Montag, 6. Februar 2023

Gnadenraum

Ein Zitat

Raubwürger auf der Allmend Frauenfeld
Foto © Jörg Niederer
"Der Einsatz für den Schutz des Klimas, der Kampf gegen Armut und die Arbeit für den Frieden ist nicht der Feind der Gnade Gottes, sondern der Raum, in dem sich die Gnade Gottes offenbart." Christoph Sigrist, Pfarrer im Grossmünster Zürich

Ein Bibelvers - Psalm 8,7

"Die Werke deiner [Gottes] Hände hast du ihm [dem Menschen ] anvertraut. Alles hast du ihm zu Füßen gelegt..."

Eine Anregung

Christoph Blocher soll bei einem Interview mit der NZZ gesagt haben: "Die wichtigsten Ereignisse, die Geburt und der Tod, liegen nicht in unserer Hand. Wann es eine Apokalypse gibt, entscheiden nicht wir." Folglich sei alles Gnade.

Wer jedoch aus solchen Aussagen ableitet, dass man gegen die Zerstörung der Welt nichts tun könne und folglich auch nichts tun solle, sagt nur die halbe Wahrheit. Christoph Sigrist, Pfarrer im Grossmünster Zürich erinnert in einem Beitrag an die Aussage von Psalm 8,7 und hält fest: "'Es ist alles Gottes Gnade' das heisst: Geburt und Tod liegen in Gottes Hand. Das ist die eine Hälfte der Wahrheit. 'Alles ist dem Menschen unter die Füsse gelegt' (Psalm 8,7) heisst aber: Die Verantwortung gegenüber allen Leben, das geboren wird und stirbt, liegt in der Hand des Menschen. Das ist die andere Hälfte der Wahrheit." Anders gesagt: Dass wir auf dieser Erde leben können, verdanken wir Gott. Wie diese Erde aber aussieht, hat viel damit zu tun, wie wir mit ihr umgehen.

Für mich ist der Raubwürger (siehe Foto!) ein Beispiel dafür, wie wir Menschen die Lebensräume je nachdem lebensförderlich oder lebensfeindlich gestalten. Noch vor 40 Jahren brütete dieser hübsche, amselgrosse Vogel auf den naturbelassenen Wiesen in den Dornenhecken. Wie der Neuntöter erbeutete er Insekten und kleine Säuger und spiesste sie als Vorrat auf Dornen auf. Heute ist er nur noch Wintergast. Die intensive Landwirtschaft hat ihm den Lebensraum weitgehend genommen. Auf der Allmend in Frauenfeld findet er noch ein winterliches Auskommen. So sieht man ihn dort über den Wiesen rüttelnd in der Luft stehen oder von einem Pfosten, einem hohen Strauch, nach Beute Ausschau halten.

Dass so viele Vögel bei uns verschwinden, ist nicht Schicksal, sondern menschgewollt. Was wir Menschen dabei zerstören, können wir nicht Gott anlasten, auch nicht fatalistisch seiner freien Gnade, seinem freien Willen. Wir gestalten die Erde, auf der wir leben.

Dazu erinnert Christoph Sigrist auch an ein Glaubensbekenntnis aus Indonesien. Darin heisst es: "Ich glaube an Gott, der Liebe ist und der die Erde allen Menschen anvertraut hat... Ich glaube an die Macht der Gewaltlosigkeit, an die schöpferische Geistkraft Gottes, die den Frieden verheißt und will, dass alle Menschen das Leben haben und es in Fülle haben."

Mich erinnert dieses Bekenntnis stark an das Soziale Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche, in dem es heisst: "Wir bezeugen, dass die natürliche Welt Gottes Schöpfungswerk ist. Wir wollen sie schützen und verantwortungsvoll nutzen." Und im dazugehörigen Wechselgebet heisst es: "Dies ist der Tag: Gott sorgt sich um die Bewahrung der Schöpfung, will Heilung und Heil allen Lebens und weint über die Ausbeutung der Erde. Und wir mit Gott."

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen