Montag, 18. September 2023

Da liegt nichts im Unargen

Ein Zitat

Am christlichen Tisch anlässlich des Interreligiösen Bettags 2023 auf dem Klosterplatz in St. Gallen.
Foto © Jörg Niederer
"Die Religionsfreiheit ist die Freiheit des Gedankens, des Gewissens und des Lebens in Sachen der Religion; die Freiheit zu glauben und nicht zu glauben, die Freiheit für Gelehrte, für die Priester und für die Gläubigen. Der Staat schuldet ihnen allen dasselbe Maß und denselben Schutz in der Ausübung ihres Rechtes." François Pierre Guillaume Guizot (1787 - 1874), französischer Politiker und Schriftsteller

Ein Bibelvers - 1. Johannes 5,19+20

"Wir wissen auch: Wir kommen von Gott her. Aber die ganze Welt ist in der Gewalt des Bösen. Wir wissen aber zugleich: Der Sohn Gottes ist gekommen. Er hat uns die Augen geöffnet, damit wir den erkennen, der die Wahrheit ist."

Eine Anregung

Die interreligiöse Bettagsfeier 2023 war ein sehr harmonischer Anlass bei bestem Wetter. Von Anfang bis Ende lag da nichts im Unargen. 

"Unarg"; gleich zweimal hörte ich in der vergangenen Woche diese Wort. Beide Male wurde es im Sinn von "ganz besonders schlimm" verwendet, was mir aber nicht recht einleuchten will.

"Arg" wird vom indoeuropäischen Wort "ergh" abgeleitet, in der Bedeutung "schütteln, erregen, beben". Gemeint ist das Angstzittern. Im weiteren Sprachverlauf bekam es die Bedeutung "feige". Im 1. Johannesbrief wird die Wendung "im Argen liegen" gebraucht in der Bedeutung: "etwas ist nicht so, wie es sein sollte, wie es richtig wäre". Fügt man nun zu diesem Wort "arg" das Adjektivpräfix "un-" hinzu, bekommt es die gegenteilige Bedeutung. "Unarg" würde also bedeuten, dass etwas so ist, wie es sein sollte.

In diesem Sinn war der interreligiöse Anlass auf dem Klosterplatz St. Gallen eine durch und durch unarge Feier. Doch so verwendete der Moderator dieses Wort eben nicht, als er zu Beginn der Feier auch die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ansprach und die Kriege in aktuell 21 Ländern dieser Erde. Er wollte damit vielmehr die negative Bedeutung des Wortes "arg" unterstreichen. Bei "unarg" könnte es sich also um einen verkappten Komparativ oder gar Superlativ handeln.

Als ich nach "unarg" bei Google suchte, gab es nicht einen vernünftigen Treffer. Vielmehr fragte mich das Programm, ob ich nach "arg" habe suchen wollen.

Im Idiotikon, dem Wörterbuch für Schweizer Dialekte, bin ich dann doch noch fündig geworden. Dort gibt es einen Eintrag zu "unargwǟnig" (unargwöhnig). Einerseits wird damit ausgesagt, dass jemand unbefangen entscheidet, andererseits keinen Argwohn oder Verdacht hegt.

Nun kann "arg" in der Umgangssprache auch die Bedeutung von "sehr" haben. "Das Gebet ist arg gut" bedeutet dann: "Das Gebet ist sehr gut". Doch auch hier ergibt das vorangestelltem Adjektivpräfix "un-" wenig Sinn, es sei denn, auch "böse" ist ein Antonym von "sehr" und nicht nur Worte in der Bedeutung von "bisschen" oder "minim".

Nach diesem Streifzug durch die schwierige deutsche Sprache bin ich kein bisschen klüger, warum man "unarg" in der Bedeutung von "besonders schlimm" verwenden sollte. Dagegen war die interreligiöse Bettagsfeier 2023 in St. Gallen in jeder Hinsicht eine gelungene, um nicht zu sagen "unarge" Feier des Religionsfriedens und der gemeinsamen Besinnung auf die Wurzeln des Glaubens.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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