Donnerstag, 14. September 2023

Eine eingesperrte Türöffnerin für die Frauen

Ein Zitat

Ausschnitt aus dem St. Galler Professbuch mit dem Eintrag zu Wiborada (Roter Kasten) und weiteren Frauennamen (grüne Kästchen) in diesem sonst reinen Männerbuch. Unterlegt ist das Dokument mit dem Fresko von Ferdinand Gehr in der Wiboradakapelle St. Georgen (St. Gallen). Es stellt die Krönung Wiboradas dar zwischen den weiteren Stadtheiligen Gallus und Otmar.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn Sie haben wollen, was Sie noch nie hatten, müssen Sie tun, was Sie noch nie getan haben." Prof. Dr. Darya Gerasimenko

Ein Bibelvers - Jesaja 26,1-3

"Zu der Zeit wird man im Land Juda dieses Lied über Jerusalem singen: 'Wir haben eine gut befestigte Stadt. Gott hat Mauern und Wälle zu ihrem Schutz errichtet. Öffnet ihre Tore! Dann kann das Volk der Gerechten einziehen, das Gott die Treue gehalten hat. Wer unerschütterlich auf dich vertraut, dem schenkst du bleibenden Frieden.'"

Eine Anregung

Gestern fand der 2. Wiborada-Dialogtag in St. Gallen statt (Siehe Animationsfilm über das Leben der Wiborada). Ich wurde wohl aufgrund eines Blogbeitrags zu diesem Anlass eingeladen. Es waren inspirierende Stunden mit interessanten Informationen und intensiven Gesprächen über die weltweit erste heiliggesprochene Frau, auch mit dem Ziel, Im Jahr 2026 den tausendeinhundertsten Todestag der Märtyrerin in besonderer Weise zu begehen.

Unter anderen referierte Stiftsarchivar Dr. Peter Erhart über den berühmten Eintrag zu Wiborada im St. Galler Professbuch, das im Jahr 800 als Pergamentcodex angelegt wurde. In Professbüchern wurden die Gelübte der Mönche eingetragen. Gelübte von Frauen finden sich logischerweise nicht in diesen Mönchs-Büchern; mit einer Ausnahme. Unter dem Eintrag vom 1. Mai 926, dem Tag der Ermordung der Inklusin Wiborada durch Kriegsleute aus der Region des heutigen Ungarns, ist in lateinischer Sprache zu lesen: "Am ersten Mai wurde die Reklusin Wiberat von den Heiden getötet". Es ist sehr aussergewöhnlich, dass damit postum eine Frau als Teil der St. Galler Mönchsgemeinschaft aufgenommen wurde. Der Märtyrertod dieser Ratgeberin und Retterin vieler Menschen, Handschriften und des Klosterschatzes wurde wohl wie ein Tatbeweis verstanden für ein mönchisches Gelübte, das Wiborada ja auch Jahrelang lebte, indem sie sich in eine Zelle einsperren lies und dabei durch ein Fenster auch an den Gottesdiensten und Gebetszeiten der Mönche und Gläubigen in der Kirche St. Mangen teilnahm.

Doch sie ist nicht die einzige Frau, deren Name im Professbuch zu finden ist. Etwa zur Zeit der Heiligsprechung der Wiborada im Jahr 1047 trugen sich an der Stelle des Eintrags der Wiborada weitere Personen ein, darunter auch zwei Frauen. Ihre Namen "Anna" und "Regela" sind leicht zu erkennen. Diese Einträge sind wohl der Versuch von Pilgerinnen und Pilger, der Heiligen so nahe wie möglich zu kommen. Das Professbuch, führte Dr. Erhart weiter aus, wurde damit für viele Menschen selbst zu einer Reliquie. 

So kommt es, dass Wiborada den Frauen zu einer Türöffnerin wurde in einem ausschliesslichen Männerbuch und einer durch Männer bestimmten Zeit. Sie, die sich selbstbestimmt zurückgezogen hatte, half mit, dass andere Frauen aus dem Schatten der Männer hervortreten konnten.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen