Donnerstag, 9. Juni 2022

Blinder Passagier erschreckt Bahnkunden

Ein Zitat

Steinfliege mit wunderschön geäderten Flügeln
Foto © Jörg Niederer
"Wenn man keine Zähne mehr hat, kommen die besten Beefsteaks." Auguste Renoir (1841-1919), französischer Maler des Impressionismus

Ein Bibelvers - Jesaja 7,18+19

"Zu der Zeit pfeift der Herr die Fliegen herbei von den Mündungen des Nil. Und er lockt die Bienen an aus dem Land Assyrien. Die kommen und lassen sich überall nieder: in Schluchten und Felsspalten, an Dornenhecken und Wasserstellen."

Ein Anregung

Ich sass auf dem Heimweg im Zug von St. Gallen nach Wil. Jemand sagte: "Mann ist der gross. Wollen wir uns trotzdem hinsetzen?" "Ach nein", hörte ich eine Männerstimme antworten: "Da hinten hat es noch freie Abteile". Die Sitzgruppe blieb leer, bis es wirklich keinen Platz mehr in anderen Abteilen hatte. Und wieder sagte jemand: "Was ist den das für ein Viech?"

Nun war meine Neugier vollends geweckt. Was ich entdeckte, war ein etwa 4-5 cm langes, schmales, schwärzliches Insekt mit langen Flügeln. Es kletterte auf den Sitz, wurde wieder weggestossen, flog auf die andere Seite. Ich zog eine Migros-Einkaufstasche aus dem Rucksack, und liess das Tierchen hineinspazieren. Aus dem Nachbarabteil kam die erstaunte Bemerkung: "Ach sie wollen das Tier retten!" Ich bestätigte kurz und dachte bei mir: Warum sollte ich ein kleines Tier, das ich zuvor noch nie gesehen habe, töten. Vielleicht ist es ja das Letzte seiner Art, und überhaupt... 

Nun wollte ich wissen, was das für ein Insekt ist. So fragte ich in einem Facebook-Forum zur Bestimmung von Insekten und Spinnen nach, und erhielt innert einer halben Stunde die richtige Antwort: Es ist eine Steinfliege. Es gibt in der Schweiz mehr als 100 Arten. Die Grössten haben eine Körperlänge von 3 Zentimetern und eine Flügelspannweite von 11 Zentimetern. Die Larven leben im Wasser. Eine Art von Steinfliegenlarven hat blaues Blut. Eine andere Steinfliege ist flugunfähig und lebt auf Gletschern. Steinfliegen haben hohe Ansprüche an das Wasser. Wo sie leben, ist die Umwelt noch weitgehend intakt.

Wenn die Tiere ihrem Larvenstadium entwachsen und zu "Imagines" (siehe Foto) herangewachsen sind, können sie nicht mehr fressen und nur noch Wasser trinken. Die Tierchen sind dann für die Menschen völlig harmlos. Das ist im Larvenstadium noch anders. Larven der grösseren Arten können Menschen empfindlich in den Finger beissen. Doch im letzten "zahnlosen" Stadium ihres Lebens geht es nur noch um die Fortpflanzung.

Bei genauerem Hinschauen wird also aus den schwarzen, bedrohlich wirkenden Insekt, das Bahnpassagiere erschreckt, ein kleines, faszinierendes Geschöpf, mit unglaublich schön geäderten Flügeln. Faszinierend!

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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