Donnerstag, 24. Juni 2021

Wenn aus Kirchen Geldmaschinen werden

Ein Gedanke

Die christkatholische Augustinerkirche unweit der Zürcher Bahnhofstrasse
Foto © Jörg Niederer
"Über die Gemüsebrücke gehe ich auf der Suche nach der Karfreitagstrauer in die Altstadt hinüber, erreiche die Augustinerkirche um fünf vor fünf und singe dort in der Lamentationsliturgie so rätselhafte Texte wie 'Nicht Opfer willst du, sonst würd ich sie bringen, Brandopfer sind vor dir nicht angenehm'." Franz Hohler, aus "Spaziergänge", München 2010

Ein Bibelvers - Lukas 16,8b+9

Jesus: "Die Kinder dieser Welt sind schlauer im Umgang mit ihren Mitmenschen als die Kinder des Lichts. Ich sage euch: Nutzt das Geld, an dem so viel Unrecht haftet, um euch Freunde zu machen! Dann werdet ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen, wenn diese Welt zu Ende geht."

Eine Anregung

Voller Körpereinsatz wäre es wohl in einem Fussballspiel. Was wir sehen ist die eingefrorene Szene eines Fouls. Die Bank Julius Bär lässt nahe der Zürcher Bahnhofstrasse der Augustinerkirche keinen Spielraum, macht sich auf der rechten Seite breit und drängt das Gotteshaus aus der Mitte.

Gotteshaus, das war die Kirche zu Beginn ihrer 751-jährigen Geschichte und ist es heute wieder. Einst war sie Teil vom Kloster des Augustiner Bettelordens, errichtet am Rand der Stadt. Viel später dann und bis heute ist sie die christkatholische Kirche von Zürich. Während der Reformation und lange Zeit danach wurde sie gedemütigt, durch den Protestantismus und die Stadtbehörde entweiht und andern Zwecken zugeführt.

Zum einen degradierte man das Langschiff zur Kornschütte, zum Lagerhaus. Der nach Osten ausgerichtete Chor wurde zugemauert, aus der seitlich angebrachten Liebfrauenkapelle eine Münzprägestätte und aus der Jakobskapelle die Schmiede. Noch vorher, nach der reformatorischen Aufhebung der drei Bettelordenskonvente von Zürich im Jahr 1524, zogen im Kloster das Almosenamt und das Ehegericht ein. 

Es dauerte lange, bis in der Folge des Toleranzedikts von 1807 die bis dahin verbotenen katholischen Messen in Zürich wieder erlaubt wurden. 1840 mieteten die Katholiken das Kirchengebäude und bauten es zu ihrem Gotteshaus um. Zugleich wurde aus dem zweckentfremdeten und an die Kirche angebauten Klostergebäude die Universität von Zürich.

Noch einmal erlebte das Kirchengebäude eine Reformation, jene nach dem 1. Vatikanischen Konzil von 1869/70, in dessen Gefolge sich ein Teil der Katholiken von Rom lösten und als Christkatholische Kirche formierten. 1984 erstellte dann die Bank Julius Bär seinen modernen Bau respektlos direkt an die Kirche, ergänzt mit einem Restaurant, das sich beidseits des Kirchenportals breit macht. Aus Chor und Kapellen wurde das christkatholische Kirchgemeindehaus. Wenn sich nach dem Gottesdienst in der Augustinerkirche die Gläubigen zum Kirchenkaffee aufmachen, sagen sie noch heute: "Wir gehen in die Münz", also dahin, wo einst statt gebetet "Geld gemacht" wurde.

Ja, in der Finanzstadt Zürich entkommen selbst einstige Bettelordenkirchen nicht der Bedrängnis durch den schnöden Mammon. Da ist der Modeladen, der sich im unteren Teil des christkatholischen Kirchgemeindehauses eingenistet hat, doch ein ruhigeres Gewerbe als die einstige Schmiede, und dessen Miete eine willkommene Einnahme in die Kirchenkasse.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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