Montag, 4. Juli 2022

Der Heimatort - eine Schweizer Eigenart

Ein Zitat

Der Weiler Dünnershaus gibt 12 weiteren Siedlungen den Namen. Alle gehören heute zu Langrickenbach, Thurgau.
Foto © Jörg Niederer
"Der brave Bürger bürgt dafür, dass alles so weitergeht, wie es nicht weitergehen kann." Walter Ludin, Schweizer Journalist und Mitglied des franziskanischen Ordens der Kapuziner

Ein Bibelvers - Philipper 3,20

"Wir dagegen haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel. Von dort erwarten wir auch den Retter, den Herrn Jesus Christus!"

Ein Anregung

Eine Schweizerische Eigenart ist der Heimat- oder Bürgerort. Anders als der Geburts- oder Wohnort wird der Bürgerort vererbt oder durch Einbürgerung erworben. In früheren Zeiten war der Heimatort zuständig für seine Bürger. Wurde jemand armengenössig, überführte man ihn oder sie ins Armenasyl des Bürgerorts. 

Mein Bürgerort lautete bis um die Jahrtausendwende "Dünnershaus-Langrickenbach", heute nur noch Langrickenbach, und liegt im Kanton Thurgau. Dünnershaus besteht nur aus in paar Weiler auf dem ländlich fruchtbaren Seerücken. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Ort im 1537 angelegten Urbar des Spitalamtes Konstanz als "Dÿnner". Als "Thumershusen" taucht es 1571 im Urbar über die Widumgüter in Sommeri auf. Dann wird der Siedlungsort bis 1720 Dünnershausen genannt, danach immer öfter Dünnershaus.

Oikonyme, also Siedlungsnamen, bei denen Familiennahmen mit "Haus" oder "Hausen" verbunden werden, wurden im Frühmittelalter beliebt (600-1100 n.Chr.) Da die Nachbarsiedlung Eggethof, ein späterer Teil von Dünnershaus, erstmals 796 als Agitinchova belegt ist, könnte es durchaus sein, dass auch Dünnershaus schon in dieser Zeit besiedelt wurde. Das Portal "ortsnamen.ch" dagegen ordnet Namen auf -Huus, -Hus oder -Haus vorwiegend der jüngsten Schicht der Ortsnamen zu.

Dünnershaus bedeutet: "Haus der Familie Dünner". So hiessen auch meine bürgerortgebenden Ahnen: "Dünner". Also kann ich wohl davon ausgehen, dass meine Vorfahren tatsächlich in Dünnershaus wohnten, und nicht in einer der rund 17 weiteren Weiler, die man unter diesem Namen zusammenfasste. Das heute so benannte "Tünnerfäld" wäre dann der Boden, auf dem die Familie Dünner Landwirtschaft betrieb.

Durch Familienverwicklungen heisst unsere Familie heute nicht mehr Dünner. Aber es gibt noch recht viele Menschen, die diesen Namen tragen. Eine unter ihnen war Claire Dünner, Sekretärin der methodistischen Bischöfe Nuelson und Sigg, eine Cousine meines Vaters.

Zurück nach Dünnershaus. Da gibt es viele seltsame Lokalnamen. Das "Himmelriich" neben Dünnershaus erreicht man von Süden über "Wässrig" und "Spegg". Unweit findet sich der "Schoopegarte", dann das "Pulverhaus" die "Braatwis" und den "Ringschwing" (das hat nichts mit dem Schweizer Kampfsport "Schwingen" zu tun, sondern meint "Wiese des Reginolt"). Es gibt die Weiler Ober- und Unterlöwenhaus, auch der Bärshof, und direkt auf der andern Strassenseite, beim Ortsschild "Dünnershaus", wachsen Aprikosen auf der "Bitzi", wohl eine Kultur des Hofs "Helebartle".

Solltest du nun tatsächlich all diesen für dich wenig bewegenden Ausführungen bis hierher gefolgt sein, wundert mich das sehr. Andererseits erlaube ich mir nun auch die Fragen: Wie wichtig ist es dir, zu wissen, woher du kommst? Wie entscheidend ist dir der Bürgerort? Rechnest du mit Bürgeranspruch im Himmel?

Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen / Koreanische Gemeinde

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