Dienstag, 11. Juli 2023

Mausetotschlag

Ein Zitat

Buch am Irchel ist ein hübsches kleines Dorf im Zürcher Seeland mit einer botanischen Seltenheit.
Foto © Jörg Niederer
"Geld kann den Hunger nicht stillen, sondern ist im Gegenteil der Grund für Hunger. Denn wo reiche Leute sind, da ist alles teuer." Martin Luther

Ein Bibelvers - Sprüche 27,7

"Wer sich satt gegessen hat, verschmäht sogar den Honig. Wer Hunger hat, dem schmeckt alles Bittere süss."

Eine Anregung

Von der in 28 Metern befindlichen Plattform des Irchelturms sieht man wunderschön auf den Ort Buch am Irchel herab und über das Zürcher Weinland bis zum Schwarzwald und den Vulkankegeln des Hegaus. Nördlich vom Dorf erhebt sich eine flache Hügelkuppe, der Stammberg. Dort gibt es eine botanische Seltenheit, eine Buche. Nun sind Buchen nicht gerade rar. Von diesen vielen Buchen, die einst um das Dorf herum wuchsen, hat der Ort seinen Namen. Doch da gibt es noch eine ganz besondere Buche auf besagtem Stammberg, die nun das Wappen des Orts schmückt. Die Rote Buche. Sie ist die älteste von drei in Europa natürlich gewachsenen Blutbuchen. Seit 1680 ist diese Rarität von Buch am Irchel bekannt. Der heutige Baum ist ein Ableger der einst 300 Jahre alten, stattlichen Blutbuche. Diese wurde bei einem Sturm umgeworfen. Da diese besondere Buche im Frühjahr grünes Laub treibt, das sich dann aber um den Himmelfahrtstag rot verfärbt, muss es sich um eine natürliche Mutation handeln.

Für die blutroten Blätter gibt es noch eine andere, sagenhafte Erklärung. Es ist die Geschichte von einem Brüderpaar, das nach Kriegsdiensten und Verlust des eigenen Hofs während einer Hungersnot über einer gefangenen Maus so heftig in Streit gerieten, dass der eine den andern erschlug. Das dabei geflossene Blut soll die Blätter einer junge Buche rot gefärbt haben, was sich gehalten habe bis auf den heutigen Tag.

Es muss sich wohl um das gleiche Brüderpaar handeln, dessen tragisches Geschick auch mit einer Nagelsteinhöhle ob dem zürcherischen Teufen in Verbindung gebracht wird. In jener Geschichte bekommt das Brüderpaar den Familiennamen Lienert. Mehr dazu im morgigen Beitrag.

Heute sind wir in der Schweiz kaum mit wirklichem Hunger vertraut, diesem Hunger der Hungersnöte. Doch über Jahrhunderte hinweg kam es auch bei uns zu Missernten, und in der Folge zu Hunger und Tod. Wie verzweifelt müssen Menschen sein, wenn sie für einen Mausbissen töten. Ja, wie verzweifelt müssen Brüder sein, die einander aus diesem Grund erschlagen?

Weltweit litten im Jahr 2021 828 Millionen Menschen an Hunger. Im Jahr 2030 rechnet man immer noch mit 670 Millionen vom Hunger Betroffenen. Zugleich landen 30% der Lebensmittel, die bei uns produziert werden, auf dem Müll.

Dagegen kann etwas getan werden. Durch finanzielle Unterstützung der ärmsten Ländern, durch einen sorgfältigen Umgang mit Lebensmitteln, durch die Dankbarkeit für das, was wir jeden Tag essen und trinken dürfen. Keinesfalls sollten wir Satten den Ärmsten ihr Leben missgönnen. Denn wenn ein Hungriger einen Hungrigen für Essen erschlägt, ist das noch irgendwie verständlich. Wenn aber eine satte Welt sich nicht um das Los der Hungernden schert, ist das doch weitaus verwerflicher.

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen

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