Freitag, 29. April 2022

Seltsames

 Ein Zitat

Kreuzesdarstellung im Beinhaus bei der Kirche von Coglio (Vallemaggia)
Foto © Jörg Niederer
"Das Crucifix ist eine Zierrath geworden, die man im Ohre hängen hat." Karl Gutzkow deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Journalist (1811-1878)

Ein Bibelvers - Jesaja 53,2

"Er wuchs vor seinen Augen auf wie ein Spross, wie ein Trieb aus trockenem Boden. Er hatte keine Gestalt, die schön anzusehen war. Sein Anblick war keine Freude für uns."

Ein Anregung

Seltsamem begegneten wir gestern auf einer Wanderung von Someo der Maggia flussabwärts nach Ronchini.

Es war bei der vierten Überquerung der Maggia, auf der vierten Hängebrücke kurz vor Ronchini, als ich die einzige Möwe weit und breit heransegeln sah. Am Abend waren nur noch wenige Menschen meist sonnenbadend am Fluss, der auch hier noch eine stattliche Breite aufweist, wobei sich der eigentliche Wasserlauf in einem Meer aus Geschiebe, Steinen und Sand versteckt. Eine Familie mit vier Kinder war dabei, sich für die Heimreise umzuziehen. Die Möwe also flog heran, etwa 80 Meter über uns. Dann machte sie, im Moment als sie den Darm entleerte, einen scheinbar bewussten kleinen, der Ausscheidung Schwung gebenden Richtungswechsel. Noch während ich meiner Frau meine Beobachtung mitteilte: "Die da unten müssen sich in Acht nehmen, dass sie von der Möwe nicht angeschissen werden", kam von ihr die Erfolgsmeldung: "Es hat den Vater erwischt, mitten ins Gesicht". Zeitgleich erklang die fröhliche Schadensfreude der anderen Familienangehörigen zu uns auf die Brücke empor. Die Möwe aber strebte weiter dem noch fernen See zu. Nun frage ich mich, ob Möwen absichtlich Ziele bombardieren, oder ob das einfach einer der seltsamen Zufälle ist, die geschehen.

Diese amüsante Begebenheit konnten wir nicht fotografisch dokumentieren. Aber zwei, drei Stunden früher standen wir vor einem anderen, seltsamen Anblick. Im Beinhaus von Coglio findet sich die hier abgebildete Kreuzesdarstellung, gemalt von einem unbekannten Künstler (einer Künstlerin?) wohl aus dem Maggiatal. Die Christusfigur weicht deutlich ab von landläufigen Christusvorstellungen. Warum? Lies sich der fromme Sponsor, wohl ein "Hiesiger" der im Ausland zu Wohlstand gekommen war, im von ihm finanzierten Beinhaus als Jesus am Kreuz verewigen? Das würde den Bauchansatz und die zu gross geratenen Brüste, aber auch die Gesichtszüge von Jesus erklären. Oder wollte der Künstler damit mit auf die Lustfreundlichkeit von Jesus hinweisen? Oder war er einfach nicht begabt genug? Die Sache bleibt, wie man es auch dreht und wendet, seltsam.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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