Ein Zitat
"Was ist ein Gelehrter? Ein unerträglicher Kauz, der grundsätzlich alles studiert und veröffentlicht, was keinen interessiert." Anatole France (1844-1924)Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Psalm 102,7+8
"Ich fühle mich wie eine Eule in der Wüste. Ich gleiche einem Steinkauz in Ruinen. Ich finde keinen Schlaf und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dach."
Eine Anregung
Warum erachten wir den Kauz als kauzig? Warum geben wir ihm Eigenschaften, um diese dann auf den Menschen zu übertragen? Ist der Waldkauz denn so absonderlich, dass er dazu herhalten muss, bestimmte Sonderlinge unter den Menschen genauer zu definieren. Gut, der abgebildete Waldkauz ist schon ein Eigenbrötler. Zugleich lässt er sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Warum versteht man unter kauzig nicht: "überaus geduldig"? Das könnte doch auch sein.
Wenn tierische Attribute und Verhaltensweisen auf den Menschen oder Gott übertragen werden, nennt sich das Theriomorphismus, abgeleitet vom Griechischen: θηρίον thēríon "(wildes) Tier" und μορφή morphē "Gestalt".
Die Bibel ist sehr zurückhaltend, Tierisches auf Gott zu übertragen. Wenn sie es tut, dann sind es starke oder gefährliche Tiere wie Raubvogel, Löwe, Bär und eventuell Stier. Durch sie wird die übermenschliche Kraft von Gott hervorgehoben. Harmlos ist es nicht, sich auf Gott einzulassen.
Ein theriomorpher Ausreisser gibt es, wird doch Gott an einer Stelle mit der Motte verglichen (Psalm 39,12). Da wäre es doch auch möglich gewesen, Gott als Kauz zu bezeichnen, vielleicht, um seine Unergründlichkeit zu beschreiben (wer kennt schon Gottes Gedanken?), vielleicht um sein einsames Wachen über der Welt zu betonen, vielleicht auch, weil er geduldig bleibt, angesichts der tausendfachen Störungen durch seine menschlichen Geschöpfe. Aber da Käuze in der Bibel als unrein gelten, geht das natürlich nicht.
Der fotografierte Waldkauz hat seinen Platz im selben Baumspalt, in dem ich schon einmal einen Kauz fotografiert habe. Damals war es ein graugefärbtes Tier. Auf dem aktuellen Bild ist es ein rotbrauner Waldkauz. Folglich ist es wohl ein anderes Tier, das nun diesen Standort eingenommen hat. Vielleicht aber sind es zwischenzeitlich zwei, wobei der Graue auf dem Gelege im Baum sitzt, während der Rötliche im Eingang seine Wach- und Ruhezeit verbringt. Wir werden es erfahren. Oder auch nicht.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
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