sicherer war als auf Augenhöhe. So handhabte es etwa König Friedrichs Kutscher Pfund, einer, der nicht auf den Kopf gefallen war, und der sprichwörtlich als "Pfundskerl" weiterlebt. Das sei seine finanzielle Sicherheit, sagte Pfund zum König, falls er von diesem entlassen werde. Darauf bekam er von König Friedrich weiter 10 Taler mit der Bemerkung: "Lege er es ebenfalls auf die hohe Kante. Aber mache Er sich keine unnützen Flausen". Gemeint sind mit den Flausen "unnötige Sorgen".

Es gibt weitere kantige Redensarten: "Nach allen Kanten loben" = in jeder Hinsicht loben. "Auf der Kante stehen" = etwas ist absturzgefährdet. "Einen an die scharfe Kante kriegen" = jemanden zu einer Entscheidung drängen. "An der Kante gehen" = es geht mit jemandem zu Ende. "Hinter die Kanten giessen" = Gemeint sind Bierkannen. Wer also etwas hinter die Kann(t)en giesst, ist mit Trinken zu weit gegangen.

Die Katze jedenfalls zeigt Kante, hat ihr klares Profil, selbst wenn sie sich setzt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 19. Juli 2021

Unterwegs zwischen Gesetz und Gnade

Ein Zitat

Schweizer Studierende 1981 am Theologischen Seminar in Reutlingen.
Foto: Brief des Schweizerischen Freundeskreis 1981
"Wer sich an das ganze Gesetz halten will, schreibt Paulus, der muss es ganz halten (Galater 5,3f), da gilt kein Bibel-Picking aus den fünf Büchern Mose." Manfred Marquardt

Ein Bibelvers - Galater 5,3-5

"Ich sage es noch einmal mit allem Nachdruck jedem, der sich beschneiden lässt: Er ist verpflichtet, das ganze Gesetz einzuhalten. Ihr habt dann mit Christus nichts mehr zu tun. Jeder, der durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten will, hat damit die Gnade verspielt. Wir aber dürfen durch den Geist Gottes hoffen, aufgrund des Glaubens vor Gott als gerecht zu gelten."

Ein Anregung

In einem Zwischenruf im Unterwegs 2021/15, der Zeitschrift der deutschen Methodisten, schreibt der ehemalige Dozent für Systematische Theologie und Ethik an der Theologischen Hochschule Reutlingen zu Thema: Wie hilft die Bibel ethische Entscheidungen zu treffen?

"Das Alter hat seine Beschwerden, aber auch gewisse Vorzüge. Der Zeitraum der Erinnerungen ist länger, solange das Gedächtnis noch einigermaßen intakt ist. Manche werden sich mit mir erinnern, dass erst im Jahr 1969 die erste Pastorin in Deutschland ordiniert wurde und dass noch in vielen Jahren danach Gemeinden aus Gehorsam gegenüber der Bibel sich weigerten, die bischöfliche Dienstzuweisung einer Pastorin zu akzeptieren... Wie anders sähe unsere Kirche ohne ordinierte Frauen aus?
Während meines Studiums in Reutlingen wurde einem Studenten im vorletzten Studienjahr die Entlassung aus dem Dienst angedroht, falls er sich mit seiner späteren Frau verloben wolle; er hatte um die Erlaubnis dafür gebeten. Und wenige Jahre danach wurde ein Pastor vom Dienst suspendiert, weil eine Scheidung seiner Ehe anstand. (Titus 1,6)
Kirchenkritische Zeitgenossen haben uns damals vorgehalten: Mit Bibelzitaten kann man ja vieles rechtfertigen: die Prügelstrafe für Kinder (Sprüche 13, 24: 'Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten'), das Halten von Sklaven, die Todesstrafe, die Vernichtung von Andersgläubigen. Auch die Tötung von Homosexuellen, wenn ihre Veranlagung bekannt wird. Und das alles hat mit kirchlicher Segnung auch stattgefunden.
Wer sich an das ganze Gesetz halten will, schreibt Paulus, der muss es ganz halten (Galater 5,3f), da gilt kein Bibel-Picking aus den fünf Büchern Mose. Es lohnt sich, wenigstens das Dritte Buch Mose (Levitikus) einmal gründlich und ganz zu lesen. Irgendwann wurde uns klar, dass das Evangelium das Gesetz zwar nicht abschafft, aber in das helle Licht der Verkündigung Jesu stellt und so Gottes Willen erkennen lässt. Entscheidend ist dann doch der Glaube an Gott, das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Bereitschaft, sich von seinem Geist leiten zu lassen. 'Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.' (Römer 8,14) So gilt es zu prüfen, was der Wille Gottes ist, und sich an ihm auszurichten. So haben es Luther und Wesley gemacht und uns die Auslegung der Heiligen Schrift mit Hilfe der Beachtung des Kontextes, der Tradition, der Erfahrung und der Vernunft gelehrt.
Diese Mühe bleibt auch den einfachen Bibellesern nicht erspart, wenn sie die Glaubenszeugnisse der Heiligen Schrift verstehen wollen. Hier gilt es zu unterscheiden: aufmerksam, nachdenkend und betend zu lesen und sich mit Anderen auszutauschen. Gut, wenn sie nicht in allem der gleichen Meinung sind. Wir sind noch unterwegs, gern gemeinsam."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 18. Juli 2021

Spirituell die Füsse hochlagern

Ein Zitat

Nichtstun am Strand
Foto © Jörg Niederer
"Vielleicht hängt die Wahrheit von einem Spaziergang um den See ab." Wallace Stevens (1879–1955), US-amerikanischer Dichter

Ein Bibelvers - Prediger 2,17

"Da begann ich das Leben zu hassen. So übel erschien mir das Tun, das unter der Sonne getan wird: Alles ist Windhauch und vergebliche Mühe!"

Ein Anregung

Nichts tun ist nicht immer falsch. Ausruhen gehört zum Leben. Ferien vom Leistungsdruck können sehr gut tun. Genau davon handelt die heutige Predigt in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen.

Es ist ein Plädoyer für ein zweckfreies, in Gott geborgenes Sein. Warum immer unter Strom stehen. Nimm dir doch einmal Zeit für den Stillstand. Versuche den Wind zu fangen. Das Leben, so der Prediger sei ja sowieso ein "Haschen nach Wind".

Andere Möglichkeiten: Sammle Licht ein oder Sterne, folge den Wolken, schlendere durch den Regen zum Anfang des Regenbogens, ordne die Reiskörner nach einem Muster oder untersuche, ob in der Buchstabensuppe das ganze Alphabet vorkommt.

Still halten ist nicht nur dann sinnvoll, wenn man muss. Es ist auch dann oft erhellend, wenn man darf.

Der Gottesdienst zum Thema "Müssiggang und Gvätterle" am Sonntag um 10.15 Uhr in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen kann live per Zoom (oder vor Ort) miterlebt werden. Dabei nehmen wir uns aber auch Zeit, um für die Opfer der Unwetter zu beten.

Die Predigt anhören!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 17. Juli 2021

In den Strudel geraten - Ein zweifelndes Gebet

Ein Zitat

Ein junger Baum widersteht den Fluten
Foto © Jörg Niederer
"Friedliche Orte durchleben derzeit eine Katastrophe. Ich bin erschüttert von den Berichten, die mich erreichen. Ich trauere um die, die in dieser Katastrophe ihr Leben verloren haben." Angela Merkel

Ein Bibelvers - 1. Mose 8,8-9

"Noah schickte auch eine Taube los. Er wollte herausfinden, ob das Wasser vom Erdboden abgeflossen war. Aber die Taube fand keinen Halt für ihre Füße. Da kehrte sie zu Noah in die Arche zurück, denn noch immer bedeckte Wasser die ganze Erde. Noah streckte seine Hand aus, nahm die Taube und holte sie zu sich in die Arche."

Ein Gebet

Die Sonne scheint wieder. Das Haus, in dem ich wohne, steht noch. Die Wassermassen haben uns verschont. Doch andere hat es schwer getroffen, herumgewirbelt, strudelnd sind sie untergegangen, überrascht in der Nacht, und am Morgen war nichts mehr wie zuvor. Gott sei's geklagt!

Cressier, Wollhusen, Rivera, Zürich, Biel, Sachseln, Schleitheim. Schlimm genug, aber nichts im Vergleich zu Ahrweiler, Erftstadt, Schuld, Maastricht, Lüttich. So viele Menschen kehren nie mehr nach Hause zurück. Andere haben ihr Hab und Gut verloren, das nackte Leben gerettet.

Gott, ich verstehe es nicht. Der Regenbogen über diesem Weltuntergang, ein Friedenszeichen zum Bersten gespannt.

Gott, ich verstehe es nicht. Es braucht Antworten, keine Vertröstungen, keine Schuldzuweisungen, kein "habe ich es nicht gesagt", keine Besserwisser.

Danke für die, welche helfen, ihr Haus teilen, Hand anlegen, Trümmer wegräumen, Trauernde begleiten, Getränke reichen, nach den Vermissten suchen, schreien mit den Schreienden, schweigen mit den Schweigenden, leben für die Überlebenden.

Die Sonne scheint und färbt die Wolken in sanftes Rosa. Das Haus, in dem ich wohne, steht noch. Noch sind die Wassermassen nicht abgeflossen. Es ist noch nicht ausgestanden. Noah, wann lässt du die Taube fliegen? Gott, wann können wir wieder sagen: Gott sei Dank?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Freitag, 16. Juli 2021

Unwettergedanken und die Lücken

Ein Zitat

Die Lücke bei der neuen Linienführung des Gaiserbähnlis in St. Gallen
Foto © Jörg Niederer
"Das Wort 'Lücke' hängt etymologisch eng mit dem Wort Glück zusammen. Glück stammt vom Mittelhochdeutschen Ge-Lücke. Es gilt, die Lücke zu finden, wenn man glücklich werden will." Theodor Pindl

Ein Bibelvers - Jesaja 58,11a+12

"Der Herr wird dich immer und überall führen... Du wirst Stätten wieder aufbauen, die seit Langem in Trümmern liegen. Grundmauern aus vergangenen Zeiten wirst du wieder herstellen. Dann wird man über dich sagen: Das ist der, der die Mauerlücken schließt und unwegsames Land wieder bewohnbar macht."

Eine Anregung

Seit einigen Jahren sind die Brücken errichtet, und die Schienen verlegt. Jedoch fehlen noch 20 km einer Eisenbahnlinie im Süden Italiens. Und so bewegt sich auf der mehrere hundert Kilometer langen Strecke gar nichts. Durch ein europäisches Aufbauprogramm soll sich das nun ändern.

Es müssen nicht 20 Kilometer sein. Es reichen wenige Meter, die verhindern, dass die Züge rollen. Das kann aktuell sehr gut bei der neuen Linienführung des Gaiserbähnlis durch das Gebiet des Güterbahnhofs St. Gallen beobachtet werden. Doch hier ist das Ende des Ausbaus absehbar. Im Dezember 2021 soll es soweit sein.

Manchmal fehlt ganz wenig, damit es voran geht. Auch gesellschaftliche Einstellungen können einen Prozess, eine notwendige Veränderung blockieren. Mir scheint das beim Klimawandel der Fall zu sein. Viel fehlt nicht mehr, dass sich der gesellschaftliche (Klima-)Wandel einstellt. Gestern in der Sondersendung zu den Unwettern in der Schweiz und Deutschland führte Thomas Bucheli etwas kompliziert aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Häufung der Extremereignissen, wie wir sie gerade erleben, und dem Klimawandel besteht. Das sehen immer mehr Menschen so. Vielleicht hätte bei einem Abstimmungstermin nach den aktuellen Unwetter-Ereignissen eine Mehrheit der Stimmberechtigen das CO2-Gesetzt angenommen.

Es wird Zeit, dass wir uns fragen: Sind wir die, welche die Lücke schliessen, oder sind wir die, welche sie offen lassen oder aufreissen. Fördern wir das Leben oder den Stillstand?

Was du nebst praktischer und finanzieller Hilfe bei den aktuellen Unwettern tun kannst: Bete für die Betroffenen! Und bete, dass wir uns nicht selbst im Weg stehen, statt in die Lücke zu treten und diese zu schliessen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

 

Donnerstag, 15. Juli 2021

Der Floh in St. Gallens Bürokratie

Ein Zitat

Auslage eines Flohmarkts
Foto © Jörg Niederer
"Es wird viel Zeit vertrödelt, aber trotzdem ist auf dem Trödelmarkt keine zu bekommen." Siegfried Wache

Ein Bibelvers - 1. Samuel 24,15

David: "Hinter wem ist denn der König von Israel her? Hinter wem jagst du her? Hinter einem toten Hund, hinter einem einzelnen Floh!"

Eine Anregung

Am 28. August findet um die Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen ein Flohmarkt statt. Wer Waren verkaufen möchte, kann das kostenlos tun. Lediglich 10% vom Verkaufserlös gehen an ein Projekt zugunsten von Minderheiten in Ungarn. Auch kann man sich dort mit Getränken und Olma-Bratwürsten verköstigen.

Nun haben wir auch abgeklärt, ob es zu diesem Anlass eine Bewilligung braucht. Raten sie einmal, wer bei der Stadt dafür zuständig ist?

Folgendes hat sich zugetragen: Die Organisatorin ruft auf dem Amt an, um den Flohmarkt anzumelden. Sie wird weitervermittelt. Zum Tierschutz!

Das ist kein Witz, sondern tatsächlich die richtige Anlaufstelle.

Natürlich weiss ich, dass in der Ferienzeit auch bei den Behörden improvisiert wird. Aber da hatte schon jemand Humor, als er sich sagte: Flöhe sind Tiere, und folglich braucht es den Tierschutz für die Flohmarktbewilligung. Ob Flöhe so schützenswert sind? Gottes Geschöpfe sind sie allemal, auch wenn sie lästig sind.

Sprichwörtlich ist die Grösse bzw. Kleine des Flohs. In der Bibel vergleicht sich David zweimal mit einem einzelnen Floh, für den es keinen Grund gibt, mit grosser Streitmach anzurücken. Genau das aber tat König Saul.

Und dann gibt es den Floh auch als Eigennamen in der Bibel: "Parosch"

Mehr zu unserem Parosch-Markt findest du hier!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Mittwoch, 14. Juli 2021

John Wesleys Burnout- und Gesundheitsregeln

Ein Gedanke

Wandern für ein gesünderes Leben
Foto © Jörg Niederer
"Der Mensch ist nicht frei von seinen Bedingungen, aber frei zu seinen Bedingungen Stellung zu nehmen." Viktor Frankl

Ein Bibelvers - Hiob 3,20

"Warum lässt er [Gott] die Sonne scheinen für den, der vom Leid geplagt ist? Warum schenkt er Leben den Menschen, die im Herzen völlig verzweifelt sind?"

Eine Anregung

Helfen Anregungen von John Wesley (1703-1791), Gründergestalt der methodistischen Bewegung, gegen Burnout? Dem ging ein kirchlicher Beitrag nach. 

Rae Jean Proeschold-Bell, Forschungsleiterin eines Gesundheitsprogramms der Duke Divinity School für methodistische Pfarrpersonen in North Carolina sagt: "Pfarrpersonen sind Generalisten. Sie sind in ihrem Beruf für 50 verschiedene Aufgaben verantwortlich, die wiederum 50 verschiedene Fähigkeiten erfordern. Das kann zu Burnout und Überlastung führen."

Für Wesley gehörten körperliche, geistige und spirituelle Gesundheit zusammen. Er achtete bei sich auf nahrhaftes Essen, Sport und einen strukturierten Tagesablauf mit zeitigem Aufstehen. Damit beugte er Krankheit vor und stärkte zugleich die spirituelle Vitalität.

In "Primitive Physic", Wesleys Gesundheitsbuch für die breite Masse, schriebt er: "Verzichte auf stark gewürzte oder scharfe Speisen. Verwende einfache, leicht verdauliche Kost... Trinke nur Wasser, wenn dein Magen es erträgt [Anm. des Übersetzers: Sauberes Wasser war in Wesleys Zeit nicht überall erhältlich]; wenn nicht, dann trinke gutes klares [Anm. des Übersetzers: und durch den geringen Alkoholgehalt von unter 3% keimfreies] Schwachbier. Bewege dich täglich so viel du kannst an der frischen Luft, aber nicht bis zur Erschöpfung. Iss am Abend um 18.00 oder 19.00 Uhr nur noch leichtesten Kost. Gehe früh zu Bett und stehe zeitig auf." Für Menschen, welche sich stetig an diese Regeln halten würden sei das schon die halbe Miete zu mehr Gesundheit, so Wesley.

Bei heutigen Burnout-Behandlungen werden Massnahmen zur Stressverringerung kombiniert mit Methoden der Entspannung. Sportliche Betätigung und Ernährung spielen auch eine Rolle, aber es kommen weitere Massnahmen dazu, je nach Ursache des Burnouts.

Auch wenn es vermutlich auch heute oft regnet: Es lohnt sich dennoch, sich an diesem Tag an der frischen Luft aus eigener Kraft zu bewegen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde


Dienstag, 13. Juli 2021

Gedanken über das vertraute Älterwerden

Ein Gedanke

Ein älteres Paar auf den Strassen Basels
Foto © Jörg Niederer
Kein Geschenk ist kostbarer als auf lange gemeinsame Jahre gegründetes Vertrauen.

Ein Bibelvers - Römer 12,13

"Als Sara 127 Jahre alt war, starb sie in der Stadt Kirjat-Arba. Die liegt im Land Kanaan und heißt jetzt Hebron. Abraham trauerte um Sara und hielt die Totenklage. Dann erhob er sich von der Toten..."

Eine Anregung

Mein Cousin aus Australien hat sich gemeldet. Und so habe ich erfahren, dass er in der letzten Zeit als Autor eigene Gedichte veröffentlicht hat, und 2020 mit einem berührenden Text über ein älter gewordenes Ehepaar einen Wettbewerb des in England beheimateten "Southport Writers' Circle" gewonnen hat.

In der Würdigung der Jury heisst es: "Dieses Gedicht... malt das Bild eines Paares, das durch seine Erwachsenenjahre gegangen ist und gelernt hat, die wichtigen Dinge zu verstehen, wie immer noch Händchen zu halten und gemeinsame Aktivitäten. Es ist ein zartes Porträt, das Details verwendet, in denen der Dichter eine gewisse Gemeinsamkeit gefunden hat; voller angenehmer Stille und Zuneigung. Es ist auch ein gut strukturiertes Gedicht... das... herausfordert, anders auf die Älteren zu schauen, weil sie offensichtlich etwas richtig machen..."

Gedichte zu übersetzten ist immer schwierig. Ich habe es doch versucht. Wer das Original in Englisch lesen möchte, kann es hier als zweites Gedicht finden

"Oldis" von Alex Hand

Zwei Oldies an der Straßenecke, händchenhaltend, in wortreichem Schweigen.
Die großen Erzählungen der Menschheit sind längst hinterfragt,
jetzt geht es nur noch um das unausgesprochene Wort und die praktische Sprache - Tee?
Er mit einer alten Schiebermütze, sie gut gekleidet und ohne Verweis auf den Zeitgeist.
Für das ungeschulte Auge sind sie ein Paar aus einer längst verflossenen Zeit,
verdriesslich und wohl nach Mottenkugeln und Moder riechend.

Doch weder Körper noch Geist haben auch nur einen Hauch von Moos angesetzt;
Sie hat einen grünen Daumen, er liebt seine Geschichtsbände.
Von hinten sehen wir die über Sechzigjährigen Händchen halten, einfach hinreißend,
Jahrzehnt für Jahrzehnt die gleiche vertraute Verschränkung der Finger.
Gemeinsam lösen sie das Kreuzworträtsel des Guardian in fünfzehn Minuten 
und denken die privaten Gedanken vom langsamen Älterwerden."

Mehr zu Alex Hand gibt es auf seiner Webseite.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Montag, 12. Juli 2021

Warum es den Andern immer besser geht?

Ein Zitat

Chanel an der Bahnhofstrasse Zürich
Foto © Jörg Niederer
"Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen. Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind." Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755)

Ein Bibelvers - Römer 12,13

"Sorgt für alle in der Gemeinde, die Not leiden, und wetteifert in der Gastfreundschaft." (Gute Nachricht Bibel)

Eine Anregung

Menschen fühlen sich immer wieder benachteiligt. Den Andern geht es scheinbar besser. Und das selbst dann, wenn es ihnen in Wirklichkeit schlechter geht. Ein schönes Beispiel findet sich im Buch "Im Fallen lernt die Feder fliegen" von Usama Al Shahmani. Dort vergleicht sich ein aus einer bekannten Familie stammende irakische Spross mit den Beduinen, die er verklärend idealisiert, ähnlich wie das auch in der Schweiz bei den Fahrenden geschah (siehe Lied "Lustig ist das Zigeunerleben"). Da sinniert er: "So sind die Beduinen. sie haben schon immer ihre Freiheit gefunden. Vielleicht in den Sternen, an denen sie sich orientieren. Auch wenn Wolken sie verdecken, glauben sie daran, dass das nicht lange andauern wird. Bei den Beduinen bewegt sich alles, nichts steht still. Auch der Sand, die Dünen wandeln sich unaufhörlich. Wie schön, wenn wir wie die Beduinen wären. Sie tragen ihre Häuser mit sich, auch im Tod sind sie frei, sie haben keine Friedhöfe, keine Kriege. Ihre Verstorbenen begraben sie, wo sie sich niedergelassen haben, danach ziehen sie weiter." (Seite 103)

Neid gegenüber den Reichen, den Gutverdienenden, das verstehe ich noch. Doch Neid gegenüber den Diskriminierten, den Flüchtlingen, den Hilfeempfangenden! Das verstehe ich nicht.

Sind vielleicht gar nicht die Andern das Problem, ob sie nun reicher oder freier oder schöner oder beliebter oder frühpensionierter oder sozialhilfeabhängiger sind?

Vieles von dieser Neidkultur würde verschwinden, wenn unsereiner sich darum bemühen würde, der grosszügigste und toleranteste Mensch zu werden. Wie wäre es, wenn wir einander in der Liebe zu überbieten versuchen. Wer der liebevollste Mensch sein will, wird vor allem auf sich selbst achten, und sich vor jedem Vergleich mit Andern hüten.

Frage: Bist du neidisch?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Sonntag, 11. Juli 2021

Ein paradoxes Schuldeingeständnis

Ein Gedanke

Abendmahlskelch aus der Augustinerkirche Zürich
Foto © Jörg Niederer
"Moral ist, wenn man so lebt, dass es gar keinen Spaß macht, so zu leben." Édith Piaf

Ein Bibelvers - 1. Johannes 1,9

"Wenn wir aber unsere Schuld eingestehen, ist Gott treu und gerecht: Er vergibt uns die Schuld und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben."

Eine Anregung

Bei den folgenden Sätzen aus der Abendmahlsliturgie, wie sie an der diesjährigen Tagung der Jährlichen Konferenz gefeiert wurde, merken alteingesessene Methodist*innen irritiert auf. Was sie hören ist zugleich bekannt und fremd. Im Gebet an Gott heisst es da:

"Wir bekennen, dass wir deine Liebe und deine Gebote achten und der Liebe weiten Raum geben. Dein Wille ist uns das Wichtigste.
Du rüstest uns für unseren Alltag mit Kraft aus, deshalb öffnen wir uns dir gerne.
Du hast uns geboten, wachsam zu sein, darum fällt uns die Not unserer Nächsten sofort auf.
Du hast uns gesandt, deinen Schalom zu verkörpern.
Wir lieben es in unserem Alltag dein Zeugnis der Liebe zu sein. Unser Leben soll dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern."

Der ursprünglichen, historischen Text lautet dagegen so:

"Wir bekennen, dass wir oft deine Liebe und deine Gebote missachtet und der Lieblosigkeit Raum gegeben haben. Du wolltest uns für unsern Alltag mit Kraft ausrüsten, wir aber haben uns dir verschlossen. Vieles war uns wichtig, aber für diene Aufträge nahmen wir uns wenig Zeit. Oft taten wir, was uns gefiel, und vergassen dabei dich und unsern Nächsten. Du hast uns gesandt, dein Heil zu bezeugen, wir aber sind der Welt dein Zeugnis oft schuldig geblieben."

Während ich das historische Sündenbekenntnis oft gedankenlos bete, habe ich mich bei der ins Positive gewendeten Version ständig gefragt, ob ich zu dem, was ich da Gott sage, wirklich auch stehen kann. Ich verspürte eine Hemmung, mich so vor Gott zu bekennen. Und gerade darum wurde ich mir in paradoxer Weise meiner Schuld bewusst.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Samstag, 10. Juli 2021

Ein Korb voll Wasser

Ein Gedanke

Rattankorb
Foto © Jörg Niederer
"Wer einen Korb bekommt, sollte damit einkaufen gehen." Andreas Bechstein

Ein Bibelvers - 5. Mose 26,2.4+5

"Aber alles, was mir damals als Vorteil erschien, sehe ich jetzt – von Christus her – als Nachteil. Ja wirklich: Ich betrachte es ausnahmslos als Nachteil. Dahinter steht die überwältigende Erkenntnis, dass Jesus Christus mein Herr ist! Verglichen mit ihm ist alles andere wertlos geworden, ja, in meinen Augen ist es nichts als Dreck! Mein Gewinn ist Christus."

Eine Anregung

Nun habe ich das neuste Buch von Usama Al Shahmani mit Gewinn fertig gelesen und kann es sehr empfehlen. In diesem Werk mit dem Titel "Im Fallen lernt die Feder fliegen" gibt es eine kleine Geschichte (Seiten 63-64). Anstelle einer Kritik, hier dieses Korbgleichnis, das, so meine ich, auch im christlichen Kontext funktioniert.

"Es war einmal ein Bauer, der auf seinem Feld lebte. Jeden Tag, wenn er mit seiner Arbeit fertig war, sass er in einer Ecke seines Hauses und las aus dem Koran. Sein jüngster Sohn, der neun Jahre alt war, bewunderte das und versuchte es auch. Aber nach zwei Tagen hörte er auf und ging zum Vater.
'Ich habe versucht, es genau wie du zu machen, aber als ich den Text las, verstand ich kein Wort und fand es schwierig, dranzubleiben. Ich legte das heilige Buch wieder in den Schrank zurück und sah, dass kein Satz in meinem Gedächtnis geblieben war. Warum machst du das jeden Tag, Vater? Was nützt dir das?'
Statt einer Antwort verlangte der Vater den Korb, den sie für die Holzkohle benutzten. Der Korb war bunt und aus Palmwedeln geflochten.
'Nimm ihn und bring mir Wasser vom Bach darin.'
Der Sohn blieb stehen. Wie soll man Wasser in einem Korb transportieren? Er tat es aber trotzdem.
'Du musst ein bisschen schneller gehen, damit du das Wasser unterwegs nicht verlierst.'
'Das ist aber unmöglich, Vater', sagte der Sohn wütend. 'Das Wasser sickert hindurch.'
'Du musst dir mehr Mühe geben, damit du es behalten kannst. Also, geh jetzt.'
Der Sohn war überzeugt, dass er mit keinem Tropfen zum Vater zurückkehren würde. Er ging aber trotzdem, um seinem Vater zu beweisen, dass das unmöglich sei. Verzweifelt kam er zu ihm zurück.
'Siehst du. Das hat keinen Sinn.'
'Denkst du wirklich, dass das keinen Sinn hat?', fragte der Vater und nahm den Korb. 'Siehst du nicht, was passiert ist?'
'Was denn?'
'Der Korb ist sauber geworden. Man sieht nun alle Farben, die von der Schwärze der Kohle bedeckt waren, und das ist das, was mit meiner Seele passiert, wenn ich den Koran lese. Es gibt Taten und Worte, die uns innerlich und äußerlich rein machen, auch wenn wir sie nicht genau begreifen.'
Der Sohn nahm den Korb und sah wirklich, dass alle Farben wieder strahlten."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde