Mittwoch, 29. Dezember 2021

Haben religiöse Reden keine kulturelle Bedeutung?

Ein Zitat

Brigitte Kemmann, die Schöpferin des St. Galler Kulturstadtplans
Foto © Jörg Niederer
"Predigten könnten bestimmt besser sein, wenn nicht so viele gehalten würden." Arthur Michael Ramsey (1904-1988), englischer Theologe und Erzbischof

Ein Bibelvers - Jakobus 1,19

"Denkt daran, meine lieben Brüder und Schwestern: Jeder Mensch soll schnell bereit sein zuzuhören. Aber er soll sich Zeit lassen, bevor er selbst etwas sagt oder gar in Zorn gerät."

Ein Anregung

Offensichtlich gehören Buchhandlungen zu den Kulturinstitutionen. Das jedenfalls geht aus dem St. Galler Kulturstadtplan hervor. Hinter dem Werk steht die Kulturförderin Brigitte Kemmann. Sie hat in akribischer Arbeit alle ihr bekannten Kulturinstitutionen zusammengetragen. 184 einzelne Einträge zeugen von reichen kulturellen Aktivitäten in der Gallusstadt.

Buchhandlungen gehören also zur Kultur einer Stadt. Wie ist das mit den Kirchen? Können religiöse Zentren und Ausdrucksformen zur Kultur gezählt werden? Bei der Durchsicht des Kulturstadtplans ergibt sich ein indifferentes Bild. So wird der Stiftsbezirk und die Kathedrale klar der Kultur zugeschlagen. Das gilt auch für die Diözesane Kirchenmusikschule, die DomMusik St.Gallen, die Musik im Centrum (in der Stadtkirche St. Laurenzen). Auch die Cityseelsorge der Katholischen Kirche ist Kultur, genauso wie die Kirche St. Mangen, der WirkRaumKirche mit der offenen Kirche und die Kirche Linsebühl. Dasselbe gilt auch für diverse christliche Chöre, speziell den Kirchenchor Cäcilia St. Georgen und den Oratorienchor St. Gallen.

Interreligiöse Angebote finde ich dagegen in der Stadt mit der Interreligiösen Dialog- und Aktionswoche gar nicht. Auch wird offensichtlich eine gewisse Häufung von kulturellen Einzelaktionen verlangt, damit eine Kirche als Kulturinstitution gezählt wird. Geistliche Reden, Predigten, wie sie jeden Sonntag wohl beinahe in jeder Kirche und Kapelle der Stadt zu hören sind, werden nicht der Kultur zugerechnet. Auch wenn mir angesichts dieser Erkenntnis ein Stich durchs Predigerherz geht - ein bisschen kann ich es verstehen. Der Kulturkalender würde bei einer Auflistung aller Sprachkunst von der Kanzel doch etwas sehr religionslastig.

Jedenfalls hat Brigitte Kemmann eine hervorragende Arbeit geleistet. Der St. Galler Kulturstadtplan lädt ein, die Stadt auch von dieser Seite noch besser kennenzulernen.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen