Montag, 30. Januar 2023

Entsorgungseinrichtungen

Ein Zitat

In einer Kirche liegen der Gebetstraum und die Toilette direkt nebeneinander. Entsorgungsstellen auf die eine oder andere Weise.
Foto © Jörg Niederer
"Ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt." Lehrgrundlage der orthodoxen, der katholischen, der anglikanischen und der protestantischen Kirchen seit dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451.

Ein Bibelvers - Lukas 2,7

"Maria brachte ihren ersten Sohn zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe. Denn sie hatten in der Herberge keinen Platz gefunden."

Eine Anregung

Die Raumzuordnung ist gelegentlich Inspiration für Fantasie und philosophische Gedanken. So, wenn der Gebetsraum in einer Kirche direkt neben der Toilette zu finden ist. Beides auf die eine oder andere Art Entsorgungseinrichtungen. Am einem Ort sitzt man vor dem Thron des Höchsten, am andern auf dem "Thron" des kleine Mannes, der kleinen Frau. Das eine mal entledigt man sich materieller Sorgen, das andere Mal bringt man Sorgen im Gespräch vor Gott. Erleichterung ist in beiden Fällen zu erwarten. Unterschiedlich gehandhabt werden sollte eine Mehrfachnutzung der Räume. Während Gebete auf dem stillen Örtchen keine Probleme verursacht – im Gegenteil, sollte im Raum der Stille diese Doppelnutzung möglichst vermieden werden.

Während im einen Raum mit Jesu Anwesenheit gerechnet wird, bringt man das Klo nicht in Verbindung mit Gottes Sohn (abgesehen davon, dass in Letzterem in christlichen Familie oft religiöse Sprüche und Zeitschriften zu finden sind). Bei Dorothee Sölle las ich von den frühen Kirchenvätern, dass einige von ihnen die Meinung vertraten, dass Jesus, der Sohn Gottes, nicht von menschlichen Gefühlen wie Leiden geplagt worden sei, entgegen dem, was die Evangelien über ihn an menschlichen Regungen wie Hunger, Durst, Angst, Liebe und Zorn aufzählen. Klemens von Alexandrien (ca. 150-215) war sogar der Meinung, dass Jesus keine Verdauung und Ausscheidung der Speisen kannte.

Das göttliche Kind, "in Windeln gewickelt" (Lukas 2,12) mag als romantische Weihnachtsvorstellung angehen, doch über den periodisch anfallenden Inhalt von göttlichen Windeln will man nicht zu sehr nachdenken. Bis heute fällt es vielen Menschen schwer, die "Zwei-Naturen-Lehre", also die Lehre, dass Jesus "wahrer Mensch und wahrer Gott" ist (festgeschrieben 451 auf dem Konzil von Chalcedon), so zu verstehen, dass Jesus beides war: ganz menschlich und ganz göttlich. Etwa banal gesagt: Viele können sich Jesus Christus gut auf dem Thron Gottes vorstellen, aber nur schwerlich auf der Toilette.

Wie geht es dir mit der Vorstellung, dass Jesus all die körperlichen Regungen gehabt hat, die du peinlichst vor der Öffentlichkeit verbirgst? Oder anders gefragt: Glaubst du, dass Gott in Jesus Christus ganz Mensch geworden ist?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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