Montag, 9. Oktober 2023

Leben in unseren Händen

Ein Zitat

Ein Erlenzeisig, kurz bevor er nach der Beringung wieder in die Freiheit entlassen wird.
Foto © Jörg Niederer
"Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und des Tieres wie das des Menschen, heilig ist und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt." Albert Schweitzer (1875-1965)

Ein Bibelvers - Psalm 150,6

"Alles, was lebt durch Gottes Atem, antworte dem Herrn mit Lobgesang! Halleluja!"

Eine Anregung

Vorsichtig hielt der Junge das Vögelchen an seinen Füsschen fest. Sanft streichelte er einige Male über sein Gefieder, dann liess er es fliegen. Im Nu war der Erlenzeisig in einem Baum verschwunden. 

Aktuell werden wieder an verschiedenen Orten der Schweiz Vögel beringt. Dazu stehen an exponierten Stellen, da wo die Zugvögel über die Berge fliegen, feine Netze. Viele der Vögel verfangen sich in den Maschen und werden dann mindestens stündlich eingesammelt und in Säckchen einzeln zur nahen Beringungsstation gebracht. Dort wird das Tier erfasst, bekommt einen Ring, Gesundheitszustand, Geschlecht und Alter wird bestimmt und dann wird es wieder freigelassen.

An vergangene Wochenende besuchten wir gleich zwei solche temporären Stationen, beide im Jura, die eine auf der Subigerhöchi bei Gänsbrunnen, die andere auf der Ulmethöchi etwa 5 Kilometer von der Bergstation der Wasserfallen-Gondelbahn entfernt. In diesen Tagen sind es vor allem die Erlenzeisige, welche zu Tausenden in kleineren Trupps von 12 - 30 Tieren über die Pässe fliegen. Aber auch Blaumeisen sind in grosser Zahl unterwegs und Tannenmeisen. Letztere wehren sich besonders heftig und verheddern sich dabei sosehr in den Netzen, dass es manchmal mehrere Minuten dauert, sie sorgfältig wieder daraus zu befreien. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer gehen dabei überaus behutsam mit den Tierchen um, damit der Stress gering bleibt.

Besonders für die Kinder und Jugendlichen ist es etwas besonderes, die Vögel wieder freizulassen. Und damit sind wir wieder beim Jungen vom Anfang dieses Textes. Er lernt unmittelbar, wie wertvoll auch ein noch so kleines Geschöpf ist. Diese Achtung vor dem Leben wünsche ich mir gerade auch für alle, die sich aktuell im Politbetrieb profilieren, aber auch für die vielen, die der Schöpfung Gottes eher gleichgültig gegenüberstehen. Ich wünsche mir mehr Achtung vor allem Leben. Denn eines können wir nicht: Leben schaffen. Wir können es nur erhalten und bewahren.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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