Mittwoch, 11. August 2021

Multitasking und der freie Wille

Ein Zitat

Im Gespräch ganz bei der Sache. Am Genfersee
Foto © Jörg Niederer
"Habe ich gewollt, was ich will, wenn ich tue, was ich will?" nach Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Ein Bibelvers - Römer 9,19+20

"Du könntest jetzt einwenden: 'Wieso zieht Gott uns dann überhaupt zur Rechenschaft? Seinem Willen kann sich doch niemand widersetzen!' Du Mensch, wer bist du eigentlich, dass du mit Gott streiten willst!"

Ein Anregung

In der aktuellen Ausgabe von "The Red Bulletin", einer Beilage zur Sonntagszeitung, las ich, dass nach Erkenntnissen der Gehirnforschung Multitasking nicht funktioniere. Wer mehrere Dinge gleichzeitig versuche zu tun, wolle vermutlich unbewusst eine Änderung seines Lebens. "Im Detail: Wer mehrere Dinge zur gleichen Zeit macht, schenkt keiner von ihnen die nötige Aufmerksamkeit. Das führt zu Schlampereien und Fehlern, Im Wiederholungsfall wird womöglich der Chef reagieren - etwa mit Versetzung oder Kündigung - und so für die unbewusst herbeigesehnte Veränderung sorgen." (ebd. Seite 70)

Irgendetwas in unserem Unterbewusstsein lässt uns also so handeln, dass das geschieht, was wir eigentlich wollen.

Philosophisch und theologisch geht es hier um die Frage nach dem freien Willen. Angenommen, Gott weiss alles, auch das, was ich in Zukunft tun werden, kann ich dann diesem Willen Gottes entgegengesetzt handeln?

In der Gehirnforschung hat man festgestellt, dass der bewusst empfundenen Handlung eine Hirnaktivität vorausgegangen ist, die nicht bewusst gesteuert war. Das Gehirn agiert, bevor ich weiss, was es mich zu tun veranlasst. Neuerdings hat man aber auch nachgewiesen, dass solche unwillkürlich gestarteten Gehirnaktivitäten willentlich gestoppt werden können. Wir können also bewusst Nein sagen zu einem bereits begonnenen, unserem "Willen" vorgegebenen Prozess. Oder theologisch gesagt: Wenn wir zur Sünde verführt werden, können wir ihr noch vor der Tat bewusst widerstehen.

Nach Augustinus hat der Mensch den freien Willen beim Sündenfall verloren. Doch durch die Gnade Gottes könne sich der Mensch dennoch frei entscheiden. Gott stoppt also die totale Abhängigkeit des Menschen, indem er sich selbst zurückzieht, und Platz schafft für die Willens- und Handlungsfreiheit der Menschen. Es entsteht Raum für menschliche Entscheidungen, weil Gott aus freiem Willen nicht mehr alles bestimmt. Man könnte - wie in der Hirnforschung - auch hier von Faktoren sprechen, welche den Menschen bestimmen (die Gnade Gottes, seine Allwissenheit) und Faktoren, die der Mensch bewusst bestimmt (seine Entscheidung für oder gegen Gott, für oder gegen das Gute).

 Paulus gibt den Christen in Rom dazu ein einleuchtendes Beispiel. Zu finden sind seine Gedanken zur Willensfreiheit in Römer 9,19-24. Sie zu lesen lohnt sich.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde 

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