Montag, 4. Dezember 2023

Verflucht gesegnet

Ein Zitat

Vom Perron auf dem Bahnhof Olten sieht man hinüber zum Restaurant Flügelrad.
Foto © Jörg Niederer
"Leb dein Leben jeden Tag / Lebe so wie du es magst / Leb für jemand, den du liebst / Für den du immer alles gibst / Leb, als wär's dein letzter Tag" - Nino de Angelo im Lied: "Gesegnet und Verflucht"

Ein Bibelvers - 5. Mose 11,26+27

"Seht, ich stelle euch heute vor die Wahl zwischen Segen und Fluch: Segen erwartet euch, wenn ihr das Gebot des Herrn, eures Gottes, befolgt. Ich habe es euch heute verkündet."

Eine Anregung

Irgendwo in überfüllten Wagon der Bahn steigt ein etwa 30-jähriger Mann ein. Er bleibt bei den Türen stehen. Nein er bleibt nicht stehen. Er tigert von einer Seite zu anderen. Das Down-Syndrom zeichnet seine Gesichtszüge. Er ist ganz bei sich, beginnt mit rauer, verwaschener Stimme zu singen. Die Artikulation ist wenig präzise. Erst mit der Zeit beginne ich zu verstehen. Er singt, als wäre kein Mensch im Zug. Er sing, und kein Mensch im Zug verlangt von ihm, dass er damit aufhöre. Allmählich verändert sich die Stimmung, entspannt sich, wird heiter. Die Frau mir gegenüber lächelt. Immer wieder hören wir den Refrain, wobei der Mann all seine Emotionen in die Worte legt: "Gesegnet und verflucht" singt er. Immer wieder: "Gesegnet und verflucht / Gefunden und gesucht / In Flammen und erfroren / Gewonnen und verloren". Nicht gerade ein adventliches Lied. Und doch wird es Licht im Abteil, irgendwo im überfüllten Wagon eines Zugs, auf dem Weg von "Gesegnet" nach "Verflucht". In Wirklichkeit waren wir Fahrgäste aber schon einige Zeit in anderer Richtung unterwegs. Wir waren auf dem Weg von "Verflucht" nach "Gesegnet".

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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