Dienstag, 10. September 2024

Dichtelust oder Dichtestress

Ein Zitat

Badende lassen sich zwischen Drahtschmidlisteg und Kornhaus-Silo durchs Schwimmbad Oberer Letten treiben, mitten  in der Stadt Zürich.
Foto © Jörg Niederer
"Habe doch den Mut, auch einmal anders zu sein / Als die meisten Leute um dich her / Wenn sie dich auch alle als nicht ganz normal verschrei′n / Frage du nur: "Was will denn der Herr?" Beliebtes christliches Lied aus den siebziger Jahren.

Ein Bibelvers - 2. Mose 12,37+38

"Dann brachen sie auf und zogen von Ramses nach Sukkot. Ungefähr 600.000 Leute machten sich auf den Weg, die Frauen und Kinder noch gar nicht mitgezählt. Auch viele Nicht-Israeliten zogen mit ihnen sowie eine riesige Herde aus Schafen, Ziegen und Rindern."

Eine Anregung

Anders als beim ehemaligen Waidbad auf dem Käferberg (Siehe Beitrag von gestern!) war am vergangenen Samstag noch einmal richtig viel los beim Schwimmbad Oberer Letten in Zürich. Der letzte heisse Tag des Sommers lockte tausende an und in die Limmat. Die eine schwammen im Fluss, andere sonnten sich dicht gedrängt auf den Mauern und den kleinen Wiesenarealen entlang des Wassers. Hinzu kamen die Spaziergänger:innen und alle, die sich in den zahlreichen Restaurants und Cafés entlang des Kloster-Fahr-Wegs einen kühlen Drink gönnten. Da kamen sich wildfremde Menschen in knappen Badesachen näher als in Vollmontur in einem voll besetzten Zug. Die Stimmung war fröhlich, heiter, ausgelassen. Kein Hinweis auf Dichtestress und Angst vor Fremden.

Und doch: Nicht alle wollen wie auf der Hühnerleiter Leib an Leib ungefragt die  Gespräche der andern belauschen müssen. Es gibt die, welche sich verloren vorkommen in diesem Gewusel an Bademoden. Ihr Traum von einem schönen, erholsamen Sommertag hat mehr zu tun mit einem Bergsee, in dessen eiskaltem Wasser sonst niemand eintauchen möchte.

Menschen sind verschieden. Und so verschieden sind auch die Orten, an denen sie sich wohl fühlen. Menschen sind auch verschieden in den aufeinanderfolgenden Stadien ihres Lebens. Nur wenige ältere Personen konnte ich zwischen dem meist jungen Volk ausmachen.

Die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz verändern sich. Das gilt auch im kirchlichen Kontext. Die einen fühlen sich in Gemeinden mit vielen Menschen wohl, die anderen ziehen intimere kirchliche Begegnungsgelegenheiten vor. Die einen wollen Teil einer grossen Masse sein, anderen wird es Angst und Bang bei so vielen Leuten. Wieder andere kommen nur einmal in eine Kirche, in der sie sofort als Erstbesucher:in erkannt werden. Zu intim ist ihnen ein Setting mit weniger als 50 unbekannten Menschen.

Hinzu kommt: Schwimmst du gerne mit dem Strom, oder willst du gegen die Strömung ankämpfen? Bist du jemand, der sich mitnehmen lässt, oder willst du den Widerstand der anderen austesten? Welches kirchliche Umfeld macht dich glücklich?

Nebenbei: Erkennst du auf der Fotografie die Menschen, die den vielen anderen entgegenschwimmen?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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