Ein Gedanke
"Die empirischen Studien zeigen, dass die Christen, die sehr fundamentalistisch denken und eine sehr konservative Weltanschauung haben, besonders anfällig für die Querdenker-Bewegung sind." Gert Pickel, ReligionssoziologeFoto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Lukas 21,8
"Jesus antwortete: Passt auf und lasst euch nicht in die Irre führen. Viele werden unter meinem Namen auftreten und behaupten: 'Ich bin es!' Und: 'Die von Gott bestimmte Zeit ist da!' Lauft ihnen nicht nach!"
Eine Anregung
Der Religionssoziologe Gert Pickel hat festgestellt: "Entscheidend ist das Bibelverständnis, wenn dies quasi fundamentalistisch ist, dann kommen Verschwörungstheorien, Migrationsablehnung und vor allem die Ablehnung aller anderen Geschlechtsidentitäten jenseits der heterosexuell-männlich dominierten auf."
Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Beobachtung stimmt. Aber vielleicht auch nur deshalb, weil sie meine Überzeugungen und Vermutungen bestätigt. Damit könnte ich dem Phänomen des "Bestätigungsfehlers" auf den Leim gegangen sein, auch "Confirmation Bias" genannt.
Aber nehmen wir einmal an, es ist so, und Menschen mit einem fundamentalistischen Bibelverständnis neigen wirklich häufiger zu Verschwörungstheorien. Dann könnte das daran liegen, dass sie bereit sind zu "grossen intellektuellen Opfern" (Harald Lesch). Also diese Menschen sind bereit, lieber weiter an Dinge zu glauben, die wissenschaftlich widerlegt sind. Vielleicht fürchten sie sich vor einem Glaubensverlust. Das wortwörtliche Verständnis der Bibel gibt ihnen eine existenzielle Sicherheit. Und so hinterfragen sie lieber diejenigen Menschen, welche die Bibel ganz oder in einzelnen Aussagen in Zweifel ziehen.
Genau das gleiche geschieht bei den Anhänger*innen von Verschwörungstheorien. Selbst wenn diese Theorien schon längst widerlegt sind, halten sie daran fest. Sie glauben lieber daran, dass die Erde eine Scheibe ist, kein Mensch je auf dem Mond war und Corona ein Trick von geheimnisvollen Mächtigen ist, durch welchen die Menschheit gefügig gemacht werden soll, statt dass sie ihr Weltbild an den Realitäten anpassen.
Menschen die so existenziell festgefahren sind, agieren in verschiedenen Bereichen gleich; beim Bibelglauben und bei den Verschwörungstheorien.
Andererseits, wer sagt denn, dass die glaubenskritische Haltung der liberalen Gläubigen nicht vergleichbar ist mit der wissenschaftskritischen Haltung der fundamentalistischen Gläubigen? Oder anders gefragt: Welche kritische Haltung ist lebensförderlich und realitätsvermittelnd, und welche nicht?
Hier ein weiteres Interview zur selben Thematik!
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde
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