Mittwoch, 4. Oktober 2023

Franziskus und die Libelle

Ein Zitat

Eine Blaugrüne Mosaikjungfer mit Beute (vermutlich eine Biene) an einer Dolde des Sommerflieders.
Foto © Jörg Niederer
"Und früh im Morgenrot die Nachtigall / Flog an die Gitterstäbe seiner [des Franziskus'] Zelle. / Die Spinne warf auf ihn sich wie ein Ball, / Vor seinen Wimpern tanzte die Libelle." Alfred Georg Hermann „Fredi“ Henschke, genannt Klabund (1890-1928)

Ein Bibelvers - Philipper 1,23

"Ich fühle mich hin- und hergerissen: Ich wünschte, ich könnte sterben und bei Christus sein. Das wäre sehr viel besser."

Eine Anregung

Heute endet die Schöpfungszeit. Es ist der Todestag des Heiligen Franz von Assisi. Als Schutzpatron der Tiere, der Schöpfung und der Ökologie ist er vielen auch evangelischen Christen gut vertraut. Er soll den Vögeln gepredigt und einen Wolf besänftigt haben.

Was hätte er zu einer Libelle gesagt? In einem Gedicht von Alfred Henschke über Franziskus kommen Libellen vor. Bestimmt ist der Heilige ihnen begegnet und wusste auch, dass sie sich von anderen Insekten ernähren. So wie die Blaugrüne Mosaikjungfer auf dem Foto, die gerade eine Biene vertilgt. Hätte er die Libelle getadelt dafür, dass sie die "Schwester Biene" frisst? Nur - Libellen können gar nicht anders. Sie sind geschaffen um zu jagen und zu töten. Es ist ihre "göttliche" Bestimmung.

Als Franziskus einst, so die Legende, einen bedrohlichen Wolf mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Gubbio versöhnte, war der Deal folgender: Der Wolf verzichtete auf das Töten von Mensch und Tier, wird dafür aber von den Stadtbewohnenden gefüttert. Das kann es nun aber auch nicht sein, dass alle Raubtiere in Zukunft nicht mehr selbst töten, sondern sich von den Menschen füttern lassen. Und ganz nebenbei werden Wölfe, die man durch Futter zutraulich macht, besonders unberechenbar.

Schon eher könnte der Sonnengesang des Franziskus eine Antwort sein auf die Tatsache, dass Leben nur auf Kosten von anderem Leben möglich ist. Denn im Sonnengesang nennt der Heilige auch den Tod "unsere Schwester": "Gelobt seist Du, mein Herr, für unsere Schwester, den leiblichen Tod. / Kein lebender Mensch kann ihr entrinnen. / Wehe denen, die sterben in schwerer Sünde! / Selig, die sich Deinem heiligsten Willen fügen, / denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun".

Wir kommen nicht darum herum, den Tod als Teil des Lebens anzunehmen. Er gehört zum natürlichen Kreislauf. Dass die Libelle die Biene erbeutet und frisst, gehört dazu. Und dass die Bienen die in ihr Nest eindringenden Hornissen gemeinsam durch Hitze, welche von ihren Körpern erzeugt wird, überwältigen, gehört auch dazu. Für manche mag dies Merkmal einer gefallenen Schöpfung sein. Andere akzeptieren wie Franziskus den irdischen Tod als Teil dieses Lebens und zugleich als Eintritt in ein Leben nach dem Tod, ein "ewiges Leben".

Frage: Gelingt es dir, den Tod als Teil des Lebens, als Schwester zu verstehen, wie das Franz von Assisi glauben konnte?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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