Montag, 19. Februar 2024

Plastik und Natürlichkeit

Ein Zitat

Schriftzug und Logo der Clinic Plastica beim Bahnhof Winterthur.
Foto © Jörg Niederer
"Es kostet viel, so billig auszusehen wie ich." Dolly Parton (*1946)

Ein Bibelvers - Klagelieder 4,2

"Wie kostbar waren die Kinder Zions, so wertvoll wie reines Gold. Jetzt gelten sie nur noch als billige Töpferware, von der Hand eines gewöhnlichen Töpfers hergestellt."

Eine Anregung

Immer wenn ich in Winterthur am Bahnhof auf den Zug warte, irritiert mich der Schriftzug "Clinic Plastica" aufs Neue. Natürlich denke ich sofort an Schönheitsoperationen und plastische Chirurgie. Das kann in manchen Fällen sinnvoll sein. Was mich irritiert, ist der sprachlich-bildliche Widerspruch im Signet. Da ist der Verweis auf Plastik, Kunststoff, und zugleich wird das mit einem stilisierten Bund Tulpen oder Ären oder Blätter ergänzt, also einem Rückgriff auf die Natur und Natürlichkeit.

Was ist Natur, was Plastik? Möchte ich angesichts des Microplastiks in der Muttermilch (also überall), sowie der riesigen, aus Plastikmüll bestehenden Wirbel in den Weltmeeren und den überall herumliegenden Plastikteilen mein Unternehmen so benennen?

Ich stelle mir das plastisch vor: Eine Welt, in der niemand mehr wissen kann, was echt ist und was künstlich. Eine Welt, in der das Künstliche natürlicher aussieht als die Natur und wir zugleich dem Natürlichen mit seinen Flecken, Narben und Asymmetrien aus dem Weg gehen, wo immer wir können.

Ist die neue Natürlichkeit aus Plastik? Landen wir dereinst am Ende dieses Prozesses wieder bei der Gummipuppe als unserem Gegenüber? Werden wir vielleicht sogar durch Plastik ersetzt? Es scheint mir, dass die modernen goldenen Kälber zunehmend in Silikon und Plastik gegossen werden. Doch Kunststoff stillt keinen Hunger nach Lebenssinn.

 Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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