Samstag, 31. August 2024

Heilige Vielfalt - Schöpfungszeit im Zoo

Ein Zitat

Portrait eines Grantzebras aus dem Walter Zoo in Gossau.
Foto © Jörg Niederer
"Herr, du liebst, was du geschaffen hast: jedes Korn, jeden Lichtstrahl, jeden Tropfen, jedes Tier, jeden Menschen. In deiner Schöpfung wollen wir dich suchen." Aus einem Gebet von Peter Bischofs

Ein Bibelvers - Jeremia 2,24

"Du bist wie eine wilde Eselin, die in der Wüste zu Hause ist. Voller Verlangen zieht sie die Luft ein. Wer kann sie in der Paarungszeit aufhalten? Wer sie haben will, muss nicht weit laufen."

Eine Anregung

Mit dem 1. September beginnt die weltweit und ökumenisch begangene Schöpfungszeit und dauert bis zum Franziskustag am 4. Oktober 2024. Die Arbeitsgruppe GFS (Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung) der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen beider Appenzell und St. Gallen führen jeweils einen besonderen Anlass dazu durch.

In diesem Jahr besuchen wir am Samstag, 14. September den Walter Zoo in Gossau. Der Anlass ist bemerkenswert. Am Vormittag ab 10.40 Uhr gibt es Informationen und Führungen von Fachleuten, aber auch eine kleine Schöpfungsfeier für Erwachsene wird zelebriert. Kinder und Familien sind willkommen, und all das zu einem subventionierten Preis von CHF 12.- für Erwachsene und CHF 6.- für Kinder. Der Nachmittag steht zur freien Verfügung.

Mit anderen Worten: So günstig kommt man nicht mehr so schnell in einen Zoo und erfährt dabei erst noch viel über Tiere, Biodiversität, Biologie und Glauben.

Eine Anmeldung ist erforderlich, da die Platzzahl begrenzt ist. Anmeldeschluss ist der 6. September. Es hat noch freie Plätze. Alles Weitere kann dem Flyer entnommen werden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 30. August 2024

Spiegelung

Ein Zitat

Der Ägelsee bei Frauenfeld. Algen und Spiegelungen verwirren die Wahrnehmung.
Foto © Jörg Niederer
"Die Worte der Menschen sind ein Spiegel ihres Herzens." Lateinische Lebensweisheiten

Ein Bibelvers - Sprüche 27,19

"Wie ein Mensch im Wasser sein Gesicht erkennt, so erkennt er sich im Herz eines anderen Menschen."

Eine Anregung

Was ist Spiegelung, was nicht? Beim Foto vom Ägelsee in Frauenfeld ist das gar nicht so leicht zu erkennen. Man muss es auch nicht. Man kann sich einfach an dieser verwirrlichen Schönheit erfreuen.

Darum wünsche ich uns heute viel Freude, ob nun mit Spiegelung oder auch nicht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 29. August 2024

Verliebt in eine Tote

Ein Zitat

Die Schlange beschenkt den gütigen Kaiser Karl dem Grossen mit einem Edelstein. Fresko von Paul Bodmer zur Gründungssage der Wasserkirche Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Rechtes Handeln ist besser als Wissen; aber um das Richtige zu tun, müssen wir wissen, was richtig ist." Karl der Grosse (747/748-814)

Ein Bibelvers - Johannes 3,14+15

"Es ist wie damals bei Mose, als er in der Wüste den Pfahl mit der Schlange aufgerichtet hat. So muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat."

Eine Anregung

Vom Maler Paul Bodmer (1886-1983) stammen die Fresken im Kreuzgang des Fraumünsters in Zürich. Sie erzählen die Gründungslegenden verschiedener Kirchen, auch die der Wasserkirche in der Stadt.

Darin kommt eine Schlange vor, die von Kaiser Karl dem Grossen Nahrung und Hilfe erhält. Weiter wird eine Kröte verurteilt und hingerichtet.

Das Geschenk der Schlage an Karl den Grossen für dessen Hilfe, ein wertvoller Edelstein, entpuppt sich als starker Liebeszauber. Das führt dazu, das der Kaiser mit seiner zwischenzeitlich verstorbenen Frau 18 weitere Jahre lang zusammengelebt haben soll. Später wurde das Geschenk der Schlange ein unlösbares Liebesband zwischen dem Kaiser und einem seiner Ritter, bis dieser den an sich genommenen Edelstein in einen Sumpf warf. Nun entbrannte Karl der Grosse in Liebe zu dem Land, in dem der Edelstein nun verborgen lag, und gründete daselbst die Stadt Aachen.

Übrigens: Der Ort an dem die Schlange in Zürich aufgetaucht war, soll genau da gewesen sein, wo heute die Wasserkirche steht und wo einst die Stadtheiligen Felix und Regula ihr Leben liessen.

Die ganze Legende kann man in einem eindrücklich schön gelesenen Tonbeitrag anhören.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 28. August 2024

In Zürich steht ein neuer Turm

Ein Zitat

Blick durch den Katharinenturm beim Fraumünster hinauf zum Himmel über Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"bin der red und bin den oren bekent man den essel und den toren / item welen frouwen uibell rett, der weist nit was sin muoter tet / man / sol frouwen loben / es sy war oder arlogen." (An der Rede und an den Ohren erkennt man den Esel und den Toren. Auch: Wer schlecht über Frauen redet, der weiss nicht, was seine Mutter tat. Man soll Frauen loben, sei es (nun) wahr oder erlogen." Katharina von Zimmern (1478-1547)

Ein Bibelvers - Richter 4,9

"Darauf sagte sie: 'Ja, ich komme mit dir! Nur sollst du wissen: Du ziehst jetzt in die Schlacht, doch Ruhm wirst du auf diesem Weg nicht ernten. Der Herr wird Sisera in die Hand einer Frau geben.' Dann stand Debora auf und ging mit Barak nach Kedesch."

Eine Anregung

Mit 18 Jahre wird Katharina von Zimmern Äbtissin des Fraumünsters, des Zürcher Stiftsklosters mit den grössten Ländereien. 28 Jahre übte sie dieses Amt aus, zuletzt ganz allein im Kloster in Zürich.

Berühmt ist sie vor allem dadurch, dass sie am 8. Dezember 1524 den Schlüssel des Fraumünsterstifts und damit das Kloster samt Ländereien dem Bürgermeister und dem Rat von Zürich übergab. Damit verhinderte sie in der heissen Phase der Reformation ähnliche Ausschreitungen, wie sie etwa beim Sturm auf das Kloster Ittingen (Siehe Beitrag vom 19. Juli!) geschahen.

Dieser historisch bedeutsame reformatorischer Akt, der vor 500 Jahren geschah, wird aktuell in Zürich vielfältig gefeiert. Am Augenfälligsten ist dabei ein Turm, der sich in Erinnerung an die letzte Äbtissin des Fraumünsters nun wieder bei der einstigen Stiftskirche erhebt. Der filigran aufragende Katharinenturm von Debora Burri-Marci steht vorübergehend an der Stelle, an der einst auch der heute fehlende Südturm stand. Geschmückt ist er mit einem tausend Meter langen grünen Band, auf dem die Namen von 500 bedeutenden Frauen stehen, welche sich seit Katharina von Zimmerns Zeit für Zürich engagiert haben.

Wer mehr über Katharina von Zimmern erfahren möchte, kann sich dazu den Zeitblende-Podcast auf Radio DRS anhören oder das Buch von Irene Gysel über die bedeutende Frau lesen.

Dazu lohnt sich ein Besuch im und beim Fraumünster in Zürich. Nicht nur wegen des vorübergehend dort stehenden Turms, sondern auch wegen der weiteren Sehenswürdigkeiten, darunter Glasfenster von Marc Chagall.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 27. August 2024

Raben, Schädel, Hopfen

Ein Zitat

Historische Beschriftung der Apotheke zum Kreuz in Oltens Altstadt.
Foto © Jörg Niederer
"Ein Apotheker ist Komplize des Arztes, Wohltäter des Bestatters und Ernährer der Würmer." Ambrose Gwinnett Bierce (1842-1914)

Ein Bibelvers - 1. Mose 8,6+7

"40 Tage später öffnete Noah das Fenster, das er in die Arche eingebaut hatte. Er ließ einen Raben hinausfliegen. Der kehrte immer wieder zurück, bis das Wasser verschwunden und die Erde trocken war."

Eine Anregung

Schädel und gekreuzte Knochen, Raben und - so interpretiere ich das - Hopfen finden sich an der Beschriftung der Apotheke zum Kreuz in Oltens Altstadt. Raben und Totenkopf sind Elemente, die immer auch in der christlichen Religion als Symbole zu finden sind. Raben als Boten Gottes, die Gebeine als Zeichen der Sterblichkeit. Doch was haben diese Symbole mit dem Gesundheitswesen, den Apotheken zu tun?

Das fragte ich die Künstliche Intelligenz, nachdem ich via Google nicht besonders viel dazu in Erfahrung bringen konnte. Und das ist die Antwort von Microsofts Copilot:

"Historisch gesehen haben Apotheken oft das Symbol des Schädels und der gekreuzten Knochen verwendet, um auf die Gefahren von Giften hinzuweisen. Diese Symbole dienten als Warnung, dass bestimmte Substanzen in der Apotheke gefährlich oder giftig sein könnten, wenn sie nicht richtig verwendet werden.
Heutzutage sieht man diese Symbole weniger häufig, aber sie sind immer noch ein Teil der Geschichte und Tradition der Pharmazie. Sie erinnern uns daran, dass Apotheken nicht nur Orte sind, an denen man Heilmittel bekommt, sondern auch Orte, an denen man Respekt und Vorsicht im Umgang mit Medikamenten und Chemikalien lernen kann."

Zum Raben gibt es diese Erklärung:

"Der Rabe ist ein Symbol, das in der Geschichte der Pharmazie und Medizin eine besondere Bedeutung hat. In vielen Kulturen wird der Rabe als ein intelligentes und weises Tier angesehen, das Wissen und Geheimnisse bewahrt. In der Alchemie und frühen Medizin wurde der Rabe oft als Symbol für Transformation und Heilung verwendet... Der Rabe kann auch als ein Zeichen für die Weisheit und das Wissen der Apotheker interpretiert werden, die ihre Kunden beraten und ihnen bei der Heilung helfen."

Zuletzt noch der Hopfen: "Hopfen hat auch medizinische Eigenschaften und wird in der Pharmazie verwendet." Hopfen habe eine beruhigende Wirkung, sei verdauungsfördernd und antibakteriell. 

Wer sich nun noch bewusst macht, dass es oft Mönche und Nonnen waren, welche die Funktion von Apotheker:innen und Bierbrauer:innen ausübten, kann leicht verstehen, dass man sich die Symbolik von Schädel und Rabe geteilt hat in Kirche und Medizin. Die Oltner Apotheke zum Kreuz trägt zudem im Namen das zentrale christliche Zeichen.

All das kann wohl kein Zufall sein.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen


Montag, 26. August 2024

Lärm und leise

Ein Zitat

Mit Zucker gefüllte Silos erheben sich in Reih und Glied auf dem Gelände der Zuckerfabrik Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Lärm beweist gar nichts. Eine Henne, die ein Ei gelegt hat, gackert, als sei es ein Planet." Mark Twain (1835-1910)

Ein Bibelvers - 2. Mose 32,17+18

"Als Josua das Volk schreien hörte, sagte er zu Mose: 'Im Lager ist Kriegslärm!' Doch Mose entgegnete: 'So klingt kein Geschrei von Siegern, auch nicht das Geschrei von Besiegten. Ich höre laute Gesänge.'"

Eine Anregung

In den zwei Tagen des internationalen Motocross-Rennens in Frauenfeld entstand auf dem Zuckerfabrik-Areal ein kunterbuntes Dorf von Motorradbegeisterten. Aus diesem Anlass stand das Gelände der Fabrik ausnahmsweise allen zugänglich offen. Faszinierend, was es da zu sehen gab. Wobei der erste Eindruck akustisch und lärmend laut war. Auf der Industriegleisanlage begegneten uns Fans mit so Dingern in der Hand; Motoren mit Geräuschverstärkern. Diese liessen sie in einer das Gehör verletzenden Wiese aufheulen.

Zur Ehrrettung sei gesagt, dass die meisten anderen Motorradbegeisterten sich deutlich geräuschärmer verhielten. Lediglich die Schafherde, die zwischen den Zuckersilos weidete, gerieten bei meinem Anblick auch in laut blökende Verzückung.

Leiser war es dann in den abgelegeneren Teilen der Zuckerfabrik. Dort konnte man den Eindruck bekommen, man sei allein auf dem Gelände.

Meine Frau begrüsste auch ein ihr gut bekannter Motocross-Europameister. Es war ein kleiner Junge, den sie von ihrer Arbeit als Mitarbeiterin der Tagesschule kennt. Den Titel hatte er früher einmal gewonnen an einem Jugend-Motocross-Rennen. Damals als er seine Medaille in der Tagesschule präsentierten, meinten einige neidische und fussballbegeisterte Kinder, Motocross sei doch gar kein richtiger Sport.

Mir wurde bei dieser Gelegenheit wieder einmal bewusst, wie verschieden Menschen sind. Die einen kicken Bälle, die andern kicken das Gaspedal. Die einen freuen sich an möglichst viel Lärm, andere suchen sich bewusst ruhige Tätigkeiten aus. Was für die einen Erholung, ist für die andern purer Stress.

Was ist dir lieber: Laut oder leise, Action oder Ruhe?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 25. August 2024

Kinder willkommen

Ein Zitat

Abdrücke von Kinder-Patschhändchen auf einer Scheibe der Zwischentür in der Methodistenkirche St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe." Pipi Langstrumpf

Ein Bibelvers - Römer 8,14

"Alle, die sich von diesem Geist führen lassen, sind Kinder Gottes."

Eine Anregung

Das sind die Abdrücke von Kinderhändchen auf einer Glasscheibe der Zwischentür in der Methodistenkirche St. Gallen. Ein Ärgernis? Überhaupt nicht. Denn Kinder sind bei uns in der Kirche herzlich willkommen. Auch, wenn es danach gelegentlich etwas zu putzen gibt. 

Heute Sonntag geniessen die Kinder in ihren Räumen an der Kapellenstrasse 6 um 10.15 Uhr wieder ein eigenes Programm. Also: Lasst eure Kinder dorthin kommen. Es wird ihnen gefallen.

Am Besten sind sie begleitet von den Eltern. Denn die Erwachsenen geniessen einen Gottesdienst mit Pfarrer Markus Bach, der am heutigen Sonntag ein Gastspiel in der Methodistenkirche St. Gallen gibt.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 24. August 2024

Wilde Botanik

Ein Zitat

Jugendlicher Mammutbaum im wilden Botanischen Garten von Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Die Wildnis ist es, die die Welt bewahrt." Henry David Thoreau (1817 - 1862)

Ein Bibelvers - 2. Mose 13,18

"Deshalb liess Gott das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer."

Eine Anregung

Der Botanische Garten ist ein Ort der Ordnung. Pflanzen werden sorgfältig kultiviert, jede Art ist lateinisch-deutsch beschriftet.

Nicht so im Botanische Garten Frauenfeld. Am 25. Juli 2003 wurde er eingeweiht im 200. Jahr von Frauenfeld als Kantonshauptstadt. Vielleicht war es damals ein schön geordneter Park, wie es sich für einen Botanischen Garten gehört. Doch in den vergangenen 21 Jahren scheint man ihn sich selbst überlassen zu haben. Eine kleine Wildnis ist entstanden, gut besuchten von den Kantonsschülerinnen und -schülern, irgendetwas zwischen gruselig und romantisch.

Mir gefällt der Ort. Gerade in der Unordnung entdecke ich Vielfalt. In einer ausgetrockneten Dolde der Wilden Möhre verstecken sich Nymphen der Streifenwanze. Eine Heuschrecke zirpt leise vor sich hin. Auf einer anderen Blume sitzt eine Glasflügelwanze. Rabenkrähen vertreiben sich die Zeit unter einer Pergola. Holz modert vor sich hin. Ein Vogel zwitschert den Abend herbei. In der offenen Gartenrondelle sitzen Teenies eng an eng. Ihre Stimmen sind leise, als hätten sie Ehrfurcht vor diesem Ort. Auch der Mammutbaum ist wie die Habwüchsigen noch jugendlich frisch.

In dieser Unordnung kann ich meine Gedanken ordnen. Da wo alles durcheinander ist, wird es in mir still.

Schön, dass es solche Orte gibt, die das Gewohnte sprengen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 23. August 2024

Kein irischer Segen

Ein Zitat

Der Orbiter auf Stelzen, ein Werk von Robert Indermaur, das leihweise auf dem Postplatz von Chur steht.
Foto © Jörg Niederer
"Der Misserfolg hat einen Segen, / der mir verklärt den trübsten Tag: / Er macht uns beliebter bei den Kollegen, / als ein Erfolg es je vermag." Oskar Blumenthal (1852-1917)

Ein Bibelvers - Sprüche 16,3

"Lass den Herrn dein Tun bestimmen! So werden deine Pläne gelingen."

Eine Anregung

Mögen deine Schritte heute weit und bestimmt sein, voll Freude, auf das, was der Tag bringen wird.

Möge dein Blick die Stolpersteine auf dem Weg rechtzeitig erkennen, So dass deine Füsse sicheren Halt finden.

Möge über dir der Himmel lachen, so dass dir das Herz aufgeht für die Freuden und Sorgen der andern.

Möge dein Weg dich dahin führen, wo Frieden und Hoffnung dich erwarten.

Und möge dir bei all dem Gott erfrischend näher sein als an jedem Tag zuvor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 22. August 2024

Bundesrat Rösti, Schmetterlinge und die schleichende Normalität

Ein Zitat

Ein Russischer Bär und eine Mistbiene laben sich an den Blüten des gewöhnlichen Wasserdosts.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn ich auf die Alp gehe, sehe ich nicht weniger Schmetterlinge als früher." Bundesrat Albert Rösti zur Biodiversitätsinitiative

Ein Bibelvers - Offenbarung 8,8+9

"Dann ließ der zweite Engel die Trompete erschallen. Da wurde etwas ins Meer geworfen, das glich einem großen Berg aus Feuer. Ein Drittel des Meeres wurde zu Blut. Ein Drittel der Geschöpfe, die im Meer leben, starb. Und ein Drittel der Schiffe wurde zerstört."

Eine Anregung

Wenn ich von meiner Wohnung auf die Nebenstrasse davor hinunter schaue, dann hat es da nicht mehr Autos als vor 15 Jahren. Also kann es noch nicht so weit her sein mit der Überlastung der Autobahnen. Es braucht keinen weiteren Ausbau. "Halt" werdet jetzt einige sagen, so geht das nicht. Von einer Nebenstrasse auf die Autobahn schliessen ist nicht statthaft. Das ist Äpfel mit Birnen vergleichen.

Genau so argumentierte aber Bundesrat Albert Rösti, als er sich gegen die Biodiversitätsinitiative aussprach. Als Argument, dass es noch gut stehe um die Biodiversität in der Schweiz, meinte er: "Wenn ich auf die Alp gehe, sehe ich nicht weniger Schmetterlinge als früher." Nun mag es sein, dass es auf einer traditionell bewirtschafteten Alp (keine Düngung, nur ein Schnitt pro Jahr) noch viele Schmetterlinge gibt. Aber das sind in der Schweiz zwischenzeitlich die Ausnahmen. Von diesen relativ intakten Weiden auf den Gesundheitszustand der gesamten Natur in der Schweiz zu schliessen, ist schlicht unseriös. Wissenschaftliche Studien habe gezeigt, dass die Masse der Fluginsekten in den letzten 27 Jahren um 76% zurückgegangen ist. Bei den Insekten und damit auch bei den Schmetterlingen sind 40% gefährdet oder ausgestorben und 13% potentiell gefährdet. Ältere Autofahrer können sich diese Veränderung auf einfache Weise bewusst machen, wenn sie an die vielen Insekten denken, die sie früher tot von der Windschutzscheibe wegputzen mussten. Davon ist heute keine Rede mehr.

Viele Menschen haben aber immer noch den Eindruck, der Natur in der Schweiz gehe es gut. Es ist ja alles so schön grün hier. Aber Grün heisst nicht gesund. Grün ist Eintönigkeit. Die Natur ist nicht eintönig. Die intakte Natur ist bunt.

Vermutlich hat Bundesrat Rösti noch in einer zweiten Weise unrecht. Wie viele Menschen leidet er unter dem, was man in der Wissenschaft "schleichende Normalität" nennt. Weil die Veränderungen in der Natur aus der Wahrnehmung von Menschen so langsam vor sich gehen, dass wir sie kaum feststellen können, haben wir den Eindruck, es sei noch so wie früher. Da kann schon der Eindruck aufkommen, auf Röstis Alp gäbe es nicht weniger Schmetterlinge als früher. Aber ist das auch so? Dazu hätte Bundesrat Rösti früher schon sichere Daten erheben müssen, und seine Folgerung nicht nur abstellen auf einen subjektiven Eindruck einer verblassten Erinnerung. Weiter haben jüngere Menschen gar keine eigenen Vergleichsmöglichkeiten mit dem Zustand der Welt vor ihrer Geburt. Sie kennen nur das Heute, und das ist für sie Normalität. Sie haben einen verschobenen Ausgangspunkt bei der Beurteilung der Situation.

Wir leben aber nicht in der biodiversen Normalität. Wir leben in einem Land, in dem es dramatisch abwärts geht mit der Lebensvielfalt. Da mag es weniger belastete Inselvorkommen von Pflanzen und Tieren geben, aber der Normalfall ist der dramatische Rückgang an Vielfalt und Leben auf unserem Planeten. Die Schweiz steht dabei im europäischen Vergleich erbärmlich schlecht da.

Darum stehe ich mit hundertprozentiger Überzeugung hinter der Biodiversitätsinitiative. Ich liebe Gottes Schöpfung. Es tut mir weh, wie damit in den letzten Jahren in der Schweiz umgegangen wurde. Wenn wir jetzt nicht beginnen, ernsthaft und fürsorglich für eine intakte Umwelt bei uns zu sorgen, werden schwere Zeiten auf uns zukommen. Es geht wieder einmal - wie bei der Klimaerwärmung durch den menschgemachten Treibhausgasausstoss - um das längerfristige Wohl von uns allen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 21. August 2024

Morgenwacht

Ein Zitat

Graffiti an einer Hauswand in Chur.
Foto © Jörg Niederer
"Denn wisset Kinder, kein Mensch ist einiger Hochachtung wert, und keiner wird auch von seinen Mitbürgern geliebet, der nicht trachtet, sich selbst zu verbessern und seinen Nebenmenschen wohl zu tun. Beides muss nebeneinander bestehen, Wissenschaft und Redlichkeit." Johann Baptista von Tscharner (1751-1835) Churer Politiker

Ein Bibelvers - Psalm 143,8

"Lass mich am Morgen deine Güte erfahren! Denn auf dich setze ich mein Vertrauen. Zeig mir den Weg, den ich gehen soll! Denn zu dir bringe ich meine Sorgen."

Eine Anregung

Bei einem beruflichen Abstecher nach Chur streife ich durch die Altstadt, als ich gegenüber dem Roten Haus des Commissari Rudolph von Salis dieses Graffiti entdecke. Mir gefällt das moderne, poppige Bild im maroden Holzrahmen der Tür und des Fensters. Schräg darüber ist ein weiteres Bild von einem Nachtwächter zu sehen. Dazu steht auf einer Informationstafel Interessantes. Wusstest du, dass die Nachtwächter auch den Tag ankündigten, dann wohl als Morgenwächter. In Chur sollen es gleich 12 singende Nachtwächter gewesen sein, welche einst durch die engen Strassen zogen. Und das sangen sie am frühen Morgen, bis der Brauch im Jahr 1887 endete: 

"Stönd uuf im Nama Jesu Christ / dar helli Tag vorhanda isch / dar helli Tag üs nia verlaat, / Gott gäb üs allna an guata Tag. / An guata Tag, a glückseeligi Stund: / das bitt'i Gott vo Herzansgrund!"

Schön, nicht? Der Vollständigkeit halber hier auch noch die Abendwache:

"I trätä jezz uf d'Abedwacht, / Gott geb üs allna a guati Nacht. / Und löschan alli Füür und Liacht, / dass üs dar liabi Gott wohl b'hüat. / Sibni hätts g'schlaga, das tuan i eu kund, / Gott gäb üs allna a guati Stund."

Zwischen diesen Segensliedern aus alten Zeiten liegt auch der heutige Tag. "Gott gäb üs alllna a guata Tag"; das wünsch ich dir.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 20. August 2024

Die Opferung des Ismael

Ein Zitat

Bildteil des Erkers vom Haus zur Hagar in Schaffhausen.
Foto © Jörg Niederer
"Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen." Isaac Asimov (1920-1992)

Ein Bibelvers - 1. Mose 21,17+18

"Als Gott das Weinen des Jungen hörte, rief ein Engel Gottes vom Himmel her zu Hagar: 'Hagar, was ist mit dir? Fürchte dich nicht! Gott hat das Weinen des Jungen gehört, der dort liegt. Steh auf, heb den Jungen hoch und halt ihn fest in deinen Händen! Denn ich will ihn zum Stammvater eines großen Volkes machen.'"

Eine Anregung

In Schaffhausen gibt es das Haus zur Hagar an der Vorstadt 18. Früher gehörte dessen Fassade zu den Schönsten (hier eine historisches Gemälde zum Hagarhaus!), ähnlich der des Hauses zum goldenen Ochsen oder des Hauses zum Ritter. 1836 wurde die Fassade umfassend verändert. Geblieben ist eine nüchterne Gleichmässigkeit und ein Erker, der mit der einstigen Bilderpracht des Hauses nicht mithalten kann. Im Inneren sind noch Stuckaturen von herausragender Pracht erhalten geblieben. Es sind die ersten Arbeiten von Samuel Höscheller (1630-1713/15) in Schaffhausen. 

Doch zurück zum Erker, so wie er sich heute darstellt. Darauf zu finden sind zwei Szenen aus der Geschichte der Vertreibung von Hagar und Ismael. Für alle, die diese Geschichte nicht kennen, eine ganz kurze Zusammenfassung: Sarah, die Frau Abrahams kann nicht schwanger werden. Da zeugt auf Sarahs Geheiss Abraham mit der Sklavin Hagar seinen ersten Sohn Ismael. Als Sarah durch göttliches Eingreifen im hohen Alter dann doch noch den Isaak gebiert, kommt es zur Vertreibung der Hagar. Sarah ist die treibende Kraft, dass Hagar und Ismael von Abraham fortgeschickt werden und in der Folge beinahe in der Wüste sterben.

Aus dieser Geschichte sind die beiden Szenen, die sich heute als Steinmetzarbeiten auf dem Erker befinden. Links wird Hagar mit Ismael von Abraham vertrieben. Sarah steht teilnahmslos dabei, ein Hund ergänzt die Szene. Vom Hund ist auf der zweiten, rechten Darstellung nichts mehr zu sehen. Es handelt es sich um den Moment, als ein Engel der zum Sterben bereiten Hagar in der Wüste begegnet und ihr einen Brunnen zeigt, dessen Wasser Leben für sie selbst und Ismael bedeuten.

Diese Szene erinnert mich gestalterisch an die Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham. Der Vater Abraham erhält von Gott den Auftrag, den einzigen Sohn, den er mit Sarah gemeinsam hat, Gott zu Opfern. Im letzten Moment wird er von einem Engel davon abgehalten.

Im Islam ist der Sohn, der von Abraham geopfert werden soll gemäss Auslegung aber nicht Isaak, sondern Ismael. Ob der mir unbekannte Künstler sich von dieser Opferung des Ismaels leiten liess, als er die Szene mit Hagar, Ismael und dem Engel in der Wüste am Erker anbrachte, weiss ich nicht. Durch die Vertreibung von Hagar und Ismael opfert Abraham ja tatsächlich seinen Erstgeborenen. Und die Mutter Hagar wird zur tragischen Vollstreckerin des Todesurteils. Sie legt ihren Sohn zum Sterben etwas abseits, weil sie mit dieser Situation total überfordert ist. Wer kann es ihr verübeln.

Hagar und Ismael sind Opfer. Abraham ist der Täter. Einmal auf Geheiss der Hauptfrau, dann weil Gott ihn prüfen will. Sarah ist Opfer und Täterin. Einmal verlangt sie den Tod des Ismael (und der Hagar), dann wird ihr beinahe der einzige eigene Sohn Isaak durch ihren Mann Abraham (und Gott) genommen. Eine der verrücktesten Familiengeschichten, die ich kenne. Heute bezeichnen wir solche Geschehnisse als häusliche Gewalt. Zugleich sind da drei Religionen, die sich von genau diesen Geschichten und Personen her definieren. Am Anfang der jüdischen, christlichen und islamischen Glaubensgemeinschaften steht eine familiäre Gewaltgeschichte voller Vertreibung und Verblendung. Das prägt die jüdischen, christlichen und islamischen Gesellschaften bis heute.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 19. August 2024

Jubiläum der Friedenskirche Schaffhausen

Ein Zitat

Die 126-jährige methodistische Friedenskirche thront etwas versteckt über den Bahngeleisen an der Fäsenstaubpromenade.
Foto © Jörg Niederer
"'125+1', wem kommt so etwas in den Sinn? Entweder feiert man doch ein Jubiläum dann, wenn es passt, oder man lässt es sein... Die einfachste Antwort lautet: Wir haben es vergessen. Oder besser: Wir haben es spät gemerkt... Wenn man dann weiter darüber nachdenkt, passt es doch eigentlich ganz gut. Weil das '+1', das da steht, zeigt doch, es geht weiter..." Pfarrer Markus Allenbach anlässlich des Jubiläumsgottesdienstes vom 18. August 2024 in der Friedenskirche Schaffhausen.

Ein Bibelvers - Psalm 125,1

"EIN LIED FÜR DIE PILGERREISE. Wer auf den Herrn vertraut, der gleicht dem Berg Zion: Er wird nicht ins Wanken geraten, für immer bleibt er bestehen."

Eine Anregung

Ein Jahr lang, während meines pastoralen Praktikums, lebte ich in Schaffhausen in der Friedenskirche. Gestern Sonntag besuchte ich am Nachmittag die Feier zum 125+1-jährigen Bestehen des methodistischen Gotteshauses. Das hat sich gelohnt. Den Gottesdienst verpasste ich zwar, doch ich werde ihn hier noch nachhören. Einen kurzen Einblick in das Werden der Kirche und der Gemeinde erschliesst sich aus einem anregenden Video. Vor Ort entdeckte ich dann auch Fotos, auf denen ich selbst abgebildet bin. Eines aus dem Sonntagschullager von 1981 in La Punt ist nicht besonders vorteilhaft. Auf dem anderen sind weitere Personen abgebildet, die es vorziehen, nicht im Internet aufzutauchen.

So illustriere ich diesen Beitrag mit einem Foto von der Kirche. Über den Bahngeleisen der allerersten Bahnlinie von Schaffhausen nach Winterthur gelegen stand die Kapelle einst frei auf weiter Flur direkt angrenzend an die 1895 neu gestaltete Fäsenstaubpromenade. Ein guter Standort, gegenüber der Erkerstadt Schaffhausen. Heute versteckt sich die Friedenskirche mit dem Kreuz auf dem Turm hinter Häusern und dem Grün der umgebenden Parklandschaft.

Auch wenn ich ein Jahr lang in Schaffhausen zu Hause war, gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Darum morgen mehr über einen Erker, der mir bei einem abschliessenden kurzen Spaziergang durch die Altstadt aufgefallen ist. Bis dahin kannst du dir ein Bild machen vom gestrigen Tag, allerdings als Trockenübung und ohne feines Dessertbuffet. Alles kann man halt nicht haben.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufe

Sonntag, 18. August 2024

Stille und Weite

Ein Zitat

Die riesige Schallschutzhalle am Flughafen Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Die Stille offenbart uns mehr, als der Verstand uns sagen kann." Otto Pötter (*1948), Dichter, Aphoristiker, Dozent und Autor

Ein Bibelvers - 2. Samuel 22,19+20

"Sie überfielen mich an meinem Unglückstag. Doch der Herr stand fest an meiner Seite. Er führte mich hinaus in die Weite, befreite mich aus ihrer Umklammerung. Denn er hatte mich lieb!"

Eine Anregung

Mein Schwager arbeitet auf dem Flughafen Zürich. Gestern führte er uns einen ganzen Tag lang über das weitläufige Gelände und an Orte, an die Unsereiner sonst nicht hinkommen würde. Dabei besuchten wir auch die riesige Schallschutzhalle. Sie wird gebraucht, um die Passagierflugzeuge im laufenden Betrieb zu testen und zu kontrollieren.

Wir traten ein durch das in senkrechten Lamellen angeordnete Schwenktor. Sofort sind die lärmigen Geräusche von draussen wie weggezaubert. Dann tut sich der riesige Raum auf vor uns, einer Kathedrale gleich. Klein kommen wir uns darin vor. Man beachte die Person auf dem Foto in der Mitte der Halle. Und da auch das Gesagte sich augenblicklich verliert, herrscht Ruhe. Ruhe und Weite. Ein himmlisches Erlebnis.

Das wünsche ich uns allen auch am heutigen Sonntag: Ein himmlisches Erlebnis. Weite und Ruhe.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 17. August 2024

Gottesdienstliches Meckern

Ein Zitat

Stiefelgeissen leben neben der Methodistenkirche in Diepoldsau.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn eine Ziege zur Stelle ist, soll kein anderer für sie meckern." Sprichwort aus Afrika

Ein Bibelvers - Sprüche 27,23-27

"Achte auf das Aussehen deiner Schafe und Ziegen! Kümmere dich um die Gesundheit deiner Herden! Denn Reichtum, den man durch Handel erwirbt, bleibt nicht für immer. Und ein Diadem, das man zum Schmuck aufsetzt, bleibt nicht von Generation zu Generation. Sorg dafür, dass dein Vieh gutes Futter hat: Sind die Wiesen gemäht, wächst saftiges Gras nach. Auf den Bergen lassen sich frische Kräuter sammeln. Dann liefern die Schafe dir Wolle für deine Kleidung und die Ziegenböcke Geld für den Kauf eines Ackers. Ziegenmilch ist genug vorhanden, um dich und deine Familie zu ernähren. Auch deinen Mägden reicht es zum Leben."

Eine Anregung

In der Kapelle der Methodistinnen und Methodisten an der Neudorfstrasse 7 in Diepoldsau haben Pfarrpersonen manchmal einen schweren Stand. Da kann es vorkommen, das Ihnen in die Predigt hineingemeckert wird. Besonders bei offenen Fenstern beteiligen sich die Ziegen in Nachbars Garten akustisch schon einmal am frommen Treiben in der Kirche.

Es sind, wenn ich das richtig recherchiert habe, Stiefelgeissen. Sie waren in der Schweiz schon fast ausgestorben, als es ProSpecieRara 1983 gelang, die letzte reinrassige Herde aus Quinten zu übernehmen. Davon stammen die heute über 1000 Tiere ab, die es in der Schweiz wieder gibt. 2016 lebte die älteste Stiefelgeiss in Diepoldsau, vielleicht auch damals schon direkt neben der Kapelle.

Es sind also rare, seltene Tiere. Warum also nach Gottesdienst nicht einen Augenschein nehmen von diesem faszinierenden Geschöpfen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 16. August 2024

Tief schürfen

Ein Zitat

Sascha Schmiedl spricht an der Jährlichen Konferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche in Rothrist.
Foto © Jörg Niederer
"Es war eine sehr schreckliche Zeit für mich, als mir mein überlieferter Kindheitsglauben plötzlich weggebrochen ist und ich zwei Jahre durch eine sehr schwierige Zeit ging, bis ich dann in der Tiefe dem sehr robusten Kern vom christlichen Glauben begegnet bin, der sich als sehr stabil durch die Zeit bis heute erwiesen hat." Sascha Schmiedl, Methodistenpfarrer in Klingenberg und Weinfelden

Ein Bibelvers - Galater 5,16

"Damit will ich sagen: Lasst euer Leben vom Geist Gottes bestimmt sein und richtet es danach aus. Dann werdet ihr nicht euren selbstsüchtigen Wünschen nachgeben."

Eine Anregung

Es sind keine kurzen Beiträge und auch kein rhetorisches Feuerwerk. Sperrig sind sie. Etwas für Menschen, die nicht gleich wieder wegklicken. Es braucht Zeit, um Sascha Schmiedl zu folgen. Da ist dieses Bemühen, dem Leben von heute auf der Basis des christlichen Glaubens Sinn zu geben.

"Tief graben" will der Methodistenpfarrer, und einige der gefunden Schätze auf dem YouTube-Kanal teilen. Es geht ihm nicht darum, Menschen vom eigenen Glauben zu überzeugen. Er will sich mit dem, was er aus christlicher Perspektive erlebt hat, einbringen in einer Weise, die vielleicht "für alle, die zuhören" eine Bereicherung sein können. Dabei orientiert er sich an drei Leitlinien: 1. Biblischer Bezug, 2. relevant für die heutige Zeit, und 3. Die Theorie Praxis werden lassen.

Ich habe mir den YouTube-Kanal abonniert, und das nicht nur, weil ich seit mehreren Jahren mit Sascha Schmiedl in der Methodistenkirche Weinfelden zusammenarbeite, sondern weil ich ihn so noch einmal anders, ernsthafter und vertiefter erleben darf. Das tut mir gut.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 15. August 2024

Der Vikar im Bärenfell

Ein Zitat

Die Kapelle Notre-Dame du Bois bei den Étangs des Moines von Fourmies.
Foto © Jörg Niederer
"Begegnet man einem Bären auf kurze Distanz, so ist es angebracht, durch lautes Sprechen auf sich aufmerksam zu machen und sich zu entfernen." Südtiroler Landesverwaltung

Ein Bibelvers - Jesaja 11,7

"Kuh und Bär weiden zusammen, ihre Jungen liegen nebeneinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind."

Eine Anregung

Noch einmal schaue ich sieben Jahre zurück. Damals landete ich auf meiner Pilgerreise nach London zum Grab von John Wesley auf einem Campingplatz in Fourmies, einem Touristenort nahe der belgischen Grenze. Da, wo man auf die drei Weiher stösst, die übersetzt Mönchsteiche heissen und wohl einst der Fischzucht gedient hatten, steht im Wald die kleine Kapelle "Unserer lieben Frau vom Wald".

Eine Schönheit ist die Kapelle weiss Gott nicht. Überstellt mit Heiligenbildchen und Kruzifixen und der Feuchtigkeit, die sich im Mauerwerk durch einen Schmutzrand abzeichnet, habe ich sie und ihre Geschichte bisher nicht gross beachtet.

So, wie sie sich heute zeigt, geht sie auf eine Wunderheilung zurück aus dem Jahr 1875. Damals wurde der Bewohner M. Poulain von Fourmies bei einem Unfall mit einer Pferdekutsche beinahe getötet. Schon wurden ihm die Sterbesakramente gespendet. Doch seine Tochter gab ihn nicht auf und begann eine Novene in der Kapelle Notre-Dame du Bois. Das heisst, sie betete an neun aufeinanderfolgenden Tagen für die Heilung ihres Vaters. Das Wunder geschah und der Mann wurde geheilt.

Aus Dankbarkeit vergrösserte die Familie des Geheilten in Absprache mit dem zuständigen Förster die Kapelle. So wurde das zuvor stark vernachlässigte kleine Gotteshaus für die lokale Geistlichkeit interessant. Gläubige pilgerten wieder hin, um zu beten. Das zog aber auch Plünderer und Chaoten an, was regelmässig zu Sachbeschädigungen an der Kapelle führte.

Dagegen schmiedete der Vikar einen Plan. Er verkleidete sich als Bär - das passende Fell dazu hatte er - um die ungebetenen nächtlichen Gäste zu erschrecken. Wer weiss schon, wie manche Nacht er sich so bei der Kapelle auf der Lauer liegend um die Ohren geschlagen hatte? Tagsüber war er dann wohl nicht zu viel zu gebrauchen. Die originelle Abschreckungspolitik misslang, so dass die Kapelle wohl oder übel mit einer Gittertür versehen werden musste.

Die Moral von der Geschichte: Ein Vikar macht auch im Bärenfell einem rechten Franzosen keine Angst.

Nebenbei: Das Buch zur Pilgerreise nach London kann man immer noch bei mir beziehen. 

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 14. August 2024

Heute vor 7 Jahren

Ein Zitat

Wegkreuz im Norden Frankreichs auf dem Weg zwischen Aubigny-les-Pothées und Cernion.
Foto © Jörg Niederer
"Mach mal ruhig Pause, die Welt kommt auch ohne uns nicht zurecht." Jobst Quis (*1953), Aphoristiker und Essayist

Ein Bibelvers - Hebräer 4,11

"Wir wollen uns also anstrengen, zu jenem Ruheplatz zu kommen."

Eine Anregung

Seit es Mobiltelefone gibt, werden wir immer wieder dazu aufgefordert, nachzuschauen, was wir vor einem, zwei oder auch sechs Jahren erlebt haben. Vor sieben Jahren war es, als ich zu Fuss auf dem Weg von Frauenfeld nach London im Norden Frankreichs an diesem Wegkreuz vorbeikam und dort für ein kurzes Gebet innenhielt. Wo genau zwischen den Ortschaften Aubigny-les-Pothées und Cernion das Kreuz steht, weiss ich nicht mehr. Unweit von diesem Ort führt die Via Francigena, der Pilgerweg von Canterbury in Südengland nach Rom in Italien vorbei. Hier habe ich von einer Gastgeberin erfahren, dass es auch schon andere Pilger gab, welche nach London unterwegs waren.

Einmal im Tag innenhalten. Auf meiner damaligen Pilgerreise zum Grab von John Wesley, dem Gründer der methodistischen Bewegung, habe ich das so gehalten. Er tut gut, dieser Pausenhalt mit Gott. 

Etwas anders gelagert ist der Pausenhalt, den wir heute in der Methodistenkirche in St. Gallen erstmals anbieten. Provisorisch haben wir ihn "Mittwochs-Kaffee" genannt. Ab 14 Uhr sind alle herzlich eingeladen an die Kapellenstrasse 6 zu genau dem: Kaffee, Tee, und Snacks, aber auch zu einem kurzen Wort zum Tag und vor allem; schönen Begegnungen und anregenden Gesprächen.

Es würde mich sehr freuen, wenn du mit uns auf diese lockere Weise innehältst. Du bist herzlich eingeladen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 13. August 2024

Kirchen und die Regenbogengemeinschaft

Ein Zitat

Regenbogen beim Ägelsee in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Die Regenbogenkirche ist mir ein Ort geworden, wo ich mich wohl fühle und mich als Person und mit meinen Gaben einbringen kann. Hier darf ich aber auch von der bunten Schar an Leuten lernen, mich über den Glauben auszutauschen und gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Mir gefällt der offene und respektvolle Umgang untereinander und dass wir einen Safe Place sind für Leute, die in anderen Kirchen nicht willkommen sind." Aus dem Statement von Andy auf der Webseite der Regenbogenkirche

Ein Bibelvers - Römer 15,7

"Daher bitte ich euch: Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat, damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird."

Eine Anregung

Die Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz (IRAS COTIS) steht hinter einer Reihe von Podcasts, in denen Fragen von 11-13-jährigen Jugendlichen beantwortet werden. Die aktuelle Frage in diesem Format "Religion im Kreuzverhör" lautet: "Weshalb darf die Kirche irgendwelche Regeln aufstellen, wie z.B., dass man nicht gay sein darf?"

Ich nehme den Regenbogen von gestern Abend im Raum Frauenfeld zum Anlass, auf diesen Beitrag hinzuweisen. Der Regenbogen ist ja das Symbol der LGBTQI+-Community.

Dass die Antwort auf diese Frage auch noch von der methodistischen Pfarrerin Nicole Becher kommt, ist ein weiterer Grund, hineinzuhören. Nicole Becher ist Pfarrerin in der Regenbogenkirche. Auf der Webseite dieser Gemeinde heisst es: "Bist du lesbisch, schwul, heterosexuell, bisexu­ell, trans, inter­ge­schlecht­lich, queer oder… und suchst Gemein­schaft mit anderen Christ:innen? Bei uns bist du willkommen, denn wir glauben, dass Gott uns so geschaffen hat, wie wir sind."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 12. August 2024

Huitlacoche am Kuckurutz

Ein Zitat

Brandbeulen des Maisbeulenbrands an einem Kolben bei Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer

"A jeder woass, dass as / Geld ned auf da wiesen wachst / Und essen kann ma's a ned / Aber brenna dads guat / Aber hoazen domma en woaznn / Und de ruabn und den Kukuruz / Wann ma lang so weiter hoazn / Brennt da huat"
Hubert von Goisern: "Brenna tuats guat" (Übersetzung: Jeder weiss, dass das Geld / nicht auf der Wiese wächst / Und essen kann man es auch nicht / Aber brennen würde es gut / Wir aber heizen mit Weizen / und Rüben und mit Mais / Und wenn wir noch lange so weiter heizen / brennt der Hut)

Ein Bibelvers - Johannes 6,32

"Darauf sagte Jesus zu den Leuten: »Amen, amen, das sage ich euch: Mose hat euch kein Brot vom Himmel gegeben. Vielmehr gibt euch mein Vater das wahre Brot vom Himmel."

Eine Anregung

Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass etwas mit den Maiskolben nicht stimmt. Da sind diese fleischigen Auswüchse, gefüllt mit einer schwarzen Masse. Das ganze sieht krank aus. Das ist auch so. Was mir da auf einem Maisfeld bei Frauenfeld ins Auge gestochen ist, ist ein weltweit nur beim Mais vorkommender Pilzbefall, bei uns bekannt als Maisbeulenbrand. Die schwarzen Sporen in den tumorartigen Pflanzengallen geben der Erkrankung den Namen. Nach einiger Zeit sieht die Pflanze so aus, als wäre sie angebrannt oder verbrannt.

In Mexiko werden die infizierten Kolben geerntet, bevor der Pilz Sporen gebildet hat. Diese kommen dann als Delikatesse zubereitet auf den Teller. Huitlacoche wird das Essen genannt, oder auch Cuitlacoche. Auch in der Schweiz ist der Maisbeutelbrand als Speisepilz zugelassen, wird aber nur selten angeboten. In Deutschland dagegen gilt er nicht als Speisepilz und darf folglich auch nicht im Handel oder den Restaurants aufgetischt werden.

Ähnlich wie das Mutterkorn beim Roggen wurden die Sporen des Maisbeutelbrands in der afroamerikanischen Bevölkerung der USA auch als Bestandteil von Abtreibungsmittel eingesetzt. Auch in der Medizin, Forschung und Genetik ist der Pilz von grossem Interesse. 

Manche sagen: Alles ist für irgendetwas gut. Ob diese Aussage stimmt, kann ich nicht beurteilen. Zumindest bei diesem Pilz scheint sie zuzutreffen. Also Augen auf beim Spaziergang entlang von Maisfeldern. Es wartet eine Delikatesse.

Wer gerne den Pilz mal kochen möchte, wird bei der Chefköchin Esther Kern von waskochen.ch fündig. Dort habe ich auch noch gelernt, wie der Mais in Österreich auch noch genannt wird: Kuckurutz.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 11. August 2024

Sonntage sind Schneckentage

Ein Zitat

Schneckenskulptur vom verstorbenen Künstler Bruno Weber (1931-2011) in Dietikon.
Foto © Jörg Niederer
"Ich fragte eine Schnecke, warum sie so langsam wäre. Sie antwortete, dadurch hätte sie mehr Zeit, die Welt zu sehen." Wolfgang J. Reus (1959 - 2006)

Ein Bibelvers - Sprüche 30,29-31

"Drei kommen mit stolzen Schritten daher, und vier haben einen beeindruckenden Gang: der Löwe, der unter den Tieren der Stärkste ist und vor keinem anderen zurückweicht, der Hahn, der unter den Hennen stolziert, der Ziegenbock, der die Herde anführt, und der König, der vor sein Volk hintritt."

Eine Anregung

An Sonntagen eilt nichts. Es kommt nicht darauf an, wie viel du leistest. Sonntage sind Schneckentage. Alles darf ruhig genommen werden. Erholung ist angesagt. Die Musse und Langsamkeit darf auf Besuch kommen, bevor am Montag dann wieder der Stress losgeht. 

Gut, es gibt auch an Sonntagen arbeitende Menschen. Als Pfarrperson gehöre ich dazu. Mein Schneckentag ist halt dann an einem Montag oder an einem Samstag.

Diesen Sonntag ist in Weinfelden aber auch im Gottesdienst ein Schneckentag. Denn wir lernen von den Schnecken, worauf es bei der Christusnachfolge ankommt. Herzliche Einladung dazu um 10.00 Uhr an die Hermannstrasse 10 in Weinfelden. 

Für alle, die sich darauf einstimmen wollen, oder auch als Trostpflaster, weil man nicht dabei sein kann, ein geistlicher Schlager von Andreas Wirth: "Ich danke Gott...".

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 10. August 2024

Kinder schlagen im Namen Gottes

Ein Zitat

Natascha Bertschinger spricht an der Jährlichen Konferenz der Methodistenkirche in Rothrist.
Foto © Jörg Niederer
"Die Dunkelziffer ist riesig." Natascha Bertschinger im Beitrag von Radio SRF über "Züchtigung in Freikirchen"

Ein Bibelvers - Kolosser 3,21

"Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht entmutigt werden!"

Eine Anregung

Samstage sind wie geschaffen, sich etwas intensiver in eine Sache zu vertiefen. Zum Beispiel mit einen Beitrag von Radio SRF über "Schlagen im Namen Gottes - mehr als bedauerliche Einzelfälle". In der Sendung kommt mit Natascha Bertschinger eine Mitarbeiterin der Evangelisch-methodistischen Kirche der Schweiz zu Wort. Natascha Bertschinger ist nebst ihrer Tätigkeit in der Methodistenkirche auch Trauma-Therapeutin und begleitet Betroffene von religiös begründeter erzieherischer Gewalt. Mit erzieherischer Gewalt im christlichen Kontext werden körperliche und psychische Bestrafungen bezeichnet, die aus einer Sorge heraus erfolgen, ein Kind könne auf den falschen Weg kommen, und so für Christus verloren geht. In verschiedenen Freikirchengemeinden wurden in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein solche Züchtigungen empfohlen.

Auch heute noch gibt es viele, die unter Schlägen aus religiösen Gründen leiden. Die Sendung will daher aufklären und vorbeugen.

Ich habe sie mir mit grossen Interesse angehört. Die 28 Minuten sind gut investierte Zeit.

Auch interessant ist in diesem Zusammenhang das Netzwerk "Gemeinsam gegen Grenzverletzung".

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 9. August 2024

Landvogt Gessler im Thurgau

Ein Zitat

Die Gesslerbrücke im Griesenbergtobel ist nach dem Landvogt aus der Tellssage benannt.
Foto © Jörg Niederer
"Hier ist Grisslers Hochmuoth vom Thäll erschossen und die Schweitzer edle Freyheit entsprossen." Inschrift von 1781 in der Tellskapelle bei Küssnacht

Ein Bibelvers - Judas 1,20

"Dagegen sollt ihr, meine Lieben, euer Leben auf eurem allerheiligsten Glauben aufbauen. Lasst euch im Gebet vom Heiligen Geist leiten."

Eine Anregung

Griesenberg hat nicht nur eine historische Trülle und gehört zu den schützenswerten Ortsbildern der Schweiz (siehe Beitrag vom 7. August 2024). Da wäre auch das Griesenbergtobel, angeblich das tiefste im Thurgau, in dem sich eine 2008 erbaute Fussgängerhängebrücke befindet. Diese hat einen unerwarteten Namen: Gesslerbrücke. 

Gessler ist der Landvogt in der Tellssage. Warum gerade diese verhasste Person hier im tiefsten Thurgau mit der Benennung einer Brücke geehrt wird, hat seine durchaus spekulativen Gründe. Bei Gessler solle es sich um Heinrich VI. von Griesenberg gehandelt haben. Dieser hatte auf Seiten der Habsburger an der Schlacht von Morgarten teilgenommen. Hinzu kommt, dass bis Ende des 18. Jahrhunderts der Gegenspieler von Wilhelm Tell als Griessler oder Grissler bekannt war. Erst danach wird der Landvogt Gessler genannt. Griessler und Griesenberg, das könnte passen. Auch dass Heinrich VI. in der fraglichen Zeit habsburgischer Landvogt in Aarau war, und damit auch mit der Innerschweiz zu tun hatte.

All das kann man nachlesen in einem Beitrag des Tagblatts vom 15. November 2018. Darin steht auch, dass diese Gleichsetzung von Gessler mit Heinrich VI. von Griesenberg unwahrscheinlich sei. Eher hätten verschiedene Gestalten beigetragen zum eidgenössischen Feindbild des Landvogts Gessler.

Sicher ist, dass in Griesenberg heute keine Gesslerburg steht. Die wurde nämlich Neu-Griesenberg genannt und ist bedingt durch Erosion ins tiefe Tobel abgestürzt.

Ob es wohl auch irgendwo eine Judas-Brücke gibt? Judas Iskariot war es ja, der Jesus verraten hatte. Würde ihn jemand mit einer Brücke ehren wollen?

Es gibt eine Judasbrücke. Im holländischen s-Hertogenbosch steht sie. Vermutlich ist sie aber nach Judas, dem Bruder von Jakobus benannt, und nicht nach dem Jesusverräter Judas Iskariot. Mit Abtrünnigen tut man sich halt schwer. Ausser im Thurgau, wo man es aus touristischen Gründen noch so gerne hätte, wenn Gessler ein Griesenberger gewesen wäre.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen