Freitag, 19. Juli 2024

Reformierte Zerstörungswut

Ein Zitat

Mönchsklausen der Karthause Ittingen.
Foto © Jörg Niederer
"Die Reformation ist radikal. Sie ist zornig, sie tobt, wütet, ist unversöhnlich, arrogant, besserwisserisch, spaltend, befreiend, intellektuell, hassend, versöhnend und erhebend. Sie ist meisterhaft und kleingeistig. Sie bringt Freiheit und Vernichtung. Sie stiftet Gemeinschaft und pervertiert sich in Abgrenzung. Sie ist voller Glaube und voller Verachtung. Demütig und übermütig zugleich." Erik Flügge (1986*)

Ein Bibelvers - 2. Könige 18,3+4

"Hiskija tat, was dem Herrn gefiel, und handelte wie sein Vorfahre David. Er schaffte die Kultplätze ab, zerschlug die Kultsteine und fällte den Kultpfahl. Er zerstörte auch die Schlange aus Bronze, die Mose gemacht hatte."

Eine Anregung

Heute vor 500 Jahren brannte die Kartause Ittingen. Das Geschehen ging als Ittinger Sturm in die Geschichte ein und gehört zu den Wirren der Reformation in der Schweiz. Was in der Region um Stammheim damals geschah, hätte gut und gerne in einen Krieg ausarten können. Bauernproteste und die neuen reformatorischen Ideen verbanden sich zu einem explosiven Gemisch. Es kam an verschiedenen Orten im Kanton Zürich zu Bilderstürmen, auch angestachelt durch Entscheide des Zürcher Rats, die Heiligenbilder aus den Kirchen zu entfernen. Als dann auch noch der reformatorisch gesinnten Pfarrer Hans Oechsli aus Burg bei Stein am Rhein im Auftrag der katholisch dominierten Tagsatzung entführt und in Frauenfeld eingekerkert wurde, versuchten Tausende von Bauern den Pfarrer zu befreien. Doch die wütende Meute fand keinen Weg über die Thur, und so entlud sich die ganze Unzufriedenheit gegen das Kloster Ittingen. Die dortigen Mönche hatten sich - und das war bekannt - dezidiert gegen die Reformation ausgesprochen und waren so ideale Sündenböcke. In einem Beitrag von ref.ch steht dazu: "Bilder wurden zerstört, Bücher verbrannt, sogar den Fischteich liess man ab. Enthemmt vom Wein aus dem Klosterkeller steckten die Aufständischen die Kartause schliesslich in Brand." 

In der Folge musste der Stand Zürich klein beigeben, war er doch in der Eidgenossenschaft nach diesem Geschehen isoliert. Es kam zu Auslieferungen und Hinrichtungen von Rädelsführern, sowie zu Reparationszahlungen an das Kloster Ittingen.

Im Rückblick wird klar, dass die soziale Not der leibeigenen Bauern und die durch die Reformation erfolgte religiöse Befreiung von Zwängen zu dieser explosiven gesellschaftlichen Entwicklung führte, deren Schattenseite die Radikalisierung war.

Die Zerstörung von religiösen Kunstwerken und Symbolen kennen wir auch aus neuerer Zeit, etwa in Form der Koranverbrennungen oder der Zerstörungen der grössten stehenden Buddhastatuen im afghanischen Bamiyan durch die Taliban. Auch nationalsozialistische Verbrennungen von Bildern und Büchern sind vergleichbar mit dem, was damals in der Folge der Reformation geschah.

In dieser Hinsicht ist der Ittinger Sturm eine Warnung vor jeder Form der Radikalisierung. Veränderungsprozesse müssen Raum lassen für andere Ansichten und Lebenseinstellungen. Sonst führen sie zu Gewalt und Diktatur.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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