Mittwoch, 10. Mai 2023

Ein friedliches Dorf

Ein Zitat

Brienz-Brinzauls am Fuss des Piz Linard
Foto © Jörg Niederer
"Die Bergwelt ist ein besonders empfindlicher Lebensraum, in dem Veränderungen besonders schwere Folgen haben. Das gilt auch für die Wirkung des Klimawandels: Die Durchschnittstemperaturen steigen hier doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt." Webseite vom Bund Naturschutz

Ein Bibelvers - 1. Könige 17,6

"Im 9. Regierungsjahr des Hoschea konnte der König von Assyrien Samaria erobern. Er nahm die Bevölkerung Israels gefangen und verschleppte sie nach Assyrien."

Eine Anregung

Das Dorf liegt auf einer kleinen Terrasse, auf drei Seiten umgeben von grünen Matten. Darüber - so sagt man - wacht der Piz Linard und streckt seinen Gipfel in den blauen Himmel. Bewandern lässt er sich nicht. Zu schroff ist der Fels und auch der Wanderweg hinauf an die Baumgrenze ist gesperrt. Wie eine grossflächige Schürfwunde reicht im Norden eine steile Schotterfläche bis an den Dorfrand. Es rumpelt und poltert die ganze Zeit. Das war schon so, als ich vor 12 Jahren von Lenz-Lantsch kommend nach Brienz-Brinzauls wanderte. Die rollenden Steine werden von einem kleinen Wall entlang der Hauptstrasse meist aufgefangen. Einige rollen auch darüber hinaus. 

Nun droht ein Felssturz gewaltigen Ausmasses. Der Berg über dem Dorf und unter dem Dorf ist in Bewegung. Täglich etwa 30 cm bewegen sich 2 Millionen Kubikmeter Gestein. Brinzauls liegt in der Falllinie. Der Felssturz kommt in 1-3 Wochen. Bis Freitag müssen alle Bewohnerinnen und Bewohner das Dorf geräumt haben. Sie verlassen ihr Zuhause mit viel Hoffnung auf eine Rückkehr. Und doch weiss niemand so genau, wann und wie das möglich sein wird. Dass auch das Dorf selbst sich bewegt, das wollen die Ingenieure und Tunnelbauer durch die unterirdische Entwässerung in den Griff bekommen. Doch gegen den Felssturz darüber sind sie machtlos.

Ich stelle es mir nicht einfach vor, den vertrautesten Ort meines Lebens mit unbestimmten Ausgang zurücklassen zu müssen. Da, wo man sich über Jahre sicher fühlte, wo alles vertraut ist, wo die selbst gepflanzten Blumen im Garten gerade blühen als gäbe es noch tausend weitere unbeschwerte Morgen... Könnte ich das? Meine Heimat zurücklassen, aufbrechen mit Hund und Katze und Kaninchen, in eine unsichere Zukunft? Könnte ich diese Zukunft als Chance verstehen, oder würde sie mir alle Kraft und alle Hoffnung rauben?

In diesen Tagen will ich für die Menschen unter dem drohenden Piz Linard beten. Mögen sie Trost und Halt im Vertrauen auf Gott finden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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