Freitag, 10. März 2023

Vikariatsknechtschaft

Ein Zitat

Vom Alters- und Pflegeheim Abendfrieden in Kreuzlingen sind es nur gerade 300 Meter zu Fuss bis zur Stählistrasse 4, wo einst der Dichter Eduard Mörike für kurze Zeit wohnte.
Foto © Jörg Niederer
"Das ist die große Stille, die über Stürmen siegt, dass eines Menschen Wille in Gottes Willen liegt." Eduard Mörike (1804-1875)

Ein Bibelvers - Römer 8,15

"Ihr habt ja nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht. Dann müsstet ihr doch wieder Angst haben. Ihr habt vielmehr einen Geist empfangen, der euch zu Kindern Gottes macht."

Eine Anregung

In der Zeit, als Eduard Mörike den Weg zum evangelischen Pfarrer einschlug, war das Theologiestudium der kostengünstigste Weg einer akademischen Ausbildung. So war dieser Beruf für den schwäbischen Dichterfürst eine Verlegenheitslösung. Mit dem Ende seines mehr schlecht als recht abgeschlossenen Studiums war die Zeit des Knauserns und Sparens aber noch nicht vorbei. Die festen Anstellungen für Pfarrer waren allesamt vergeben. Die frisch gebackenen Theologen wurden als Vikare für Hilfsdienste eingesetzt, oft nur für kurze Zeit. So zogen sie von Ort zu Ort, immer in der Hoffnung, an einem dieser Vikariatsstellen dann doch noch eine Festanstellung zu bekommen. Eduard Mörike nannte diese Praxis treffend "Vikariatsknechtschaft"

Heute in Zeiten des Pfarrmangels hätte man Mörike wohl an vielen Orten mit Handkuss genommen, auch wenn er sich nicht als besonders fleissiger Seelsorger herausstellen sollte. Damals ging es ihm und den anderen jungen Pfarrpersonen wie so mancher angehenden Kleinkindererzieherinnen heute: Diese werden oft als Praktikantinnen für 3 Monate auf Probe angestellt, verbunden mit dem leeren Versprechen einer Festanstellung in Kombination mit der Ausbildung, jedoch mit dem Ziel, sie als billige Arbeitskräfte auszubeuten.

Nun, mit 39 Jahren liess Mörike sich von König Willhelm I. aufgrund von gesundheitlichen Problemen pensionieren. In diese Zeit fielen erste literarisch lukrative Erfolge und er lernte seine zukünftige Frau, die 14 Jahre jüngere Offizierstochter Margaretha von Speeth kennen. Obwohl über beide Ohren verliebt zögerte er die Heirat mit ihr über länger Zeit hinaus, wohl, um erst ein sicheres Einkommen zu finden, aber wohl auch, weil er und seine Schwester Klara immer noch zusammen zur Miete im Haus ihres Vaters wohnten.

Schwester und Dichter reisten 1851 ins Dorf Egelshofen, heute ein Stadtteil von Kreuzlingen. Dabei erkundete Mörike die Möglichkeiten, in Konstanz ein Pensionat für sechs- bis vierzehnjährige Mädchen zu gründen: Ein wie sich herausstellen sollte unrealistischer Plan. In der Kreuzlinger Zeit vom 19. April bis 12 Juni stiegen die beiden in einem Zimmer an der Stählistrasse 4 ab. Das Haus steht immer noch und ist mit einem Durchgang im ersten Stock mit dem heutigen Restaurant Paprika verbunden.

Da komme ich nun zu einer kleinen Randnotiz: Nicht weit vom Ort entfernt, wo einst der Dichterfürst nächtigte, 300 Meter zu Fuss (Luftlinie 120 Meter) über den "Steinbruch"-Graben hinweg, steht seit 1954 das Alters- und Pflegeheim Abendfrieden. Dieses Haus ist in methodistischen Kreise gut bekannt, entstand es doch als eine diakonische Arbeit der Kirche und wird bis heute in Form der "Stiftung Abendfrieden, Wohnen & Pflege" als selbständiges Sozialwerk der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) der Schweiz geführt.

Für die Kindererziehung konnte Mörike in Kreuzlingen nichts erreichen. Die Methodisten aber hatten später mit einem Haus für älteren Menschen mehr Glück.

Zu Eduard Mörike siehe auch den Beitrag vom 9. März 2023!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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