Ein Zitat
"Wir müssen der Wandel sein, den wir in der Welt zu sehen wünschen." Mahatma Gandhi (1869-1948)Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Psalm 62,2
"Bei Gott schweigt meine Seele still. Von ihm kommt die Hilfe, die ich nötig habe!"
Eine Anregung
Ich habe das kleine weisse Pünktchen auf dem sonst von Brauntönen domminierten, lichtarmen Waldboden nur gesehen, weil ich stehen geblieben bin. In der Dynamik des Wanderns wäre mir der kleine Pilz, wohl ein Helmling, nie aufgefallen.
Tags zuvor bin ich wieder einmal auf einer der wenigen Hochgeschwindigkeitsstrecken der Schweiz mit annähernd 200 Stundenkilometern unterwegs gewesen. Während die Welt im Bahnwagon, da wo wir sassen, sich kaum veränderte, entschwand das Draussen zusehends der Wahrnehmung. Unglaublich viele Dinge wurden, wie schon Reinhard Mey sang "nichtig und klein". So war es nicht weiter schlimm, dass die Bahn lange Zeit durch die Dunkelheit eines Tunnels raste und keine Blicke freigab auf das Sein und Vergehen da draussen.
Nun frage ich mich: Reicht es, das Grosse und Ganze zu sehen? Reicht es, mit meist beachtlicher Geschwindigkeit unsere Wege zurückzulegen? Bei der Einführung der Bahn diskutierte man noch, ob die "hohe" Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometer nicht lebensbedrohlich sei für den menschlichen Körper, der dazu doch gar nicht geschaffen sei. Heute scheint mir, dass wir in anderer Weise uns und die Welt der Geschwindigkeit opfern. Vor lauter Übersicht sehen wir die feinen und filigranen Zusammenhänge nicht mehr. Wir eilen am Leben und seiner Vielfalt vorbei. Diese wird in unseren menschlichen Augen denn auch immer gleichgültiger. Es kommt nicht mehr darauf an, dass dieser kleine Pilz noch da ist; weil wir ihn schon gar nicht mehr sehen. Die Flasche, aus dem fahrenden Auto geworfen, wird von den Personen im Fahrzeug nicht mehr gesehen. Für den Bauern, auf dessen Weide sie zerschellt ist, oder für die Passantin, die auf dem Spaziergang daran vorüber geht, sind ihre Scherben dagegen sichtbar und ärgerlich, mitunter sogar gefährlich.
So gesehen sind Staus auf den Strassen ein Segen. Sie unterbrechen unsere Bewegung und lassen uns den Ort und unsere wirklichen Bedürfnisse wenn nicht erkennen, so doch wenigsten erahnen. Da sehen wir dann diese hässlichen Strassenränder, die wir mit unserer Mobilität verbrochen haben, spüren unsere Launen, und in manchen Situationen den Harndrang fern einer Toilette (eine weitere Sache, zu der man besser still steht oder still kauert).
Still stehen. Still sein. Sehen. Hinhören. Riechen. Spüren. Das ist es, was wir wohl mehr denn je brauchen.
Wir benötigen Stillstand.
Jörg Niederer ist Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche St. Gallen-Teufen
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