Mittwoch, 29. Juni 2022

Alltagssport

Ein Zitat

Ein Mann trägt in Frauenfeld zwei Stühle nach Hause
Foto © Jörg Niederer
"Nicht die Last macht uns fertig, sondern wie wir sie tragen." Klaus Klages (*1938), deutscher Abreißkalenderverleger

Ein Bibelvers - Matthäus 11,29-30

Jesus: "Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann werden eure Seelen Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last."

Ein Anregung

Warum die Frau sich mit einem Kleiderständer mit integriertem Spiegel ganz unten im Bahnhof Zürich beim Geleise 31 abmühte, weiss ich nicht. Es war ja nicht nur dieser Kleiderständer, bei dem zwei der vier Rädchen an den Füssen fehlten. Daran befestigt war auch ein sperriger Staubsauger. In der anderen Hand zog die Frau ein Wägelchen, darauf ein grosser Nassreiniger. Sichtlich genervt hob sie ein Staubsaugerrohr vom Boden auf und stellte es wieder in den Kleiderständer zurück. Für die 50 Meter zum Lift brauchte sie gut drei Minuten. Wie war sie wohl zuvor mit all dem Zeugs im Zug zurechtgekommen? Und wie weit musste sie nun noch damit durch die Stadt nach Hause?

Wenige Tage zuvor begegnete ich dem Mann auf dem Foto. Auch er brauchte einige Zeit, bis er wusste, wie er die beiden sperrigen Stühle nach Hause transportieren konnte. Stapeln liessen sie sich nicht. Am Ende trug er sie, als wären es Flügel.

Selbst habe ich auch schon Sessel mit Muskelkraft die 500 Meter vom Möbelhaus nach Hause getragen. Und Teile meiner theologischen Bibliothek brachte ich per Zug vom Wohnort an den Arbeitsplatz. Das war umständlich, aber es ging.

Heute tragen viele ihre Lasten nicht mehr selbst. Das Leben ist bequem geworden, und weil das nicht nur gesund ist, trainieren wir ins Fitnessstudio mit Hanteln und Gewichten.

Dabei böte der Alltag einige Möglichkeiten, um sich fit zu halten. Warum nicht mit dem Sixpack an Getränken das eigene Muskel-Sixpack stimulieren? Dabei ist mitunter auch Kreativität gefordert, wie man beim Mann mit den beiden Stühlen gut sehen kann.

Zuletzt: sitzt man nicht dankbarer und befriedigter auf Stühlen, die man mit einiger Mühe erstanden hat?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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