Samstag, 5. Juni 2021

"Beim Namen nennen" - 24 Stunden für die Flüchtlinge

Ein Gedanke

Einzelschicksale, auf kleinen Zetteln festgehalten
Foto © Jörg Niederer
"Europa ist – anders als viele behaupten – keine Festung und es darf niemals eine werden." Jean-Claude Juncker am 13. September 2017

Ein Bibelvers - Psalm 69,15+16

"Rette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke, dass ich gerettet werde vor denen, die mich hassen, und aus den Wassertiefen, dass die Wasserflut mich nicht fortreisse und die Tiefe mich nicht verschlinge, noch der Brunnen seinen Mund über mir schliesse."

Eine Anregung

Fast 400 mal habe ich Schicksale unbekannter Flüchtlinge auf schmalen Zetteln erfasst. Vielleicht 300 mal habe ich als Todesursache "ertrunken" hingeschrieben, einige Male stand "erschossen" da, darunter auch Kleinkinder und Frauen, oder "im Minenfeld zwischen Syrien und der Türkei umgekommen". Auch "zu Tod geprügelt" wurden Flüchtende oder als blinde Passagiere über Bord geworfen. Insgesamt sind es mehr als 44'000 solche Einzelschicksale, an die heute ab 11.30 Uhr auf dem Bärenplatz und in und um die Kirche St. Laurenzen in St. Gallen erinnert wird. Eine halbe Stunde dauert die einleitende Schweigerunde auf dem Bärenplatz. Dann werden 24 Stunden lang die Namen der auf der Flucht Verstorbenen und ihre Schicksale verlesen und zugleich rund um die Kirche sichtbar gemacht. Jede volle Stunde gibt es einen "Glockenschlag" bei dem 5 Minuten lang berührende Beiträge das Elend und die Verantwortung von Menschen thematisieren.

Der Gottesdienst am Sonntag um 10.30 Uhr in der Kirche St. Laurenzen mit der Pfarrerin Constanze Broelemann, welche als Seenotretterin auf der Sea Watch 4 war, wird auch in den Gottesdienstraum der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen übertragen.

Europas Grenzen sind zu Todesfallen geworden. Der Umgang mit den auf der Flucht Verstorbenen ist organisiert, ein Zusammenspiel von Forensiker*innen, Fahnder*innen und Totengräber*innen. Davon erzählen berührende Bilder des Fotografen Max Hirzel.

Vor den Augen der Stadtbesucher*innen wird ein Mahnmal des menschlichen Versagens entstehen. Ich werde die schiere Masse an Fluchtschicksale wohl lange nicht mehr vergessen können.

Flyer zum Anlass: https://www.kathsg.ch/kcfinderimg/files/Namen_nennen_sg_21_def_low.pdf

Webseite: https://www.kathsg.ch/DE/180/BeimNamennennen.htm

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen