Samstag, 30. April 2022

Die verschüttete Sensation von Locarno

Ein Zitat

Blick auf da Vincis Rivellino in Locarno
Foto © Jörg Niederer
"Nichts Hohes erreicht ein Künstler, der nicht an sich selber zweifelt." Leonardo da Vinci (1452-1519)

Ein Bibelvers - Psalm 8,1+2

"Herr, unser Herrscher, wie machtvoll ist dein Name auf der ganzen Erde! Deine Herrlichkeit strahlt über dem Himmel auf! Dem Geschrei von Kindern und Säuglingen hast du Macht verliehen über deine Widersacher. Feinden und Rachgierigen setzt du ein Ende."

Ein Anregung

Stell dir vor, es gibt noch genau ein weitgehend vollständig erhaltenes Gebäude, das von Leonardo da Vinci entworfen wurde. Also von dem Künstler und Erfinder, zu dessen Werken in Paris jährlich 85 Millionen Menschen pilgern, und dessen Gemälde absolute Höchstpreise erzielen. Und stelle dir jetzt vor, dieses eine Haus befindet sich in der Schweiz, genauer, in Locarno. Das müsste alles in den Schatten stellen, was es in diesem Land und in Locarno zu sehen und zu bewerben gibt.

Nun, das Gebäude von Leonardo da Vinci steht tatsächlich in Locarno, doch wer nicht danach sucht, wird es nicht finden. Beim Gebäude handelt es sich um ein Bollwerk, das direkt in die Visconti-Burg integriert war. Die auf Italienisch "Rivellino" genannte Verteidigungsanlage entstand um das Jahr 1507, und überstand die Zeit der Eidgenossen, die die Burg und weite Teile der Stadt nach ihrem Sieg über die Mailänder 1532 schleiften. Damals lag das Bollwerk von da Vinci in unmittelbarer Seenähe. Über die nun folgenden Jahre verlagerte die Maggia mit viel Geschiebe den See weit weg vom Bollwerk. Der Rivellino wurde dabei etwa 10 Meter hoch zugeschüttet. Auf diesen erhöhten Grund wurden weitere Häuser an und um die bauliche Sensation erbaut, die allesamt wenig attraktiv wirken. Darum gibt es nicht viel zu sehen von da Vincis Werk. Ein Mauervorsprung der fünfeckigen Verteidigungsanlage ist über der Bar Castello  an der Via Franchino Rusca zu erkennen. Zugänglich ist der Rivellino nur über die Leonardo da Vinci Art Gallery von der Via Castello 1 aus. Doch rein kommt man in diesen Tagen nicht, einmal abgesehen von einer virtuellen Besichtigung auf der Webseite Galerie. 

So kommt es, dass Passanten achtlos an einem weiteren, mit einem Eisentor verschlossenen Durchgang vorbeihasten, vielleicht die glimmende Zigarette dorthin werfen, und dabei nicht realisieren, welche Sensation sich genau da verbirgt: Leonardo da Vincis "Mauerblümchen" von Locarno. Manche Kirche und Kneipe sieht mehr Gäste, als dieser Locarneser "Munot".

Die ganze Geschichte über den Rivellino in Locarno und seine späte Entdeckung als Werk Leonardo da Vincis gibt es hier. Eine illustrierte Abhandlung zum Rivellino von Marino Viganò gibt es hier.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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