Ein Gedanke
"Sentimentalität ist, wenn es dir unter die Haut, den anderen aber auf den Geist geht." Fritz-J. Schaarschuh (*1935), deutscher Philologe und AphoristikerFoto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - 2. Mose 16,3
"Die Israeliten sagten zu ihnen [Mose und Aaron]: 'Hätte der Herr uns doch in Ägypten sterben lassen! Dort saßen wir an den Fleischtöpfen und konnten uns satt essen...'"
Eine Anregung
"sentir, sentier" - im Französischen macht nur ein Buchstaben den Unterschied zwischen dem Wort für "fühlen, empfinden" und dem für "Pfad".
Am Samstag bin ich voller Sentimentalität einen Weg gegangen, den ich - in Olten aufgewachsen - mit vielen Erinnerungen verbinde. Auslöser ist der bevorstehende Verkauf des Elternhauses. Mit einem meiner beiden Brüdern sichtete ich das Wenige, was noch von meinen Eltern da ist.
Ich nahm vom Bahnhof den Weg, den ich als Sonntagschüler wöchentlich in Begleitung meiner Geschwister, Cousins und Cousinen gegangen bin. Da ist immer noch die hässliche Unterführung, die zum Bifangschulhaus führt, der Ort meiner ersten drei Schuljahre. Gewundert habe ich mich, dass es manche Läden und Restaurants noch gibt, und andere, wie die kleine Metzgerei mit ihren Fleischabfällen in den Tonnen am Strassenrand nicht mehr, die Tierhandlung ebenso, in der wir die Fische für unser Aquarium gekauft hatten. Aber diese schäbige, heruntergekommene Quartiergarage, die ist erstaunlicher Weise immer noch da, und davor zwei Stretchlimousinen neben frisch errichteten Bauprofilen. In der Elternwohnung dann die Tapeten und Küchenfliesen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Voll Vintage, und doch jünger, als ich es bin.
Aussen an der Hausmauer ist das altbekannte Strassenschild angebracht. "Friedensstrasse" lautet der Spielplatz unserer kindlichen Cowboy- und Indianerkämpfe.
Später dann sind meine Frau und ich noch über den Engelberg gewandert. Auch hier wählte ich den steilen Gratweg meiner Kindheit, hinauf zur Engelbergweid, und sah seit Jahren wieder einmal diesen markanten Geländebruch zuoberst, sah in meinen Gedanken meinen Hund durch den tiefen Schnee tollen. Und später dann, wie wir Schulabgänger*innen an unserem letzten Sekundarschultag vom Gasthaus beim Fernsehturm - ich sah von meinem Fester zuhause, wie er aus dem Wald emporwuchs - im Dunkel der Nacht hinunterschlenderten und Zukunftspläne schmiedeten. Tempi passati.
Ja, das war einmal. Wie sähe dein sentimentaler Weg aus? Und woran erinnerst du dich wehmütig zurück, wenn du deinen Glaubensweg in Gedanken noch einmal gehst?
Zu so viel Sentimentalitäten passt doch perfekt Doris Days "A Sentimental Journey".
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde
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