Montag, 29. April 2024

Die Revidierten Soziale Grundsätze - ein Kommentar

Ein Zitat

Der interimistische Generalsekretär John Hill von General Board of Church and Society informiert an einem der ersten Tage an der Generalkonferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche über die neu revidierten Sozialen Grundsätze und ihre Entstehung.
Bildschirmfoto aus dem Livestream
"In der Evangelisch-methodistischen Kirche, einschließlich ihrer Vorgänger, ist das Anliegen für soziale Gerechtigkeit tief in der eigenen Geschichte verwurzelt. Ihre Mitglieder haben oft offen und ehrlich zu kontroversen Themen, die christliche Grundüberzeugungen betreffen, Stellung bezogen." Aus dem Vorwort der Revidierten Sozialen Grundsätze der United Methodist Church

Ein Bibelvers - Römer 8,22

"Wir wissen ja: Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute."

Eine Anregung

Seit die Bischöfliche Methodistenkirche im Jahr 1908 als erste Kirche überhaupt ein Soziales Bekenntnis angenommen hat, ist die soziale Gerechtigkeit ein wichtiger Bestandteil deren Kircheseins. Seit Zusammenschluss zweier methodistischer Traditionen zur Evangelisch-methodistischen Kirche (United Methodist Church) im Jahr 1968 gibt es den Willen zu und die Umsetzung der Sozialen Grundsätzen. Diese wollen Leitlinie sein für das Leben als Christin, als Christ, werden aber nicht im Sinn von verpflichtendem Kirchenrecht verstanden.

Nun liegt ein revidierter, beziehungsweise vollständig neu verfasster Text der Sozialen Grundsätze an der Generalkonferenz der United Methodist Church in Charlotte zur Annahme vor. Darin heisst es: "Die Sozialen Grundsätze sind auch ein lebendes Dokument. In Anerkennung der wichtigen Änderungen, die in den vergangenen 50 Jahren in der Evangelisch-methodistischen Kirche stattgefunden haben, einschließlich bedeutender Entwicklungen in Afrika, Europa und den Philippinen, hat die Generalkonferenz 2012 eine Überarbeitung der Sozialen Grundsätze angeordnet, um deren theologisches Fundament, Prägnanz und globale Bedeutung zu vergrößern." 

Kommentar: Da ich eine der Personen bin, die seit 2006, als eine europäisch Konsultation zu den Sozialen Grundsätzen in Wien stattfand, immer eingebunden war in die Planung und die Revision der Sozialen Grundsätze, erlaube ich mir dazu einen Kommentar.

2006 formulierte der damalige, für die Zentralkonferenz von Mittel- und Südeuropa (ZKMSE) zuständige amtierende Bischof Heinrich Bolleter in Wien die Grundzüge der Revision der Sozialen Grundsätze. Durch die regelmässig an Generalkonferenzen ergänzten und neuformulierten Texte hatten die Sozialen Grundsätze den Charakter von Resolutionen angenommen. Sie waren auch stark auf den US-amerikanischen Kontext ausgerichtet und meist kaum theologisch und ekklesiologisch begründet. Dies sollte in einer Revision korrigiert werden. Allerdings hatte der damalige Generalsekretär des General Boards of Church and Society (GBCS) Jim Winkler grosse Bedenken, dass durch eine solche Revision die konservativen Aussagen in den Sozialen Grundsätzen noch stärker gewichtet würden; Aussagen wie die, dass Homosexualität nicht mit der christlichen Lehre vereinbar seien.

Ab 2007 war ich der Vertreter der ZKMSE im GBCS. An den zweimal jährlich stattfindenden Sitzungen brachten wir Europäer das Anliegen erneut auf den Tisch und fanden endlich Gehör. Allerdings teilte ich in dieser Zeit die Meinung von Jim Winkler, dass die Revision auch kontraproduktiv sein könnte. Die konservativen Kreise hatten an allen bisherigen Generalkonferenzen eine Mehrheit. Dies wäre wohl auch 2020 so gewesen, an der wegen COVID schlussendlich auf 2024 verschobenen Tagung. 2020 hätte ich den Revidierten Sozialen Grundsätzen keine Chance gegeben. Zu sehr hätte die damalige Mehrheit festhalten wollen an den traditionellen Vorstellungen zur Menschlichen Sexualität.

Jedoch ist in den letzten vier Jahren viel geschehen. Eine neue, traditionelle Kirche, die Global Methodist Church, wurde gegründet. In den USA (25% aller Gemeinden) und teils auch in anderen Weltgegenden haben sich traditionelle Gemeinden von der United Methodist Church abgespalten. Die Zusammensetzung der aktuellen Generalkonferenz ist heute so komplett verschieden von 2019 oder 2020, dass wir damit rechnen dürfen, dass die Revidierten Sozialen Grundsätzen die nötige Mehrheit bekommen werden an der Generalkonferenz. Die Kirchenspaltung hat es gebraucht, dass ein ureuropäisches Anliegen in der United Methodist Church endlich verwirklicht werden kann. Jetzt ist der Kairos dazu. Als jemand, der selbst beteiligt war an den Formulierungen der neuen Revidierten Sozialen Grundsätzen bete ich, dass die Generalkonferenz diesen Text annimmt. 

PS: Bei einigen Personen hat gestern der Link zum Lied "Ubi Caritas" nicht funktioniert. Hier darum noch einmal diese schöne Interpretation des Handglockenensembles The Charlotte Bronze.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

2 Kommentare:

  1. Lieber Jörg
    Du sagst: Jetzt ist der Kairos, „die festgesetzte Zeit im Plan Gottes“, dazu. Du meinst also, dass HEUTE, wo man die Mehrheit auf sicher hat, man dann das Resultat liebend gern akzeptiert?
    Und zur Spaltung: (Ich komme direkt zum Punkt) Die sog. „Progressiven“ hätten sich ja von der EMK schon lange abspalten können, um ihre ur-europäischen Anliegen auszuleben!
    Eine Kirchen-Spaltung in CH will man tunlichst vermeiden, ja verhindern! Oder „braucht es“ die nun auch?
    Jonas Schär

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    1. Lieber Jonas
      Kairos als Begriff habe ich im allgemeingriechischen Sinn gemeint. Jetzt sind die Rahmenbedingungen so, dass die revidierten Sozialen Grundsätze eine Chance haben an einer Generalkonferenz. Und ja, es hätte mir für die Arbeit der weit über 5000 direkt einbezogenen Menschen bei der Ausarbeitung dieser Texte sehr leid getan, wenn die Sozialen Grundsätze an einigen wenigen strittigen Punkten gescheitert wären.
      Ich bin in keiner Weise für eine Kirchenspaltung aufgrund unterschiedlicher Meinung. Jahrelang habe ich hier als Pfarrer gewirkt trotz offizieller Aussagen, die mir wie ein Stich ins Herz waren. Aber einfach davonlaufen ist nicht mein Ding. Wir müssen und dürfen einander ertragen mit allen unterschiedlichen Ansichten in der uns allen geschenkten Liebe von Jesus Christus.
      Ich bin bereit, Raum zu schaffen und aufrecht zu halten füreinander, selbst wenn es mir weh tut. Die EMK erlebe ich zuerst als Kirche, in der alle (und ich betone) wirklich alle Menschen angenommen sind. Ein Ort, an dem "SünderInnen" einen Platz haben dürfen und die Gnade Christi erfahren können. Ein Ort, an dem wir uns in der Verschiedenheit annehmen können. Ich meine, das haben wir versucht in den letzten Jahren zu zeigen.
      Der Traditional Plan sah vor, dass wir nur noch in einer Richtung hätten denken und handeln dürfen beim Thema der menschlichen Sexualität. Ich wäre nicht mehr akzeptiert gewesen als ein Mensch, der aus der Gnade und Annahme von Jesus Christus wiedergeboren bin, nur weil ich in einer Sache von der Mehrheitsmeinung in der Kirche abweiche. So etwas will ich jetzt nicht in die andere Richtung. Ich werde alles, was möglich ist, weiter dazu beitragen, dass niemand in der EMK meine Meinung in Fragen der Sexualität teilen muss, um willkommen zu sein. Ich werde mich einsetzten dafür, dass traditioneller denkende Christinnen und Christen weiter Raum haben in der EMK. Also keine Kirchenspaltung, sondern Christliche Einheit in menschlicher Vielfalt.
      Jörg Niederer

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