Dienstag, 17. September 2024

Die Verkündigung ist weiblich

Ein Zitat

Eine predigende Frauengestalt steht auf dem Kanzelhimmel der paritätischen Kirche Peter und Paul in Leutmerken.
Foto © Jörg Niederer
"Die Frau als Pastor kann nicht väterlich sein, aber Gott ist Vater." Der Hamburger Bischof Karl Witte (1893-1966) argumentierte so gegen die Frauenordination

Ein Bibelvers - Römer 16,7

"Grüsst Andronikus und Junia, meine Landsleute, die mit mir im Gefängnis waren. Sie nehmen unter den Aposteln eine herausragende Stellung ein. Auch haben sie schon vor mir zu Christus gehört."

Eine Anregung

Einmal im Jahr geht die Pfarrkleingruppe, zu der ich gehöre, auf Schulreise. In diesem Jahr wandelten wir auf dem Stählibuckweg von Amlikon via Stählibuck nach Frauenfeld.

Eines der ersten Dörfer an diesem Weg war Leutmerken. Der Ort hat seinen Namen nach Liutmar, dem ersten Siedler. In Leutmerken steht die paritätische Kirche Peter und Paul. Geschichtlich bedeutsam ist, dass der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer einige Zeit lang hier wirkte. Mehr über die Geschichte der Kirche, auch wie sie paritätisch wurde, erfährt man auf der Webseite der Evangelischen Kirche.

Was ich dort nicht gefunden habe: Was ist das über der Kanzel für eine Figur? Die junge Frau mit einem Buch in der Hand, wirkt so, als würde sie predigen. Aufgefallen sind mir die grossen Hände der sonst zierlichen Gestalt. Aber das hat wohl nichts zu bedeuten.

Also: Was oder wer stellt diese Frau dar?

Der Hauswart, der uns vier Pfarrpersonen in der Kirche überraschte, wusste darüber auch nichts Genaueres. Die ihm am meisten einleuchtende Erklärung: Es sei eine allegorische Darstellung der "Verkündigung". Das wäre durchaus möglich.

Sucht man jedoch im Internet nach einer Frau oder Heiligen mit dem Attribut "Buch", wird man zu vielen Bildern geführt, welche die Verkündigung des Engels Gabriel an Maria darstellen. Bei manchen dieser Werke hält Maria ein Buch in der Hand oder liest daraus. Sogar Bilder gibt es, auf denen nur Maria mit dem Buch zu sehen ist. Ist also Maria die Frau auf dem Kanzelhimmel? Dagegen spricht, dass die dort dargestellte junge Frau nicht passiv wirkt, sondern gestikulierend wie eine verkündigende Frau. Um einen Engel kann es sich auch nicht handeln. Da fehlen die Flügel.

Dann wäre da noch die heilige Elvira von Oeren. Sie leitete im 11./12. Jahrhundert als Äbtissin das Kloster Oeren in Trier. Ihre Attribute sind der Hirtenstab und das Buch. Nur, bei der Skulptur in der Kirche Leutmerken gibt es zwar ein Buch, aber keinen Hirtenstab.

Also doch die allegorischen Darstellung der Verkündigung? Möglich. Nur finde ich sonst im Internet nichts, was diese Sicht auf die Frauengestalt über der Kanzel unterstreicht.

Aber vielleicht kennt sich ja jemand der Lesenden besser aus mit kirchlicher Kunst, und kann dieses Rätsel lösen. 

Jedenfalls hat es in der Vergangenheit auch schon unter dem Leutmerker Kanzelhimmel predigende Frauen gegeben. Interessanter Weise ist es aktuell eine katholische Pastoralraum-Leiterin und nicht etwa eine evangelische Pfarrerin.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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