Donnerstag, 15. September 2022

Universitäten warnen vor der Bibel

Ein Zitat

Sonntagschul-Flanellbild von Kain und Abel.
Foto © Jörg Niederer
"Das Interessante an der alttestamentlichen Literatur ist das Phänomen, dass die Rache in das Handeln Gottes überführt wird." Prof. Dr. Markus Witte, Experte für die Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Berliner Humboldt-Universität

Ein Bibelvers - 1. Mose 19,5

"Sie [die Männer von Sodom] riefen nach ihm [Loth] und sagten: 'Wo sind die Männer, die heute Nacht zu dir gekommen sind? Bring sie heraus! Wir wollen mit ihnen schlafen.'"

Ein Anregung

Als ich in die Sonntagschule ging, gab es das "nickende Negerlein" und die Flanellbilder, wie dasjenige über die biblische Geschichte von Kain und Abel. Während Schnorr von Carolsfeld in seinem Holzdruck (um 1855) diese Szene weitaus drastischer darstellte, sieht man auf dem Sonntagschulbild den Brudermord nur durch die Keule in der Hand des Kain angedeutet. Aber natürlich erfuhren wir Kinder die ganze Geschichte, und auch die von Sodom und Gomorra, die von der Vertreibung der Haggar, von der Sintflut, von David und Bathseba, von der Königin Esther, von den drei Männern im Feuerofen, von Elia, wie er die Baalspriester tötete, von Simson, wie er den Tempel über den Philistern und sich zum Einsturz brachte. Ja, wir wurden als Kinder nicht geschont, hielten diese für uns spannenden Sonntagschulgeschichten aus, vielleicht auch, weil wir in einer ganz anderen, heileren Welt aufgewachsen waren.

Heute werden an einigen englischen Universitäten die Studierenden vor unangemessenem Inhalt in der Bibel gewarnt. Tatsächlich finden sich nebst Mord und Massenmord, nebst Genozid und sinnloser Gewalt in der Bibel auch Inzest, Massenvergewaltigung, Kriegsverbrechen und die Verfolgung von Minderheiten. Gelegentlich wird das in den Texten gutgeheissen, meist aber sind es Beispiele, wie es nicht sein sollte. Dabei beschönigt die Bibel nichts, zeigt die menschlichen Abgründe unverblümt.

Ja, die Universitäten haben recht wenn sie vor einschlägigen Szenen in der Bibel warnen: Dieses Buch ist nicht harmlos. Für Opfer von Missbrauch und Krieg kann es traumatisierend sein, genau dies auch in dem Buch zu lesen, das eigentlich eine Liebesbotschaft Gottes an die Menschen sein will. Eine "blauäugige" Liebesbotschaft jedenfalls ist es nicht und darum auch kein Groschenroman. Es ist ein Buch, in dem die Liebe Gottes sich den Weg durch menschliches Elend bahnen muss, selbst menschliches Elend wird in Christus am Kreuz, und gerade so ernst macht mit der Hoffnung auf die Überwindung des Bösen. Darum Triggerwarnung! Die Bibel wird dich nicht kalt lassen, so oder so.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen