Dienstag, 25. Juni 2024

Christengürtel

Ein Zitat

Der Stahlblaue Grillenjäger, eine Grabwespe, auf einem Hain-Sabei.
Foto © Jörg Niederer
"Wie Gazellen, wie goldene Dinare, lieblich in weißen Gewändern sind sie. / Palmsonntag hat sie zu uns geführt mit ihren schönen Gürteln / Lange Locken haben sie, Schwalbenschwänzen gleichen sie. / Zarte Taillen haben sie, Wespen gleichen sie." Aus einem Gedicht des Kalifen Almanon (786-833)

Ein Bibelvers - Kolosser 3,12

"Gott hat euch als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt. Darum legt nun das neue Gewand an. Es besteht aus herzlichem Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld."

Eine Anregung

Die Wespentaille ist eine Modeerscheinung. Bei der allerersten Erwähnung einer eingeschnürten Taille durch den Bibliothekaren der Fatimiden Asch-Schabuschti um das Jahr 1008 wurden die Mieder, die zu solch engen Taillen führten, Christengürtel genannt. Dabei bezog der Muslim sich auf die Begegnung mit christlichen Mädchen aus dem Hofstaat.

Es ist eine wiederkehrende Sache, dieses Ideal einer Wespentaille. Bis heute gibt es Frauen, welche sich dazu das untere Rippenpaar chirurgisch entfernen lassen. Immer dann, wenn Wespentaillen in sind, kommt es unter den Personen, welche sich entsprechend die Körpermitte mit Miedern einschnüren, zu Kurzatmigkeit und Ohnmachtsanfällen. Schlimmer sind Folgeschäden an Milz, Nieren und der Leber. Bei Letzterer wird aufgrund der Krankheitsursache auch von "Schnürleber" gesprochen.

Nach Jahren ohne Windsurfpraxis wollte ich es wieder einmal versuchen und habe mir dazu einen Neoprenanzug ausgeliehen, der unglücklicherweise deutlich zu eng und zu klein war. Kaum auf dem Wasser musste ich den Reisverschluss wieder öffnen, weil es mir sonst den Atem abgedrückt hätte. An eine sportliche Betätigung war so nicht zu denken. Genau so muss sich wohl eine Frau mit modisch erzeugter Wespentaille fühlen.

Nur Wespen haben mit Wespentaillen keine Probleme. So wie bei der abgebildeten Grabwespe, ein erst vor etwa 30 Jahren in die Schweiz eingewanderter Stahlblauer Grillenjäger. Das Insekt heisst so, weil es für seine Brut Grillen und Heuschrecken erbeutet, und diese als Nahrung für die Larven zum Gelege bringt.

Heute wünsche ich dir, dass der Glaube für dich nie zu einem "Christengürtel" wird und dir das Leben schwer macht. Mögest du frei atmen und nichts dich einschnüren. Möge jeder Atemzug ein Freudenfest sein.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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