Ein Zitat
"Das Gegenteil von heilig ist kaputt; wenn die Menschen Gott sehen könnten, würden sie versuchen ihn kaputt zu machen; so ähnlich war das ja mit Jesus, oder, ich meine im Glauben der Christen..." Interpretation eines muslimischen Schülers zur Aussage im Vaterunser: "Geheiligt sei Dein Name"Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Matthäus 6,12
"Und vergib uns unsere Schuld – so wie wir denen vergeben haben, die an uns schuldig geworden sind."
Ein Anregung
Es ging ein leises Raunen durch die Reihen der christlichen Vertreterinnen und Vertreter an der Interreligiösen Bettagsfeier in St. Gallen, als die Muslime rezitierten:
"Es wird überliefert, dass der Prophet Muhammad (Friede und Segnungen Allahs seien auf ihm) folgendes Gebet gelehrt hat:
'Oh unser Herr, der Du bist im Himmel, verherrlicht sei Dein Name. dein Wille geschieht im Himmel und auf Erden. So wie Deine Gnade im Himmel vorherrscht, so lasse sie auch auf der Erde wirken. Vergib uns unsere Sünden sowie unsere Übertretungen. Du bist der Herr der Reinen. Sende Deine Gnade herab aus Deinen mannigfaltigen Gnaden, und sende Deine Heilung aus Deiner Fülle zur Heilung dieser Krankheit.'"
Unter den anwesenden Christinnen und Christen wurde sofort die Nähe zum Vaterunser wahrgenommen.
Überliefert wurde diese islamische Gebet von Abu Dawud (817-888). Es findet sich nicht im Koran, sondern gehört zu den Hadithen, den Überlieferungen von Aussprüchen des Propheten Mohammed. Manche Muslime verwerfen dieses Gebet, weil die Überlieferungskette "schwach" sei.
Unter Christen geht man oft vorschnell davon aus, dass Mohammed dieses Gebet von Jesus übernommen und dann abgewandelt habe. Wahrscheinlicher ist, dass das überlieferte islamische Gebet auf jüdischen Texten (İsrâîliyyât) basiert, die Mohammed selbst als religiöse Quelle empfohlen hat. Auf diese Sammlung bezogen sich auch viele jüdisch-christliche Traditionen.
Ich kann mir vorstellen, dass sich sowohl die Christen (oder Jesus), wie auch die Muslime (oder Mohammed) auf ein jüdisches Gebet bezogen haben, das dann bei den Christen (bei Jesus) zum "Vaterunser" wurde, und bei den Muslimen zum oben abgedruckten Gebet um Heilung.
In allen drei Religionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, sind die Gebet nicht unabänderlich, sondern werden aufgenommen, abgewandelt, den Umständen angepasst und so zu neuen Gebeten.
Wie würdest du das Vaterunser mit deinen Worten weiterbeten?
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde
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