Montag, 24. Juni 2024

Hirt auf sechs Beinen

Ein Zitat

Ameisen mit Läuseherde auf Acker-Kratzdistel.
Foto © Jörg Niederer
"Die Blattlaus frisst Pflanzen, der Rost Metalle und die Lüge die Seele." Anton Pawlowitsch Tschechow (1860 - 1904)

Ein Bibelvers - 1. Petrus 5,4

"Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den Siegeskranz empfangen, dessen Herrlichkeit unvergänglich ist."

Eine Anregung

Halten sich die Blattläuse nun Ameisen als Wächter, oder halten sich die Ameisen Blattläuse als ihre "Milchkühe"? Jedenfalls profitieren beide Insektenarten voneinander. Die Ameisen erfreuen sich an den Ausscheidungen der Blattläuse, und diese vertrauen der aggressiven Verteidigung ihres Lebensraums durch die Ameisen. Der "gute Hirte" kann also auch einmal sechs Beine haben, und auch die "schwarzen und weissen Schafe" an der Spitze der Acker-Kratzdistel weisen zwei Extremitäten mehr auf als die Wollschafe im Dienste der Menschheit. 

Die Blattläuse produzieren aus dem Phloemsaft, den sie aus den befallenen Pflanzen saugen, ein Abbauprodukt, den als Honigtau benannten Zucker, und scheiden diesen aus. Die Ameisen sind ganz scharf darauf und provozieren die Läuse durch eine Art Tastsprache, ein Klopfen mit den Beinen auf den Körper der Blattläuse, diesen auszuscheiden. So melken sie die Läuse und können den Zuckersaft frisch ab Laus trinken.

In Asien gibt es Ameisen, welche die Blattläuse sogar zu geeigneten Pflanzen transportieren, also auf die Weide führen. Sollten Fressfeinde der Blattläuse auftauchen, etwa Marienkäferlarven, dann werden diese sofort angegriffen und soweit möglich vertrieben. 

Blattläuse, die von Ameisen gehalten werden, haben Vorteile gegenüber den Schafen in Menschenhand. Ameisen fressen nie ihre eigenen Herdentieren, was man bei Menschen so nicht sagen kann. Da verlieren mehr Schafe durch die Hirten ihr Leben als durch andere Raubtiere.

Ich finde, diese innige Zusammenarbeit zweier verschiedener Insektenarten ist bemerkenswert. Das wäre natürlich anders, wenn ich die Laus-Ameisen-befallene Pflanze wäre. Dann würde ich ein Loblied auf die Marienkäfer singen. Psalmen wären wohl von Tier zu Tier sehr unterschiedlich. Ob sie sich alle an den gleichen Gott richten würden?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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