Samstag, 4. Februar 2023

Die kalte Pracht

Ein Zitat

Der Alpstein, vom Hohen Kasten aus gesehen.
Foto © Jörg Niederer
"Nur immer rein in die gute Stube." Redensart

Ein Bibelvers - Sirach 43,1+2

"Wie herrlich ist der Himmel anzuschauen! Wie klar und prachtvoll ist sein Gewölbe! Die Sonne verkündet’s bei ihrem Aufgang. Wie bewundernswert ist dieses Gestirn, das Gott, der Höchste, geschaffen hat!"

Eine Anregung

Spiralförmig reihen sich markante Erhebungen vom Hohen Kasten, wo das Foto entstanden, zum Säntis und weiter: Glogger, Hüser, Hochhus, die zackigen Chrüzbärge, Ruchbühl, Altmann, Säntis, Schäfler und die Ebenalp mit dem weltberühmten Äscher. Ist es nicht eine wahre, kalte Pracht. Winter, wie man ihn sich wünscht. 

Hätte jemand vor ein-, zweihundert Jahren von "kalter Pracht" gesprochen, hätte er oder sie dabei etwas ganz anderes gemeint. Es wäre um die "gute Stube" gegangen, ein nicht bewohntes, unbeheiztes Zimmer in einer Bürgerwohnung oder einem Bauernhaus. Dieses Zimmer war besonders nobel und schön eingerichtet, eben prachtvoll, und bestimmt, um Besucherinnen und Gäste zu empfangen. Nur für solche besonderen Anlässe wurde der Raum beheizt. Sonst war er eben die "kalte Pracht"

Noch weiter zurück verstand man unter Pracht (mittelhochdeutsch "braht") Lärm. Wahrigs Herkunftswörterbuch stellt eine Verwandtschaft zum lateinischen Wort "suffragium", "Beifall" fest. Dann würde es bei "Pracht" um einen positiven, zustimmenden Lärm gehen, etwa so, wie Neal Dimanond im Hit "What a beautiful noise, coming up from the street..." (Welch schöner Lärm klingt von der Strasse herauf) aus dem Jahr 1976 von spielenden Kindern und brummenden Autos singt.

Kein Wunder, hat "Pracht" für uns eine zustimmende Bedeutung. Auch wenn wir mit "kalter Pracht" längst schon eine stille und eindrückliche Winterlandschaft beschrieben, und nicht mehr eine unbeheizte gute Stube.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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