Montag, 16. September 2024

Löwen haben es nicht leicht

Ein Zitat

Berberlöwen-Paar im Walter Zoo Gossau.
Foto © Jörg Niederer
"Das Löwenmaul hat ein Hasenherz." Sprichwort

Ein Bibelvers - Offenbarung 5,5

"Da sagte einer von den Ältesten zu mir: 'Weine nicht! Der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross aus der Wurzel Davids, hat den Sieg errungen. Er kann das Buch und seine sieben Siegel öffnen.'"

Eine Anregung

Zuerst: Meine YouTube-Predigt von gestern zum Thema "Geistlich entsorgen" wurde umplatziert. Neu findet man sie unter diesem Link

Nun zum Foto. Es wurde am vergangenen Samstag aufgenommen im Walter Zoo. Zu sehen sind zwei der Berberlöwen; ein prächtiges Männchen hinter dem nicht minder eindrücklichen Weibchen.

Zu biblischen Zeiten war der Löwe ein von vielen bewundertes, furchteinflössendes Tier. Kein Wunder, dass der Stammvater Jakob einen seiner Söhne als "jungen Löwen" bezeichnete. Dieser Sohn ist der erstgeborene Juda, der Stammvater von König David auch damit auch von Jesus.

Im Neuen Testament gibt es eine einzelne Stelle, die von Jesus als dem "Löwen aus Juda" spricht. In C. S. Lewis' "Chroniken von Narnia" steht Aslan, der Grosse Löwe, für den Schöpfer und König der Welt. Auch der Film "König der Löwen" zeichnet die Geschichte eines Löwen, der für den Frieden kämpft.

Im Gegensatz zu den Hyänen haben die Löwen ein positives Image. So wundert es nicht, dass Christus als Löwe bezeichnet werden kann. Er ist der, welcher die böse Welt besiegt und den Frieden mit Gott und untereinander bringen wird. 

Im Gegensatz zu den oben erwähnten Filmlöwen geht es den wirklichen Löwen nicht gut. Der Berberlöwe etwa ist in freier Wildbahn ausgestorben. Im Walter Zoo und an anderen Orten wird er in Gefangenschaft gezüchtet und gehalten. So können wir ihn noch bewundern. Der Lebensraum aller Löwen ist heute auf 7 Prozent des einstigen Verbreitungsgebiets geschrumpft. Ohne Schutzbemühungen wäre er wohl bald ausgestorben.

Bad News auch für die Löwen in Palästina. Seit dem 13. Jahrhundert gibt es sie dort nicht mehr. Das Land des Löwen von Juda ist heute löwenfrei.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 15. September 2024

Geistliches Entsorgen

Ein Zitat

Unrat gehört entsorgt, genauso wie alles, was dich und andere belastet.
Foto © Jörg Niederer
"Busse oder Umkehr ändert nichts bei Gott, aber alles bei dir." Aus der heutigen Predigt!

Ein Bibelvers - Jesaja 55,7

"Der Frevler soll seinen Lebensweg ändern! Wer Böses im Sinn hat, soll seine Pläne ändern und zum Herrn, unserem Gott zurückkehren! Der wird Erbarmen mit ihm haben und ihm reichlich Vergebung schenken."

Eine Anregung

Eidgenössischer Dank-, Buss- und Bettag: Fürs Danken gibt es viele Gründe. Auch, dass wir nach christlichem Glauben jederzeit und immer wieder zu Gott umkehren können. Gott steht für Vergebung. Jesus Christus, so heisst es in einem Lied, nimmt die Sünder an. Selbst dann, wenn jemand mit der Bezeichnung "Sünder" nicht viel anfangen kann, ist es so. Gott wartet wie ein liebevoller Vater, wie eine sich sorgende Mutter auf alle seine/ihre Kinder. Wie gesagt: Fürs Danken gibt es viele Gründe.

Mehr dazu erfährt man wieder einmal in einer per YouTube übertragenen Predigt aus der Methodistenkirche St. Gallen. Sie ist so ab 10.30 Uhr zu hören.  

Vor Ort in der Kirche an der Kapellenstrasse 6 sind alle darüber hinaus auch zum Abendmahl eingeladen. Der Gottesdienst beginnen um 10.15 Uhr.

Wer am Morgen verhindert ist, kann auch am Abend den Gottesdienst der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Kantone Appenzell und St. Gallen in der Evangelischen Kirche Waldstatt besuchen. Er beginnt um 17.00 Uhr. An diesem Gottesdienst bin ich ebenfalls beteiligt.

Wer weiss, vielleicht sehen wir uns heute. Es würde mich freuen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 14. September 2024

Von der Frau gekettet

Ein Zitat

Wappentafel im 1. Stock des Frauenfelder Rathauses.
Foto © Jörg Niederer
"Da die Welt nicht würdig war, den Sohn Gottes direkt aus den Händen des Vaters zu empfangen, gab er seinen Sohn Maria, damit die Welt ihn von ihr empfangen kann." Hl. Augustinus von Hippo (354-430)

Ein Bibelvers - Markus 3,31

"Inzwischen waren die Mutter und die Brüder von Jesus gekommen. Sie blieben draußen stehen und schickten jemand, der ihn rufen sollte."

Eine Anregung

Ist das Adam mit dem Feigenblatt, der hier das gespiegelte Stadtwappen von Frauenfeld den Betrachtenden entgegenhält. Es könnte auch irgend ein wilder Mann sein, eine Gottheit der Griechen oder Römer. Urchig sieht der Kerl aus mit seinem Eichenkranz und dem behaarten Körper. 

Diese Darstellung findet sich im 1. Stock des Rathauses in Frauenfeld. Da der Name "Frauenfeld" meint: Feld der (Jung-)Frau (Maria), handelt es sich bei der Frau auf dem Wappen logischerweise um die Jungfrau Maria. Irritierend ist, dass sie als Bürgerfrau dargestellt wird. Maria als verheiratete Frau mit Familie kommt aber auch in der Bibel vor. Anstelle eines Nimbus trägt sie eine goldfarbene Haube.

Mich verunsichert der dunkle Teint der Dame. Zwar passt das zu einer Frau aus dem Nahen Osten. Aber war das wirklich die Idee des Künstlers oder der Künstlerin? Es wäre bemerkenswert, angesichts der blonden Jesuskindchen auf anderen Darstellungen jener Zeit.

An der Kette führt Maria einen roten Löwen. Er stehe für die Habsburger, welche für das Kloster Reichenau als Vögte von Frauenfeld amteten. Noch eines fällt auf: Maria und der Löwe tragen Partnerinnenlook. Sie gehören, so verschieden sie sind, zusammen. Dabei ist klar, wer das Sagen hat. Nicht die Habsburger, sondern das Kloster Reichenau, nicht die weltliche, sondern die kirchliche, göttliche Gewalt.

Man beachte beim Löwen auch die Stellen, die golden ausgezeichnet sind. Symbolisch sind so Gewalt und Sexualität unter Kontrolle der Jungfrau Maria. Es ist die heilige Frau, die den potenten und bedrohlichen (Löwen-)Mann an der Kette führt.

Gut möglich, dass gelegentlich eine Frau auf das Wappen von Frauenfeld zeigte, und zu ihrem Mann sagte: Siehst du wer da Chefin ist?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Freitag, 13. September 2024

Gemeinsam auf grosser Fahrt

Ein Zitat

Der Walensee weit unten zwischen den Bergflanken, fotografiert von Filzbach aus.
Foto © Jörg Niederer
"Das Herz des Menschen ist sehr ähnlich wie das Meer. Es hat seine Stürme, es hat seine Gezeiten und in seinen Tiefen hat es auch seine Perlen." Vincent van Gogh

Ein Bibelvers - Lukas 8,22

"Eines Tages stieg Jesus mit seinen Jüngern in ein Boot. Er sagte zu ihnen: 'Wir wollen ans andere Ufer des Sees fahren.' So legten sie vom Land ab."

Eine Anregung

Heute gibt es wieder einmal ein Landschaftsbild. Zu sehen ist der tief zwischen den Bergketten eingebettete Walensee. Das Foto ist in Filzbach auf dem Kerenzerberg anlässlich des Altersausflugs der Herisauer und St. Galler Methodistengemeinden entstanden.

An diesem Tag brillierte das Wetter durch maximale Vielfalt. Bei der Schifffahrt auf dem Walensee gab es Sonnenschein, Wind und Wellen, Regen, Kälte und Wärme. Die Wolken veränderten immer wieder von neuem das Landschaftsbild. Kein Moment wurde es langweilig. Vor allem: Trotz ungünstiger Wetterprognose gab es kein Dauerregen und folglich viel zu entdecken. Etwa der gigantische, dreiteilige Seerenbachfall, dessen Kaskaden zusammengenommen mit 585 Metern die dritthöchsten in Zentraleuropa sind. Nur ahnungsweise zeigten sich ob Murg auf der anderen Seeseite die dort gelegenen Edelkastanienwälder, ein nördlicher Sonderfall der sonst südlich zu findenden Baumkulturen. Nicht zu übersehen dagegen war das aufgegebene Bergwerk Lochezen mit seinen riesigen Kalkabbaukavernen. Heute befindet sich dort die einzige Testanlage für Steinschlagnetze der Schweiz. 

Den meisten Passagieren verborgen blieb beim Anlegen des Linienschiffs in Quinten, wie es dem Matrose auf dem schaukelnden Boot zweimal nicht gelingen wollte, das Halteseils anzubringen. Für ihn sprang dann ein weiteres Crewmittglied ein, eine erfahrene Matrosin. Beiden gemeinsam gelang, was einzeln nicht funktionieren wollte.

Gemeinsam ist halt immer besser als einsam. Das gilt nicht nur an Board eines Schiffes. Das gilt auch auf den festen Kirchenschiffsplanken.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 12. September 2024

In der Bubble ist kein Trouble

Ein Zitat

Kathrin Bolt, Andrea Scherrer und Bernadette Mock bei ihrem Auftritt in der DenkBar St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Blas dich nicht auf: sonst bringet dich / Zum Platzen schon ein kleiner Stich." Friedrich Nietzsche

Ein Bibelvers - Römer 12,2

"Und passt euch nicht dieser Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht: Was gut ist, was Gott gefällt und was vollkommen ist."

Eine Anregung

Sie sind ein bewährtes Team. Als Kabarett-Ensemble CareBelles sind Kathrin Bolt, Bernadette Mock, Andrea Scherrer und Philipp Kamm schon verschiedentlich erfolgreich aufgetreten. Am vergangenen Sonntag konnte ich endlich ihre neuste Produktion miterleben.

In "Bubble Girls" (Schweizerdeutsch, Länge: 30 Minuten) geht es auf äusserst unterhaltsame Weise um das Leben in der Bubble, der Blase, der eigenen Wohlfühlgruppe, die man nur ungern verlässt; notgedrungen etwa an einer Klassenzusammenkunft. Zuvor regieren die Klischees, die Vorurteile. Da wird gezickt und geschnödet. Zwei verbünden sich gegen die Eine, immer wieder in neuen Koalitionen. Dies alles lustvoll und doch tiefgründig. Virtuos der teils vierstimmige Gesang zu bekannten Hits wie "Barbie Girl". Als "I'm a bubble girl" wird es gekonnt umgedichtet zum Soundtrack des Abends. Ich geniesse die Pointen. Sie sitzen. Die Freude beim frechen Fabulieren überträgt sich schnell aufs Publikum. Es wird gelacht, viel gelacht. Doch wie bei jedem guten Programm entstehen auch Identifikationen mit den verschiedenen Charakteren. Nach den Lachern setzt unwillkürlich das Nachdenken ein.

Etwas nüchtern wird das andernorts so beschrieben: "Es geht um die Frage, wie in krisenhafter Zeit ein gemeinsamer Erfahrungs-und Handlungshorizont über Generationen und Lebensstile hinweg entstehen kann." Mit anderen Worten: Wie finden die reiche Tussi, die SVP-Landwirtin und die alternative Veganerin zusammen. Man kann sich den Antwortversuch (er wird hier nicht verraten) der drei Frauen auf der Bühne weiterdenken und landet dann wohl früher oder später da, wo man sich nur noch schwer aus dem Weg gehen kann.

Als Pfarrer denke ich natürlich auch an das kirchliche Milieu. Da treffen sich (zumindest in der Theorie) sehr unterschiedliche Menschen, die sonst nie zusammen an einem Tisch sitzen würden und trinken beim Abendmahl aus einem gemeinsamen Kelch (wenigsten in der Theorie - da es nach Corona nun doch eher nicht so ist). Dies kaum gedacht, stellt sich aber gleich die Anschlussfrage: Wie verhindert man, dass diese neue Vielfalt selbst wieder zu einer Bubble wird, aus der man sich nur noch schwer lösen will und kann?

Auch wenn mit Kathrin Bolt die Pfarrerin an der reformierten Kirche St. Laurenzen in St. Gallen mitspielt, und der Aufführungsort und Anlass irgendwie kirchlich waren, ist es kein religiöses Stück. Aus meiner Sicht eignet sich die Produktion aber gut, um im kirchlichen Kontext darüber nachzudenken, wie man den Ausweg aus seiner eigenen mehr oder weniger frommen Blase finden könnte. Als Einstieg in eine heiter-ernste Diskussion an einer Kirchensynode oder in einer Ortsgemeinde kann ich mir das Stück gut vorstellen. Danach gehen Verhandlungen und Tischgespräche garantiert fröhlicher, selbstironischer, tiefgründiger und lustvoller weiter als zuvor.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 11. September 2024

Blasphemie

Ein Zitat

Ausschnitt aus dem Totentanz von Emmetten. Heute bestimmen schon Maschinen, welche Menschen getötet werden sollen.
Foto © Jörg Niederer
"Solange noch ein Mensch auf der Erde verhungert, ist jede Waffe eine Gotteslästerung." Heinrich Böll

Ein Bibelvers - Matthäus 12,31

"Darum sage ich euch: Alles kann einem Menschen vergeben werden – jede Schuld und jede Gotteslästerung. Wenn aber jemand den Geist Gottes lästert, dem wird nicht vergeben werden."

Eine Anregung

Was verbindest du mit Lavendel? Vermutlich Duft und Provence, Garten und Bienen. Was verbindest du mit Evangelium? Vermutlich Glaube, Hoffnung Liebe, Gott, Vergebung, Christus, Neuanfangen. 

Was aber, wenn Lavendel und Evangelium für den vielfachen Tod stehen? Denn beides sind auch Namen von Programmen, welche auf der Basis von künstlicher Intelligenz arbeiten, und zwar, um den Krieg effektiver zu machen. "Lavender" und "The Gospel" werden aktuell von Israel im Krieg mit der Hamas eingesetzt. "Lavender" kann in kürzester Zeit mit 90-prozentiger Sicherheit unglaublich viele Menschen, die Feinde sein sollen des israelitischen Staates, identifizieren. Und das Programm "The Gospel" findet mit ähnlicher Treffsicherheit Gebäude und Einrichtungen heraus, welche als Angriffsziele zerstört werden sollten.

Ich frage mich, welch zynischem Menschen in den Sinn gekommen ist, eine Tötungsmaschine "Evangelium", "Frohe Botschaft" zu nennen? Ich empfinde dies als Missbrauch von all dem, woran ich glaube. Frohe Botschaft bedeutet, dass Gott selbst sein Leben gibt aus Liebe zu seiner Welt, dem ganzen Kosmos. Es braucht keine weiteren Opfer oder dergleichen mehr. Aber es bedeutet nicht, dass wir Menschen als Feinde bezeichnen und töten sollen, und dabei zugleich in Kauf nehmen, dass Unschuldige, darunter viele Kinder, das Leben verlieren. Kein Tod, auch nicht der Tod der "Feinde", ist eine "Gute Nachricht".

Ich verwende das Wort "Blasphemie" sehr zurückhalten. Doch angesichts der Benennung eines Kriegsgeräts als "Evangelium" komme ich nicht darum herum, von Gotteslästerung zu sprechen. Auf diese Weise wird Gott und seine Liebe zur Welt in brutalster Weise verunglimpft. Oder wie siehst du das?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Dienstag, 10. September 2024

Dichtelust oder Dichtestress

Ein Zitat

Badende lassen sich zwischen Drahtschmidlisteg und Kornhaus-Silo durchs Schwimmbad Oberer Letten treiben, mitten  in der Stadt Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Habe doch den Mut, auch einmal anders zu sein / Als die meisten Leute um dich her / Wenn sie dich auch alle als nicht ganz normal verschrei′n / Frage du nur: "Was will denn der Herr?" Beliebtes christliches Lied aus den siebziger Jahren.

Ein Bibelvers - 2. Mose 12,37+38

"Dann brachen sie auf und zogen von Ramses nach Sukkot. Ungefähr 600.000 Leute machten sich auf den Weg, die Frauen und Kinder noch gar nicht mitgezählt. Auch viele Nicht-Israeliten zogen mit ihnen sowie eine riesige Herde aus Schafen, Ziegen und Rindern."

Eine Anregung

Anders als beim ehemaligen Waidbad auf dem Käferberg (Siehe Beitrag von gestern!) war am vergangenen Samstag noch einmal richtig viel los beim Schwimmbad Oberer Letten in Zürich. Der letzte heisse Tag des Sommers lockte tausende an und in die Limmat. Die eine schwammen im Fluss, andere sonnten sich dicht gedrängt auf den Mauern und den kleinen Wiesenarealen entlang des Wassers. Hinzu kamen die Spaziergänger:innen und alle, die sich in den zahlreichen Restaurants und Cafés entlang des Kloster-Fahr-Wegs einen kühlen Drink gönnten. Da kamen sich wildfremde Menschen in knappen Badesachen näher als in Vollmontur in einem voll besetzten Zug. Die Stimmung war fröhlich, heiter, ausgelassen. Kein Hinweis auf Dichtestress und Angst vor Fremden.

Und doch: Nicht alle wollen wie auf der Hühnerleiter Leib an Leib ungefragt die  Gespräche der andern belauschen müssen. Es gibt die, welche sich verloren vorkommen in diesem Gewusel an Bademoden. Ihr Traum von einem schönen, erholsamen Sommertag hat mehr zu tun mit einem Bergsee, in dessen eiskaltem Wasser sonst niemand eintauchen möchte.

Menschen sind verschieden. Und so verschieden sind auch die Orten, an denen sie sich wohl fühlen. Menschen sind auch verschieden in den aufeinanderfolgenden Stadien ihres Lebens. Nur wenige ältere Personen konnte ich zwischen dem meist jungen Volk ausmachen.

Die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz verändern sich. Das gilt auch im kirchlichen Kontext. Die einen fühlen sich in Gemeinden mit vielen Menschen wohl, die anderen ziehen intimere kirchliche Begegnungsgelegenheiten vor. Die einen wollen Teil einer grossen Masse sein, anderen wird es Angst und Bang bei so vielen Leuten. Wieder andere kommen nur einmal in eine Kirche, in der sie sofort als Erstbesucher:in erkannt werden. Zu intim ist ihnen ein Setting mit weniger als 50 unbekannten Menschen.

Hinzu kommt: Schwimmst du gerne mit dem Strom, oder willst du gegen die Strömung ankämpfen? Bist du jemand, der sich mitnehmen lässt, oder willst du den Widerstand der anderen austesten? Welches kirchliche Umfeld macht dich glücklich?

Nebenbei: Erkennst du auf der Fotografie die Menschen, die den vielen anderen entgegenschwimmen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 9. September 2024

Luft- und Sonnenbaden einst, Waldbaden jetzt

Ein Zitat

Beim einstigen Waidbad auf dem Käferberg bei Zürich wird schon lange nicht mehr gebadet.
Foto © Jörg Niederer
"Wer im Glashaus sitzt, sollte im Keller duschen." Graf Fito (1938-2022), Gebrauchsphilosoph und Abreißkalenderverleger

Ein Bibelvers - Hiob 1,21

"Nackt kam ich aus dem Leib meiner Mutter, und nackt gehe ich wieder aus dem Leben dahin. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt!"

Eine Anregung

Es begann damit, dass Pfarrer Theodor Stern in Köniz so um das Jahr 1900 seine Stelle verlor, weil er sich aus gesundheitlichen Gründen zu intensiv den Luft- und Sonnbädern hingab, ganz im Sinn des Schweizers Arnold Rikli (1823–1906), der seinen Patienten "Lichtbäder" ohne Bekleidung verschrieb. Kurzerhand gründete der geschasste Pfarrer das Kurhaus Waidberg auf dem Käferberg ob Zürich im Stil der Lebensreform-Bewegung. In kleinen Lufthütten und weitere Einrichtungen gab man sich unbekleidet der Natur hin. Die "Patient:innen" unternahmen dabei offensichtlich auch stundenlange, medizinisch indizierte Nacktwanderungen, an die sich die umliegende Dorfbevölkerung schon bald gewöhnte.

Das Kurhaus wechselte mehrfach den Besitzer, bis 1939 der damalige Inhaber daselbst ein Freibad erbaute. Das 50-Meter-Becken kann man auf historischen Luftaufnahmen von Werner Friedli gut erkennen, auch dass es damals an schönen Tagen gut besucht war. Für den nächtlichen Schwimmbetrieb wurde sogar eine Unterwasserbeleuchtung angebracht. 1969 wurde der Badebetrieb wieder eingestellt. Stand die Sanierung des Beckens an oder rentierte das abseits gelegene Bad nicht mehr? Ich weiss es nicht. 1980 jedenfalls wurde das Schwimmbecken zugeschüttet.

Heute noch zu sehen vom einstigen Badebetrieb sind Teile des Garderobegebäudes (Foto) und das eigentliche Kurhauses Waidberg, in dem sich nach anderen Restaurationsbetrieben heute das "Tessin Grotto" befindet, welches auf der Webseite mit dem Slogan "Staufrei ins Tessin" für sich Werbung macht.

Am vergangenen Samstag haben wir das, was vom einstigen Privatbad übriggeblieben ist, besucht. Auf der grossen Wiese grillierten verschiedene Familien ihre Würste, Kinder tobten umher und lärmten, als würden sie sich im Wasser vergnügen. Doch hier mitten im Wald schwimmt kein Mensch mehr. Es sei denn er frönt der neuen Modeerscheinung, dem Waldbaden.

Ganz anders dann unten an der Limmat, wo sich an diesem letzten Sonnentag vor der Regenfront Tausende im und am Wasser vergnügten. Doch selbst dort lief niemand nackt durch die Gegend, wie einst Pfarrer Theodor Stern und andere Naturalisten der ersten Stunde oben auf dem Käferberg.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 8. September 2024

Eine Volkslied-Predigt

Ein Zitat

Sich seiner bewusst wird man in der Anschauung Christi. Ikone im Eingangsbereich der Griechisch-orthodoxen Kirche in Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"I weiss nid, wär i bi, / i weiss nid, was i cha; / weiss nume s'zieht mi zue der hi, / i cha nid vo der lah." (Ich weiss nicht wer ich bin, ich weiss nicht was ich kann, weiss nur es zieht mich zu dir hin, ich kann nicht von dir lassen.) 2. Strophe des Riggisberglieds

Ein Bibelvers - Apostelgeschichte 26,15

"Da fragte ich: 'Wer bist du, Herr?' Der Herr antwortete: 'Ich bin Jesus, den du verfolgst."

Eine Anregung

Das Riggisberglied kann man als Dialog zwischen Mensch und Gott verstehen, auch wenn es natürlich in erster Linie ein traditionelles Liebeslied ist. Verfasst wurden die ersten beiden Strophen vom einflussreichen Kinderanalytiker und Lehrer Hans Zulliger (1893-1965); die beiden folgenden Strophen sind von Liselotte Truog aus Riggisberg.

Dieses Volkslied bildet die Grundlage zur heutigen Predigt in der Methodistenkirche St. Gallen. Ebenfalls Teil dieses Nachdenkens ist der Bericht über die Gottesbegegnung des Apostels Paulus. Gott fragt, und der Mensch wird sich bewusst wer er ist, nämlich ein von Gott geliebtes Geschöpf. In der Bezogenheit aufeinander entstehen Identität. Der Mensch wird sich der Liebe bewusst.

Einfacher und schöner als im Riggisberglied ist das nur noch an wenigen anderen Stellen beschrieben. Mehr zum Lied erfährt man im Volksliederarchiv. Da kann man sich auch alle bekannten Strophen anhören. Den Text der Predigt gibt es in Kürze auf der Webseite der Kirche.

Noch besser ist es, dabei zu sein im Gottesdienst um 10.15 Uhr an der Kapellenstrasse 6 in St. Gallen. Alle sind herzlich willkommen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Samstag, 7. September 2024

Bald ist Weihnachten

Ein Zitat

Eine grosse Weihnachtskerze vor einem Haus in Frauenfelder Ortsteil Osterhalden.
Foto © Jörg Niederer
"Ich wünsche dir Zeit, um in Erinnerungen von gestern zu schwelgen; Zeit, um hier und heute zur Ruhe zu kommen und Zeit, um neue Pläne für morgen zu schmieden." Herkunft unbekannt

Ein Bibelvers - Psalm 119,130

"Das Tor zu deinen [Gottes]Worten leuchtet hell. Hindurchzugehen bringt Unerfahrene zur Einsicht."

Eine Anregung

Vor zwei Tagen sah ich erstmals in diesem zweiten Halbjahr einen Eisvogel, einen Dunkelwasserläufer und eine dekorative Weihnachtskerze im Überformat. Alles an einem einzigen Tag. Am exotischsten, so kam es mir vor, war die Weihnachtskerze. Sie passte einfach noch nicht in die Jahreszeit.

In 109 Tagen ist Weihnachten. Hast du die Geschenke schon gekauft? In meinem Bekanntenkreis beginnen manche damit in den Sommerferien.

Für alle, welche sich schon auf Weihnachten freuen, hier ein (un)passendes Gedicht von Theodor Fontane: 

"Noch ist Herbst nicht ganz entflohn, / aber als Knecht Ruprecht schon / kommt der Winter hergeschritten, / und alsbald aus Schnees Mitten / klingt des Schlittenglöckleins Ton.

Und was jüngst noch, fern und nah, / bunt auf uns herniedersah, / weiß sind Türme, Dächer, Zweige, / und das Jahr geht auf die Neige, / und das schönste Fest ist da.

Tag du der Geburt des Herrn, / heute bist du uns noch fern, / aber Tannen, Engel, Fahnen / lassen uns den Tag schon ahnen, / und wir sehen schon den Stern."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen 

Freitag, 6. September 2024

Gedankenspiralen

Ein Zitat

Ausgetrocknetes Blatt einer Karde im Botanischen Garten Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Ein Bild ist weit nützlicher als tausend Worte." Sprichwort aus China

Ein Bibelvers - Psalm 27,11

"Du sollst dir kein Bild von Gott machen! Nichts, was im Himmel und auf der Erde ist und im Wasser unter der Erde, kann ihn darstellen."

Eine Anregung

Das Blatt einer Karde hat sich bei Austrocknen entlang der stachelbewehrten Mittelrippe zu einer Spirale aufgerollt. Die Seitenrippen sehen aus wie die Segmente eines Schneckenhauses. Brauntöne überwiegen. 

Warum sich diese spezielle Form des verwelkten Blatts gebildet hat, lässt sich sicherlich biologisch, anatomisch und physikalisch erklären. Mir erscheint das Ergebnis wohlgeformt und harmonisch. Es tut meinen Sinnen gut. Das hat auch damit zu tun, dass diese Spiralform sich nach den Gesetzmässigkeiten der Fibonacci-Folge gebildet hat. Unter den Fibonacci-Zahlen versteht man eine unendliche Abfolge von Zahlen, bei der jede Zahl aus der Summe der zwei vorhergehenden Zahlen entsteht (1,1,2,3,5,8,13,21,34,55...). Diese Zahlen kann man als Spirale darstellen. Das könnte zwar in Worten beschrieben werden, aber am einfachsten ist es, du schaust es dir auf der folgenden Internetseite selbst einmal an.

Damit komme ich zu meinem Hauptpunkt: Kann etwas Schönes so beschrieben werden, dass es seine Schönheit behält oder sie gar in besonderer Weise erfahrbar macht? Hinkt die Sprache nicht immer der ästhetischen Wirklichkeit hinterher?

Stell dir vor, du müsstest dieses Bild vom Kardenblatt einer seit Geburt blinden Person erklären. Was würde sie sich dann aufgrund deiner Worte wohl für ein Bild machen? Wäre es das gleiche Bild, das du siehst? Wohl eher nicht.

Genau so ist es mit der Interpretation von biblischen Texten. Die meisten von uns lesen dabei Übersetzungen der Ursprache. Schon das ist eine Interpretation des Urtextes. Dann legen wir diese Worte wohl immer wieder unterschiedlich (zu einem Bild) aus, je nach unserem Verstehens- und Erfahrungshorizont. Wir mögen uns einig sein in manchen groben Grundzügen von biblischen Kernaussagen. Doch je weiter wir ins Detail gehen, desto unterschiedlicher werden unsere Wahrnehmungen. Wahr-nehmung ist es dann zwar für den einzelnen, aber für eine andere Person ist daran etwas anderes "wahr". Aus diesem Grund können wir uns nur gemeinsam der ganzen Wahrheit annähern, ohne dass wir davon ausgehen können, dass wir uns beim Betrachten der biblischen Texte je einmal alle auf ein einziges gemeinsames Bild davon einigen werden.

Den Menschen, die in der Bibel vorkommen, war dies durchaus schon lange bewusst. Das lässt sich besonders gut beobachten anhand der Aussagen über das Bilderverbot (siehe Bibelvers oben!). Gott ist mit nichts vergleichbar, was wir sehen und benennen könnten. Wir sind wie Blinde, die sich aufgrund von Worten ihr eigenes Bild machen. Aber keines der Gedankenbilder kommt der Wirklichkeit näher als unbedingt nötig. Bei Gott stehen wir buchstäblich an. Darum sollen wir uns eben kein Bild von Gott machen. Wir müssen uns in Geduld üben. Denn Gott ist auch nicht der Durchschnitt aller menschlichen Sichtweisen. Gott ist anders, als ich ihn mir vorstelle.

Wenn ich es dann so versuche, und mit der Bibel sage, dass Gott Liebe ist, würde ich damit schon die nächste Diskussion auslösen: Was nämlich Liebe ist.

Was ist also Liebe? Ich jedenfalls liebe dieses Bild vom Kardenblatt, das sich zu einer Spirale aufgerollt hat.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Donnerstag, 5. September 2024

Kreativ-Gullydeckel

Ein Zitat

Mit Knetmasse verzierte Kanaldeckel beim Schloss Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Zu jedem Topf gehört ein Deckel, zu jeder Vision gehört ein Träumer." Lisz Hirn (*1984), österreichische Philosophin

Ein Bibelvers - 1. Samuel 24,4

"Als Saul an ihnen [den Steinbock-Felsen] vorbeikam, sah er eine Höhle und ging hinein. Denn er musste sich dringend erleichtern."

Eine Anregung

Jedes Mal, wenn ich an einem vonRoll-Schachtdeckel vorbeikomme, freue ich mich. Der Gully-Deckel erinnert mich an meine Heimatstadt Olten. Dort schloss die Giesserei VonRoll 1984 die Tore für immer. Heute werden die Schachtabdeckungen von der vonRoll Hydro AG an der Von Roll-Strasse 24 in Oensingen vertrieben.

Kinder haben einen dieser etwas langweiligen Dolendeckel, von denen es Millionen geben muss in der Schweiz, mit farbiger Knetmasse verziert. Und schon ist ein überraschend ästhetisches Kunstwerk entstanden. Es braucht oft so wenig, um die Welt ein klein wenig lebensfreundlicher umzugestalten.

Zugleich erinnern uns Dolendeckel daran, dass es unter der Oberfläche noch mehr gibt. Die Welt hört eben nicht an unserer Fussspitze auf und auch nicht an unserem Denk- und Glaubenshorizont. Möge auch der Dolendeckel unserer Glaubens- und Gedankenwelt farbig sein und weitverzweigte Wege schützen oder eröffnen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Mittwoch, 4. September 2024

Blicke in den Abgrund

Ein Zitat

Ein russiger Aschenbecher an der Wand bei der Stiftsbibliothek St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Abyssus abyssum invocat." (Lateinische Redensart nach Psalm 41,8 der Vulgata) Auf Deutsch: "Eine Tiefe ruft eine andere Tiefe nach." oder "Ein Irrtum zieht einen weiteren nach sich." oder "Man fällt von einer Sünde in die andere."

Ein Bibelvers - Psalm 41,8.9+11

"Da stecken sie schon die Köpfe zusammen. In ihrem Hass auf mich sind sie sich alle einig. Sie führen Böses gegen mich im Schilde. Gehässige Worte schütten sie über mich aus: 'Wie der daliegt! Der steht nicht mehr auf!'... Du aber, Herr, hab Erbarmen mit mir, lass mich doch wieder aufstehen! Dann kann ich’s ihnen heimzahlen."

Eine Anregung

Wolltest du auch immer schon einmal in so einen Aschenbecher hineinschauen, wie sie an vielen Orten im öffentlichen Raum an der Wand befestigt sind? Ich auch nicht. Aber dieser in der Nähe der Stiftsbibliothek stand schon offen, als ich vorbei kam, und so konnte ich an diesem kirchlichen Ort in eine höllische kleine Abyssus schauen und dabei erschauern.

Mir kommen dazu zwei Dinge in den Sinn. Einmal die vielen Höllendarstellungen, welche sich als Abschreckung in den Kirchen finden. Düstere Bilder von Dämonen und Teufeln, welche elende Verstorbene jeden Standes quälen und malträtieren. Damit sollten einst die Menschen von Sünden abgehalten und zugleich zu finanziellem Ablass motiviert werden. Dann denke ich an die abschreckenden Bildern von Raucherlungen etc. auf Zigarettenverpackungen, welche Rauchende auf die Gefahr des Rauchens aufmerksam machen wollen. Beides mag in kleinerem Rahmen funktioniert haben. Bei den meisten Menschen aber hatten oder haben beiderlei Höllenbilder kaum Wirkung.

Nun gibt es sehr wohl Abschreckungsszenarien, die ihr Ziel bisher erreicht haben. Etwa das Arsenal an atomaren Waffen, das so schreckliche Folgen hätte, dass es seit den 2. Weltkrieg nie mehr zu einem Atomwaffenangriff gekommen ist. Real ist auch die Gefahr vor dem menschgemachten Klimawandel mit massivsten Auswirkungen in der nahen Zukunft.

Nur führt das Warnen zwar zu markigen Worten und leider nur zögerlichem politischem Handeln, aber auch zu einer Goldgräberstimmung in manchen Wirtschaftszweigen. Vielleicht steckt dahinter auch das Denken, dass es mich wohl schon nicht so schlimm treffen wird.

Frage: Wirken bei dir die Schreckensbotschaften wie: Überfremdung, Rauchen schadet ihrer Gesundheit, Klimaerwärmung, Terrorismusgefahr, Höllenqualen, Artensterben, etc.?

Dazu auch die andere Frage: Wirken bei dir motivierenden Freudenbotschaften: Himmelsversprechen, friedlicher Lebensabend, ein neugeborenes Kind, Friede auf Erden?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Dienstag, 3. September 2024

Aachen-Zürich, immer dem Hirsch nach

Ein Zitat

Das Grossmünster in Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Manchmal sitzen sie vor dir, mit Augen, so hinschmelzend, so zärtlich und so menschlich, dass sie dir beinahe Angst machen, denn es ist unmöglich zu glauben, dass da keine Seele in ihnen ist." Théophile Gautier (1811-1872), französischer Erzähler, über die Tiere

Ein Bibelvers - 4. Mose 22,26+27

"Der Engel des Herrn ging ein Stück weiter. Er stellte sich an eine noch engere Stelle. Dort konnte die Eselin nicht mehr ausweichen, weder nach rechts noch nach links. Als die Eselin diesmal den Engel des Herrn sah, legte sie sich unter Bileam einfach hin. Bileam wurde wütend und schlug die Eselin mit dem Stock."

Eine Anregung

Dass ein Hirsch eine Strecke von 500 Kilometer zurücklegt, ist recht unwahrscheinlich. Genau das wird aber in der Gründungslegende des Grossmünsters zu Zürich behauptet. Wieder hat es etwas mit Karl dem Grossen zu tun (Siehe Beitrag zum Fraumünster vom 29. August 2024). Derselbe soll nämlich diesem prächtigen Hirsch von seinem Regierungssitz Aachen bis nach Zürich gefolgt sein, dahin, wo die thebäischen Märtyrer Felix und Regula 500 Jahre früher enthauptet worden sind. Die beiden Glaubenszeugen trugen in der Folge ihre Köpfe noch bis zu dem Ort, an dem heute das Grossmünster in Zürich steht. Da wurden sie in Gräbern beigesetzt. Genau dorthin führte der Hirsch den König. An jener Stelle waren die Tiere "gspüriger" als die Menschen. So sei der Hirsch vor Ehrfurcht hingekniet, genauso wie Karls Pferd und die Jagdhunde. Dadurch wurde Karl der Grosse auf diesen heiligen Boden aufmerksam und liess später das Grossmünster errichten, über den Gräbern der Heiligen. Bis zur Reformation konnten die Gebeine von Felix und Regula, aber auch Reliquien von Karl dem Grossen im Grossmünster verehrt werden. Schön wird die Legende in einem Audiobeitrag in der ältesten bekannten Fassung vorgelesen.

Was mir in dieser Geschichte besonders gut gefällt ist die Rolle der Tiere. Sie weisen Karl dem Grossen, der hier etwas schwer von Begriff zu sein scheint, den Weg an den Ort, an dem Gott den König brauchen will. Mit anderen Worten: Die Hunde, Pferde und der Hirsch sind glaubensaffiner als der bedeutendste Mann seiner Zeit.

Wer da nicht an die biblische Geschichte von Bileam und dem Esel (4. Mose 22,9-35) denken muss, sollte diese Bildungslücke dringend schliessen und sie wieder einmal lesen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Montag, 2. September 2024

Bluffen

Ein Zitat

Die ca. 6 cm lange Raupe des Mittleren Weinschwärmers hat sich nahe dem Waldboden versteckt.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn man nichts hat, was man geben kann, gibt man an." Monika Kühn-Görg

Ein Bibelvers - 1. Mose 27,15+16.18+19

"Rebekka holte die kostbaren Gewänder Esaus, ihres älteren Sohnes, die bei ihr im Zelt waren. Die zog sie ihrem jüngeren Sohn Jakob an. Die Felle der Ziegenböckchen legte sie um seine Hände und um seinen glatten Hals... Jakob ging zu seinem Vater und sagte: 'Mein Vater!' Der erwiderte: 'Ja? Wer bist du, mein Sohn?' Jakob antwortete seinem Vater: 'Ich bin dein erstgeborener Sohn Esau.'"

Eine Anregung

Wenn sie droht, sieht die Raupe des Mittleren Weinschwärmers aus wie eine Mini-Brillenschlange. Sie zieht den schmalen Kopf zurück in die verdickte Stelle dahinter. Damit bekommt sie einen noch dickeren Hals und die je zwei Augenflecken auf beiden Seiten werden besonders hervorgehoben. Zugleich bewegt sie den erhobenen Kopfteil einer Schlange gleich hin und her. Die Raupe blufft. (Nebenbei: Die Aussagen: "einen dicken Hals bekommen" ist ja sprichwörtlich geworden für Ärger, den man sich einhandelt oder der sich in einem aufstaut.) 

Wissenschaftlich nennt man das Bluffen im Tierreich "Mimikry". Ein harmloses Tier tut so, als wäre es ein gefährliches Tier. Warum der Mittlere Weinschwärmer aber eine Kobra imitiert in einer Region, in der diese Schlange gar nicht vorkommt, kann ich nicht erklären. 

Entdeckt haben wir die Raupe und eine zweite, deutlich kleinere der selben Art, auf einer Exkursion des Natur- und Vogelschutzvereins Frauenfeld entlang des Mühletobelbachs. Als wir uns zum Gemeinen Hexenkraut (Siehe dazu den Blog vom 13. August 2022) hinunterbeugten, entdeckte einer die eine, und dann die zweite Raupe.

In gewisser Weise tun die Raupen das, was die Autoposer tun, wenn sie sich mit ihren mehr oder weniger zulässig getunten Boliden in Tempo-50-Zonen präsentieren. Nur dass dies bei den Raupen eine Überlebensnotwenigkeit ist. Bei den Autoposern geht es aber nicht um Gefahrenreduktion. Im Gegenteil.

Übrigens bin ich vor etwa vier Jahren auch schon der Raupe des Kleinen Weinschwärmers begegnet. Auch dazu habe ich eine kurzen Beitrag verfasst. Auf dem Bild dort kann man sehr schön den Unterschied erkennen zwischen den Raupen der beiden Falter. Beim Kleinen Weinschwärmer sind die Augenflecken stärker gefüllt als beim Mittleren Weinschwärmer.

Kleine Unterschiede machen es halt aus ob man bei den einen dazugehört oder bei den andern. Wo gehörst du dazu? Zu den Posern, den Bluffern? Oder zu den Kriechern? Oder zu den aufrechten Aufrichtigen? Oder zu allen dreien, je nach Situation?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Sonntag, 1. September 2024

Leite mich Herr!

Ein Zitat

Rosette von Marc Chagall im Fraumünster Zürich.
Foto © Jörg Niederer
Welcher Leitlinie folgst du in deinem Leben? Hat dein Leben Linie?

Ein Bibelvers - Psalm 27,11

"Zeige mir, Herr, deinen Weg und leite mich geradlinig durchs Leben! Dann haben meine Verleumder das Nachsehen."

Eine Anregung

Wieder einmal wird die Predigt von heute Sonntag um 10.30 Uhr aus der Methodistenkirche St. Gallen live auf YouTube übertragen. Es geht um die Frage, wie ich mich von Gott leiten lassen kann und was Gottes Leiten auszeichnet.

Auch vor Ort kann man dabei sein. An der Kapellenstrasse 6 in der Stadt St. Gallen beginnt der Gottesdienst schon um 10.15 Uhr. Der Kirchenmusiker und Organist Oliver Kopeinig wird musikalische Glanzpunkte setzen. Alle sind dazu herzlich eingeladen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen