Mittwoch, 13. April 2022

Hier stehe ich! - Wo denn sonst?

Ein Zitat

Tresen der Galicia Bar in Olten
Foto © Jörg Niederer
"Kann eine Welt ohne Vernunft Vernunft von den Menschen verlangen?" Alex Capus, in "Fast ein bisschen Frühling"

Ein Bibelvers - Matthäus 24,1+2

"Jesus verließ den Tempel und wollte weiterziehen. Da kamen seine Jünger zu ihm. Sie wollten ihm die Tempelanlage zeigen mit ihren prächtigen Bauwerken. Doch Jesus sagte zu ihnen: 'Ihr bewundert das alles? Amen, das sage ich euch: Hier wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Es wird alles zerstört werden.'"

Ein Anregung

Das "Photo-a-day"-Wort von heute lautet: "hier" (Englisch: here).

Hier war ich zu Hause. Wir sind in der Galicia Bar, direkt am Tresen, 396,1 Meter über Meer, in Olten, der Eisenbahnerstadt, der Stadt der Migranten, auch aus Spanien. Nicht dass ich in meiner Jugend in der Galicia Bar verkehrt hätte. Sie war mir nicht einmal bekannt, bis wir sie eines Wandertags besucht haben. Aber in der Nachbarschaft schnitt ich mir die Haare. Da ungefähr buchten meine Eltern ihre Reisen bei Kuoni. Und werktäglich fuhr ich drei Jahre lang mit dem Fahrrad an der Bar vorbei in die Unterführung hinab und dann wieder mit Schwung hoch, hinauf zur Alten Brücke, die damals mit einem allgemeinen Fahrverbot belegt war. Alex Capus sah ich jeweils in der Schule, ohne ihn wirklich zu kennen. Dem Buchautor gehört heute die Galicia Bar mit dem Stierkopf und der aufgemalten Reiseroute von Olten über Santiago die Compostela nach Finisterre. Neben dem Stierkopf an der Wand steht: "Hier gibt's unser hausgebrautes Drei Tannen Bier!".

"Hier" ist an so vielen Orten. Mein heutiges "Hier" ist nicht das "Hier" von gestern.

Martin Luthers Diktum: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen." zeigt einen Menschen, der nicht anders kann, als der zu sein, der er ist, mit allem, was er glaubt und vertritt. Tatsächlich können wir alle nur an diesem ominösen Ort "Hier" stehen. Gut, wenn wir dann auch mit dem Rest unserer Gedankenwelt und Fantasie am selben Ort zu finden sind, an dem unsere Füsse den Boden berühren (oder für die Kurzbeinigen: der Hintern die Sitzfläche).

Wenn in der Rekrutenschule unser Name aufgerufen wurde, hatten wir laut mit "Hier" zu antworten. Ich stelle mir vor, wie der Hauptmann vor Jesu Hinrichtung die Soldaten aufrief, die den "König der Juden" foltern und kreuzigen sollten, und diese laut mit "Hier" antworteten, bereit zu allem. Und ich frage mich, wo mein Ort in dieser Passionsgeschichte gewesen wäre, wo man mich in meinem "Hier und Jetzt" gefunden hätte in diesem traurigen, himmelschreienden Geschehen?


Morgen folgt ein Bild zum Wort "bei" (Englisch: among).


Photo-a-day Lent 2022: Eine methodistische Webseite schlägt für die Fastenzeit vor, jeden Tag ein Foto zu teilen, das von einem bestimmten Wort inspiriert ist. Diese Sache nennt sich "Photo-a-day Lent 2022". So könne man sich der Fastenzeit auf eine neue Weise annähern. Die Bilder soll man mit #rethinkchurch taggen. Weitere Erklärungen zum Bild brauche es nicht.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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