Dienstag, 14. Januar 2025

Gemeinsam auf einem Friedhof

Ein Zitat

Frühmorgens auf dem Friedhof Weinfelden.
Foto © Jörg Niederer
"Anerkennung ist eine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst." Robert Lembke (1913-1989)

Ein Bibelvers - 1. Könige 13,29+30

"Da hob der Prophet den Leichnam des Gottesmannes auf. Er legte ihn auf den Esel und nahm ihn mit zurück. Als er wieder in seiner Stadt war, trauerte der Prophet um ihn und begrub ihn. Er legte den Leichnam in sein eigenes Grab."

Eine Anregung

Zu einer Zeit, als in der Schweiz sich die Religionslandschaft noch weitgehend christlich zeigte, abgesehen von den ungeliebten schweizerischen Jüdinnen und Juden, verliefen weit heftigere Bruchlinien zwischen den Konfessionen, als dies heute der Fall ist. So war es undenkbar, dass Katholik:innen auf protestantischen Friedhöfen bestattet werden oder anders herum. Damals entstanden erste Methodistengemeinden. Ihren Pfarrern wurde es verboten, Abdankungen auf protestantischen Friedhöfen zu halten. Gläubige dieser damals neuen, aufblühenden Kirche in der Schweiz mussten sich für eine christliche Bestattung an den reformierten Pfarrer wenden. Der war den Methodisten oft ablehnend gesinnt. Aus diesem Grund kaufte etwa die Methodistengemeinde von Rheineck ein Stück Land, um dort ihre Toten "methodistisch" beisetzen zu können. Bevor es aber soweit war, kam eine neue Bundesverfassung und damit wurde das Bestattungswesen verstaatlicht, nicht zur Freude vieler evangelischer und katholischer Christen. Damals wollten Katholik:innen und Protestant:innen noch nicht nebeneinander in den Gräbern liegen, doch genau das brachte das staatliche Bestattungswesen mit sich. Ein Bundesgerichtsurteil bestätigte diese "Ungeheuerlichkeit" und hielt fest, dass im Tod alle gleich seinen, egal aus welchem Stand oder Konfession.

Heute kräht kein Hahn mehr nach getrennten Friedhöfen. Und die Bestattungsarten sind vielfältiger geworden als früher. Zur Erdbestattung ist die Kremation und Beisetzung in Urnengräbern oder Gemeinschaftsgräbern dazugekommen, wobei Urnen auch auf privatem Grund bestattet werden dürfen. Geschichtlich bedingt gibt es bis heute auch Friedhöfe, in denen ausschliesslich jüdische Menschen bestattet werden. Neuere Friedhöfe sehen für jüdische Gräber auch eigene Abteilungen in ihren Friedhofsanlagen vor. Gemeinsam auf einem Friedhof, aber in unterschiedlichen Bereichen, das gibt es auch für Muslime, etwa auf dem Waldfriedhof Meisenhard in Olten.

Genau dieser Wunsch von Muslimen nach einem eigenen Grabfeld auf dem gemeinsamen Friedhof gibt nun in Weinfelden heftig zu reden. Dabei wird, was einst ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Gleichbehandlung von verstorbenen Christ:innen war, nun dazu verwendet, diesen Wunsch der Muslime zu kritisieren. Ein vor 150 Jahren integrierendes Gesetz wird heute für die Rückweisung der Ansprüche einer Religionsgemeinschaft verwendet, die es damals bei uns gar noch nicht gab.

Darf es auf einem Friedhof ausgewiesene Bereiche geben? Keine Frage, die gibt es schon: Urnennischen etwa. Erdgräber von Erwachsenen. In Winterthur auf dem Friedhof kann man sich Urnengräber unter Bäumen aussuchen. Für Kindergräber ausgewiesene Bereiche gibt es auch auf fast allen Friedhöfen der Deutschschweiz. Heisst das, dass Kinder nicht so wichtig sind wie Erwachsene? Doch sicher nicht. Im Gegenteil, man will ihnen besonders gerecht werden.

Rechtlich gesehen könnte ich als Erwachsener nun verlangen, dass ich auch im Bereich der Kindergräber bestattet werde. Denn Grabfelder dürfen nicht ausschliesslich für eine bestimmte Gruppe von Menschen verwendet werden. Das würde auch so sein bei einem islamischen Grabfeld auf dem Friedhof Weinfelden. Auch dort könnten sich Menschen anderer Religion oder Konfession bestatten lassen. Ob sie das wollen? Ich vermute, dass dies überraschend oft geschehen wird, besonders bei religionsgemischten Paaren.

Ich habe grosse Sympathie für den Wunsch der Muslim:innen auf ein eigenes Grabfeld innerhalb des gemeinsamen Friedhofs. Denn genau das drückt doch aus, dass alle dazugehören dürfen, verstorbene Kinder in ihrem Bereich, Erdbestattete in ihrem Bereich, Feuerbestattete in ihrem Bereich, unter Bäume bestattete in ihrem Bereich, jüdische Menschen in ihrem Bereich und auch muslimische Menschen in ihrem Bereich. Denn wenn es zur einer Bestattung kommen muss, dann will man doch nicht streiten, sondern Frieden finden.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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