Ein Zitat
"Manche Arbeiten muss man Dutzende Male verschieben, bevor man sie endgültig vergisst." Herkunft unbekanntFoto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Jesaja 49,15
"Doch Gott antwortet: Kann denn eine Frau ihren Säugling vergessen? Hat sie nicht Erbarmen mit dem Kind, das sie im Leib getragen hat? Aber selbst wenn sie es vergessen sollte – ich vergesse dich nicht!"
Ein Anregung
Vermutlich gibt es ihn in jedem Restaurant und jedem Hotel: den vergessenen Tisch. Unlängst sassen wir an ihm, was vor allem eines bedeutete: Warten.
Es begann verheissungsvoll. Wir wurden sofort an diesen Tisch geführt, und konnten noch im gleichen Moment die erste Bestellung tätigen. Ja es kam sogar eine zweite Bedienung und wollte das selbe noch einmal aufnehmen. Dann war eine Viertelstunde lang Pause bis wir uns auffälliger bemerkbar machten. Noch einmal wurde die Bestellung aufgenommen und auch gebracht. Dann verirrte sich niemand mehr vom Personal an unseren Tisch. Wir kamen uns unsichtbar vor. Erneute Intervention. Der Hauptgang wurde bestellt, und wieder verging viel Zeit, in der andere, die nach uns kamen, ihr Essen erhielten, wir aber nicht. Nun, das Essen kam dann irgendeinmal, und es war gut. Es folgte der Versuch, zu bezahlen! Man sah uns und vergass uns sogleich wieder. Schon überlegten wir uns, die Zeche zu prellen, da wurden wir erneut nach unseren Wünschen gefragt. Mit der Rechnung kam ein Espresso und ein Grappa, wie üblich vom Haus spendiert. Und dann wurden wir erneut unsichtbar, bis nach geraumer Zeit jemand auf mein ausgiebiges Winken und Herumhampeln reagierte. Der Kellner meinte sogar: Beim dritten vergeblichen Ruf nach dem Service müssten wir nicht mehr bezahlen. Das haben wir dann aber dennoch getan.
Das Perfide, wenn man am vergessenen Tisch sitzt: Alle andern werden aufs Beste bewirtet und bedient. Nur an diesem Tisch sitzt man auf verlorenem Posten.
Gibt es solche vergessene Tische auch in der Kirche? Das wären Plätze und Ereignisse, in denen Menschen aus der Wahrnehmung der Andern verschwinden. Es lohnt sich, darüber nachzudenken: Wo an unseren Anlässen und in unseren Häusern sind diese blinden Flecken, diese vernachlässigten Nischen? Menschen die in diese "schwarzen Löcher" fallen, werden sich zweimal überlegen, ob sie noch einmal zu uns kommen wollen. Also sollten wir uns gut überlegen, wie wir unsere Gastfreundschaft flächendeckend und einladend gestalten können.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen